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3 Pflegebedürftige in Privathaushalten

3.1 Personelle Merkmale von Pflegebedürftigen

3.1.1 Pflegebedarf: Pflegestufen und die neue Pflegestufe 0

Pflegestufen

Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Ver-richtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde pflegebedürftigen Personen je nach Grad der Hilfebedürftigkeit eine von drei Pflegestufen zu-erkannt. 2012 wurde diese Systematik durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) ergänzt. Die ursprünglichen drei Pflegestufen unterscheiden sich folgendermaßen:

Pflegebedürftige der Pflegestufe I sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand muss im Durchschnitt mindestens 90 Minuten täglich betra-gen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.

Pflegebedürftige der Pflegestufe II sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand muss im Durchschnitt mindestens drei Stunden täglich betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen.

3 Quelle: eigene Berechnung; Bundesministerium für Gesundheit: Vorabberechnung der Statistik der Pflegekassen zzgl. PPV Anteil gemäß 2014.

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Pflegebedürftige der Pflegestufe III sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität täglich rund um die Uhr, auch nachts, der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand muss mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen. In besonders gelagerten Einzelfällen können Pflegebedürftige der Pflegestufe III nach § 36 Abs. 4 SGB XI als sogenannte „Härtefälle“ anerkannt werden, wenn ein außergewöhnlich hoher Pfle-geaufwand vorliegt, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielsweise wenn im Endstadium von Krebserkrankungen regelmäßig mehrfach auch in der Nacht Hilfe geleistet werden muss.

Viele Menschen, die regelmäßig Unterstützung brauchen, um zu Hause bleiben zu können, sind nicht auf so umfangreiche Hilfen angewiesen. Daher wurde das System der Pflegestufen im Jahr 2013 um die sogenannte Pflegestufe 0 ergänzt und damit der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Regelleis-tungen der Pflegeversicherung um Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz (PEA) unterhalb der Pflegestufe I erweitert. Pflegebededürftige der Pflegestufe 0 sind damit formal nicht pflegebe-dürftig im Sinne der §§14 und 15 des SGB XI, dennoch sind sie Leistungsempfängerinnen und Leis-tungsempfänger der Pflegeversicherung und werden hier zu Pflegebedürftigen in Privathaushalten hinzugezählt.

Die neue Pflegestufe 0

Neben einem Hilfebedarf bei der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung kann auch ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung im Sinne des § 45a SGB XI bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn demenzbedingte Fähigkeitsstörungen, geistige Behinderungen oder psychische Erkrankungen dauerhaft zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz führen. Dieser Hilfebedarf kann auch unterhalb der Kriterien zur Einstufung in Pflegestufe I auftreten.

Um dieser Personengruppe Unterstützung zu gewähren, wurde die sogenannte Pflegestufe 0 einge-führt. Die Pflegestufe 0 kommt jenen zugute, die zwar einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung haben, jedoch nicht die Voraussetzungen für eine Einstu-fung in die Pflegestufe I erfüllen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Demenzkranke sowie geistig und psychisch beeinträchtigte Menschen.

Bereits mit dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz vom 1. Januar 2002 wurde der Leistungskatalog der Pflegeversicherung um Leistungen speziell für diesen Personenkreis ergänzt.4 Im Pflege-Weiter-entwicklungsgesetz 2008 wurden der Umfang der Leistungen angehoben und der anspruchsberech-tigte Personenkreis erweitert. Entsprechende Leistungen der Pflegeversicherung konnten nun nicht nur Pflegebedürftige erhalten, die in eine der drei Pflegestufen eingruppiert sind, sondern auch Per-sonen, die einen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht. Mit der Leistungsausweitung der Pflegeversicherung durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz hat der erweiterte Personenkreis seit 2013 als Leistungs-bezieher der Pflegestufe 0 Anspruch auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an allgemeiner Beauf-sichtigung und Betreuung. Durch die Einführung der Pflegestufe 0 ist der Anspruch auf monatliche

4 Seit 1.01.2002 wird im Rahmen der Begutachtung durch den MDK automatisch geprüft, ob eine eingeschränkte Alltagskom-petenz besteht. Das Begutachtungsverfahren umfasst zwei Stufen, ein Screening und ein Assessment, um eine Aussage zur Alltagskompetenz der Antragsteller zu treffen.

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Regelleistungen ausgeweitet worden, und es beziehen heute mehr Menschen als früher Pflegeleis-tungen. 2015 sind laut Statistik der Pflegekassen (nur Soziale Pflegeversicherung) etwa 69 Tsd.

Männer und 78 Tsd. Frauen in Pflegestufe 0 eingestuft und beziehen Leistungen der Pflegeversiche-rung (BMG 2016c).

