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Psychedelische Drogen und die Angst vor dem Tod

2. Theorie

2.3 Die Bedeutung weiterer Konstrukte für die Angst vor dem Tod

2.3.2 Psychedelische Drogen und die Angst vor dem Tod

Unter dem Terminus „psychedelische Drogen“ – kurz Psychedelika – wird im Allgemeinen eine Gruppe an psychoaktiven Substanzen verstanden, welche als „klassische serotonerge Halluzinogene“ beschrieben werden (zitiert nach Nichols, 2016, S. 266). Zu diesen gehören zum einen psychoaktive Pflanzen – Ayahuasca und verschiedene Sorten an Pilzen und Kakteen – und deren primäre Wirkstoffe19 sowie das im Labor synthetisch hergestellte LSD – Lysergsäurediethylamid –, welches 1943 erstmals von Albert Hofmann im Labor entdeckt worden ist (vgl. Nichols, 2016; Pollan, 2018; Hofmann, 1979). Auch wenn ihre Funktionsweise im menschlichen Gehirn nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, so lässt sich sagen, dass sie alle – zumindest unter anderem – 5-HT2A-Rezeptor-Agonisten sind und insofern auf direktem Wege bestimmte Serotonin Rezeptoren im Gehirn aktivieren (vgl.

Nichols, 2016). Diese Aktivierung geht mit einer zeitlich begrenzten subjektiven und facettenreichen Veränderung der Wahrnehmung und des persönlichen Fühlens einher, welche unter Umständen einen nachhaltigen Einfluss auf die Psyche des Menschen nehmen kann, wobei dieser über die kurzzeitige halluzinogene Wirkung hinaus geht (vgl. Pollan, 2018;

Griffiths et al., 2016; Nichols, 2016).

Auch wenn bestimmte Kulturen psychoaktive Pflanzen schon seit Jahrtausenden für kollektive Rituale nutzen – z.B. Psilocybin von den Aztek:innen, Ayahusaca von indigenen Völkern des Amazonas oder Meskalin von amerikanischen Ureinwohner:innen (vgl. Nichols, 2016; Pollan, 2018) –, haben sie ihren Aufschwung im Großteil der westlichen Welt dennoch erst in den 60er Jahren erlebt (vgl. Nichols, 2016; Belouin & Henningfield, 2018). Damals wurde auch die erste Forschung dazu durchgeführt, inwieweit Psychedelika in einem therapeutischen Setting dabei helfen können, psychische Störungen zu behandeln oder Menschen auf Palliativ-Stationen dabei unterstützen könnten mit existenziellen Ängsten umzugehen, wobei die damalige Forschung den heutigen Kriterien der Wissenschaft nicht mehr gerecht wird. Aufgrund mehrerer Entwicklungen in den 60er und 70er Jahren – z.B.

dem „Controll Substances Act“ – wurden der Konsum sowie die weitere Erforschung

19 Bei Ayahuasca: Dimethyltryptamin (DMT) – wobei sich dieses auch synthetisch herstellen lässt (vgl. Nichols, 2016); bei Pilzen (Magic Mushrooms): Psilocybin; bei Kakteen (z.B. Peyote-Kaktus): Meskalin.

psychedelischer Substanzen in der westlichen Welt allerdings grundsätzlich illegal (vgl.

Belouin & Henningfield, 2018; Pollan, 2018). Erst seit Beginn der 2000er Jahre änderte sich dies in manchen Ländern und es wurde begonnen, das mögliche Potenzial von Psychedelika anhand von moderner Forschung vertiefend zu untersuchen. Mehrere Studien konnten belegen, dass der kontrollierte Konsum von Psychedelika keine direkten negativen Folgen für das körperliche/physische Wohlbefinden von den Konsument:innen hat, als auch, dass der Konsum in keiner auffälligen negativen Beziehung zu psychischen Störungen oder negativen psychischen Entwicklungen steht, welche zur Zeit belegbar wären (vgl. Hasler, Grimberg, Benz, Huber & Vollenweider, 2004; Krebs & Johansen, 2013; Johansen & Krebs, 2015;

Bouso et al., 2015; Nichols, 2016) – dennoch fehlt es hier nach wie vor an mehr empirischer Forschung. Dementsprechend werden in den letzten Jahren vermehrt Studien zur vertiefenden Erforschung von Psychedelika bewilligt.

Grundsätzlich konnte bisher nicht abschließen geklärt werden, was der Ursprung des positiven Effekts von Psychedelika auf die Psyche des Menschen ist. Im Zusammenhang mit psychedelischen Erlebnissen wird allerdings häufig von einer spirituellen und mystischen Erfahrung gesprochen (vgl. Griffiths et al., 2016; Nichols, 2016; Grob et al., 2011). Diese geht oft einher mit dem Gefühl von Allverbundenheit und Einheit, allerdings ebenso mit einer körperlichen Entfremdung und einer dissoziativen Erfahrung hinsichtlich des eigenen Egos sowie einer Art von positiver Depersonalisation und positiven Derealisationserleben.

