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Automatische photogrammetrische Verfahren

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 122-126)

5 Methoden der Bauaufnahme

5.3 Photogrammetrische Methoden

5.3.5 Automatische photogrammetrische Verfahren

Die digitale Photogrammetrie kann ihre technische Leistungsfähigkeit besonders dann unter Beweis stellen, wenn die geometrische oder inhaltliche Auswertung automatisch ausgeführt wird und damit nicht nur eine höhere Effektivität, sondern oft auch eine größere geometrische Genauigkeit zu erzielen ist. Die möglichen Anwendungen automatischer Verfahren sind im gesamten photogrammetrischen Arbeits-prozess anzutreffen – von der Réseaukreuzmessung als eine Grundlage zur Berechnung der inneren Orientierung bis zur Interpretation von Bildinhalten durch multispektrale Klassifizierungen oder Bildseg-mentierungen.

Bevor im Folgenden einige typische Anwendungen automatischer Verfahren vorgestellt werden, soll einleitend das allen automatischen Methoden zu Grunde liegende Messprinzip erläutert werden, um die mit den Verfahren verbundenen, besonderen Schwierigkeiten in der Architekturphotogrammetrie aufzei-gen zu können.

Digitale Bilder sind aus einer geordneten Menge von Bildelementen (Pixeln) zusammengesetzt, deren Größe durch die Auflösung des verwendeten Sensors oder Scanners bestimmt wird. Neben der geometri-schen Information zeichnet sich jedes Pixel durch seine radiometrische Eigenschaft aus, d.h. im digitalen Bild sind zu jeder Pixelkoordinate entweder Grauwerte oder Farbinformationen gespeichert. Zur automa-tischen Auswertung der Bildinhalte müssen die gesuchten Merkmale aus den radiometrischen Informatio-nen einer Gruppe von Pixeln abgeleitet werden. Merkmale sind entweder künstliche bzw. natürliche Objektpunke oder im Bild zu erkennende Kanten, aber auch Regionen gleicher Grauwertverteilungen, die mit keiner semantischen Bedeutung zu verbinden sind. Um die Bildposition eines gesuchten Merkmals in

77Dies gilt insbesondere für die CAD-Befehle 'ortho', 'fang', etc.

den einzelnen Bildern bestimmen zu können, sind die selben radiometrischen Strukturen in verschiedenen Bildern zu finden. Für diesen Vorgang der so genannten Bildzuordnung (Image-Matching) werden je nach Aufgabenstellung verschiedene Algorithmen eingesetzt, deren detaillierte Beschreibung aber in diesem Zusammenhang nicht vorgenommen werden soll [vgl. z.B. BÄHR, VÖGTLE, 1998; LUHMANN, 2000; MAAS, 1998]. Ist das gesuchte Merkmal innerhalb des Bildes erkannt worden und sind damit die Bildkoordinaten des Merkmals bestimmt, kann anschließend auf der Grundlage der übrigen geometrischen Bildinforma-tionen (innere und äußere Orientierung) die dreidimensionale Koordinate des Merkmals im Objektraum berechnet werden.

a) Passpunktmessung b) Schnitt durch lineare KanteP = Kante

Abb. 5.42: Automatische Merkmalsextraktion

Eine relativ einfache Aufgabe stellt die Merkmalsextraktion von bekannten Bildstrukturen dar, wie sie in Abbildung 5.42a anhand der automatischen Passpunktmessung illustriert ist. Hierbei ist dem Suchalgo-rithmus die Grauwertstruktur des künstlichen Passpunktes bekannt und Bild für Bild kann nach dieser Struktur abgesucht werden, um alle Passpunkte im Bildmaterial zu ermitteln. Generell werden die Pass-punkte ergänzend mit einer Codierung versehen, um jedem Punkt die korrespondierende Nummer zuordnen zu können.