Eingeschränkte Alltagskompetenz allgemein

Überdies ist die Zuerkennung einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nicht nur für Men-schen, die seit 2013 in die Pflegestufe 0 eingruppiert werden, relevant, sondern auch weiterhin für Pflegebedürftige der Pflegestufen I bis III. Auch hier kann eine eingeschränkte Alltagskompetenz anerkannt werden und geht für die Betroffenen mit einer höheren Leistung der monatlichen Regel-leistung für die Pflegestufen I und II für Geld- bzw. SachRegel-leistungen einher. Des Weiteren besteht bei den zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen für Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Möglichkeit, einen erhöhten Betrag von den Pflegekassen zu beziehen, sofern eine entsprechende Begutachtung durch den MDK vorliegt.

Nach den Ergebnissen der Repräsentativerhebung wurde bei einem Drittel der Pflegebedürftigen in Privathaushalten, die in eine Pflegestufe I bis III eingruppiert sind, neben dem Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung zusätzlich ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichti-gung und Betreuung anerkannt (erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI).

Etwa ein Viertel der Personen mit Pflegestufe I hat eine eingeschränkte Alltagskompetenz anerkannt bekommen, während es bei Leistungsbeziehern der Pflegestufe II und III jeweils 44 Prozent sind.

Abbildung 3.1: Pflegebedürftige in Privathaushalten – die Eingruppierung in Pflegestufen 1998, 2010 und 2016 (%)

Basis: Repräsentativerhebung, Pflegebedürftige in Privathaushalten

Studie zur Wirkung des PNG und PSG I − TNS Infratest Sozialforschung 2016

Beim Vergleich der Ergebnisse der Repräsentativerhebung mit den Vorgängerstudien der Jahre 1998 und 2010 ist zu beachten, dass in der vorliegenden Studie, anders als in der Studie 1998 und der Studie zur Pflegereform 2010, bei den Leistungsbeziehern der Pflegeversicherung nun durchgängig

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Pflegestufe 0 Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III

1998 2010 2016

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auch die Personen inkludiert sind, die in die Pflegestufe 0 eingestuft sind. Das bedeutet, dass sich der Personenkreis der Pflegebedürftigen, den hier betrachtet wird, systematisch um Personen, die einen Pflegebedarf unterhalb der Pflegestufe I haben, erweitert hat. 2016 wurden sieben Prozent aller Leistungsbezieher der Pflegeversicherung in diese neugeschaffene Pflegestufe 0 eingruppiert.

Das entspricht etwa 148 Tsd. pflegebedürftigen Personen (Abbildung 3.1). Die überwiegende Zahl der Pflegebedürftigen in Privathaushalten ist weiterhin in Pflegestufe I eingruppiert, 27 Prozent in Pflegestufe II und acht Prozent in Pflegestufe III. Drei Prozent derjenigen, die in Pflegestufe III ein-gruppiert sind, wurden als sogenannte „Härtefälle“ anerkannt.

Mit steigender Pflegestufe liegt ein jeweils steigender Versorgungsumfang für die individuellen Pfle-gebedürftigen vor, der einem höheren zeitlichen Aufwand der Versorgung entspricht. Eine Betrach-tung von Anteilen der Pflegebedürftigen in den verschiedenen Pflegestufen kann deshalb genutzt werden, um Entwicklungen der Schwere der Pflegebedürftigkeit in der Gesamtpopulation zu erfassen.

Die verfügbaren Daten der BARMER GEK ermöglichen es, die Veränderungen bei der Struktur der häuslich betreuten Pflegebedürftigen im Zeitverlauf von 2012 bis 2015 zu betrachten.

Abbildung 3.2: Verteilung der Pflegestufen (ohne PS 0) in häuslicher Pflege

Basis: Versicherte der BARMER GEK, Erfassung über den Durchschnitt der ersten neun Monate des Jahres, Hochrechnung auf die BRD

Studie zur Wirkung des PNG und PSG I − Universität Bremen 2016

Wie Abbildung 3.2 zeigt, ist es unter den Pflegebedürftigen in häuslicher Pflege in den Jahren 2012 bis 2015 zu einer kontinuierlichen Verschiebung gekommen. Geschlechtsunabhängig steigt der Anteil der Personen in Pflegestufe I um rund zwei Prozentpunkte an, während die Anteile der Personen in Pflegestufe II und III um jeweils 0,4 bis 1,0 Prozentpunkte absinken. Der Anteil der Härtefälle bleibt dabei auf sehr geringem Niveau von 0,1 Prozent bis 0,3 Prozent nahezu konstant. Etwa 62 Prozent der Pflegebedürftigen (hier nur Pflegestufe I bis III) sind demnach in 2015 in Pflegestufe I eingestuft, weitere rund 29 Prozent in Pflegestufe II und etwa neun Prozent in die Pflegestufe III. Größere Veränderungen sind dabei jeweils von 2012 auf 2013 und von 2014 auf 2015 zu verzeichnen. Diese Effekte können als Einflüsse des PNG und des PSG I interpretiert werden.

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Noch weit deutlicher zeigen sich die Reformfolgen, wenn der Fokus erweitert wird und statt der Pflegebedürftigen die Leistungsempfänger aus dem SGB XI in häuslicher Pflege betrachtet werden.

