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Photogrammetrisches Messprinzip

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 91-97)

5 Methoden der Bauaufnahme

5.3 Photogrammetrische Methoden

5.3.1 Photogrammetrisches Messprinzip

Die photogrammetrischen Methoden sind in den zurückliegenden Jahren einem grundlegenden Wandel unterzogen worden33. Hat Meydenbauer die Vermessungsaufgabe durch grafische Rekonstruktion des zentralperspektivischen Strahlenbündels gelöst, so wurde mit Entwicklung der Stereophotogrammetrie

31Der Begriff wurde von Albrecht Meydenbauer im Jahre 1867 selbst geprägt [ALBERTZ, 1999].

32vgl. Kap. 5.3.6, 'Photogrammetrie und Kulturgüterschutz'

33vgl. hierzu [GRÜN, 1994]

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das stereoskopische Messprinzip für die Bildauswertung genutzt, bis schließlich die moderne Rechner-technik numerische Lösungen für die Gleichungen der Zentralperspektive bereitstellte und damit die so genannte analytische Photogrammetrie ermöglichte. Die digitale Photogrammetrie eröffnete besonders durch ihr Potenzial zur Automatisierung von Messabläufen vielfältige Möglichkeiten [ALBERTZ, 1986], die auch und gerade in der Architekturphotogrammetrie neue Anwendungen erschließen. In jedem der ver-schiedenen photogrammetrischen Messverfahren wird ein eigener Lösungsweg gefunden, sodass aus der fotografischen Abbildung die Geometrie des Originals abgeleitet werden kann. Im Rahmen aller photogrammetrischen Auswertungen sind grundlegende Prinzipien zu berücksichtigen und Arbeitsschritte auszuführen, die nachfolgend in ihrem prinzipiellen Charakter erläutert werden.

Zur erfolgreichen Anwendung aller photogrammetrischen Verfahren muss das Objekt vollständig mit ausreichender fotografischer Qualität aufgenommen und darüber hinaus ein geometrischer Zusammen-hang zwischen Objekt, Messbildern und übergeordnetem Koordinatensystem hergestellt werden, durch den eine messtechnische Auswertung in der gewünschten Genauigkeit und Vollständigkeit erfolgen kann.

Für die gute fotografische Qualität bildet eine ausreichende Belichtung des Objektes die notwendige Voraussetzung, unabhängig ob die Speicherung der Bildinformationen auf Glasplatte, Film oder digitalem Sensor erfolgt. Hierfür sind nicht nur die örtlichen Beleuchtungsverhältnisse, die unter Umständen durch künstliche Ausleuchtung verbessert werden müssen, entscheidend, sondern auch die Wahl der Lichtem-pfindlichkeit des analogen oder digitalen Sensors und die Einstellung von Blende und Belichtungszeit.

Durch die Blendenwahl wird in Abhängigkeit von der Objektivbrennweite die Größe des scharf abzubildenden Objektbereichs (Schärfentiefebereich) beeinflusst. Die Ausdehnung des Aufnahme-bereichs wird durch die Kameraparameter Sensorgröße (s') und Kamerakonstante34 (c) sowie durch die Entfernung (y) zum Aufnahmeobjekt bestimmt (Abb. 5.16).

In welcher Auflösung das Objekt durch den fotografischen Prozess aufgenommen werden kann, hängt von der Film- bzw. Sensorauflösung wie von dem durch Brennweite und Aufnahmeentfernung definierten Abbildungsmaßstab ab35. Werden analoge Bilder unter Einsatz eines Scanners digitalisiert, ist die Auflö-sung des Scanners entsprechend zu berücksichtigen.

y c s'

S mb

S P/P' M' H'

Aufnahmeentfernung Kamerakonstante Sensorgröße, Strecke im Bild Strecke am Objekt

= y/c = S/s'

= s' · mb

Objektpunkt Bildmittelpunkt Bildhauptpunkt

a) Zentralperspektive b) Bildhauptpunktlage

Abb. 5.16: Zentralperspektive[nach LUHMANN, 2000]

Durch die Auflösung wird sowohl die Detailerkennbarkeit der fotografischen Aufnahme wie die maximal zu erreichende geometrische Genauigkeit begrenzt (Erfassungsgenauigkeit). Die Messgenauigkeit photo-grammetrischer Verfahren wird im Wesentlichen von der Genauigkeit beeinflusst, mit der die Messungen im Bild ausgeführt werden können, sowie von der relativen Anordnung der Aufnahmen untereinander und im Bezug auf das Objekt. Werden Bildkoordinaten im einfachsten Fall mit einem Maßstab vom Bild abgegriffen, lassen sich diese Bildkoordinaten nicht genauer als 0,2 mm bestimmen. Unter Einsatz eines Digitalisiertisches oder durch manuelle Messung in digitalen Bildern können Bildmessgenauigkeiten von ca. 20 µm im Originalbild (Negativ/Positiv) sichergestellt werden. Bei Verwendung von Komparatoren

34Bei photogrammetrischen Anwendungen wird anstelle der Brennweite (physikalische Objektiveigenschaft) der Begriff Kamerakonstante (mathematische Festlegung als Maßstabsfaktor der Kamerafunktion, abhängig von der Fokussierung) verwendet.

