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Entwicklung der Hypothesen und explorativen Forschungsfragen

3. Methodik und Empirie

3.1 Entwicklung der Hypothesen und explorativen Forschungsfragen

Auf Basis der zuvor beschriebenen Theorie lässt sich herleiten, dass folgende psychologische Variablen in einer Beziehung zur individuellen Wahrnehmung der eigenen Endlichkeit stehen: Der individuelle Lebenssinn, die persönliche weltanschauliche Position und der Grad der Festigkeit des Glaubens an diese, der Selbstwert, die Gefühle von sozialer und emotionaler Einsamkeit sowie bisherige Berührungspunkte mit dem Tod und vorangegangene psychedelische Erfahrungen. Aus dem theoretischen Teil wird zudem ersichtlich, inwieweit diese Variablen interagieren könnten und, dass es bei vielen von ihnen eine fundamentale Rolle spielt, mit welchem Messinstrument sie erhoben werden. Dem folgend unterscheidet sich die vorliegende Untersuchung zu anderen Studien dahingehend, dass zum einen explizit der deutschsprachige Raum untersucht wurde und zum anderen drei Messinstrumente verwendet wurden, welche in bisherigen Untersuchungen nur selten zum Einsatz kamen: der DAP-GR, der DoS und der MDSI (vgl. Jansen et al., 2019; Schnell, 2015; Schnell & Geidies, 2016). Dementsprechend liegt der Fokus dieser Untersuchung auf einer differenzierten Messung von säkularisierten weltanschaulichen Positionen sowie der spezifischen Betrachtung von verschiedenen Facetten von Spiritualität und den Beziehungen, in welchen diese mit dem Konstrukt der Angst vor dem Tod stehen. Der Einbezug des Konstrukts der Sinnerfüllung in eine Querschnittsstudie ermöglicht zudem eine vertiefende Untersuchung der zuvor häufig lediglich angenommenen, jedoch in Querschnittserhebungen kaum bestätigten Zusammenhangs des individuellen Lebenssinns mit der persönlichen weltanschaulichen Position und der wahrgenommenen Angst vor der eigenen Endlichkeit (vgl. Solomon &

Thompson, 2018; Routledge et al., 2010; Spitzenstätter & Schnell, 2020a). Im folgenden Abschnitt wird erläutert, zu welchen Hypothesen und Forschungsfragen die zuvor geschilderte Sammlung an empirischen Studien führt, wenn versucht wird, die entsprechenden Beziehungen anhand einer Querschnittsstudie zu erkunden.

3.1.1 Herleitung der Hypothesen

Dass die individuelle weltanschauliche Position in einem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der eigenen Endlichkeit steht, ist spätestens seit der vielfältigen Erforschung der TMT ersichtlich. Ellis und Wahab (2013) als auch Jong et al. (2018) legen zudem nahe, dass der Grad der eigenen Überzeugtheit von der persönlichen Weltanschauung bzw. die Stärke der Identifizierung mit einer Weltanschauung – im Falle der Religiosität die Zentralität des Glaubens (Huber, 2008a, 2008b) – in dieser Beziehung eine wichtigere Rolle spielt als ihr

spezifischer Inhalt. Diese Überlegung wird auch durch die Ergebnisse der Studie von Sawyer et al. (2019) unterstützt, in welcher gezeigt werden konnte, dass der certainty of believe bei säkularen Menschen ein besserer Prädiktor für die individuelle Angst vor dem Tod ist als der Inhalt ihrer Weltanschauung. Allerdings ist die Art der individuellen weltanschaulichen Position dennoch nicht irrelevant, da es Weltanschauungen gibt, welche sich explizit durch einen gewissen Grad an Offenheit und somit auch Unsicherheit bzw. Vulnerabilität auszeichnen, wie z.B. der Agnostizismus und die Spiritualität (vgl. Solomon et al., 2015).

Dem folgend lassen sich auf Basis der Metaanalysen von Ellis und Wahab (2013) sowie Jong et al. (2018) insbesondere Hypothesen für religiöse und atheistische Weltanschauungen formulieren:

H1(a): Die Ausprägung der individuellen Religiosität – Zentralität des Glaubens – steht in einem signifikanten kurvilinearen Zusammenhang in umgedrehter U-Form mit der wahrgenommenen Todesfurcht.

