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Die „anderen“ Medien im Kontext Kolumbien

Im Dokument Von Honig und Hochschulen (Seite 43-48)

PATRICIA RENDÓN GALVÁN

1. Einleitung

Im April 2007 besetzten Indígenas zwei Wochen lang in der Hauptstadt des Departemento de Chocó1 Quibdó, die Einrichtungen des Gemeinderates und forderten für die indigenen Familien, die an den Ufern des Flusses Atrato le-ben, die medizinische Betreuung von Staatsseite, sowie Hilfe bei den Sicher-heitsproblemen, denen sich diese Familien angesichts der unterschiedslosen Angriffe der bewaffneten Akteure in diesem Gebiet ausgesetzt sehen. Die nationalen Medien berichteten nicht darüber. Diese Nachricht wurde mit Hil-fe des Netzwerkes der Diözese von Quibdo2 im Internet und durch Radio-sendungen alternativer Medien mit lokaler und regionaler Reichweite be-kannt gemacht.

Kolumbien ist eines der wenigen Länder Lateinamerikas mit einer formal ununterbrochenen demokratischen Tradition. Dass Kolumbien keine Diktatur erfahren hat, spricht theoretisch für die Existenz formal-demokratischer Rahmenbedingungen und damit für einen Grundbestand an Pressefreiheit.

Mit der Verabschiedung der neuen Verfassung im Jahre 1991 wurde das Konzept der demokratischen Anteilnahme in Kolumbien eingeführt, in dem die Medien eine wichtige Rolle in der Beziehung Staat – Zivilgesellschaft spielen sollen. So wurde das Recht auf Information und Meinungsäußerung, was auch den Aufbau von Medieninstitutionen einschließt, verfassungsmäßig festgeschrieben.

Weder formalrechtliche Bestimmungen noch eine allgemeine Medienvielfalt noch ein technologisch fortgeschrittenes Mediensystem – wie sie in Kolum-bien existieren – bedeuten zugleich Presse- und Meinungsfreiheit, Unabhän-gigkeit der Medien sowie Meinungs- und Informationspluralismus. Die ko-lumbianischen Massenmedien sind in den Händen einer kleinen Gruppe

1 Das Departamento de Chocó ist eine Provinz im Nordwesten Kolumbiens. Es grenzt im Westen an den Pazifik und an Panama und im Norden an den Atlantik.

2 Das Netzwerk der Diözese von Quibdó versucht, den in der Massenmedien unterrepräsentierten Bevölkerungs-gruppen der Region Chocó in Kolumbien eine Plattform zur Nachrichtenverbreitung und Meinungsäußerung zu geben, vgl. http://www.choco.org.

tisch und ökonomisch einflussreicher Familien konzentriert,3 die als Eigen-tümer der Presseorgane weitreichenden Einfluss auf Informationsinhalte in ihren Publikationen besitzen. Somit übernehmen diese eine wichtige Rolle als Instrument zur Verbreitung einer politischen Meinung oder privatwirt-schaftlicher Interessen ihrer Besitzer.

„Die starken horizontalen und diagonalen Konzentrationstendenzen im gesamten Mediensektor, der […] von einer kleinen privilegierten sozia-len Elite der kolumbianischen Gesellschaft kontrolliert wird, die an die beiden traditionellen politischen Parteien gebundene Presse, die Domi-nanz privatwirtschaftlich betriebener Radio- und Fernsehsender, deren Programme von leichter Unterhaltung und Werbung bestimmt werden, und die nach wie vor großen Diskrepanzen in der Medienversorgung zwischen den urbanen und ruralen Regionen des Landes, die ein vielfäl-tiges Medienangebot zumindest für die ländliche Bevölkerung relativie-ren, sind […] zentrale Strukturmerkmale des kolumbianische Medien-systems, …“.4

Dieses Oligopol bewirkt Ausschluss und marginalisiert große Bevölkerungs-teile von ihrem Recht sich auszudrücken, andere und sich zu informieren a-ber auch zu sozialisieren. Schließlich wird damit einer partizipativen politi-schen Kultur entgegengewirkt.

Was ich hier zeigen will ist, dass aus dem Widerspruch zwischen demokra-tietheoretischem Medienideal und realer Situation ein Bedeutungszuwachs alternativer Gemeindemedien erfolgt. Diese neue Bedeutung ist in den sozia-len Beziehungen Kolumbiens begründet. Das Land ist geprägt durch die Ge-schichte eines bewaffneten Konfliktes, der seit 50 Jahren die Entwicklung des Landes beeinflusst. Es handelt sich um einen Konflikt als Folge von tie-fen sozialen und ökonomischen Spannungen: Macht und Reichtum sind in wenigen Händen konzentriert, 60% der Bevölkerung lebt dagegen in Armut.

