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Grundprinzipien der Mehrbildauswertung

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 114-119)

5 Methoden der Bauaufnahme

5.3 Photogrammetrische Methoden

5.3.4 Mehrbildauswertung

5.3.4.1 Grundprinzipien der Mehrbildauswertung

5.3 Photogrammetrische Methoden 113

Eine benutzerfreundliche Handhabung der stereoskopischen Auswerteprogramme kann durch die Integration in eine gewohnte und allgemein akzeptierte Softwareumgebung ermöglicht werden. Dabei lassen sich sowohl gängige CAD-Programme oder die Betriebssystem unabhängige Plattform eines Internet Browsers einsetzen. Durch das Programmsystem Arpenteur [ARPENTEUR, 2001; GRUSSENMEYER, DRAP, 2000] wird die Web-Technologie auf Grundlage eines Java-Programms als so genanntes Java-Applet genutzt. Hierdurch können die stereoskopischen Programmmodule von jedem Nutzer aus dem Internet geladen und mit einem gängigen Internet-Browser betrieben werden.

Die bis hierher dargelegten spezifischen Bedingungen der Stereophotogrammetrie sollen mit einer abschließenden Betrachtung zur räumlichen Auswertung im stereoskopischen Modell ergänzt werden.

Die Stereophotogrammetrie stellt auf der Grundlage von zweidimensionalen Bildern ein dreidimen-sionales Raummodell für eine inhaltliche wie metrische Auswertung bereit. Auch wenn durch den Model-lierungsschritt vom Original zur fotografischen Abbildung ein Verlust von Informationen nicht zu verhindern ist, kann das stereoskopische Raummodell dennoch einen gegenüber dem Original höheren Gehalt an Informationen bereitstellen: Die Wahrnehmung der Tiefenausdehnung des Objekts ist abhängig vom Verhältnis der Bildbasis zum Aufnahmeabstand, sodass bei breiter Basis, kurzem Aufnahmeabstand ein Verhältnis von bis zu 1:1 und größer erzielt werden kann. In diesen Fällen sind die durch den Auswer-ter zu beobachtenden UnAuswer-terschiede in der Tiefenausdehnung des sAuswer-tereoskopischen Modells gegenüber der natürlichen Wahrnehmung überhöht zu betrachten, das Raummodell kann plastischer erfasst, dadurch besser interpretiert und Höhenunterschiede genauer gemessen werden64.

Dieses Potenzial für eine qualifizierte interpretierende Auswertung wird erstaunlicherweise in der Bauaufnahme sehr selten genutzt, obwohl Anwendungen für die Analyse von Bauornamentik, Ziegel-stempeln, Reliefs etc. vorstellbar wären. Ergänzend zu den üblichen zweidimensionalen Ansichten und Schnitten könnte ein dreidimensionales stereoskopisches Modell zur inhaltlichen Interpretation eingesetzt werden. Besonders unter dem Anspruch einer objektiven Bauaufnahme sollte ein stereoskopisches Modell erstellt werden, an dem die Interpretation eines Objekts von verschiedenen Personen unter anderen Fragestellungen zu unterschiedlichen Zeiten ausgeführt werden kann. Und das auch dann noch, nachdem das Original vielleicht schon gar nicht mehr existiert.

Messprinzip ersetzt. Die rechnerische Lösung war erst mit Entwicklung der so genannten Bündelblock-ausgleichung in Kombination mit moderner Rechnertechnik wirtschaftlich durchführbar65, wodurch die Messtischphotogrammetrie besonders in der Nahbereichs- und Architekturphotogrammetrie wieder eine wichtige Stellung unter den Auswertemethoden einnehmen konnte.