H1(b): Die Überzeugtheit von der eigenen atheistischen weltanschaulichen Position steht in einem signifikanten kurvilinearen Zusammenhang in umgedrehter U-Form mit der wahrgenommenen Todesfurcht.

Dies bedeutet, dass eine hohe Zentralität der Religiosität mit weniger Todesfurcht einhergehen sollte, eine moderat ausgeprägte Zentralität hingegen mit einer verstärkten Todesfurcht und eine nicht-Religiosität wiederum mit weniger Todesfurcht20 (vgl. auch Jong et al., 2018; Ellis & Wahab, 2013; Sawyer et al., 2019). Somit wird davon ausgegangen, dass ein Modell, welches den quadratischen Zusammenhang erfasst, das Verhältnis besser repräsentiert als ein Modell, welches einen linearen Zusammenhang beschreibt. Im Falle der atheistischen Weltanschauung sollte sich die Beziehung im selben Verhältnis darstellen.

Somit steht der Grad der Überzeugtheit eines Individuums im Fokus dieser Hypothesen.

Des Weiteren konnte dargelegt werden, dass die wahrgenommene Sinnerfüllung in einem negativen Zusammenhang mit der Angst vor dem Tod stehen sollte (vgl. Ardelt, 2008;

Brudek & Sekowski, 2019) als auch in einem positiven Zusammenhang zur neutralen Akzeptanz (siehe Kap. 3.2.3.1). Wobei das Selbige auch für den individuellen Selbstwert der Fall sein sollte (vgl. Chmielewski et al., 2019; Spitzenstätter & Schnell, 2020a; Zhang et al., 2019). Aufbauend auf der MMT kann weiter angenommen werden, dass der individuelle Lebenssinn den Zusammenhang zwischen der persönlichen weltanschaulichen Position –

20 Diese Art der Beziehung sollte sich weitestgehend auch auf die abhängige Variable Vermeidungsverhalten übertragen lassen.

bzw. dem Grad Identifizierung mit dieser – und der Wahrnehmung der eigenen Endlichkeit mediiert (vgl. Wong, 2008; Wong & Tomer, 2011; Solomon & Thompson, 2018).

Tendenziell ist jedoch vorab nicht sagbar, ob in dieser Mediation dem Lebenssinn oder dem dispositionalen Selbstwert eine wichtigere Bedeutung zu kommt (Chmielewski et al., 2019;

Spitzenstätter & Schnell, 2020a; Zhang et al., 2019; Damasio & Koller, 2015). Die bisherigen Untersuchungen hierzu liefern in Abhängigkeit von ihrem Forschungsdesign, den verwendeten Messinstrumenten und der jeweiligen Stichprobe unterschiedliche Ergebnisse.

Wenn eine solche Mediation vorliegt, dann sollte die wahrgenommene Sinnerfüllung – oder eben der dispositionale Selbstwert – ebenfalls in einem quadratischen Zusammenhang zur Überzeugtheit von einer Weltanschauung stehen. Menschen, die sich ihrer Überzeugung nicht sicher sind – insofern bspw. moderat-religiös oder moderat-atheistisch –, sollten im Schnitt weniger Sinnerfüllung zeigen oder einen niedrigeren Selbstwert haben als Personen, die von ihrer Weltanschauung überzeugt sind.

H2(a): Die individuell wahrgenommene Sinnerfüllung korreliert signifikant positiv mit der neutralen Akzeptanz und signifikant negativ mit der Todesfurcht sowie mit dem Vermeidungsverhalten.

H2(b): Die individuell wahrgenommene Sinnerfüllung steht in einem signifikanten kurvilinearen Zusammenhang zur Überzeugtheit von einer weltanschaulichen Position – Atheismus oder Religiosität – wobei sich dieser Zusammenhang in U-Form darstellt.

H3(a): Der dispositionale Selbstwert korreliert signifikant positiv mit der neutralen Akzeptanz und signifikant negativ mit der Todesfurcht sowie mit dem Vermeidungsverhalten.

H3(b): Der dispositionale Selbstwert steht in einem signifikanten kurvilinearen Zusammenhang zur Überzeugtheit von einer weltanschaulichen Position – Atheismus oder Religiosität – wobei sich dieser Zusammenhang in U-Form darstellt.