Ein vom grundsätzlichen Prinzip ähnliches Vorgehen wird zur Detektion und Vermessung von Kanten angewendet. Auch wenn für jede einzelne Kante keine bekannte Grauwertstruktur vorliegt, sind doch genug Informationen über den typischen Grauwertverlauf von Kanten bekannt (Abb.5.42b). Im Gegen-satz zur homogenen Grauwertverteilung in unstrukturierten Bildregionen zeichnen sich Kanten und Linien durch einen starken Wechsel der Grauwerte aus. Im Rahmen der automatischen Auswertung wird im gesamten Bild nach dieser typischen Grauwertverteilung gesucht. Dabei ist jedoch nicht jeder durch den Algorithmus ermittelte, kantentypische Grauwertverlauf als wirkliche Kante oder Linie zu interpre-tieren. Durch ergänzende Untersuchungen muss getestet werden, ob es sich bei dem entdeckten starken Grauwertabfall um eine signifikante linienhafte Struktur handelt oder ob der Grauwertverlauf nur für eine sehr kleine Region festzustellen ist und somit im Sinne der Bildinterpretation nicht als Kante einzuordnen ist.

Die grauwertbasierte Merkmalsextraktion wird ebenfalls eingesetzt, um die Berechnung von dreidimen-sionalen Oberflächenmodellen zu automatisieren78. Bei diesem automatischen Bildverarbeitungsprozess steht jedoch nicht das Erkennen und Vermessen einer bestimmten, inhaltlich zu deutenden Bildstruktur im Vordergrund. Vielmehr werden die Merkmale in den Bildern genutzt, um möglichst viele homologe Objektpunkte in den verschiedenen Bildern einander zuordnen und anschließend über den räumlichen Vorwärtsschnitt aus den Bildkoordinaten die 3D-Objektkoordinaten der Oberfläche berechen zu können.

Die automatische Oberflächenberechnung durch Merksmalsextraktion funktioniert immer dann besonders gut, wenn eine homogene und kontrastreiche Objektoberfläche vorliegt. Architekturobjekte zeichnen sich meistens durch eine inhomogene, mit vielen Unstetigkeitsstellen behaftete Struktur aus. Das Wieder-erkennen der selben Objektstrukturen kann nur erfolgen, wenn diese auch in den unterschiedlichen Bildern mit gleichen oder ähnlichen Grauwerten abgebildet werden.

Auf die fotografische Abbildung vom Original in das Bildmodell übt die Beleuchtungssituation zum Zeit-punkt der Aufnahme in Abhängigkeit vom Aufnahmewinkel einen ebenso großen Einfluss aus wie die

78Diese Anwendung ist für die Ableitung digitales Geländemodelle aus Luftbildern entwickelt worden.

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vielen Unstetigkeitsstellen an Vor- und Rücksprüngen. Diese führen dazu, dass die Umgebung der Kante von zwei unterschiedlichen Richtungen aus betrachtet völlig verschieden in den Bildern abgebildet wer-den kann (Abb. 5.43). Aus diesen Grünwer-den kann das automatische Image-Matching zur hochauflösenwer-den und genauen Oberflächenmodellierung in der Architektur noch nicht als Standardverfahren eingesetzt werden.

Abb. 5.43: Unstetigkeitsstellen an Objektkanten

Vollständig homogen ausgebildete Oberflächen mit sehr geringem Kontrast – wie an Bauornamentik oder Bauplastik oftmals anzutreffen – sind aufgrund der fehlenden Objektstrukturen nicht ohne weiteres mit den Methoden der Merkmalsextraktion in ihrer Oberflächengeometrie zu bestimmen. Durch die Projek-tion von künstlichen Texturen in Form von Streifen, Rastern oder so genannten Lichtschnitten kann das Objekt mit Merkmalen versehen werden und ist dann mit hoher Genauigkeit und Zuverlässigkeit zu vermessen [vgl. RIECHMANN, THIELBEER, 1997].