35Auflösung am Objekt = Bildauflösung · mb

(Monokomparator oder stereoskopischer analytischer Plotter) sind die Werte mit einer Genauigkeit von ca. 2-10 µm zu ermitteln [LUHMANN, 2000]. Für digitale Bilddaten können auch automatische Messalgo-rithmen eingesetzt werden, die geometrische Genauigkeiten kleiner der durch die Sensorelementgröße vorgegebenen Auflösung erreichen und bei 0,1 bis 0,2 Pixel36 liegen können [LUHMANN, 2000]. Für typische Pixelgrößen von 9 · 9 µm² lässt sich damit eine geometrische Genauigkeit von 1-2 µm erzielen.

a) Einbildaufnahme b) Stereobildaufnahme c) Mehrbildaufnahme

Abb. 5.17: Photogrammetrische Aufnahmeanordnungen

Für die eigentliche Auswertung ist aber die Genauigkeit entscheidend, die am Objekt erreicht werden kann. Durch den Abbildungsmaßstab sowie die geometrische Anordnung der Aufnahmen um den auszu-wertenden Objektbereich wird die Bildmessgenauigkeit in eine dreidimensionale Messgenauigkeit am Objekt übertragen37. Generell sollte zur Steigerung sowohl der Mess- wie der Erfassungsgenauigkeit ein möglichst großer Bildmaßstab gewählt werden (Abb. 5.16). Bei Anwendung des Mehrbildverfahrens sind die Aufnahmestandorte so zu wählen, dass die am Objekt auftretenden Schnittwinkel der Bildstrahlen dem optimalen Wert von 100 gon nahe kommen und jeder Objektpunkt in mehren Bildern enthalten ist (5.17c). Die Anordnung für den Normalfall der Stereoaufnahme sollte aus zwei parallel ausgerichteten Aufnahmen bestehen, deren Abstand untereinander (b) im Verhältnis zur Aufnahmeentfernung (y) die Größe von 1:5 bis maximal 1:15 einnehmen kann (Abb. 5.17b) [CIPA, 1982]. Bei Einbildaufnahmen ist die Bildebene parallel zur Objektebene zu positionieren, da hierdurch Verzerrungen klein gehalten werden können und durch diese Anordnung eine gute inhaltliche Auswertung ermöglicht wird (Abb. 5.17a, 5.21).

Die Anordnung der Aufnahmen unter geometrischen Gesichtspunkten zur Einhaltung von geforderten Genauigkeitsgrenzen darf aber einer lückenlosen Erfassung des Objekts nicht entgegenstehen. Auch wenn bei Verwenden von digitalen Aufnahmesystemen das Bild in seinem Inhalt wie in seiner Qualität sofort beurteilt werden kann, muss – wie bei filmbasierten Systemen auch – eine sorgfältige Aufnahmeplanung ausgeführt werden. Die Wahl der sich gegenseitig beeinflussenden Parameter ist so zu optimieren, dass das Objekt in seiner gesamten Ausdehnung bei guter fotografischer Qualität, mit ausreichender Auflösung und geometrischer Genauigkeit abgebildet wird.

Die photogrammetrische Auswertung beruht auf den theoretischen Formeln der zentralperspektivischen Abbildung. Die Zentralperspektive kann je nach verwendeten Aufnahmesystemen mehr oder weniger streng eingehalten werden. Wesentliche Einflussgrößen sind Verzeichnungseffekte der verwendeten Linsen, eine nicht konstante Kamerakonstante sowie Abweichungen der Abbildungsfläche von der theoretisch geforderten Ebene durch Film- bzw. Sensorunebenheiten. Diese Eigenschaften werden durch die Parameter der so genannten inneren Orientierung ausgedrückt (Abb. 5.16b):

Lage des Projektionszentrums im kamerafesten Bildkoordinatensystem (Bildhauptpunktslage H')

Kamerakonstante c

Parameter der Bildverzeichnung

36Typische Größen von Pixeln hochauflösender Digitalkameras sind 4 bis 15 µm [LUHMANN, 2000].

