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Depressionen und deren Therapie als Thema

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 48-52)

Zum Verhältnis von Gouvernementalität und In- In-klusion

1. Depressionen und deren Therapie als Thema

Am 14. März 2007 publiziert die in Berlin ansässige Tageszeitung DER TA-GESSPIEGEL eine kleine, fast randläufige Notiz. In dieser wird berichtet, dass „der dänische Filmregisseur Lars von Trier […] seine künstlerische Ar-beit wegen einer schweren Depression bis auf weiteres eingestellt“ habe. Des Weiteren heißt es hierzu:

„Wie der Gewinner der Goldenen Palme beim Filmfestival in Cannes (‚Dancer In The Dark’, 2000) in der Kopenhagener Zeitung ‚Politiken’

sagte, sei er ‚als Folge des Absturzes völlig blank’. Er gab an, dass er den geplanten Horrorfilm ‚Antichrist’ als letzten Teil seiner USA-Trilogie für unbestimmte Zeit, möglicherweise für immer auf Eis gelegt habe.“

Im restlichen Teil dieses kurzen Artikels wird noch in groben Zügen auf das filmische Werk des Regisseurs eingegangen. Ob von Trier sich in psycholo-gische Behandlung begeben hat, wird nicht berichtet. Generell zeichnet sich der Text durch eine relativ nüchterne Schreibweise aus, die ohne (ab)wertende Aussagen zu treffen, den depressiven Zustand von Triers und die Folgen für sein berufliches Schaffen schlicht konstatiert. Der Leserin bzw. dem Leser wird die Möglichkeit gegeben, diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen. Obgleich wird aber auf eine Ungewissheit verwiesen,

die durch die Depression von Triers entstanden ist: Der geplante Film „Anti-christ“ muss „für unbestimmte Zeit, möglicherweise für immer auf Eis ge-legt“ werden und der Abschluss seiner „USA Trilogie“ ist somit gefährdet.

Eine ähnliche nicht-moralisierende Beschreibung psychischer Leiden findet sich auch in einem Artikel vom 4. Januar 2007 aus der Süddeutschen Zei-tung. In diesem wird über psychische Probleme berichtet, welche bei Frauen im Anschluss an eine Geburt auftreten können. Diese sogenannten „postpar-talen Störungsbilder“ werden anhand des Falls einer jungen Mutter geschil-dert, welche an einer postpartalen Depression leidet und sich in eine psychi-atrische Klinik, welche auf diese Fälle spezialisiert ist, begeben hat. Im Ge-gensatz zum ersten Artikel wird hier auch explizit die Therapie von Depres-sionen thematisiert. Bei der Beschreibung des psychischen Zustandes der Mutter wird zum Teil auf medizinische Termini zurückgegriffen:

„Monika leidet an einer postpartalen Depression. Bis zu einem Jahr nach der Geburt kann die Depression auftauchen und von wenigen Wo-chen bis zu einem Jahr dauern. Zehn bis 20 Prozent aller Mütter trifft sie, wenige erleiden sie so schwer wie Monika.“ (m. Herv.)

Auch der Klinikalltag und der Therapieansatz der Psychiatrie werden in dem Artikel vorgestellt und damit dem zeitungslesenden Publikum als Wissen zugänglich gemacht. Zudem verhält sich der Text kritisch gegenüber dem Verhalten des privaten Umfelds der betroffenen Frau, welche ihr Leiden nicht anerkannt habe:

„Lange habe sie versucht, ihre Depression ‚wegzulächeln’, sagt Moni-ka. Selbst ihrem Mann habe sie lange nichts erzählt, Freunden gar nicht.

‚Jeder hätte mich für verrückt gehalten’, sagt sie. Ein gesundes Baby, ein Mann mit gutem Job, ein neues Haus. Was will man mehr?“

Eine ähnliche Aussage findet sich in dem Artikel auch nochmals als Bildun-terschrift: „’Reiß dich zusammen, das ist doch nur Babyblues’: Nicht immer werden die Depressionen von Müttern nach der Geburt ernst genommen.“

Die beiden hier zitierten Zeitungsartikel stehen für eine Position, wel-che Depressionen und damit verbundenes psychiswel-ches Leiden ernst nimmt und versucht (ab)wertende und moralisierende Zuschreibungen in Bezug auf die Personen, welche von einer Depression betroffen sind, zu vermeiden.