Neben den merkmalsbasierten Verfahren können die so genannten Klassifizierungen zur automatischen, inhaltlichen Bildauswertung genutzt werden. Während einer Klassifizierung werden Bereiche gleicher oder ähnlicher radiometrischer Eigenschaften nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu einer Klasse zusam-mengefasst. Sind die radiometrischen Grenzen der einzelnen Klassen festgelegt worden79, werden die Bildpixel auf die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Klassen hin untersucht und entsprechend, meist farbig, markiert. Derartige Klassifizierungen lassen sich nicht nur mit den radiometrischen Informationen des sichtbaren Lichtes ausführen, sondern prinzipiell mit den Signalen aller Wellenlängenbereiche, die durch einen entsprechenden Sensor registriert werden können. Weit verbreitet ist die Verwendung von Infrarot-film, weiterhin lassen sich alle Wellenlängen in den unterschiedlichsten Kombination für eine so genannte multispektrale Klassifizierung nutzen. Diese in der Fernerkundung entwickelte Methodik ist ebenso für Material- und Zustandsuntersuchungen an Bauwerken geeignet80.

Die automatischen Zuordnungsmethoden werden zur Unterstützung des Messprozesses in den verschie-denen photogrammetrischen Verfahren eingesetzt, wobei meist eine teilweise, selten eine vollständige Automatisierung der Auswertung vorgenommen wird. Zur automatischen Messung der in Teilmess-kameras verwendeten Réseaukreuze sind die automatischen Methoden mittlerweile in jedem Software-programm realisiert. Die Messung von künstlichen Pass- oder Objektpunkten an Architekturobjekten ist besonders aufgrund der kleinen Punktgröße im Verhältnis zur im Bild dargestellten Objektgröße nicht immer leicht zu lösen, kann aber mittlerweile mit hoher Zuverlässigkeit ausgeführt werden [WIEDEMANN, 2001].

Zur Unterstützung der Objektauswertung werden die automatischen Messalgorithmen überwiegend im so genannten halbautomatischen Messmodus verwendet. Hierbei erfolgt die Punktauswahl durch den Anwender in einem Bild und anschließend automatisch in den übrigen Bildern des Bildverbandes durch

79Dies kann entweder durch den Nutzer aufgrund von vorher definierten Klassen geschehen oder während der Auswertung in so genannten Trainingsgebieten vorgenommen werden.

80Für weitere allgemeine Einzelheiten zum Verfahren der Klassifizierung vgl. z.B. [BÄHR, VÖGTLE, 1998].

Merkmalsextraktion. Dieses Messprinzip wird sowohl in Programmen der Mehrbildauswertung wie zur digitalen Zweibildauswertung eingesetzt81.

Das Image-Matching zur Ableitung von dreidimensionalen Objektmodellen wird trotz der oben geschil-derten Schwierigkeiten zur Erfassung von 3D-Architekturobjekten in zunehmendem Maße eingesetzt. Die große Nachfrage von 3D-Modellen im Bereich der Visualisierung hat die Entwicklung neuer Strategien zur automatischen Erfassung und Modellierung – meist geringer Genauigkeit – vorangetrieben, sodass mittlerweile durch das Image-Matching auch befriedigende Ergebnisse für die großmaßstäbige Modellierung zu erzielen sind [vgl. z.B. PATIAS, TSIOUKAS, 1999; POLLEFEYS et al., 2000].

Die automatische Oberflächenmodellierung kleiner Objekte wie Statuen oder Bauplastik durch merkmals-basierte Bildzuordnung kann zu den photogrammetrischen Standardverfahren gezählt werden [vgl.

FARADAY, 2001; POMASKA, 2001b]. Hierbei werden alle verfügbaren Methoden angewendet, von der merkmals-basierten Zuordnung natürlicher Texturen [z.B. IMAGEMODELER, 2001] über das Lichtschnittverfahren [z.B.

KREON, 2001; MENSI, 2001; VI-300, 2001] bis zur Auswertung von auf die Oberfläche projizierten Struktur-mustern [z.B. EYETRONICS, 2001; 3D-1500, 2001].

Abb. 5.44: Ägyptisches Relief, erfasst durch Lasertriangulationsverfahren mit einer Auflösung von 0,1 mm[MENSI, 2001]

Ergebnis aller merkmalsbasierten Oberflächenmodellierungen sind die Koordinaten einer unstrukturierten Punktwolke, aus denen das Oberflächenmodell z.B. durch eine Dreiecksvermaschung abgeleitet werden muss82. Es wird demnach keine inhaltlich, sondern eine geometrische geprägte Auswertung durchgeführt.

