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2. Theorie

2.1 Der Tod in der Existenzphilosophie und der existenziellen Psychologie

2.1.3 Die Terror-Management-Theory

Die am häufigsten empirisch untersuchte Theorie dazu, wie der Mensch mit seiner eigenen unausweichlichen Sterblichkeit umgeht, ist die Terror-Management-Theory (TMT; vgl.

Pyszczynski, Solomon & Greenberg, 2015). Sie geht in ihren Ursprüngen auf die Ausführungen des Anthropologen Ernest Becker (1973) zurück. Wie jedes andere Lebewesen will der Mensch in erster Linie überleben, wofür er sich seiner unvergleichbaren intellektuellen Fähigkeiten bedient. Allerdings führen eben diese Fähigkeiten und die damit einhergehende Möglichkeit der Antizipation der eigenen Zukunft sowie die exzentrische Wahrnehmung der eigenen Existenz1 dazu, dass er fortwährend mit dem Wissen um seine eigene Vergänglichkeit konfrontiert ist. Dieser Zwiespalt des evolutionsbiologischen Bedürfnisses nach Überleben und des Wissens darüber, dass die eigene Existenz grundsätzlich limitiert ist und zwangsläufig mit der Auslöschung des eigenen Selbst enden wird, verursacht nach Beckers Worten einen fortwährenden existenziellen Terror, mit welchem der Mensch umgehen muss. Die Frage, welcher sich die TMT-Forscher annehmen, ist die, wie der Mensch es trotz dieses existenziellen Terrors schaffen kann, ein bewusstes, freies und ihm persönlich sinngebendes Leben zu führen? Das Forschungsfeld der TMT behandelt diese Frage nun seit mehr als 30 Jahren anhand von empirischer Forschung und kann auf eine beeindruckende Anzahl an experimentellen Studien verweisen, die ihrer Fundierung dienen (vgl. Pyszczynski et al., 2015).

Im Sinne der TMT geht der Mensch mit seiner Angst vor der eigenen Vergänglichkeit um, indem er an einer kulturellen Weltanschauung festhält, welche er mit anderen Individuen

1 In Anlehnung an Helmut Plessner (1892-1985): Im Gegensatz zum Tier, welches sich als zentrisch erlebt – sich somit im Mittelpunkt allen Seins sieht und nicht die Möglichkeit der Reflexion besitzt (Plessner, 1950; nach Gugutzer, 2002, S. 62 – 68) –, erfährt sich der Mensch als exzentrisch. Er besitzt die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen, vergleicht sich mit seiner Umwelt und erkennt an, dass er nur einer von Vielen ist – er reflektiert.

teilt und anhand welcher er seinen persönlichen Selbstwert konstituiert (vgl. Pyszczynski et al., 2015). Kulturelle Weltanschauungen werden dabei als symbolische Systeme verstanden, welche dem Menschen, unabhängig davon, ob sie religiöser, spiritueller oder säkularer Natur sind, dabei helfen, sein Leben zu strukturieren und einen persönlichen Bedeutungszusammenhang zu schaffen (für eine vertiefende Definition von Weltanschauungen siehe Kap. 2.2). So konnte mehrfach nachgewiesen werden, dass speziell die Verteidigung und das Hochhalten der persönlichen weltanschaulichen Position, als auch die damit einhergehende Aufrechterhaltung des eigenen Selbstwerts, als Abwehrstrategien wirksam werden, wenn der Mensch mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird (vgl.

Solomon, Greenberg & Pyszczynksi, 2004). Zusammengenommen fungieren die persönliche kulturelle Weltanschauung und der damit einhergehende Selbstwert als Angst-Puffer, welche den Menschen vor dem kontinuierlichen existenziellen Terror schützen (vgl. Yetzer &

Pyszczynski, 2018).

Für die kulturellen Weltanschauungen gibt es keine objektive Grundlage, sondern sie erhalten ihre Bedeutsamkeit durch die Stärke des Glaubens des Individuums und durch die soziale Validierung der weltanschaulichen Position aus dem jeweiligen Umfeld der Person (vgl. Mikulincer, 2018). Durch das Festhalten und Hochhalten einer persönlichen und kulturell geteilten Weltanschauung ebnet sich der Mensch den Weg zu einer symbolischen Unsterblichkeit („symbolic immortality“), wobei man im Fall von religiösen Weltanschauungen aufgrund ihrer Konzepte für das Leben nach dem Tod auch von einer möglichen buchstäblichen Unsterblichkeit („literal immortality“) sprechen kann (vgl.