Menschen beschreiben während des Trips eine Veränderung der Stimmung, visuelle, auditive und sensorische Halluzinationen und eine veränderte Wahrnehmung der Zeit sowie der persönlichen Sinn- und Bedeutungszusammenhänge. Zusätzlich werden Psychedelische Erfahrungen auch des Öfteren mit Nahtoderfahrungen verglichen (vgl. Jansen, 2001; Kolp et al., 2007; Pollan, 2018). Schlussendlich ist jede psychedelische Erfahrung jedoch äußerst subjektiv und individuell. Sie ist im hohen Maße von vier Faktoren abhängig: Der Art des Psychedelikums – alle Psychedelika haben trotz ihrer ähnlichen Funktionsweisen unterschiedliche Auswirkungen –, der Höhe der Dosis, dem den Konsumierenden umgebende Setting, als auch dem aktuellem Mindset des Konsumenten – z.B. seine aktuelle Gefühlslage, die persönlichen Erwartungen und die Einstellung zum Konsum. All diese Variablen und zum Teil schwer kontrollierbaren Faktoren haben einen aktiven Einfluss auf die direkte Wirkung sowie auf die nachhaltige Auswirkung des Konsums der psychedelischen Droge (vgl.

Nichols, 2016; Pollan, 2018).

Carhart-Harris et al. (2016), Gasser et al. (2014) und Thomas, Lucas, Capler, Tupper und Martin (2013) konnten zeigen, dass sich der Konsum von unterschiedlichen Psychedelika

positiv auf die depressive Symptomatik von behandlungsresistent unipolaren Depression auswirken kann sowie auf die Angstsymptomatik von Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten, als auch auf verschiedene Suchtsymptomatiken von Patient:innen. All diese signifikant positiven Effekte blieben nach dem Konsum über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen. Grundsätzlich ist jedoch all diesen Studien gemein, dass sie mit sehr kleinen Stichproben gearbeitet haben (N = 12, bei allen drei Studien) und die Forscher trotz der vielversprechenden Ergebnisse betonen, dass es ihnen in erster Linie darum geht, Pionierarbeit für größer angelegte und repräsentativere Studien zu leisten. Zudem wird bei allen der vorgestellten Studien darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse bisher keine klinische Verwendung der Substanzen rechtfertigen, da es noch viel an Forschung hinsichtlich der Langzeiteffekte fehlt.

Eine größer angelegte Doppelblindstudie (N = 51) mit cross-over-design stammt von Griffiths et al. (2016). Diese untersuchte die Auswirkung des Konsums von Psilocybin auf 17 verschiedene psychologische Variablen bei Patient:innen mit einer lebensbedrohlichen Krebsdiagnose. Alle Proband:innen hatten eine diagnostizierbare psychische Störung – in den meisten Fällen eine Art von Angststörung oder depressiver Symptomatik –, wobei diese häufig eine Begleiterscheinung ihrer Krebsdiagnose war. Bei 11 dieser 17 Variablen, konnte eine Verbesserung mit signifikantem Effekt in zweierlei Hinsicht gezeigt werden. Zum einen unterschieden sich die Veränderung der Werte bei diesen signifikant in Abhängigkeit davon, ob die Proband:innen eine hohe oder eine niedrige Dosis bekommen haben und zum anderen blieben diese signifikante Effekte auch sechs Monate später bestehen. Unter anderem zeigten die Proband:innen bessere Werte in den Bereichen der Lebensqualität, der Wahrnehmung der Bedeutung ihres Lebens und der Dimension der Todesakzeptanz. Griffiths et al. (2016) erhoben im Anschluss an die Sitzung zusätzlich die erlebte mystische Erfahrung. Eine vertiefende Mediator-Analyse zeigte, dass diese unteranderem den Effekt des Konsums auf die Variablen erlebter Sinnerfüllung, die allgemeine Lebenszufriedenheit, als auch auf die Ausprägung der depressiven- sowie Angstsymptomatik signifikant mediierte (siehe hierzu auch: Griffiths et al., 2011). Dementsprechend lässt sich davon ausgehen, dass die erlebte mystische Erfahrung während der psychedelischen Sitzung eine besonders wichtige Rolle für die Entstehung der positiven Effekte einnimmt. Dies ist in Bezug auf die Untersuchung der zuvor genannten Spiritualitätsfacetten besonders interessant, da es bedeuten könnte, dass eine starke Ausprägung in den Facetten Einheitserfahrung und Selbstvergessenheit (MDSI;