Die eigentliche inhaltliche Auswertung muss im Anschluss an die Modellierung am 3D-Modell erfolgen.

Dieses 3D-Modell kann besonders die Geometrie von Objekten kleinerer Ausdehnung mit hoher Auflö-sung und Genauigkeit (z.T. 0,1 mm und besser) bereitstellen. Werden die natürlichen Texturen auf das 3D-Objekt aufgebracht, ist nicht nur eine beeindruckende Visualisierung zu erzeugen, sondern gleich-zeitig ein nahezu identisches Modell des Originals, das auch für vertiefende inhaltliche Untersuchungen genutzt werden kann. In der Bauaufnahme ist z.B. die Erfassung von Kapitellen und Baugliedern auf diese Art und Weise denkbar, wobei sicher eine Überarbeitung im Angesicht des Originals stattfinden sollte. Das automatisch erzeugt 3D-Modell kann für diese Zwecke einen geometrischen Bezug hoher Genauigkeit bereitstellen, in den alle ergänzenden Beobachtungen und Analysen eingefügt werden können.

Die vollautomatische Detektion von Kanten und Linien kann unter Umständen eingesetzt werden, um Bildinhalte im Verlauf einer so genannten Bildsegmentierung voneinander differenzieren zu können. Ein typisches Beispiel für die automatische Bildsegmentierung stellt das steingerechte Aufmaß von groß-flächigem Mauerwerk dar. Sofern die Steine des Mauerwerks durch klar zu erkennende Fugen voneinander getrennt sind, lassen sich die Kanten an den Übergängen vom Stein zur Fuge automatisch extrahieren. Durch die Kombination der Kantenextraktion mit anderen Verfahren der Bildvorverarbeitung kann ein Verbesserung der Bildsegmentierung erreicht werden [vgl. RODEHORST, 1997], wobei aber eine voll-ständige Erfassung aller Steine nicht zu erzielen ist. Diese Methode der Steinkartierung ist als Kartie-rungsgrundlage zu verwenden, wobei automatisch nicht richtig erkannte Steinfugen manuell korrigiert werden müssen. Die durch die Automation erzielte Zeitersparnis kann jedoch nicht für alle Anwendungen

81 vgl. Kap. 5.3.4.2, 'Mehrbildauswertung und CAD' sowie Kap. 5.3.3.3, 'Anwendungspotenziale der stereoskopischen Auswertung'

82vgl. Kap. 5.3.2.4, 'Differentielle Entzerrung' sowie Kap. 5.2.4, 'Scannende tachymetrische Verfahren'

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der Bauaufnahme genutzt werden. Insbesondere für die Zwecke der historischen Bauforschung wird eine automatische Steinkartierung in der Regel nicht akzeptiert, weil die visuelle Bildinformation nicht ausreicht, um eine qualitativ hochwertige Steinkartierung anzufertigen (vgl. Abb. 4.1). Hierfür ist ein vor Ort ergänzend ausgeführte Aufnahme im Handaufmaß unbedingt notwendig.

Die inhaltliche Aufteilung der Bildinformationen durch Klassifizierungen gehört wie die automatische Bildsegmentierung durch Kantenextraktion zu den wenig genutzten photogrammetrischen Verfahren.

Dabei sind auch hier Anwendungen vor allem bei restauratorischen Fragestellungen denkbar. Wenn es darum geht, Materialien in ihrer Zusammensetzung und in ihrem Zustand zu erfassen, kann besonders die multispektrale Klassifizierung neue Möglichkeiten eröffnen [vgl. HECKES et al., 2000; LERMA et al., 2000]. Die Klassifizierung der an einem Bauwerk verwendeten Baumaterialien ist ebenfalls geeignet, wertvolle Aufschlüsse über die Bauabfolge und damit über die historische Einordnung zu geben.

Im Dokument Ulrich Weferling (Seite 122-126)