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Maßstab und Genauigkeit der Bauaufnahme

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 38-42)

4 Grundlagen der Erfassung, Modellierung und Darstellung

4.1 Maßstab und Genauigkeit der Bauaufnahme

Um sich dieser Fehler bewusst zu werden und den daraus resultierenden Einfluss berücksichtigen zu können, müssen die Verfahren zur Bauwerkserfassung in ihrer Leistungsfähigkeit zu bewerten sein. Für eine konsistente Bauwerksmodellierung ist der Einfluss von Genauigkeit und Maßstab während der drei wichtigen Phasen der Bauaufnahme – Erfassung, Messung und Darstellung – zu berücksichtigen.

Nachfolgend wird der Versuch einer Begriffsklärung unternommen:

Erfassungsgenauigkeit

Notwendige Voraussetzung für das Messen von Informationen an Bauwerken oder Bauwerksteilen ist das Erkennen der Information durch das Auge. Erst auf Grundlage der Analyse und Bewertung des Bauwerks können die Punkte für den eigentlichen Messvorgang ausgewählt werden. Hierbei wird die höchste Genauigkeit, mit der das Objekt erfasst werden kann, durch das Objekt selbst vorgegeben. Ein typisches Beispiel für eine Begrenzung der Genauigkeit durch den Erfassungsgegenstand ist die Modellierung der Steine eines Quadermauerwerks. Der Zustand der einzelnen Steinquader entscheidet über die maximal zu erreichende Genauigkeit während der Erfassung. Sind die Steine stark verwittert oder schon während des Bauprozesses schlecht bearbeitet worden, lassen sich die Maße der Quaderlängen nicht auf Millimeter ableiten (Abb. 4.1a). Liegt dagegen ein Mauerwerk vor, bei dem die Steine exakt zugeschnitten und vor dem Verbauen vor Ort noch nachbearbeitet worden sind, so kann die Steinlänge mit höchster Genauigkeit bestimmt werden (Abb. 4.1b).

a) Quadermauerwerk, Akören II, Nordkirche,

Messbild Rollei 6006, Ausschnitt b) Quadermauerwerk, Naga, Löwentempel, Messbild Rollei 6006, Ausschnitt

Abb. 4.1: Erfassungsgenauigkeit

Selbst unter Einsatz präziser Messverfahren können die Abmessungen der Quader des Beispiels der Abbildung 4.1a nicht mit der Genauigkeit von einem Millimeter bestimmt werden, weil die Zerstörungen der Oberfläche diese Genauigkeit bei der Punktauswahl nicht zulassen. Folglich wird die zu erreichende Messgenauigkeit zuerst durch den Zustand des Objekts und den daraus abzuleitenden Anforderungen begrenzt. Das Maß für die durch das Objekt definierte Genauigkeit wird im Folgenden mit 'Erfassungs-genauigkeit' bezeichnet.

Durch das Beispiel des verwitterten Quaders kann auch anschaulich verdeutlicht werden, dass während der Erfassung immer eine inhaltliche Auswahl der Informationen vorgenommen werden muss; schließlich soll der Quader erfasst werden, auch wenn seine Originalgeometrie nicht mehr zu erkennen ist. Aus mess-technischer Sicht muss eine Vereinfachung der realen Beschaffenheit im Verlauf der Modellierung vorge-nommen werden. Die Entscheidung für die zu messenden Punkte des Quaders ist im kartographischen Sinne eine Generalisierung, die entsprechend des im Kapitel 2.1, 'Der allgemeine Modellbegriff', darge-legten Zusammenhangs die Genauigkeit der qualitativen Erfassung bestimmt. Für eine Auswahl der Erfassungsinhalte wird der Begriff 'Erfassungsgeneralisierung' verwendet1.