Abb. 5.38: Zuordnung von Bild- und Objektpunkten im räumlichen Strahlenbünden der Mehrbildphotogrammetrie

Durch die Bündelblockausgleichung werden auf der Grundlage von gemessenen Bild- und Passpunkt-koordinaten in einem Rechenschritt sowohl die innere und äußere Orientierung der beteiligten Bilder als auch die dreidimensionalen Punktkoordinaten der gesuchten Objektpunkte berechnet. Dabei existiert prinzipiell weder eine Beschränkung in der Anzahl der beteiligten Bilder und Punkte noch eine in der geometrischen Anordnung der Aufnahmen. Durch die Bündelausgleichung können völlig freie Aufnah-mekonfigurationen gewählt werden, und vor allem sind mehr als zwei Bilder für die Berechnung zu verwenden, sodass die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der berechneten Punktkoordinaten durch diese Überbestimmung erheblich gesteigert werden kann. So war es denn auch besonders die im Verfahren begründete Kontrollmöglichkeit, die den Einsatz der Mehrbildphotogrammetrie zur Koordinatenbestim-mung vorantrieb. Auch wenn das Ergebnis der Bündelausgleichung in Form von dreidimensionalen Punktkoordinaten dieses Verfahren besonders für Anwendungen in der industriellen Nahbereichsphoto-grammetrie qualifiziert [z.B. WESTER-EBBINGHAUS, 1983, 1987], wurden ebenso von Beginn an Aufgaben-stellungen der Architekturphotogrammetrie durch die Mehrbildphotogrammetrie bearbeitet [z.B. KOTOWSKI

et al., 1986, 1988;WESTER-EBBINGHAUS, 1978].

Zur Schnittpunktberechnung homologer Punkte ist eine Bildpunktmessung in mehreren Bildern auszu-führen, wobei die Mehrfachmessung zugleich den wesentlichen Vorteil wie entscheidenden Nachteil darstellt. Die Mehrfachmessung ist unentbehrlich, wenn innere und äußere Orientierung im Rahmen der Bündelausgleichung zu bestimmen sind und hierbei Aufnahmen der verschiedenen Kameratypen – Messkamera, Teilmesskamera oder Nicht-Messkamera – zu einem geometrischen Raumbündel verknüpft werden sollen (Abb. 5.19, 5.38). Die Zwangsbedingung des gemeinsamen Schnittpunktes aller von den Bildpunkten ausgehenden Raumgeraden in den entsprechenden Objektpunkten garantiert eine stabile räumliche Verknüpfung der Bilder untereinander und bei bekannten Passpunktkoordinaten die absolute Lage im übergeordneten Koordinatensystem. Sind mehr Verknüpfungspunkte in den beteiligten Bildern gemessen, als zur äußeren Orientierung benötigt werden, können die Parameter der inneren Orientierung verbessert oder, sofern gänzlich unbekannt, berechnet werden. Insgesamt ermöglicht die der Bündel-ausgleichung innewohnende Flexibilität die Integration aller Bilddaten in eine gemeinsame photo-grammetrische Auswertung.

65vgl. [BROWN, 1976]

5.3 Photogrammetrische Methoden 115

Doch gleichzeitig ist die Mehrfachmessung für Anwendungen auf dem Gebiet der Bauaufnahme eher hinderlich. Im Gegensatz zur Industriephotogrammetrie, wo entweder nur wenig Objektpunkte zu erfas-sen sind oder signalisierte Zielmarken automatisch vermeserfas-sen werden können, ist in der Architektur generell eine hohe Informationsdichte von natürlichen Objektpunkten anzutreffen66. Diese Punkte wenigs-tens in zwei Bildern messen zu müssen, setzt nicht nur voraus, dass die Punkte zweifelsfrei in allen Bildern zu identifizieren sind, sondern bedeutet auch den doppelten Zeitaufwand für die eigentliche inhaltliche Auswertung gegenüber z.B. stereoskopischen Messungen.

Abb. 5.39: Auswerteablauf der Mehrbildphotogrammetrie

Um die Vorteile der Mehrbildauswertung bei Vermeidung der Nachteile nutzen zu können, hat sich eine zweistufige Auswertung als Lösung für einen effektiven Einsatz in der Bauaufnahme herausgebildet (Abb. 5.39):

Messung der Pass- und Verknüpfungspunkte in allen Bildern zur bestmöglichen Berechnung der inneren und äußeren Orientierungen innerhalb der Bündelausgleichung

anschließend eigentliche inhaltliche Auswertung durch Messung in nur einem Bild unter Verwen-dung von verschiedenen Strategien oder stereoskopische Auswertung

Da die Messung in nur einem Bild ohne Kenntnis weiterer geometrischer Objektparameter zu keinen dreidimensionalen Koordinatenwerten führt, wird im Rahmen der verschiedenen Softwarepakete zur

66 Auf die automatische Messung von linienhaften Strukturen wird noch eingegangen werden; zum Einsatz von künstlichen Zielmarken in der Bauaufnahme vgl. Kap. 5.3.5, 'Automatische photogrammetrische Verfahren'.