Diese Position ist sicherlich nicht neu – und m.E. typisch für das Selbstver-ständnis des medizinische System –, steht aber dennoch im Kontrast zu

mo-ralisierenden Beschreibungen von Depressionen wie sie in der Gesellschaft durchaus existieren. Dementsprechend erscheint aus der Perspektive der Zei-tungsartikel auch die Inklusion ins Feld der psychologisch-medizinischen Krankenbehandlung – wie der Psychiatrieaufenthalt von Monika – als eine

‚positive’ und medizinisch abgeklärte Hilfestellung. Auch werden keine Vorwürfe gemacht, da es sich um eine Krankheit handelt. Vor diesem Hin-tergrund lassen sich dann auch Personen und Gruppen kritisieren, die das Leiden an Depressionen nicht (an)erkennen und es vielleicht sogar überspie-len möchten – so wie es scheinbar im persönlichen Umfeld von Monika der Fall gewesen ist. Es lässt sich hier exemplarisch ein massenmediales Be-schreibungsmuster bezüglich Depressionen und die Inklusion von Betroffe-nen qua Therapie ins medizinische System erkennen, welches sich im We-sentlichen von zwei Sichtweisen abgrenzt: auf der einen Seite wird sich von einer moralisierenden Beschreibung von Depressionen abgegrenzt, welche den Betroffenen Missachtung aufgrund ihres depressiven Zustandes entge-genbringt. Andererseits kann sich auch von einer Position distanziert werden, die das psychische Leiden von Personen nicht als solches (an)erkennt und es entweder übergehen oder normalisieren möchte.

Die zwei eingangs kurz vorgestellten Zeitungsartikel lassen sich als exemplarisch für viele weitere Zeitungsartikel zu dem Thema Depression an-sehen, welche in diesem Artikel untersucht werden sollen. Das Leiden an Depressionen und die dadurch induzierte Inklusion ins medizinische System scheinen nun endgültig ihren (moralisch) negativen Beigeschmack verloren zu haben. Die Therapie von Depressionen und anderen psychischen Leiden bzw. Störungen muss dann zwar als ein spezifischer aber doch ganz normaler und alltäglicher Fall von Krankenbehandlung betrachtet werden. Das medi-zinische System mit seinen wissenschaftlich hergeleiteten und geprüften Heilverfahren sowie das reichhaltige Erfahrungswissen der praktizierenden ÄrztInnen und PsychologInnen können zum ungestörten Einsatz kommen.

Moralisierende und für die PatientInnen sich negativ auswirkende Herabset-zungen und Vorurteile halten demnach die psychologisch-medizinischen Ex-pertInnen nicht mehr von ihrer letztlich an Sachkriterien orientierten Arbeit ab. Doch verhält es sich tatsächlich so einfach? Oder gehen mit der ‚Entmo-ralisierung’ dieses Themenfeldes – so wie sie in den von mir untersuchten Zeitungsartikeln zu finden ist – nicht auch neue Mystifikationen und negati-ve Effekte einher?

Der hier vorliegende Artikel interessiert sich daher weniger für die Frage, ob sich dieser in den Zeitungsartikeln schon ansatzweise sichtbar ge-wordene ‚Entmoralisierungs-‚ und ‚Enttabuisierungsprozess’ in der

Gesell-schaft vollkommen durchgesetzt hat. Es ist wohl anzunehmen, dass nach wie vor in der Öffentlichkeit und im Alltag stigmatisierende Bilder bezüglich Personen mit Depressionen und entsprechenden Therapieerfahrungen ver-breitet sind. Auch kann davon ausgegangen werden, dass beim Inklusions-prozess ins medizinische System Moralisierungen durch TherapeutInnen so-wie andere Professionelle erfolgen. So zeigt beispielsweise Bergmann (1999) in einer konversationsanalytisch angelegten Studie auf, wie bei Aufnahme-gesprächen in Psychiatrien oft durch das Frageformat der einweisenden Ärz-tin bzw. des einweisenden Arztes die Verhaltensweisen der potentiellen Pati-entInnen moralisch eingefärbt werden: „Die scheinbar unschuldigen, unter-stützenden und affiliativen Äußerungen, mit denen Psychiater versuchen, die Aufnahmekandidaten dazu zu bringen, ihre Gefühle und Meinungen zu of-fenbaren, besitzen strukturell eine verhüllte, verborgene Moral“ (ebd.: 189).