Die inhaltliche Vollständigkeit einer Modellierung wird ebenfalls im Rahmen einer Generalisierung fest-gelegt, sie wird vielfach mit den Begriffen Generalisierungs- oder Detaillierungsgrad, Informationsdichte oder auch Darstellungstiefe bezeichnet. Die Entscheidung darüber, was erfasst wird und was nicht, ist eine auf den Zweck ausgerichtete inhaltliche Frage. Innerhalb der Ausführungen zum allgemeinen Modellbegriff ist die inhaltliche Vollständigkeit ebenfalls unter der Genauigkeit einer Modellierung

1Die Erfassungsgeneralisierung während des verformungsgerechten Handaufmaßes wird in Abb. 5.3 im Kap. 5.1.2 illustriert; zur Generalisierung im Allgemeinen vgl. [HAKE, GRÜNREICH, 1994].

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genannt worden, sie ist aber begrifflich scharf von der geometrischen Genauigkeit zu trennen, da auch eine im inhaltlichen Sinn unvollständige Modellierung die erfassten Informationen mit höchster geome-trischer Genauigkeit enthalten kann. Durch die Erfassungsgenauigkeit wird die höchst mögliche Genauig-keit der Erfassung begrenzt, wogegen über den Grad der VollständigGenauig-keit aus fachspezifischen Gesichts-punkten die Menge der modellierten Informationen bestimmt wird.

Mit dem Begriff der Auflösung wird vor allem bei den bildgestützten Erfassungsmethoden die kleinste zu erkennende Einheit bezeichnet. Durch die Auflösung wird die maximal zu erzielende Erfassungs-genauigkeit begrenzt, weil nur die Strukturen des Originals erfasst werden können, die in den Bildern zu erkennen sind.

Messgenauigkeit

Die Messgenauigkeit eines Messverfahrens setzt sich aus zwei wesentlichen Komponenten zusammen.

Zum einen wird die Genauigkeit der Messmethode durch die Leistungsfähigkeit des Erfassungswerk-zeuges bestimmt, z.B. bei einem Tachymeter durch die Genauigkeit der Strecken- und Winkelmessung.

Aus diesen Genauigkeiten der Originalmessgrößen lassen sich über die Gesetze zur Fehlerfortpflanzung die Genauigkeiten der daraus abgeleiteten Koordinaten berechnen2.

Des Weiteren ist die Genauigkeit des übergeordneten Festpunktrahmens zu berücksichtigen3. Diese Genauigkeit wirkt sich besonders auf die 'absolute Genauigkeit' der Messungen aus. Im Gegensatz zur 'relativen Genauigkeit', die ein Genauigkeitsmaß zwischen benachbarten Punkten darstellt, gibt die absolute Genauigkeit die Punktlagegenauigkeit der Koordinaten an. Durch die absolute Genauigkeit können z.B. Aussagen darüber getroffen werden, mit welchem Fehler sich die Entfernung zwischen einem Punkt im Keller und einem Punkt im Dachgeschoss aus den Koordinaten ermitteln lässt. Aus der relativen Genauigkeit ist abzuleiten, mit welchem Fehler die Entfernung zwischen direkt benachbarten Punkten zu bestimmen ist (z.B. die Breite eines Fensters). In der Regel ist die relative Genauigkeit höher als die absolute.

Für eine Abschätzung der Messgenauigkeit muss auch die Leistungsfähigkeit des Beobachters berück-sichtigt werden. Besonders entscheidend ist hier die Kombination von Messwerkzeug und menschlichem Auge, wie sie z.B. beim Messen von Bauwerkslängen eine besondere Bedeutung erhält. Obwohl der Zoll-stock in Millimeter-Einheiten geteilt ist und deshalb eine Ablesung auf dem ZollZoll-stock besser als 1 mm vorgenommen werden kann, ist die gesuchte Länge am Bauwerk mit geringerer Genauigkeit zu bestimmen, weil durch den Vorgang des Visierens eine Übertragung vom Bauwerk auf den Zollstock nur sehr viel ungenauer ausgeführt werden kann.