Mehrbildauswertung auf eine Strategie zurückgegriffen, die ebenfalls bei den tachymetrischen Verfahren und im Rahmen der photogrammetrischen Einbildauswertung anzutreffen ist. Die Messung wird nicht auf dem Objekt selbst durchgeführt, sondern auf einer das Objekt repräsentierenden Bezugsfläche. Neben der Ebene als einfachster Form einer Bezugsfläche können prinzipiell alle mathematisch zu beschreibenden Körper als Repräsentant der Objektoberfläche verwendet werden. Programmsysteme, die in ein CAD-System eingebettet sind, verwenden als Bezugskörper in der Regel die im CAD-CAD-System vorgehaltenen Typen [vgl. BENNING, 2000]. Zur Definition der Bezugsfläche ist eine der Oberflächengeometrie entspre-chende Anzahl von Punkten zu messen. Jeder Punkt sollte in mindestens drei Bildern bestimmt werden, damit die dreidimensionalen Koordinaten mit hoher Genauigkeit und Zuverlässigkeit berechnet werden können. Werden mehr Punkte gemessen, als zur Ableitung des Bezugskörpers notwendig sind, kann im Rahmen einer Ausgleichung aus allen Punkten die optimale Form und Größe des Bezugskörpers berechnet werden. Wie bei allen anderen Anwendungen der vereinfachten Erfassung durch Bezugs-flächen ist aber damit keine Kontrolle der Übereinstimmung zwischen Original und Bezugsfläche gegeben und Fehler von außerhalb der Bezugsfläche liegenden Objektbereichen sind auch hier nicht zu vermeiden (vgl. Abb. 5.24). Mit der definierten Bezugsoberfläche können nun durch Messung in nur einem Bild die dreidimensionalen Objektkoordinaten auf der Grundlage der Kollinearitätsgleichungen berechnet werden. Der geometrische Zusammenhang ist in Abbildung 5.25 im Zusammenhang der digitalen Abwicklung dargestellt. Dort diente die Berechnung der Bereitstellung weniger Passpunkte für die Abwicklung, in der Mehrbildphotogrammetrie muss dagegen die Schnittberechnung mit dem Bezugskörper für jeden zu erfassenden Punkt ausgeführt werden.

Abb. 5.40: Mehrbildauswertesystem CDW

Als typisches Ergebnis der Mehrbildauswertung entsteht entweder eine Punktdatei mit dreidimensionalen Koordinaten oder aber eine Datei im Format gängiger CAD-Programme (z.B. AutoCAD, MicroStation).

Die Protokollierung der Auswertung in Form einer CAD-Datei mit simultaner Darstellung der erfassten Geometrieelemente in einem Betrachtungseditor auf dem Auswertebildschirm (Abb. 5.40, links oben) ermöglicht eine Kontrolle auf Vollständigkeit oder grobe Fehler. Diese Möglichkeit war bereits in den ersten nach dem Mehrbildprinzip arbeitenden Programmen gegeben, in denen ausschließlich analoge Bilder ausgewertet werden konnten [z.B.MR2, 1994]. Wesentlich effektiver ist das Ergebnis jedoch zu über-prüfen, wenn die gemessenen Punkte oder Linienzüge zeitgleich in die Auswertebilder projiziert werden (Abb. 5.40, rechts). Dies ist im Rahmen einer digitalen Auswertung leicht möglich, da die

dreidimen-5.3 Photogrammetrische Methoden 117

sionalen Punktkoordinaten durch Umkehrung der Kollinearitätsgleichungen in zweidimensionale Bild-koordinaten umgerechnet und anschließend dem Auswertebild überlagert werden können [z.B. ARPENTEUR, 2001; CDW, 1996; DIPAD, 1998; ELCOVISION, 2001; PHIDIAS, 2001; PICTRAN, 2001; PITSCHKE, GORNY, 1993; PHOTOMODELER, 2001].