Der theoretische Teil impliziert überdies weitere mögliche korrelative Zusammenhänge. Zum einen ist davon auszugehen, dass die Spiritualitätsfacetten Existenzielle Offenheit/Suche sowie die Achtsame Selbstannahme in einem spezifischen Verhältnis zu dem Konstrukt der Angst vor dem Tod stehen (siehe hierzu Kap. 2.2.4.3).

H4(a): Die Spiritualitätsfacette Existenzielle Offenheit/Suche korreliert signifikant positiv mit der individuellen Todesfurcht und dem Vermeidungsverhalten.

H4(b): Die Spiritualitätsfacette Achtsamkeit/Selbstannahme korreliert signifikant negativ mit der wahrgenommenen Todesfurcht sowie mit dem Vermeidungsverhalten und signifikant positiv mit der neutralen Akzeptanz.

Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Gefühle von sozialer und emotionaler Einsamkeit ebenso in einer Beziehung zur wahrgenommenen Angst vor dem Tod und der Wahrnehmung von individueller Sinnerfüllung stehen (vgl. Mikulincer, 2018; siehe hierzu Kap. 2.3.3).

H5(a): Die Gefühle von sozialer und emotionaler Einsamkeit stehen in einem signifikant positiven korrelativen Zusammenhang zur Todesfurcht sowie zum Vermeidungsverhalten und ebenso zu der Skala Akzeptanz des Todes als Ausweg.

H5(b): Die Gefühle von sozialer und emotionaler Einsamkeit stehen in einem signifikant negativen korrelativen Zusammenhang zur individuellen Sinnerfüllung.

Die theoretische Abhandlung legt zusätzlich die Annahme nahe, dass die Art und Weise, wie ein Mensch seine persönliche Weltanschauung kommuniziert, zu gewissen Teilen repräsentiert, wie stark er sich mit diesen identifiziert und inwieweit er für diese eintritt. In Bezug auf die Hypothesen H1(a) und H1(b) lassen sich in Kombination mit den Skalen der weltanschaulichen Kommunikation des DoS folgende Hypothesen bilden:

H6(a): Die private Kommunikation der persönlichen Weltanschauung korreliert signifikant positiv mit der Todesfurcht und dem Vermeidungsverhalten.

H6(b): Die öffentliche Kommunikation der persönlichen Weltanschauung korreliert signifikant negativ mit der Todesfurcht und dem Vermeidungsverhalten.

H6(c): Die öffentliche Kommunikation der persönlichen Weltanschauung steht in einem signifikanten quadratischen Zusammenhang in U-Form mit der Ausprägung der Überzeugtheit von der persönlichen religiösen bzw. atheistischen Weltanschauung.

H6(d): Die private Kommunikation der persönlichen Weltanschauung steht in einem signifikanten quadratischen Zusammenhang in umgedrehter U-Form mit der Ausprägung der Überzeugtheit von der persönlichen religiösen bzw. atheistischen Weltanschauung.

Ferner betonen die bisherigen Studien, welche die nachhaltigen Auswirkungen von Psychedelika auf die menschliche Psyche untersuchen, dass der Konsum von Psilocybin, DMT, LSD oder Meskalin in einem positiven Zusammenhang zur individuellen

Todesakzeptanz stehen könnte sowie in einem negativen Verhältnis zur Todesfurcht (siehe hierzu Kap. 2.3.2).

H7(a): Das Konsumieren von Psychedelika steht in einer signifikant positiven korrelativen Beziehung zur neutralen Akzeptanz und in einer signifikant negativen Beziehung zur wahrgenommenen Todesfurcht sowie dem Vermeidungsverhalten.

H7(b): Menschen die Psychedelika konsumiert haben, haben signifikant weniger Todesfurcht als Personen, bei denen dieser Konsum nicht stattgefunden hat.

H7(c): Menschen die Psychedelika konsumiert haben, zeigen signifikant mehr Neutrale Akzeptanz als Personen, bei denen dieser Konsum nicht vorliegt.

H7(d): Menschen die Psychedelika konsumiert haben, erleben signifikant mehr Sinnerfüllung als Personen, bei denen dieser Konsum nicht stattgefunden hat.