Die hier eingenommene Perspektive interessiert sich demgegenüber vielmehr für die Thematisierung von Depressionen und deren Therapie in den Printmedien. Interessant erscheint dies vor allem deswegen zu sein, da in den von mir untersuchten Zeitungsartikeln7 bei der Vorstellung von Krank-heitsbildern, betroffenen Personen und Therapieeinrichtungen quasi voll-ständig auf moralisierende Herabsetzungen, Stigmatisierungen und Vorwürfe gegenüber Menschen mit Depressionen verzichtet wird.

Meine Untersuchung orientiert sich bei der konkreten Analyse der Zei-tungsartikel und deren Einbettung in einen weitergehenden (theoretischen) Zusammenhang sowohl an der Diskursanalytik Michel Foucaults als auch an der soziologischen Systemtheorie, wie sie von Niklas Luhmann formuliert worden ist. Im Anschluss an die Diskursanalytik Foucaults möchte ich nach den sich in den Zeitungsartikeln manifestierenden Diskursen fragen und de-ren Aussagenstrukturen – zumindest in Grundzügen – rekonstruieren. Mit Luhmann soll hingegen ein theoretischer Rahmen gewonnen werden, mit

7 Insgesamt wurden 43 Artikel untersucht, welche in folgenden großen deutschen Zeitungen publiziert wurden:

Frankfurter Rundschau, DER TAGESSPIEGEL, Süddeutsche Zeitung, BILD, Frankfurter Allgemeine Zeitung, DIE ZEIT. Die taz wurde nicht berücksichtigt, da sich dort keine Artikel zum Thema Depression finden ließen.

Generell wurde im Wesentlichen mithilfe von Suchmaschinen auf den Internetseiten der Zeitungen das jeweili-ge Archiv nach Stichworten wie „Depression“, „Psychotherapie“, „Angst“ etc. durchsucht. Dabei wurden so-wohl Artikel berücksichtigt, die sich explizit mit Depressionen bzw. mit damit als verwandt wahrgenommenen Störungen und deren Therapie beschäftigen (ca. 2/3 der Artikel) als aber auch Artikel, die nur beiläufig auf die-ses Themenfeld eingehen (ca. 1/3 der Artikel). Der Erscheinungszeitraum der untersuchten Artikel erstreckt sich vom 11.3.04 bis zum 19.5.07. Die Ergebnisse meiner Analyse lassen sich allein schon aufgrund der vergleichs-weise kleinen Stichprobengröße nicht als ein vollständiges und repräsentatives ‚Abbild’ der Aussagenstruktur aller existierenden Zeitungsartikel zu diesem Thema begreifen – was hier aber auch nicht beabsichtigt wird.

Auch wenn daher über den Verbreitungsgrad der im Weiteren rekonstruierten Diskursstrukturen nur bedingt Aussagen gemacht werden können, so kann dennoch ohne Einschränkungen statistischer Art die Existenz und Funktionsweise der hier rekonstruierten Diskursstrukturen nachgewiesen und dargestellt werden, wobei deren Relevanz durch die Positionierung der Artikel in großen und auflagenstarken Zeitungen hergestellt wird.

dessen Hilfe die sozialtheoretische Relevanz und das sozialstrukturelle Po-tenzial von diskursiven bzw. semantischen Schemata erklärt und analytisch in den Blick gerückt werden kann. Dabei ist es zunächst wichtig zu beachten, dass die Zeitungsartikel einen Inklusionsprozess – nämlich die Inklusion qua Therapie ins medizinische System – zum Thema haben. Hier wird es vor al-lem darum gehen, das Verhältnis von den im empirischen Teil dieses Arti-kels rekonstruierten Diskursstrukturen zu den faktisch ablaufenden Inklusi-onsprozessen, welche vom Diskurs thematisiert werden, einschätzen zu kön-nen. Die Verbindung und Anschlussfähigkeit zwischen beiden theoretischen Ansätzen wird durch die Ähnlichkeit und prinzipielle Kompatibilität des Diskursbegriffs bei Foucault und des Semantikbegriffs bei Luhmann ermög-licht (vgl. Stäheli 2004; Stichweh 2000: 242ff.). Bevor nun die konkrete A-nalyse der Zeitungsartikel und die Rekonstruktion der darin enthaltenden Aussagenstrukturen dargestellt wird, soll zunächst ein erster theoriegeleiteter Zugang zur hier interessierenden Problemstellung vorangestellt werden.

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 48-52)