Pyszczynski et al., 2015, S. 8). Die Möglichkeiten des Erreichens einer symbolischen Unsterblichkeit sind sehr vielfältig. Man kann sich zum Beispiel durch das Weitergeben von persönlichen Idealen und Werten an die eigenen Kinder für die Nachwelt erhalten, sowie durch das Hinterlassen eines gewissen materiellen Guts nach seinem Tod oder auch durch Schrift und Kunst. Hierbei geht es somit um die symbolische Verfestigung des Selbst in etwas, das den eigenen vergänglichen Körper überdauert. Unabhängig davon, welchen Weg der Mensch bestreitet, geht es in der TMT letzten Endes um die Intensität des Glaubens an die jeweilige individuelle weltanschauliche Position und um die Stärke des persönlichen Selbstwerts, der mit dieser einhergeht:

Without a functional atlas of culturally defined values, beliefs, and meaning, there is no foundational path to self-esteem, and one may end up suspended in a type of existential limbo, lacking connection to themselves or others, and vulnerable to psychological dysfunction.

(Yetzer & Pyszczynski, 2018, S. 425)

Zudem ist die soziale Validierung der jeweiligen Weltanschauung von großer Bedeutung, da weltanschauliche Positionen häufig sehr subjektiv und dementsprechend anfällig für Erschütterungen sind (vgl. Schimel, Hayes & Sharp, 2018; Mikulincer, 2018). Diesbezüglich wird in der TMT auch häufig die Bedeutung von engen sozialen Beziehungen, romantischen Partnerschaften und sozialer Zugehörigkeit betont (vgl. Yetzer & Pyszczynski, 2018; siehe hierzu Kap. 2.3.3).

2.1.3.1 Experimentelle Untersuchungen der Terror-Management-Theory Im Allgemeinen lassen sich die TMT-Untersuchungen in drei Arten von experimentellen Studien-Designs gliedern. Sie haben in den meisten Fällen gemein, dass eine größere Personengruppe in zwei Gruppen aufgeteilt wird: eine Kontrollgruppe und eine Experimentalgruppe (vgl. Schimel et al., 2018).

a. Mortality Salience (MS): Hierbei werden Personen anhand von verschiedenen experimentellen Methoden mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert – auch MS-Induktion genannt – (z.B. anhand des Besuchens eines Friedhofs oder des Schreibens eines Textes über den eigenen Tod). Im Anschluss wird beobachtet, ob die Personen, deren Bewusstsein über die eigene Endlichkeit verstärkt wurde, anders reagieren, anders empfinden oder sich anders verhalten als die Personen der Kontrollgruppe, deren Wahrnehmung nicht manipuliert wurde.

b. Death-Thought-Accessibility (DTA): Hierbei wird untersucht, ob Menschen aufgrund von äußeren – oft auch manipulierten – Umständen oder Persönlichkeitseigenschaften2, eine intensivere oder schwächere Zugänglichkeit zu todesbezogenen Gedanken zeigen. Üblicherweise wird ihnen eine Liste von 20-25 unvollständigen Wörtern vorgelegt, sowie etwa SK_LL. Abhängig davon, ob sie die Lücke mit dem Buchstaben I (SKILL) oder U (SKULL) füllen, geht man von einer unterschiedlich intensiven DTA aus. Diese Art der Untersuchung spielt eine besondere Rolle bei der Erforschung des Dual-Process-Modells (siehe hierzu: Kosloff, Anderson, Nottbohm & Hoshiko, 2018).

c. Anxiety-Buffer Hypothesis: Diese Hypothese bezieht sich auf die Wirkung – und häufig dessen Manipulation – eines protektiven Faktors gegenüber der Angst vor dem

2 In vielen Fällen werden die Proband:innen in ihrer persönlichen Weltanschauung verunsichert oder ihr Selbstwertempfinden wird manipuliert. Daraufhin wird untersucht, ob sie eine verstärkte Zugänglichkeit zu todesbezogenen Gedanken zeigen (vgl. Schimel et al., 2018).

Tod, wie z.B. der Ausgeprägtheit des individuellen Selbstwerts3. Somit wird anhand unterschiedlicher Methoden bspw. der Selbstwert einer Person gestärkt oder geschwächt, um im Anschluss ihre veränderte Reaktion bzw. ihr verändertes Bewusstsein in Bezug auf die Wahrnehmung der eigenen Endlichkeit zu betrachten.