Der Vergleich der eingeblendeten Punkte oder Linien mit dem Inhalt des Messbildes deckt Auswerte-lücken oder Fehlmessungen deutlich auf, sodass gegebenenfalls sofort nachgemessen werden kann. Wird die Messung in einem anderen als dem zur Auswertung verwendeten Bild kontrolliert, lässt sich das Ergebnis auch in geometrischer Hinsicht auf seine Richtigkeit überprüfen. Nur wenn durch die Messung im ersten Bild (Abb. 5.41a) tatsächlich der dreidimensionale Objektpunkt repräsentiert wird, befindet sich der Punkt auch in allen weiteren Bildern an der richtigen Position. Ist dies nicht der Fall, liegt entweder eine schlechte Orientierung der Bilder vor67 oder die Objektoberfläche wird durch die gewählte Bezugs-fläche nicht repräsentiert. Am Beispiel des runden Fensters in Abbildung 5.41b ist diese Art der Fehl-messung durch die Betrachtung in einem zweiten Bild leicht zu erkennen. Hier wurde auch das Fenster in der selben Ebene wie die Stuckelemente der Fassade ausgewertet, obwohl es ca. 40 cm dahinter an der Innenseite der Wand liegt.

Abb. 5.41: Kontrollmöglichkeit während der

Mehrbildauswertung a) Projektion der erfassten Punkte und Linien in das Auswertebild

b) Projektion der Liniengeometrie in ein zweites Bild

Derartige Fehler treten typischer Weise bei Fassadenauswertungen auf, bei denen die ganze Fassade als eine Ebene angesehen wird, obwohl in Wirklichkeit kleine Vor- bzw. Rücksprünge in der Fassaden-gliederung enthalten sind oder die Fassaden anderweitig deformiert sind. Zur Lösung kann hier die Ebenendefinition so weit in ihrer Ausdehnung verkleinert werden, bis die Ebene das Original hinreichend genau repräsentiert. Ist dies nicht möglich, müssen durch Messung von homologen Punkten in mindestens zwei Bildern die Punktkoordinaten direkt berechnet werden.

Neben dieser Auswertestrategie, die Messung vom Original auf eine Bezugsfläche zu verlagern, kann die Mehrbildauswertung weiterhin mit einer stereoskopischen Erfassung kombiniert werden, um einerseits durch nur einen Messvorgang eine effektive Erfassung sicherstellen, andererseits aber auch unstruk-turierte Bereiche auswerten zu können. Auch hier dient die Mehrbildauswertung in Kombination mit der Bündelblockausgleichung der Lösung von unbekannter innerer und äußerer Orientierung. Ist dieses Problem gelöst, können aus den beliebig angeordneten Bildern Stereopaare berechnet werden, in denen dann die inhaltliche Interpretation vorgenommen werden kann. Anwendung findet dieses Vorgehen entweder mit dem vordringlichen Ziel, eine stereoskopische Auswertung durchführen zu wollen

[ARPENTEUR, 2001; GRUSSENMEYER, 1998; PITSCHKE, GORNY, 1993] oder aber als ergänzendes Hilfsmittel in einem überwiegend mehrbildorientierten Auswertekonzept [PHIDIAS, 2001].

Unter Verwendung von automatischen Bildverarbeitungsalgorithmen kann eine Mehrbildauswertung vorgenommen werden, bei der ein Auswerter ebenfalls die Objektpunktmessung nur in einem Bild ausführen muss. Die Punktauswahl erfolgt interaktiv durch den Operateur in einem Messbild, die Messung wird automatisch in den anderen Bildern ausgeführt. Das grundsätzliche Prinzip dieses auch als

67Zur Beurteilung der Bildorientierung kann das Ergebnis der Bündelausgleichung herangezogen werden.

halbautomatische Messung bezeichneten Auswerteansatzes ist im Zusammenhang der stereoskopischen Messverfahren beschrieben worden und kann analog für die Auswertung in Mehrbildprogrammen eingesetzt werden68[z.B.DIPAD, 1998; PICTRAN, 2001; PITSCHKE, GORNY, 1993].

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 114-119)