2. Alternativ- und Gemeindemedien in Kolumbien

3 Die großen Medienkonzerne gehören zu Familien wie Santo Domingo, Ardila Lulle, Sarmiento Angulo, Insge-samt handelt es sich um ein Oligopol von etwa 20 bis 25 Familien.

4 Kusche, Dagmar, Massenmedien in Kolumbien, in Kolumbien Heute, 2002, 585.

Radio- und Fernsehsender auf kommunaler Ebene tragen ganz entscheidend zu den lokalen sowie regionalen Kommunikationsbeziehungen bei und schaffen Räume der Partizipation.

Wie auch im restlichen Lateinamerika ist in Kolumbien die Entstehung die-ser alternativen und Gemeinde-Kommunikationsmedien an soziale Prozesse gekoppelt, die von den Gemeinden, von NGOs und von einigen staatlichen und kirchlichen Sektoren ausgehen. Diese suchten nach Möglichkeiten der Bildung und Interessenartikulation für marginalisierte Teile der Bevölke-rung. Die lokale bzw. regionale Begrenzung besagter Medien hängt zudem mit technischen sowie rechtlichen Beschränkungen zusammen. Gemeindera-dios dürfen nicht mehr als 250 Watt und damit nicht über die Landkreisebene hinaus senden.5 In den großen Städten wird die Vergabe von Sendelizenzen noch mit der kolumbianischen Regierung verhandelt.

Obwohl die rechtliche Situation vielfach noch ungeklärt ist, senden viele die-ser Radios illegal, genießen aber den Rückhalt und die Legitimierung der Gemeinden, die dieses Medium nutzen können.

Probleme bereiten allerdings die Finanzierungsmöglichkeiten bei der Be-schaffung von Technik, sowie der laufenden Betriebskosten. Kommerzielle Werbung ist im Bereich der Gemeindemedien untersagt, so dass diese sich meist durch Spenden und geringe öffentliche Zuschüsse finanzieren müssen.

Dies ist auch ein Grund dafür, dass im Gegenteil zu anderen Ländern Latein-amerikas, in denen die Teilhabe marginalisierter Bevölkerungskreise an al-ternativen Medien stark zugenommen hat, besonders im Bereich Radiosen-der, in Kolumbien vergleichbare Werte geringer sind. Und dies obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen in Bezug auf Gemeinderadio und -fernsehen durchaus positiver als in anderen Ländern zu bewerten sind und die Grün-dung von neuen Sendern in den letzten Jahren gleichfalls stark zugenommen hat.

3. Die Funktion der Alternativmedien im Friedensprozess

5 Vgl. das Gesetz für die Inbetriebnahme von Gemeinderadios (Dekret 1447 von 1995). Das kolumbianische Kommunikationsministerium gibt in seiner gültigen Gesetzgebung an, dass sich die Nutzung von Medien auf Gemeindeebene folgendermaßen definiert:

"Es handelt sich um Medien, die gemeinnützig arbeiten, das heißt, dass sie sich nicht durch den Verkauf von Werbung finanzieren, wie es in den kommerziellen Medien üblich ist.

Es handelt sich um Medien, die dazu dienen, Räume der Partizipation in den isoliertesten Gemeinden zu schaf-fen." (Zitate aus dem Gesetz für Gemeinderadios).

Krieg und Frieden werden in Kolumbien gegenwärtig vor allem auf zwei Ebenen thematisiert: Die erste Form der Thematisierung realisiert sich als alltäglich gelebte Erfahrung durch zivile Personen und Bevölkerungsgrup-pen, deren Lebenssinn weit entfernt ist von Kriegsinteressen, die aber auf-grund ihrer starken, durch Kämpfe und Massaker hervorgerufenen Traumata als Opfer wahrgenommen werden.

Der zweite Ansatz versteht den Krieg als politischen Diskurs, der durch die jeweiligen Einflussgebiete der beteiligten Kämpfer definiert wird. Die be-waffneten Gruppen haben nach qualifizierten Umfragen geringen Einfluss auf nationale Fragen, regieren aber in von ihnen kontrollierten Zonen durch den ihnen entgegengebrachten Respekt und die Angst der Bevölkerung.

In diesem Kontext beanspruchen die kommerziellen Kommunikationsme-dien, durch ihre Informationen über den Krieg und Friedensverhandlungen sämtliche Ebenen des Konfliktes abzudecken. Dabei konzentrieren sie sich auf die großen Wortführer der Verhandlungen und geben den Anführern der jeweiligen Armeen eine Stimme. Nur diese werden in den offiziellen großen Nachrichten als Akteure wahrgenommen, alle anderen Kriegsbeteiligten aus der Zivilgesellschaft dagegen nicht.