Darstellungsgenauigkeit und Darstellungsmaßstab

Ein Ergebnis der Modellierung im Rahmen einer Bauaufnahme kann die Darstellung in einem Bauauf-nahmeplan sein. Oftmals wird der Maßstab des BauaufBauauf-nahmeplans als einzige Forderung und Rahmen-bedingung für die Bauaufnahme vor Beginn des Modellierungsprozesses festgelegt. Wird so verfahren, sind aus der Festlegung des Darstellungsmaßstabes entsprechend einer maximal zu erzielenden Zeichen-genauigkeit von ± 0,2 mm die Anforderungen an die Mess- und ErfassungsZeichen-genauigkeit abzuleiten.Damit dürfen Erfassungs-, und Messgenauigkeit z.B. bei den Maßstäben 1:20, 1:50 und 1:100 die Werte von ± 4 mm, ± 10 mm und ± 20 mm nicht überschreiten. Sind diese Grenzwerte nicht einzuhalten, so werden aus dem Bauaufnahmeplan geometrische Informationen abgeleitet, die nicht der Geometrie des Originals entsprechen können. Ähnlich problematisch ist der umgekehrte Fall, bei dem während der Erfassung und Messung ein großer Maßstab mit hohen Genauigkeitsforderungen verwendet wird und für die Darstellung ein kleiner, in dem nicht alle erfassten Informationen dargestellt werden können. In diesem Fall müssten die Ergebnisse der Messung einer Generalisierung, also einem weiteren Schritt im Modellierungsprozess, unterzogen werden. Diese Generalisierung ist aber besser am Original als Erfassungsgeneralisierung

2Fehlermaße werden hier generell ohne eine statistische Analyse über den Vertrauensbereich angegeben, da die Objektmessung in der Regel ohne Überbestimmungen ausgeführt wird und Überbestimmungen aus geometrischen Zwangsbedingungen in der Bauaufnahme nur in Ausnahmefällen genutzt werden können.

3Selten wird auch hier eine strenge Fehlerfortpflanzung vorgenommen, d.h. die Kovarianzmatrix der Netzausgleichung wird generell nicht für die Berechnung der Genauigkeit der Objektpunkte verwendet. Vielmehr muss aus den Anforderungen der Bauaufnahme die Genauigkeitsgrenze des übergeordneten Netzes abgeleitet werden.

vorzunehmen, um im Modellierungsprozess die Anzahl der Stufen der semantischen Modelle gering zu halten4 und somit den Informationsverlust zu minimieren.

Bei Einsatz von CAD-Programmen als Darstellungsmedium treten diese Probleme scheinbar nicht auf.

Technisch betrachtet kann durch die Zoomfunktion beliebig zwischen der Darstellung in verschiedenen Maßstäben gewechselt werden. Doch diese komfortable Betrachtungsmöglichkeit entbindet den Nutzer nicht von der Berücksichtigung der Einschränkungen aus der Erfassungs- und Messgenauigkeit. Wird dies unterlassen, so kann das aus dem Modellierungsvorgang hervorgegangene CAD-Modell dem Origi-nal nur unzureichend entsprechen. Das CAD-Modell wird seine Funktion nicht erfüllen und ist somit für den Modellierungszweck nur sehr eingeschränkt zu verwenden. In keinem Fall darf von einem Maßstab 1:1 gesprochen werden, nur weil die Darstellung theoretisch bis auf Originalgröße 'gezoomt' werden kann.

Zu Beginn einer jeden Bauaufnahme sollte für die einzelnen Objektbereiche über die Genauigkeits-anforderungen und den damit verbundenen Maßstab entschieden werden. Generell ist von der Erfassungs-genauigkeit auszugehen, mit der die Genauigkeitsanforderungen für das einzusetzende Messverfahren bestimmt werden. Abschließend ist die Genauigkeit der Darstellung abzuleiten, die nicht besser als Messgenauigkeit und Erfassungsgenauigkeit sein sollte. Durch diesen so genannten 'Arbeitsmaßstab' wird das Maß der Verkleinerung vom Original zum Modell als wichtige Grundlage der geometrischen Model-lierung festgelegt.