In Mortality-Salience und Death-Thought-Accessibility Untersuchungen wird zwischen zwei Arten von Verteidigungsmechanismen unterschieden – proximal (bewusst) und distal (unbewusst; vgl. Dual-Process-Modell; Kosloff et al., 2018). Die erste Reaktion auf eine Konfrontation mit dem Tod ist meistens eine bewusste, welche den Tod in der persönlichen Vorstellung unwahrscheinlicher werden lässt4 oder einen auf anderem Wege von der Konfrontation ablenkt. Erst wenn die Gedanken an die eigene Endlichkeit aufgrund der vorangehenden proximalen Abwehr nicht mehr bewusst sind, kommt es zu der unbewussten Verteidigung – der distalen Abwehr –, zu welcher die Verteidigung bzw. die Postulierung der eigenen kulturellen Weltanschauung gehört und die damit einhergehende Manifestation des Selbstwerts. Hier ist zu betonen, dass die distale Abwehr den Tod an sich nicht unwahrscheinlicher werden lässt (vgl. Maxfield et al., 2014). Sie hilft dem Menschen lediglich dabei, mit dem Bewusstsein um die eigene Endlichkeit besser umzugehen – bzw.

dieses zu managen.

In Untersuchungen konnte belegt werden, dass Menschen im Anschluss an eine MS-Induktion dazu neigen, Personen aus ihrem Umfeld oder Personen mit einer ähnlichen Weltanschauung gegenüber Menschen mit anderer Weltanschauung – oder lediglich anderer Hautfarbe – zu bevorzugen (vgl. Greenberg et al., 1990; Schimel et al., 2018) und dass sie ihre persönliche Weltanschauung vehementer verteidigen (vgl. Rosenblatt, Greenberg, Solomon, Pyszczynski & Lyon, 1989). Des Weiteren konnten Greenberg, Schimel, Martens, Solomon und Pyszczynski (2001) zeigen, dass Menschen nach MS-Induktion auch verstärkt zu rassistischem und ausgrenzendem Verhalten neigen. Oder, dass Probanden nach einer MS-Induktion eher gewillt sind, Menschen mit einer anderen politischen Weltanschauung zu bestrafen (vgl. McGregor et al., 1998). Dies kann als Indikator dafür angesehen werden, dass Menschen, wenn sie mit ihrer eigenen Sterblichkeit in Kontakt kommen, dazu neigen, ihre Weltanschauung gegenüber Andersdenkenden zu verteidigen, wenn nötig auch mit aggressiven Verhaltensweisen (vgl. Pyszczynski et al., 2015).

3 Mehrere Untersuchungen konnten zeigen, dass der Selbstwert als ein starker protektiver Faktor fungiert (vgl.

Chmielewski et al., 2019; Harmon-Jones et al., 1997). Allerdings können enge soziale Beziehungen ebenso als Angst-Puffer dienen oder auch starke individuelle Weltanschauungen (vgl. Vail et al., 2012).

4 Menschen behaupten direkt nach MS-Induktion beispielsweise sportlicher zu sein oder sich gesünder zu ernähren als dies vor der MS-Induktion der Fall war (vgl. Kosloff et al., 2018).

Diese Zusammenfassung der MS-Untersuchungen bezeichnen Vail et al. (2012), als

„The Dark Side“ der TMT-Forschung, da es durchaus TMT-Studien gibt, die aufzeigen, dass sich das Verhalten des Menschen nach einer MS-Induktion auch zum Positiven wenden kann.

Auf der Ebene der distalen Abwehr konnte bspw. belegt werden, dass Menschen insbesondere dazu neigen, die Bedeutung von Werten zu betonen, die mit ihrer Weltanschauung kohärent gehen (vgl. Schimel et al., 2018). Insofern, dass Menschen denen z.B. die Umwelt am Herzen liegt im Anschluss an eine MS-Induktion umso gewillter waren, diese zu verteidigen und sich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen (vgl. Vess & Arndt, 2008). Oder auch, dass sich durch MS-Induktion prosoziales Verhalten fördern lässt, wenn die Proband:innen ein ausgeprägtes empathisches Bewusstsein haben (vgl. Schimel, Wohl & Williams, 2006). Gailliot, Sillman, Schmeichel, Maner und Plant (2008) konnten außerdem zeigen, dass sich dieses prosoziale Verhalten auch bei Proband:innen zeigt, deren empathisches Bewusstsein vor der MS-Induktion manipulativ verstärkt wurde – was zur Folge hatte, dass sie prosoziale Werte verstärkt in ihre Weltanschauung inkludierten und somit auch im Anschluss vehementer verteidigten.