37Als Näherung kann für die Genauigkeitsabschätzung parallel zur Bildebene gelten: σX, σZ = σ' · mb und senkrecht zur Bild-ebene σY = σ' · mb · y/b mit σ' = Bildmessgenauigkeit, mb = Aufnahmemaßstab, y = Aufnahmeentfernung, b = Aufnahmebasis (vgl. Abb. 5.16, 5.17).

5.3 Photogrammetrische Methoden 93

Kann die innere Orientierung durch eine entsprechende Bauweise der Kamera über einen längeren Zeitraum konstant gehalten werden, wird von einer 'Messkamera' gesprochen. Eventuell vorhandene Abweichungen von der Zentralperspektive sind durch eine Kalibrierung für jede Messkamera zu bestimmen. Bei den so genannten Teil-Messkameras können die Veränderungen in der Zentralperspektive durch bauliche Einrichtungen (Réseau und gerastete Fokuseinstellung) erfasst und im Rahmen der Auswertung rechnerisch berücksichtigt werden. Kameras mit wechselnden geometrischen Verände-rungen, wie sie bei normalen Amateurkameras anzutreffen sind, werden als 'Nicht-Messkameras' bezeichnet. Bei diesem Typ muss mit geringer geometrischer Genauigkeit gerechnet werden; eine Verbesserung der Genauigkeit lässt sich wie bei den anderen Kameras auch durch eine rechnerische Korrektur auf der Grundlage von zusätzlichen geometrischen Informationen am Bauwerk (in der Regel Passpunkte oder Passstrecken) erreichen38.

Rahmenmarken Réseau Sensorelemente (Pixel)

Abb. 5.18: Bildkoordinatensysteme[nach LUHMANN, 2000]

Die Definition des kamerafesten Bildkoordinatensystems wird bei Messkameras über Rahmenmarken, bei Teilmesskameras über ein Réseaugitter, bei Nicht-Messkameras über die Bildecken und für digitale Sensoren über die Position der Sensorelemente vorgenommen (Abb. 5.18).

Die Messung von Bildkoordinaten eines Einzelbildes ist für eine Objektvermessung in der Regel nicht ausreichend39. Zur dreidimensionalen geometrischen Rekonstruktion müssen die unterschiedlichen Bilder miteinander verknüpft und der Bezug zum übergeordneten Objektkoordinatensystem hergestellt werden.

Die Verknüpfung der Bilder erfolgt über fehlerfrei am Objekt zu identifizierende und in mehreren Bildern eindeutig zuzuordnende (homologe) Punkte. Um aber die Größe, Position und Orientierung des Objekts im übergeordneten Koordinatensystem angeben zu können, müssen Punkte mit im Bezugssystem bestimmten dreidimensionalen Koordinaten (Passpunkte) in den Bildern gemessen werden. Der gesamte Vorgang der gegenseitigen, relativen Zuordnung der Bilder und der absoluten Einordnung in das überge-ordnete Koordinatensystem wird mit dem Begriff 'äußere Orientierung' belegt.

Abb. 5.19: Relative und absolute äußere Orientierung eines Aufnahmebündels(nach: WESTER-EBBINGHAUS, 1987)

38Beim Einsatz von normalen Digital- oder Videokameras ist darauf zu achten, dass der Autofokus abzustellen ist, damit für die Aufnahmen mit einer konstanten Kamerakonstante gearbeitet werden kann.

39Eine Ausnahme bilden die Einbildverfahren, für die aber die geometrische Form des Objektes bekannt sein muss (Ebene, Zylinder, etc.), vgl. Kap. 5.3.2, 'Einbildauswertung'.

Verknüpfungspunkte wie Passpunkte können sowohl natürliche Punkte des Objekts als auch künstliche Zielmarken sein. Die Koordinaten der Passpunkte sind in der Regel durch geodätische Messungen zu bestimmen. Sofern aber auf die absolute Position und Orientierung im übergeordneten Koordinaten-system verzichtet werden kann, ist es zur Festlegung der Objektdimensionen ausreichend, Streckenlängen am Objekt zu messen. Bei Bauwerken sollte dann ergänzend die Lotrichtung markiert und in den Messbildern mit fotografiert werden, um Abweichungen aus der Senkrechten erfassen zu können.

Zusammenfassend können die photogrammetrischen Methoden in fünf Hauptarbeitsschritte unterteilt werden:

Aufnahmeplanung,

Passpunktbestimmung,

Anfertigung der Aufnahmen,

Herstellen der inneren und äußeren Orientierung zur Rekonstruktion der Aufnahmegeometrie

und eigentliche Auswertung.

