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Performanz der Gesundheitskompetenz: Modelle zur Erklärung des Verhaltens

D) Professionelle Kompetenz

2.7 Kompetenzfeld Sicherheit und Gesundheit

2.7.6 Performanz der Gesundheitskompetenz: Modelle zur Erklärung des Verhaltens

In Kompetenzmodellen ist die Struktur von Kompetenzen aufgeschlüsselt. Das allein erklärt nicht, ob es letztendlich in einer Situation zum Handeln kommt, sich also die Performanz der Kompetenzen zeigt. HAMACHER und WITTMANN (2005) arbeiteten für das Thema Sicherheit und Gesundheit relevante Modelle zur Erklärung des Ver-haltens zur Entwicklung des oben dargestellten ganzheitlichen Kompetenzmodells im Bereich Sicherheit und Gesundheit auf. Diese Modelle werden im Folgenden wieder aufgegriffen und nach Hinweisen auf wichtige Elemente für Performanz von Kompe-tenz betrachtet.

2.7.6.1 Norm-Aktivierungs-Modell (SCHWARTZ, HOWARD, 1980)

Die ursprüngliche Intention des Modells ist es, Hilfsverhalten zu erklären: Wann leis-tet jemand Hilfe und wann nicht. Es wurde darüber hinaus auch in der Umwelt- und Gesundheitsforschung genutzt, um schutzmotiviertes Verhalten in diesen Kontexten zu erklären. Im Prozessmodell werden folgende Verarbeitungskomponenten postu-liert:

 Aufmerksamkeit

Die Wahrnehmung einer bedürftigen Person aktiviert die für diesen Handlungs-anlass bereichsspezifischen und problemrelevanten Kognitionen und Emotionen (Obdachloser an der Straße lässt denken: „Ich bin froh, dass es mir gut geht!“

und macht Schuldgefühle – Radfahrer wird angefahren und liegt auf der Straße, lässt denken: „Da ist etwas Schlimmes passiert!“ und lässt fühlen Schock, Angst). Es wird geprüft, welche Handlung in der Situation angebracht ist und ob man sie selbst durchführen kann (einen Euro geben, Geld dabei? – Notarzt ru-fen, Handy dabei?).

 Motivation und Bewertung

Es entstehen Verpflichtungsgefühle (Motivation), die aber gegen mögliche Vhaltenskonsequenzen abgewogen werden (Bewertung). Die Hilfehandlung er-folgt, wenn moralische und nicht-moralische Überlegungen die gleiche Handlung befürworten. Herrscht ein Ungleichgewicht, liegt ein Entscheidungskonflikt vor und es kann als Abwehrstrategie eine Redefinition der gesamten vorangegange-nen Wahrnehmungen und Überlegungen stattfinden. Beispielsweise kann die Problemlage geleugnet werden (die Situation ist gar nicht so schlimm.) oder das eigene Nicht-Handeln gerechtfertigt werden (ich habe gerade selbst soviel Stress.). Damit entgeht man dem Druck der moralischen Verpflichtung, zu han-deln. Das letztendliche Verhalten ist eine Folge aus den vorangegangenen Ver-arbeitungsschritten.

2.7.6.2 Health Belief Model (ROSENSTOCK, 1966; BECKER, 1974)

Das Health Belief Model oder auch Modell der gesundheitlichen Überzeugungen dient zur Vorhersage von Vorsorgeverhalten und der Einhaltung medizinischer Ratschläge (Compliance) (vgl. Abb. 2.19). Damit wird präventives Handeln in den Blick genommen, welches gemäß dem modernen Arbeits- und Gesundheitsschutz-verständnis besonders wichtig ist.

Kosten- Nutzen-Analyse

Wahrschein-lichkeit präventiver

gesundheits-bezogener Handlung Handlungsanlass

Wahrgenommene Bedrohung

Wahrgenommene subjektive Empfänglichkeit

Wahrgenommene Ernsthaftigkeit Modifizierende

Faktoren

+

Demografische

Persönlichkeits-psychologische

Sozial-psychologische

Strukturelle

Abb. 2.19 Health Belief Model (nach BECKER, 1974)

Einer präventiv gesundheitsbezogenen Handlung (z. B. die Teilnahme an einer Krebsvorsorgeuntersuchung) geht neben einer Kosten-Nutzen-Analyse im Sinne ei-nes Abwägens von Machbarkeit und Barrieren gegenüber Wirksamkeit und Vorteilen die subjektiv wahrgenommene Bedrohung durch eine Krankheit voraus. Diese wie-derum ergibt sich aus der subjektiv wahrgenommenen Ernsthaftigkeit einer Krankheit (Krebserkrankungen nehmen zu, Krebs kann tödlich enden) und der wahrgenommen eigenen Empfänglichkeit für diese (Krebserkrankungen in der Familie liegen vor, Krebs betrifft mich). Modifiziert werden die gesamten Wahrnehmungen durch demo-grafische, persönlichkeits- und sozialpsychologische sowie strukturelle Bedingungen.