3.1.2 Herleitung der explorativen Forschungsfragen

Neben den bisher genannten Hypothesen bestehen weitere Annahmen hinsichtlich möglicher Zusammenhänge von verschiedenen Variablen mit der Angst vor dem Tod. Aufgrund von mangelnder bisheriger empirischer Forschung zu diesen sowie dessen, dass sie hier größtenteils lediglich oberflächlich untersucht werden, werden sie im Folgenden als explorative Forschungsfragen gelistet.

In Bezug auf die Untersuchung anderer weltanschaulicher Positionen als die des Atheismus und der Religiosität sind verschiedene Ergebnisse möglich. Die Weltanschauungen der Spiritualität und des Agnostizismus sollten definitionsgemäß mit mehr Unsicherheiten, Ambiguität und Offenheit einhergehen, was sie im Sinne der TMT (vgl. Solomon &

Thompson, 2018) und der Untersuchungen von Jong et al. (2018) sowie Sawyer et al. (2019), als schlechte Angst-Puffer vor der Wahrnehmung von existenziellem Terror deklariert.

Insofern könnte das Haben einer dieser Weltanschauungen mit mehr Angst vor der eigenen Endlichkeit einhergehen. Die Position des Szientismus wurde von Farias et al. (2013) und Rutjens et al. (2013) untersucht, wodurch gezeigt werden konnte, dass sie im Sinne der TMT einer Angst-Puffer Funktion gerecht werden kann, allerdings ist fraglich, ob sich dieser Zusammenhang auch in einer Querschnittsstudie zeigt (vgl. Sawyer et al., 2019). In Bezug auf die weltanschauliche Facette des ökonomischen Materialismus könnten die Forschungsergebnisse von Christopher et al. (2006) als Hinweis dahingehend betrachtet werden, dass eine starke Zustimmung zu dieser in einer negativen Beziehung zur Todesakzeptanz steht. Für spezifische Zusammenhänge der verschiedenen Konstrukte mit den weltanschaulichen Positionen des Humanismus und der persönlichen Verantwortung fehlt

eine theoretische Grundlage, die entsprechende Implikationen liefern könnte, weswegen auch ihre Funktion in erster Linie explorativ untersucht wird.

Die Theorien des Roar of Awakening (Martin et al., 2004) und Posttraumatic Growth (Tedeschi & Calhoun, 1996) führen zu der Überlegung, dass bisherige Berührungspunkte mit dem Tod – bzw. persönliche Erfahrungen mit dem Thema – zu einer niedrigeren Todesfurcht und einer erhöhten neutralen Akzeptanz führen sollten. Allerdings entbehrt sich das Erfragen von persönlichen Erfahrungen und Konfrontationen mit dem Tod anhand eines vorgefertigten Fragebogens nicht gewisser Schwierigkeiten, weswegen hier lediglich bestimmte oberflächliche Eckdaten erhoben werden, um einen allgemeinen Einblick in diese möglichen Zusammenhänge zu bekommen. Somit kann explorativ untersucht werden, ob Menschen mit erlebten Berührungspunkten mit dem Tod weniger Todesfurcht und mehr neutrale Akzeptanz zeigen als Menschen, bei welchen diese Berührungspunkte nicht vorliegen. Auf die gleiche Art und Weise lassen sich auch Unterschiede im individuellen Lebenssinn (vgl Wong, 2008;

Yalom, 2008) und dem dispositionalen Selbstwert (vgl. Mangelsdorf, 2020) untersuchen.

Darüber hinaus kann im Rahmen der Untersuchung von Psychedelika auch ein Blick auf das dissoziative Anästhetikum Ketamin geworfen werden (vgl. Nichols, 2016; Dore et al., 2019;

Falk et al., 2020). Bei diesem ist davon auszugehen, dass es an sich eine ähnliche Wirkung auf die Psyche hat wie die Gruppe der Psychedelika.

Überdies lässt sich in Hinblick auf die selbstdeklarierten gefühlten Zugehörigkeiten zu bestimmten Weltanschauungen ein vertiefender Blick auf Unterschiede dieser werfen.

Aufbauend auf den Überlegungen von Schnell und Keenan (2011), Spitzenstätter und Schnell (2020a) und Farias und Coleman (2019), lässt sich untersuchen, inwiefern die Konstrukte der Sinnerfüllung und der Sinnkrise in Abhängigkeit von verschiedenen Weltanschauungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind.