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Der pragmatisch-‚technizistische’ Ansatz

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 101-104)

Indigenes Wissen in der Entwicklungszusam- Entwicklungszusam-menarbeit

3. Der pragmatisch-‚technizistische’ Ansatz

Ein weiterer Ansatz zum Umgang mit indigenem Wissen in Projekten lässt

24 Hier soll keineswegs bestritten werden, dass ökologische Probleme auftreten können, wenn Migrationsbauern ein neues Habitat bewirtschaften. Hier soll vielmehr betont werden, dass die Ökologie nicht für sich allein ste-hen kann. Abgrenzungs- und Zuschreibungsprozesse (wer hat (kein) Wissen, wer ist der Umweltsünder) stellen keine objektiven Tatsachen dar, sondern sind von Macht- und Dominanzstrukturen sowie Gegenstrategien durchdrungen und in ein vielschichtiges Netz unterschiedlichster Interessen in sozialen, politischen und wirt-schaftlichen Bereichen verschiedener Akteure verwoben.

25 Siehe weiterhin die Studie von Piland (2000) über die Ressourcennutzung der Tsimanes in der Reserva de la Bi-osfera Estación Biológica del Beni im bolivianischen Amazonasgebiet.

26 Siehe Pottier 2003: 4, 20; Sillitoe 1998: 232f; Borowsky 1994a: 334ff; Antweiler 1998: 472; Lachenmann 2004:

124; Schareika 2004: 26; Schütz 1964: 134. Speziell zur Fragmentierung indigenen Wissens siehe Long 1992:

274, Pottier 2003: 15; Antweiler 1998: 473 und Mersmann 1993.

27 Mosse 2001: 19, Pottier 2003: 1f, 5–7; Sillitoe 1998: 225f, 230–233, 235; siehe weiterhin Long & Long 1992;

Scoones & Thompson 1994; Mundy & Compton 1995.

sich als pragmatisch-technizistisch umschreiben. Forschungsansätze zu indi-genem Wissen aus dem Bereich der Kognitionsethnologie, die die Beziehun-gen der Menschen zur Natur in Arbeiten zu Agrarsystemen28, der Sub-sistenzwirtschaft29, der Erhaltung der Biodiversität30, zu Heilpflanzen31 oder der Klassifizierung der biologischen Umwelt32 untersuchen33, haben in der Entwicklungspraxis ihre Fürsprecher gefunden. Sie nehmen an, dass dieses vornehmlich auf Pflanzen und Tiere beschränkte Wissen weitgehend prob-lemlos in wissenschaftlich-technische Konzepte der Entwicklungszusam-menarbeit integriert werden könne.34 Träger dieses Wissens sind diejenigen, die es zu ‚entwickeln’ gilt. Diesem Ansatz zufolge wird indigenes Wissen als vom soziokulturellen Kontext isolierte Informationen oder ‚Fakten’ über die lokale Flora und Fauna meist in Form von Klassifikationen begriffen, die in einem weiteren Schritt in überregionalen Datenbanken gespeichert werden sollen, um für andere Projekte zur Verfügung zu stehen.35 Auch hierbei wird häufig angenommen, dass lokales Wissen von allen Mitgliedern einer Ge-meinde geteilt würde.

Dieser Ansatz geht von der grundsätzlichen Überlegenheit externen Exper-tenwissens oder ‚westlichen’ Wissens aus. Die Träger indigenen Wissens – die Zielgruppe von Entwicklungsmaßnahmen – werden als mit defizitärem Wissen ausgestattet wahrgenommen, die allerdings einige brauchbare Infor-mationen über die lokale Flora und Fauna beisteuern können. Die erhobenen Informationen werden dann mittels westlich-wissenschaftlicher Kriterien bewertet und klassifiziert und damit der Wissenschaft subsumiert.

Neuere ethnologische Studien kritisieren diesen Ansatz und die zugrunde liegenden Annahmen an mehreren Stellen. Sie zeigen auf, dass eine auf den ersten Blick ‚rein technisch’ erscheinende Angelegenheit wie das Ressour-cenmanagement sehr wohl eine kulturelle Dimension besitzt und daher mit der sozialen Umwelt verschränkt ist.36 Wissen zur Subsistenzproduktion

28 Conklin 1954 u. 1957; Brokensha, Warren & Werner 1980; Nazarea 1999.

29 Foster 1967.

30 Gadgil, Berkes & Folke 1993.

31 Paul 1955; Rätsch 1999; Rätsch & Müller-Ebeling 2003.

32 Zu Klassifikationssystemen von Pflanzen bei den Maya in Südmexiko, Chiapas, siehe Berlin, Breedlove & Ra-ven 1973, 1974 und Berlin 1992.

33 Zur Kritik daran siehe z.B. Ellis & West 2004: 107.

34 Beispielsweise Milliken 2006: 245f für das Amazonasgebiet.

35 Fürsprecher der Speicherung in Datenbanken sind beispielsweise Warren, Lieberstein, Slikkerveer 1993; Rah-man 2000 und Milliken 2006: 245f.