Der Krieg verursacht neben Millionen von direkten Opfern auch Tausende von internen und externen Flüchtlingen, die als Vertriebene in städtischen Randgebieten zu menschenunwürdigen Lebensbedingungen ohne Aufstiegs-perspektiven gezwungen sind. Diese Personengruppen spielen nur eine Rolle im Informationsfluss, wenn sie direkt am Konflikt beteiligt sind, d.h. also de-ren Wohngebiete durch Guerillas oder Paramilitärs eingenommen sind. Für ihren alltäglichen Überlebenskampf erhalten sie dagegen keinerlei Anerken-nung oder Aufmerksamkeit. Dabei gibt es eine Vielzahl von Aktionen und Versuchen zur Verbesserung der Lebensqualität.

Offenbar haben aber kommerzielle Medien in Kolumbien nicht das geringste Interesse, ihre Kameras und Mikrophone auf diese Menschen zu richten, de-ren wirksame Friedensinitiativen finden in der großen Presse keinen Wider-hall. Stattdessen wird von Toten, von Sport und Komödiantentum berichtet.

Die Unterrepräsentanz in den nationalen Medien ermöglichte neben vielen anderen Faktoren das Aufkommen und die Unterstützung von lokalen Pro-zessen über eigene Formen der Kommunikation. So kam es im letzten Jahr-zehnt zu einer Vermehrung von kommunalen Radios und Fernsehsendern, die innerhalb der Konfliktzonen mit dem Ziel agieren, das friedliche Zu-sammenleben zu fördern.

Lateinamerikanische Sozialwissenschaftler wie Germán Rey sind mittlerwei-le überzeugt, dass alternative Medien zunehmend Artikulationsprozesse zwi-schen den jeweiligen Konfliktparteien hindurch ermöglichen.6 Sozialer Kon-sens, der häufig "nur" auf die Gewährung von Sicherheit und Nichtverwick-lung in den bewaffneten Konflikt zielt, wird so verstärkt bzw. bekommt ü-berhaupt eine Stimme. Die in den Zonen des Konflikts befindlichen Medien haben zudem auch ein Potential als Vermittlungsinstanzen zu wirken, indem sie ihre Struktur der Repräsentation sozialer Unterschiede und dem Dialog zwischen den Konfliktparteien zur Verfügung stellen. Dieses Potential sozia-ler Vermittlung könnte dabei schon weit jenseits politischer Differenzen wir-ken, weil es in der Gewaltkultur Kolumbiens die Möglichkeit friedlicher Konfliktaustragung fördert.

Im eingangs genannten Beispiel ermöglichte die Nutzung alternativer Me-dien, dass mit Hilfe der Verbreitung und Veröffentlichung die Besetzung des Gemeinderates durch die Indígenas unter der Bevölkerung bekannt gemacht werden konnte, die dadurch in der Lage war, sich gegenüber den Ereignissen zu positionieren, zum Beispiel Solidarität oder Ablehnung zu bekunden oder eine Meinung über die Situation der indigenen Familien zu äußern.

Aus dem konkreten Fall lassen sich Hypothesen über die generelle Wir-kungsweise alternativer Medien ableiten:

1. Die Verbreitung von Informationen über politische Interessen schafft eine Form von Repräsentation, die von dem Mainstream-Medien unterdrückt wird.

2. Damit wird Meinungsbildung bezüglich der sozialen Prozesse in marginalisierten Sektoren der Gesellschaft generiert.

3. Diese Meinungsbildung steht dem Verschweigen sozialer Interes-senkonflikte im Kontext des Krieges entgegen.

Inwiefern sich mit dieser Repräsentation bisher marginalisierter Interessen auch eine Anerkennung des Anderen verbindet, muss an dieser Stelle offen bleiben. Sicher, das ideale Szenario wäre, dass kritische, aktive, tiefsinnige und ästhetisch ausgerichtete Medien die Friedenskultur fördern, in dem sie unterschiedlichen Akteuren aus verschiedenen Sektoren der Gesellschaft ei-ne Plattform bieten, um ihre Meinungen zu äußern und zu diskutieren. Damit lieferten sie einen Beitrag zur friedlichen Lösung von Konfliktsituationen.

Ob dies in der heutigen Realität der alternativen Lokal- und Regionalmedien bereits geschieht, muss allerdings noch untersucht werden.

6 Rey, Germán/Restrepo, Darío, Desde las dos orillas, Ministerio de Comunicaciones, Bogotá, 1996.

Die Thematisierung von Depressionen in den

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