Um eine Bedrohung wahrnehmen zu können, ist ein Handlungsanlass notwendig (In-formationsblatt über Krebsvorsorge).

Aus dem Modell wird gefolgert, dass Individuen unter folgenden Bedingungen ihr Verhalten gesundheitsförderlich ändern (vgl. NAIDOO, WILLS, 2003, S. 221):

 Es liegt ein Anreiz zur Verhaltensänderung vor.

 Das aktuelle Verhalten erzeugt ein subjektives Bedrohungsgefühl.

 Es besteht die Überzeugung, dass eine Verhaltensänderung von Vorteil ist und kaum negative Folgen mit sich bringt.

Es besteht die Überzeugung, dass die Verhaltensänderung selbst durchführbar ist.

2.7.6.3 Schutzmotivationstheorie (RIPPETOE, ROGERS, 1987)

Wie beim Health Belief Model ist der Auslöser für die Bildung einer Schutzmotivation die Wahrnehmung einer Bedrohung (vgl. Abb. 2.20). Diese setzt in Anlehnung an die Coping Theorie von LAZARUS und FOLKMAN (1984) folgende zwei Bewertungspro-zesse in Gang:

 Bedrohungs-Bewertungs-Prozess

In einer ersten subjektiven Bewertung werden der Schweregrad der Bedrohung und die eigene mögliche Betroffenheit (Vulnerabilität) eingeschätzt. Einen Ein-fluss auf beide Aspekte haben Werte: Je wertbesetzter und damit wertvoller der bedrohte Gegenstand ist, desto stärker wird die Bedrohung bewertet. Dies hat auch Auswirkung auf das Ausmaß des Erlebens von Furcht. Eine hohe subjekti-ve Wahrnehmung von Schweregrad und Vulnerabilität löst auf direktem Wege Furchtgefühle aus, die eine kognitive Gesamtbewertung der Bedrohung verstär-ken. Ebenso kann erst durch das Resultat einer kognitiven Gesamtbewertung Furcht entstehen. In diesem Modellausschnitt wird das Zusammenspiel von Kog-nitionen und Emotionen deutlich: Emotionen können als Verstärker für kognitive Bewertungen wirken bzw. kognitive Bewertungen können Auslöser für bestimmte Emotionen sein (vgl. Debatte um prä- oder postkognitive Entstehung von Emoti-onen bei ZAJONC, LAZARUS, EPSTEIN (1984) etc.).

 Bewältigungs-Einschätzungs-Prozess

Im zweiten Bewertungsprozess wird die Bewältigungsmöglichkeit der Bedrohung eingeschätzt. In die Bewertung fließen die Erwartungen über Handlungs-ergebnisse und die eigene Handlungskompetenz ein (vgl. Soziale Lerntheorie von BANDURA, 1979) sowie die Wahrnehmung von Kosten und Barrieren.

Vom Ergebnis beider Prozesse hängt die Auswahl der Bewältigungsstrategie ab, die beabsichtigt wird auszuführen. Ob es zu der intendierten Handlung kommt, hängt dann von vorliegenden tatsächlichen Barrieren ab (nach MARTENS, 1999).

Werte

Handlungs- ergebnis-erwartung

Kompetenz-erwartung

Wahr-genommene

Kosten und Barrieren

Einschätzung der Bedrohung

(primäre Bewertung)

Einschätzung der

Bewältigungs-möglichkeit (sekundäre Bewertung)

Wahr-genommener Schweregrad

Wahr-genommene Vulnerabilität

Furcht

Schutz-motivation

Abb. 2.20 Schutzmotivationstheorie – Ausschnitt (nach RIPPETOE, ROGERS, 1987) 2.7.6.4 Sozial-kognitives Prozessmodell gesundheitlichen Handelns

(SCHWARZER, 1992)