Da die Wahl des Arbeitsmaßstabes eine der wichtigsten Randbedingungen für die Modellierung darstellt, soll im Folgenden auf einige Probleme im Umgang mit den Begriffen 'Genauigkeit' und 'Maßstab' hinge-wiesen werden:

Bei der Entscheidung über den Arbeitsmaßstab wird häufig nicht nur die Größe der kleinsten Bauwerks-information berücksichtigt, sondern vielfach auch die Fülle der darzustellenden Inhalte [DÖRING, 2001;

PETZET, MADER, 1993]. Aufgrund einer sehr großen Anzahl von über die reine Geometrie hinausgehenden Informationen wird der Maßstab vielfach so gewählt, dass die Inhalte ohne Überschneidungen und Verdeckungen im Planwerk dargestellt werden können. In diesen Anwendungen muss die Bauaufnahme über die Funktion der Geometriemodellierung hinaus vor allem eine Grundlage für die Kartierung bereit-stellen. Die Entscheidung über die notwendige Erfassungsgenauigkeit kann somit nicht von der Wahl des Darstellungsmaßstabes getrennt werden. Nicht selten wird zu Gunsten einer besseren Lesbarkeit der abschließenden Darstellung ein größerer Arbeitsmaßstab gewählt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit diesem größeren Arbeitsmaßstab auch eine wesentlich höhere Anforderung an die Erfassungs- und Messgenauigkeit verbunden ist. Kann diese nicht erfüllt werden, so enthält das Modell im Gegensatz zum Original eine fehlerhafte Geometrieinformation. Es ist ein ähnlicher Effekt zu beobachten, der beim Kopieren von Plänen in einen größeren Maßstab auftritt. Auch wenn die Verschlechterung in der geome-trischen Genauigkeit für den Zweck der Kartiergrundlage nicht entscheidend sein mag, so ist dieses Vorgehen besonders für eine Verwendung zu späteren Zeiten und unter anderen Zielen als bedenklich einzustufen und sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Dies gilt besonders deshalb, weil der abschließenden Darstellung nicht mehr anzusehen ist, ob die Wahl des Arbeitsmaßstabes aus geome-trischen oder inhaltlichen Gesichtspunkten erfolgt ist. Die Verwendung von CAD- oder GIS-Programmen ermöglicht die Verarbeitung und Darstellung von Informationen auf verschiedenen Ebenen, sodass hier-durch eine Strukturierung der Inhalte erreicht werden kann, mit der eine bessere Lesbarkeit gesichert ist5. Bei Verwendung von analogen Daten sollten mehrere Planauszüge zur strukturierten Erfassung von Infor-mationen eingesetzt werden. Nur in Ausnahmefällen ist die Wahl eines kleineren Maßstabes bei anschließender, sichtbar gekennzeichneter Vergrößerung eine praktische Lösung, um diesem Problem zu begegnen.

Der Widerspruch zwischen Informationsdichte und Lesbarkeit tritt bei allen digitalen Darstellungsmedien auf. Hierbei handelt es sich um ein klassisches Generalisierungsproblem, bei dem die Visualisierung der Inhalte während des Zoomvorgangs durch die verschiedenen Maßstabsbereiche verändert werden muss

[vgl. HAKe, GRÜNREICH, 1994]. Im Gegensatz zur kartographischen Generalisierung analoger Pläne muss dies

4vgl. Kap. 2.1, 'Der allgemeinen Modellbegriff', Abb. 2.3

5vgl. Kap. 4.3, 'Datenstrukturierung und -darstellung'

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