Schnell & Geidies, 2016) – diese stehen dem Konstrukt der mystischen Erfahrung besonders nahe – in Kombination mit einem kürzlich vorangegangen Konsum von Psychedelika, in

einem positiven Zusammenhang mit dem Konstrukt der Todesakzeptanz stehen könnte. Eine weitere Untersuchung von Ross et al. (2016) kam trotz eines leicht anderen Forschungsdesigns zu den gleichen Ergebnissen wie Griffiths et al. (2016) und auch sie betonten die offenkundig fundamentale Bedeutung, welche die erlebte mystische Erfahrung hinsichtlich der Auswirkung des Psilocybin-Konsums ausmachte. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass der Konsum des Psychedelikums Psilocybin die individuelle Akzeptanz der eigenen Endlichkeit fördert, als auch dabei helfen kann, mehr Sinnerfüllung und Bedeutung im eigenen Leben wahrzunehmen. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser empirischen Studien haben Moreton, Szalla, Menzies und Arena (2020) eine Theorie formuliert, in welcher sie davon ausgehen, dass die reduzierte Angst vor dem Tod – nach dem Konsum eines Psychedelikums – einer der grundsätzlichen Ursprünge für die positive Auswirkung des Konsums auf die anderen psychologischen Variablen ist, und somit auch der Grundbaustein für die Verbesserung der klinischen Störungsbilder. Konkret gehen sie davon aus, dass die verringerte Angst vor der eigenen Sterblichkeit bzw. die erhöhte Akzeptanz gegenüber dieser als Mediator zwischen dem Konsum des Psychedelikums und der Verbesserung der klinischen Symptomatik fungiert.

Eine weitere Substanz, welche grundsätzlich nicht zu der Gruppe der Psychedelika gehört, aber aufgrund seiner ähnlichen Wirkung dennoch zu nennen ist, ist Ketamin (vgl.

Nichols, 2016; Dore et al., 2019). Ketamin ist ein dissoziatives Anästhetikum, dessen Konsum ebenso mit transpersonalen, dissoziativen und halluzinogenen Erfahrungen einhergeht (vgl. Kolp et al., 2007; Dore et al., 2019; Falk et al., 2020). Der transpersonale/dissoziative Effekt von Ketamin wird auch häufig in Beziehung zu dem Erleben von Nahtoderfahrungen gebracht, wobei theoretisiert wird, dass eine therapeutische Verwendung von Ketamin einen ähnlichen Effekt zeigen kann wie das Erleben einer Nahtoderfahrung (vgl. Jansen, 2001; Martial et al., 2019). Ketamin hat den Vorteil, dass es als Anästhetikum in der Medizin zugelassen ist und durch „off-label-use“ vergleichbar einfach hinsichtlich seiner psychologischen Wirkung erforscht werden kann. Des Weiteren hält der direkte dissoziative Effekt von Ketamin nur sehr kurz an – ca. 45-60min –, was die Anwendung in einem therapeutischen Setting vereinfacht (vgl. Dore et al., 2019; Falk et al., 2020). Ketamin wird heutzutage bereits in vielen Ländern eingesetzt – als Ketamin assisted Psychotherapy (KAP) –, um z.B. Formen von depressiven Störungen und Angststörungen zu behandeln, sowie um Menschen auf Palliativ-Stationen dabei zu helfen, mit dem Erleben von psychologischem Distress besser umzugehen. Mehrere Metaanalysen deuten auf den positiven Effekt hin, welchen Ketamin in einem psychotherapeutischen Setting auf die Psyche des

Menschen haben kann (vgl. McGirr et al., 2014; Wilkinson et al., 2018; Dore et al., 2019) – wobei dieser direkte Effekt häufig 7-14 Tage nach dem Konsum nachlässt (vgl. Singh et al., 2016). Allerdings weisen auch diese Studien daraufhin, dass es bisher kaum Untersuchungen zu den Langzeiteffekten von Ketamin-Konsum gibt. Zudem besteht bei dem Konsum von Ketamin das Risiko einer Überdosis, welche unter Umständen zum Tod führen kann. Dieses akute körperliche Risiko besteht bei den zuvor genannten Psychedelika nicht – wobei eine Art von körperlicher Vergiftung in Abhängigkeit von der Dosis dennoch auch bei diesen möglich ist (vgl. Kopl et al., 2007; Nichols, 2016).

Auf Basis der zuvor geschilderten Studien ist davon auszugehen, dass sowohl der Konsum von Psychedelika als auch der von Ketamin in einem Zusammenhang mit der wahrgenommenen Angst vor der eigenen Endlichkeit stehen könnte.Wobei bei Ketamin von einer deutlich kürzeren Wirksamkeit des nachhaltigen Effekts auszugehen ist als bei den serotonergen Halluzinogenen. Die Überlegungen von Griffiths et al. (2016) und Ross et al.

(2016) legen zudem nahe, dass die erlebte mystische Erfahrung hierbei eine besondere Rolle spielt. Auch, dass des Öfteren die Parallelen von Nahtoderfahrungen und psychedelischen Trips angesprochen werden, ist in Anbetracht der Theorie des RoA interessant.