Das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns ist stark angelehnt an die Schutzmotivationstheorie, betrachtet aber den Weg nach der Bildung einer Handlungsabsicht (Intention) genauer (vgl. Abb. 2.21). In die Intentionsbildung flie-ßen – wie bei der Schutzmotivationstheorie – eine Einschätzung der Bedrohung so-wie die Erwartung über Ergebnisse und Eigenkompetenz mit ein. Schwarzer greift das Rubikon-Modell der vier Handlungsphasen auf (vgl. HECKHAUSEN, 1989) und schiebt zwischen der Intention und dem Handeln die Phase der Volition ein. Ausge-hend davon, dass immer mehrere konkurrierende Handlungsabsichten gebildet wer-den und vorliegen, entscheidet sich in dieser Phase, welche Intention tatsächlich in einer Situation realisiert und als Handlung gezeigt wird. Entscheidend für eine Reali-sierung ist beispielsweise die Stärke der Intention, die Dringlichkeit oder die Günstig-keit der Gelegenheit (HECKHAUSEN, 1989, S. 214). Determinanten der Volition bei SCHWARZER (1992) sind die Handlungsplanung (wie weit sind die einzelnen Hand-lungsschritte für die Person vorstellbar und planbar und damit realisierungsnäher) und die Handlungskontrolle (z. B. inwieweit kann das Individuum die Handlung bis zur passenden Gelegenheit aufschieben). Beeinflusst wird die Volitionsphase durch die Kompetenzerwartung sowie empfundene Barrieren und Ressourcen.

Wahr-genommene

Bedrohung

Handlungs- ergebnis-erwartung

Kompetenz-erwartung

Intention Handlung

Volition

Handlungs-planung

Handlungs-kontrolle

Barrieren und Ressourcen

Abb. 2.21 Sozial-kognitives Prozessmodell (nach SCHWARZER, 1992)

Im sozial-kognitiven Prozessmodell wird deutlich, dass nicht jede Intention auch zur Handlung führt, sondern weitere Prozesse dazwischen stattfinden.

2.7.6.5 Lernprozess Sicherheit (KLIEMT, DIEKERSHOFF, 1978)

KLIEMT und DIEKERSHOFF definieren das Sicherheitsbewusstsein als „Motivation und Fähigkeit, sich selbst und ggf. andere nachhaltig vor Unfällen zu schützen“

(1978, S. 53). Sie betrachten es als multifaktorielle Variable mit folgenden Kompo-nenten:

 Verfügen über einen funktionalen Unfallbegriff

Funktional ist der Unfallbegriff, wenn er nicht von den Unfallfolgen, sondern vom Unfallereignis bestimmt ist und als Gemeinsamkeit aller Unfallereignisse das un-kontrollierte, ungesicherte Freiwerden tatsächlich oder potenziell verletzungs- bzw. schadensbewirkender Energie erkannt wird.

 Fehlen magischer, fatalistischer, mystischer Vorstellungen

Unfallursachen müssen als erforschbar zu verstehen sein und nicht als uner-gründbare Gegebenheiten, die durch Zufall, Pech oder Schicksalsschläge zu-stande kommen.

 Verfügen über einen funktionalen Unfallursachenbegriff

Das Erkennen von Gefahren unterschiedlicher Art als Ursachen von Unfällen kennzeichnet einen funktionalen Unfallursachenbegriff. Ebenso muss verstanden sein, dass eine Kombination mehrerer Ursachen zu einem Unfall führt und menschliches Verhalten oft das vervollständigende Moment darstellt.

 Kenntnis über die Prognostizierbarkeit von Unfällen

Unfälle sind potenziell vorhersehbar und damit vermeidbar.

 Verfügen über funktionale Strategien zur Verhinderung von Unfällen

Es gibt verschiedene Strategien, Unfälle zu vermeiden, z. B. korrektiv, präventiv, durch Beseitigung der Gefahr oder technisch-organisatorische Lösungen.

 Verfügen über normative Einstellungen

Die Sicherheit vor Unfällen ist als eine wesentliche Bedingung menschlicher Existenzsicherung zu betrachten und besitzt einen hohen Stellenwert (Relevanz).

Das Zulassen einer Gefährdung gilt als Normverstoß.

 Transfer

Einstellungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen auf verschiedene Situatio-nen übertragen bzw. unter konkreten Bedingungen angewendet werden könSituatio-nen.