36 Ein gut dokumentiertes Beispiel für die Komplexität des Ressourcenmanagements in Abhängigkeit von der so-zialen und ökologischen Umwelt bietet die Studie von Piland (2000) über die Tsimanes im bolivianischen Tief-land. Auf der individuellen Ebene sind Alter und Familienstruktur einer Person Faktoren, welche die Anbau-praktiken von Nahrungsmitteln beeinflussen. Auf der Gemeindeebene sind es Faktoren wie Verfügbarkeit von

spielsweise betrifft neben technischen Prozessen und Ressourcen auch sozia-le Faktoren wie effektive Gruppenaktivitäten und deren Koordination sowie Gender-Beziehungen (Campbell 2004: 150; Antweiler 2004: 12).37 Von Cra-nach (1995) bezeichnet dies als Wissen über soziale Systeme. Indigenes Wissen ist deshalb im weitesten Sinne das soziale Management von Informa-tionen sowie Lernen und Lehren; es beinhaltet das Wissen einer Person über seine Gruppe und deren Beziehungen untereinander (vgl. Antweiler 2004:

12). Fairhead (1993: 199) fasst die Kritik wie folgt zusammen: „The focus on ‘technical knowledge’ helps isolate agriculture from the social context, or put another way, the farmer from the person.” Weiterhin ist indigenes Wis-sen nicht auf alle Mitglieder einer Gemeinde gleichmäßig verteilt und ist, wie oben aufgezeigt wurde, das Produkt sozialer Aushandlungen, die Ausei-nandersetzungen, Konflikte und Verhandlungen umfassen. Es ist durchdrun-gen von Aspekten der Macht, Autorität und Legitimation, sowohl auf lokaler Ebene als auch in der Interaktion mit Entwicklungsagenten.38 Auch hier spie-len die beschriebenen Prozesse der Grenzziehungen (wer sind Indigene und welche Wissensformen fallen unter indigenes Wissen) eine wichtige Rolle.

Nun stellt sich den Befürwortern der Nutzung indigenen Wissens für lokale Entwicklungsprozesse – sowohl des ökoromantischen wie auch des pragma-tisch-technizistischen Ansatzes – die Frage, wie man jenes Wissen erhebt.

Eine Antwort, der viele dieser Entwicklungsagenten folgen, ist die Anwen-dung der so genannten partizipativen Methoden, die in Begriffen wie Rapid Rural Appraisal oder Relaxed Rural Appraisal oder Participatory Rural Ap-praisal39 gefasst werden. Autoren wie Mosse (2001: 16–35) oder Biggelaar (1991) enttarnen diesen von vielen Entwicklungsinstitutionen gepriesenen partizipativen Ansatz als Fortführung konventioneller Projektstrategien nach dem top-down-Prinzip, wobei indigenes Wissen eher die Funktion interes-santer Zusatzinformationen innehat. Partizipation bleibt letztlich eine leere Hülse, solange die Erhebungstechniken als Maß der Partizipation betrachtet werden und eine selbstkritische Reflektion der zugrunde liegenden hierarchi-schen Strukturen ausbleibt (vgl. dazu auch Cooke & Kothari 2001: 3–9). So argumentiert Antweiler (1998: 472) folgerichtig, dass die Verfügbarkeit von

und Zugang zu Land, Bevölkerungsdichte oder die Integration in die Marktwirtschaft, welche die Anbauprakti-ken und –strategien und somit die Nachhaltigkeit des Ressourcenmanagements beeinflussen.

37 Zur kulturellen Eingebundenheit lokalen Wissens siehe weiterhin Lachenmann 2004: 124; Pottier 2003: 7; Lin-kenbach 2004: 234f; Antweiler 1998: 469, 472–477; Sillitoe 1998: 228; Schareika 2004: 24f sowie Campbell 2004: 150.

38 Pottier 2003: 1f, 5–7; Sillitoe 1998: 225f, 230–233, 235; Long & Long 1992; Scoones & Thompson 1994;

Mundy & Compton 1995.

39 Zu Entwicklung dieser Methoden siehe Chambers 1992, 1994 u. 1996; zu methodischem Vorgehen und Kritik siehe Schönhuth & Kievelitz 1993; Schönhuth 2004; Hess et.al. 1998, Ulbert 1995 und Cooke & Kothari 2001.

indigenem Wissen in Händen westlicher Akteure die Gefahr trägt, dass Ent-wicklungsansätze an externe Experten delegiert werden. Dies trifft insbeson-dere auf ‚Wissensinhalte’ zu, die in externen Datenbanken gespeichert wer-den.

Was letztlich als indigenes Wissen in Projekte gelangt, ist etwas ‚Konstruier-tes’, das die sozialen (hierarchischen) Beziehungen reproduziert, die das Pla-nungssystem mit sich bringt, und ist „shaped both by locally dominant groups and by project interests“ (Mosse 2001: 21). Das für Projektzwecke erhobene ‚indigene Wissen’ stellt folglich privilegierte Perspektiven einiger lokaler Interessensgruppen in Zusammenhang mit Projektinteressen der Entwicklungsinstitutionen und seiner Mitarbeiter dar (ebd. 22). „Participato-ry approaches and methods also serve to represent external interests as local needs, dominant interests as community concerns“ (ebd.), wenn Entwick-lungsinstitutionen beispielsweise bestimmten Inhalten indigenen Wissens strategisch den Vorzug geben, um damit ihre Programme zu legitimieren und zu finanzieren.

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