Die detaillierte Darstellung dieser fünf Abschnitte inklusive der Besonderheiten jedes photogramme-trischen Verfahrens ist generell für die Bewertung der photogrammephotogramme-trischen Methoden nicht notwendig.

Sofern einzelne Aspekte für das Verständnis wichtig sind, werden diese in dem entsprechenden Zusam-menhang behandelt. Für ein vertiefendes Studium sei auf die entsprechenden Kapitel der Lehrbücher z.B.

von G. Weimann [WEIMANN, 1988], K. Regensburger [REGENSBURGER, 1990], K. B. Atkinson [ATKINSON, 1996]

und T. Luhmann [LUHMANN, 2000] verwiesen.

Aus der allgemeinen Arbeitsweise der Photogrammetrie ergeben sich Konsequenzen für die Bauauf-nahme, die vor dem Hintergrund der 'Allgemeinen Modelltheorie' zu diskutieren und im Rahmen einer integrierten Planung von Bauaufnahmekampagnen zu berücksichtigen sind40.

Die fotografische Abbildung stellt einen zusätzlichen Schritt im Rahmen des Modellierungsprozesses dar.

Die Modellierung erfolgt nicht mehr durch Messung direkt am Originalobjekt, sodass mit Informations-verlust bei Verwenden des photogrammetrischen Modells gerechnet werden muss. Die fotografische Abbildung ist nur auf den ersten Blick eine identische Kopie des Originals. Durch die technischen Bedingungen der Aufnahme wie Filmmaterial, Belichtung, Scharfabbildung oder Auflösung kann die inhaltliche wie geometrische Aussage des photogrammetrischen Modells stark begrenzt werden. Auch die Wahl von Aufnahmerichtung und Bildgröße oder eventuell vorhandene Verdeckungen oder Hinter-schneidungen stellen eine Einschränkung dar, die während der Auswertung nicht mehr überwunden werden kann. Alle Objektbereiche, die nicht mit der für den Zweck notwendigen Auflösung und Genauigkeit im photogrammetrischen Modell abgebildet sind, lassen sich während der Auswertung auch nicht modellieren.

Vielfach wird der besondere Wert der Photogrammetrie in ihrer objektiven Art der Dokumentation und Vermessung gesehen. Diese Objektivität muss insofern eingeschränkt werden, als auch das Anfertigen von Fotografien unter subjektiven Umständen erfolgt, da Entscheidungen über Belichtung, Bildausschnitt oder Aufnahmerichtung während jeder Aufnahme individuell, d.h. subjektiv und für den Zweck ange-passt, getroffen werden müssen. Somit ist auch bei der Photogrammetrie die Frage nach den Subjekten und dem Zweck der Modellierung zu stellen und im Umgang mit der Auswertung zu berücksichtigen. Der subjektive Einfluss ist aber nicht für alle Anwendungen gleich hoch zu bewerten, insbesondere wenn der Zweck der Bauaufnahme nur geringe Anforderungen an die Genauigkeit stellt. Dies gilt zum Beispiel für die Anwendung bei einfachen Sanierungen oder Denkmalinventaren, aber nicht für die Verwendung in der Bauforschung. Hier kann die Subjektivität und die Ausrichtung auf einen bestimmten Modellierungs-zweck einen entscheidenden Einfluss ausüben, wie am Beispiel der Objektbeleuchtung anschaulich aufzuzeigen ist.

Bei konventionellen photogrammetrischen Aufnahmen wird generell eine diffuse Beleuchtung des Objekts gefordert, damit durch Sonneneinstrahlung verursachter Schattenwurf vermieden werden kann (Abb. 5.20a) und Fehlinterpretationen vor allem an Kanten weitgehend auszuschließen sind. Für die Bauforschung wichtige Strukturen wie Ritzlinien, feine Reliefs etc. sind aber erst im Streiflicht zu

40Übergeordnete photogrammetrische Konzepte für die Bauaufnahme werden im Kap. 6, 'Bauaufnahmestrategien' behandelt.

5.3 Photogrammetrische Methoden 95

erkennen41 (Abb. 5.20b) und wären somit mit einem aus konventionellen photogrammetrischen Gesichts-punkten angefertigten Modell nicht abzuleiten.