Dabei beinhaltet die Population der Leistungsempfänger alle Pflegebedürftigen, integriert jedoch zu-sätzlich die Personen der sogenannten Pflegestufe 0, die als erheblich in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt gelten. Diese Personengruppe wurde durch die gesetzlichen Neuregelungen vor allem der §§ 123 und 124 SGB XI, die durch das PNG in 2013 eingeführt wurden, erstmalig zu echten Leistungsempfängern in den Hauptleistungsarten. Die Leistungsansprüche wurden dann durch das PSG I auch weitgehend auf die Nebenleistungen, wie Verhinderungs-, Kurzzeit- und teilstationäre Pflege, ausgeweitet. Zu erwarten ist aus diesen Gründen, dass ab dem Jahr 2013 die Leistungsemp-fänger der Pflegestufe 0 eine wachsende quantitative Bedeutung aufweisen und hierdurch auch die relativen Anteile der einzelnen Pflegestufen beeinflussen.

Die vermutete Entwicklung bestätigt sich in Abbildung 3.3. Der Anteil sowohl der Leistungsempfänger als auch der Leistungsempfängerinnen in Pflegestufe 0 steigt in den Jahren 2012 bis 2015. In der Gesamtbetrachtung beider Geschlechter ist eine Steigerung von 3,3 Prozent auf 8,0 Prozent, also um 142 Prozent des Ausgangswertes, erfolgt. Fast die Hälfte dieses Anstiegs erfolgte von 2012 auf 2013. Dies ist als deutlicher Hinweis darauf anzusehen, dass die im PNG eingeführten Leistungsan-sprüche dazu geführt haben, dass deutlich mehr Hilfebedürftige zu Leistungsbeziehern des SGB XI geworden sind. Dabei ist bei Männern noch eine um 1,3 Prozentpunkte stärkere Entwicklung zu be-obachten, die darauf schließen lässt, dass gerade demente Männer mit geringem somatisch beding-tem Hilfebedarf von den Regelungen des PNG profitieren. Dass in der Gesamtentwicklung im Jahr 2015 nur ein geringer zusätzlicher Steigerungseffekt durch das PSG I zu beobachten ist, deutet ferner darauf hin, dass die hinzugekommene Leistungsberechtigung in den Nebenleistungen für sich alleine genommen in dieser Klientel eine geringere Rolle spielt als der grundsätzliche Leistungsbezug in den Hauptleistungsarten.

Abbildung 3.3: Verteilung der Leistungsempfänger (inkl. PS 0) in häuslicher Pflege

Basis: Versicherte der BARMER GEK, Erfassung über den Durchschnitt der ersten neun Monate des Jahres, Hochrechnung auf die BRD

Studie zur Wirkung des PNG und PSG I − Universität Bremen 2016

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Sozialforschung

Pflegerische Hilfe in der Nacht

Mehr als ein Drittel der Pflegebedürftigen benötigt mindestens ab und an in der Woche pflegerische Hilfen während der Nacht, 22 Prozent erhalten so gut wie jede Nacht Unterstützung. Der Bedarf an nächtlicher Betreuung steigt mit zunehmender Pflegestufe. Von den Pflegebedürftigen in Pflegestufe III benötigen fast zwei Drittel so gut wie jede Nacht pflegerische Hilfen (Abbildung 3.4).

Abbildung 3.4: Hilfebedarf in der Nacht, 2016 (%)

Basis: Repräsentativerhebung, Pflegebedürftige in Privathaushalten

Studie zur Wirkung des PNG und PSG I − TNS Infratest Sozialforschung 2016

Der Pflegebedarf in der Nacht ist im Zeitraum von 2010 bis 2016 gesunken (Tabelle 3.1), und zwar unabhängig von der Pflegestufe. Betrachtet man Pflegebedürftige der Pflegestufen I bis III so ver-ringert sich der Anteil der Pflegebedürftigen, die so gut wie jede Nacht Hilfe benötigen, um sieben Prozentpunkte.

2016 liegt der nächtliche Hilfebedarf bei Personen mit anerkannter erheblich eingeschränkter All-tagskompetenz mit 28 Prozent etwas über dem Durchschnitt (22%). Damit ist der nächtliche Pflege-bedarf auch in dieser Personengruppe zurückgegangen. Im Jahr 2010 benötigten 46 Prozent dieser Personengruppe entsprechende Unterstützung, während dies nur für 29 Prozent aller Pflegebedürf-tigen zutraf.

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Insgesamt Pflegestufe 0 Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III Niemals Selten Mehrmals in der Woche So gut wie jede Nacht

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Tabelle 3.1: Hilfebedarf in der Nacht 2010 und 2016 (%)

Basis: Repräsentativerhebung, Pflegebedürftige in Privathaushalten der Pflegestufen I bis III

Insgesamt Stufe I Stufe II Stufe III

2010 2016 2010 2016 2010 2016 2010 2016

Niemals 28 35 36 43 20 25 6 5

Selten 19 30 21 33 19 27 8 16

Mehrmals in der

Woche 24 13 23 11 27 15 19 16

So gut wie jede

Nacht 29 22 20 13 34 32 67 63

Studie zur Wirkung des PNG und PSG I − TNS Infratest Sozialforschung 2016