Im Rahmen der Death-Thought-Accessibility Studien konnte z.B. gezeigt werden, dass die DTA von stark gläubigen Christ:innen stieg, wenn sie mit Unstimmigkeiten innerhalb der Bibel konfrontiert wurden (vgl. Friedman & Rholes, 2008). Im Falle der Untersuchungen zu der defensiven Funktion des Selbstwerts, konnten unter anderem Hayes, Schimel, Faucher und Williams (2008) nachweisen, dass Menschen deren Selbstwert künstlich manipuliert – bzw. gesenkt – wurde, einen verstärkten Zugang zu Gedanken hinsichtlich ihrer eigenen Endlichkeit hatten. Die DTA-Studien konnten somit vertiefend belegen, dass die Verteidigung der persönlichen weltanschaulichen Position, die Stärkung des eigenen Selbstwerts oder auch das Denken an persönlich wichtige Bezugspersonen, die DTA sinken lässt (Harmon-Jones et al., 1997).

Durch die Anxiety-Buffer-Hypothesis konnte bspw. die ursprüngliche Überlegung, dass ein hoher Selbstwert beim Umgang mit der Angst vor der eigenen Endlichkeit hilft, genauer untersucht und bestätigt werden (Harmon-Jones et al., 1997).

2.1.3.2 Kritik an der Terror-Management-Theory

Anhand der Vielzahl von MS- und DTA-Untersuchungen lässt sich die Bedeutung der persönlichen Weltanschauung und des dispositionalen Selbstwerts gut belegen, allerdings ist es fraglich, ob die zustande kommenden Effekte lediglich auf die defensive Reaktion gegenüber der Angst vor der eigenen Endlichkeit zurückzuführen sind oder ob ihr Ursprung

in anderen psychologischen Phänomen liegen könnte (vgl. Wong, 2008). So argumentiert Snyder (1997), dass die MS-Induktion auch das menschliche Bedürfnis nach Kontrolle destabilisiert und dass die Ergebnisse vieler Studien darauf zurückzuführen sind, dass Menschen anhand der Steigerung ihres Selbstwerts und der Postulierung ihrer Weltanschauung wieder Kontrolle erlangen wollen5. Des Weiteren plädierten Mikulincer, Florian und Hirschberger (2003) dafür, dass die Bedeutung von sozialen Beziehungen einen höheren Stellenwert in der TMT-Forschung einnehmen sollte. Anhand ihrer könne ebenso gut eine Art von symbolischer Unsterblichkeit und eine gewisse Selbsttranszendenz erlangt werden (siehe hierzu auch den „Welleneffekt“ von Yalom, 2008, S. 86), zudem geben sie dem Menschen Halt und können sinnstiftend fungieren (siehe hierzu Kap. 2.3.3).

Ein weiterer Kritikpunkt stammt von Wong (2008) und Heine, Proulx und Vohs (2006). Sie kritisieren, dass die TMT die unterschiedlichen distalen Abwehrmechanismen nur als unbewusste, defensive Reaktionen darstellt, wobei sie auch intrinsisch motivierte Anpassungen sein könnten (siehe hierzu Kap. 2.1.5). Ryan und Deci (2004) argumentieren weiter, dass der Selbstwert nicht auf eine unbewusste Abwehrfunktion gegenüber der eigenen Sterblichkeit zu reduzieren ist, sondern dass er dem Menschen dabei hilft, sich des eigenen Lebens anzunehmen, in ihm einen persönlichen Sinn auszumachen und die eigene intrinsische Motivation zu fördern6.

Ihre Kritiker:innen stellen die Annahmen und Untersuchungen der TMT nicht vollständig infrage, allerdings betrachten sie deren Ergebnisse aus anderen Blickwinkeln.

Damit einhergehend betonen sie zum einen die Funktionen von weiteren, in der TMT-Forschung vernachlässigten, psychologischen Variablen7 und zum anderen versuchen sie die bisherigen Forschungsergebnisse der TMT in anders gerahmte Theorien zu integrieren (vgl.

Hart, 2018; Wong, 2008; Wong & Tomer, 2011; Mikulincer et al., 2003).