Abb. 5.20: Einfluss von Objektbeleuchtung (Naga,

Löwentempel, Messbildausschnitt des Pylons) a) diffuse Beleuchtung b) Streiflicht

Hier ist gerade die durch den Schattenwurf bedingte Verstärkung der kleinen Vertiefungen in der Ober-fläche notwendige Voraussetzung für eine zweckdienliche Auswertung. Die Einordnung der Photogram-metrie als objektives und zweckfreies Bauaufnahmeverfahren kann demnach – zumindest für die Baufor-schung – nicht gelten. Da diese Bewertung der Photogrammetrie jedoch trotzdem häufig undifferenziert vorgenommen wird, stehen photogrammetrische Verfahren wegen ihrer schwer zu erkennenden Subjek-tivität in besonderer Kritik [MADER, 1982; SCHMIDT, H., 1988].

Einer weitere Einschränkung in der Nutzung für einen bestimmten Zweck ist die Photogrammetrie dadurch unterworfen, dass sie verfahrensbedingt ausschließlich Oberflächen abbilden kann. Für einige Bereiche (Bauforschung, Statik) ist aber eine Untersuchung von z.B. Fugen oder Stoßflächen derart wichtig, dass ohne deren Berücksichtigung auch eine falsche Bewertung und Modellierung der offensicht-lichen Oberflächeninformationen erfolgen kann. Eine mit der Hand am Objekt ausgeführte Untersuchung ist in diesen Fällen nicht nur zur Ermittlung ergänzender Informationen notwendig, sondern auch für eine richtige Einordnung der photogrammetrisch erfassten Oberflächeninformationen. Somit kann eine geome-trisch richtige und inhaltlich vollständige photogrammegeome-trische Modellierung der Oberflächeninforma-tionen trotzdem eine fehlerhafte inhaltliche Aussage enthalten, wenn die Auswertung nicht entsprechend kritisch beurteilt und gegebenenfalls überarbeitet wird.

Mit der Photogrammetrie ist eine örtliche Verlagerung der Objekterfassung verbunden. Die eigentliche Erfassung wird am photogrammetrischen Modell vorgenommen und findet somit nicht am Objekt, sondern im Büro statt. Diese Vorgehensweise wird zum einen als wesentlicher Vorzug aller photogram-metrischen Verfahren angesehen; hierdurch werden kurze Messzeiten vor Ort erreicht, die aber lange Auswertezeiten im Büro bedingen. Diese Arbeitsteilung ist bei vielen Anwendungen entscheidender Vorteil, wenn z.B. das Objekt gar nicht bzw. nur kurz betreten werden kann oder durch die hiermit verbundene Kostenreduktion eine Bauaufnahme erst wirtschaftlich durchzuführen ist. Besteht aber wie in der Bauforschung die Bauaufnahme nicht nur aus der geometrischen Erfassung, sondern zu einem Großteil aus der intensiven Beschäftigung mit dem Objekt, so ist die Auswertung am photogram-metrischen Modell nur bedingt für den Zweck geeignet.

Durch die technischen Möglichkeiten der fotografischen Abbildung kann aber auch eine Vergrößerung des Informationsgehalts im photogrammetrischen Modell gegenüber dem Original erreicht werden. Der Mensch ist bei der am Original durchgeführten Objekterfassung auf die Fähigkeit seines Auges begrenzt, Informationen nur im sichtbaren Bereich des Wellenspektrums42 wahrnehmen zu können. Bei Verwen-dung von Infrarotfilm [ARTESE, ACHILLI, 1997; HERRÁEZ BOQUERA et al., 1997], durch die Kombination von verschiedenen Spektralkanälen [HECKES, 2001; HECKES et al., 2000; LERMA et al., 2000] oder bei nachträglicher Anwendung von Bildverarbeitungsmethoden [RODEHORST, 1997] können zusätzliche Informationen erkannt und z.B. für die Steinkartierung, die Schadenserkennung oder zur Aufdeckung früherer Bauzustände genutzt werden; hierdurch wird Unsichtbares sichtbar und das Modell kann mehr Informationen für den Nutzer als das Original bereitstellen. Anwendungen finden diese Verfahren besonders in der Restau-rierung oder bei speziellen Fragestellungen in der Denkmalpflege und Bauforschung43.

41 Besonders eindruckvolle Beispiele für die Entdeckung von Ritzzeichnungen sind bei F. Hinkel [HINKEL, 1996] und L.

Haselberger [HASELBERGER, 1980] nachzulesen. Zu den speziellen Anforderungen der Beleuchtung von Schrifttafeln für die photogrammetrische Dokumentation siehe auch [JOBST, 1999].

42Wellenlänge von 400-700 nm

43vgl. Kap. 5.3.5, 'Automatische photogrammetrische Verfahren'

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 91-97)