Im empirischen Befund stellen die Autoren vor allem die Bedeutung der normativen Einstellungen heraus: Die Einstellung zur Relevanz der Sicherheitsthematik übt ei-nen starken Einfluss auf die weiteren Dimensioei-nen des Sicherheitsbewusstseins aus.

Ist die Einstellung zur Relevanz der Sicherheitsthematik stark ausgeprägt, sind die Neigung zu riskantem Verhalten sowie die Tendenz zur Mystifikation von Unfällen

eringer. Die Gefahren(er)kenntnis ist dagegen stark ausgeprägt.

g

2.7.6.6 Prozessmodell der Handlungsbereitschaft für sicheres und gesundheits-gerechtes Handeln (WITTMANN, 2005)

Das Prozessmodell der Handlungsbereitschaft für sicheres und gesundheitsgerech-tes Handeln stellt dar, welche Komponenten notwendig sind, damit in einer Situation die Bereitschaft, die vorliegende Kompetenz zu nutzen, handlungswirksam

ausge-rägt ist.

p

Aus Abb. 2.22 sind zum einen die Komponenten erkennbar, die in Form einer Pro-zesskette auf die Handlungsbereitschaft wirken: Werte, normative Einstellung, Akti-vierung von Normen, Verantwortungsübernahme. Zum anderen flankieren Kompo-nenten den Prozess und üben somit stärker einen indirekten Einfluss aus: Soziales Umfeld, Emotionen, Kontrollüberzeugung und das Bewusstsein für Sicherheit und Gesundheit, wobei die beiden letzteren Komponenten – Kontrollüberzeugung und Bewusstsein für Sicherheit und Gesundheit – auch einen gewissen direkten Anteil besitzen (angelehnt an die empirischen Ergebnisse über Einflussstärken der Kompo-nenten im Modell der ökologischen Verantwortung von KALS (1996)).

Soziales Umfeld

Emotionen

Kontroll-überzeugung Werte

Normative Einstellung

Aktivierung von Normen

Verant- wortungs-übernahme

Handlungs-bereitschaft Bewusstsein

für Sicherheit und Gesundheit

Abb. 2.22 Prozessmodell der Handlungsbereitschaft

Das Bewusstsein für Sicherheit und Gesundheit verweist auf die kognitiv geprägte, wissensbasierte Facette, die für die Bereitschaft notwendig ist. Die Kontrollüberzeu-gung dagegen enthält vor allem ein erfahrungsbasiertes Merkmal: Das Individuum muss davon überzeugt sein, dass es gemäß den gewünschten Intentionen fähig ist, zu handeln, und dass das ausgeführte Handeln die gewünschten Effekte erzielt. Die-se Überzeugung entwickelt sich über einen längeren Zeitraum hinweg durch wieder-holte Erfahrungen mit bestimmten Handlungen und den daraus resultierenden Kon-sequenzen.

Beide Komponenten haben neben dem geringeren, direkten Einfluss auf die Hand-lungsbereitschaft ein stärkeres, direktes Gewicht bezüglich der Facette der Verant-wortungsübernahme. Diese wiederum hat entscheidende direkte Wirkung auf die Handlungsbereitschaft: Wird für einen Sachverhalt Verantwortung übernommen, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass eine Person sich aktiv und aus eigenem Antrieb dafür handelnd einsetzt.

Verantwortungsgefühle sind Ausdruck moralbezogener Persönlichkeitskomponenten.

Die Entstehung von Verantwortungsübernahme setzt demnach eine vorangegange-ne Herausbildung moralbezogevorangegange-ner Variablen voraus. Erst eivorangegange-ne Aktivierung von Nor-men durch einen spezifischen Anlass (z. B. Wahrnehmung einer bestimmten Situa-tion) setzt die Übernahme von Verantwortung in Gang. Um Normen aktivieren zu können, muss bereits eine normative Einstellung bezüglich des Sachverhaltes vorlie-gen, die wiederum von übergreifenden abstrakten Werten gesteuert wird.

Der ganze Prozess,

 die Entwicklung von Werten und ihre Konkretisierung in bestimmten normativen Einstellungen,

 die Aktivierung von Normen in verschiedenen Anlässen sowie

 die Übernahme von Verantwortung, welche die Bereitschaft zu handeln entschei-dend beeinflusst,

vollzieht sich nicht isoliert im individualpsychologischen Raum. Vielmehr besteht ein dauernd prägender, flankierender und wechselseitiger Austausch mit dem sozialen Umfeld. So orientiert sich beispielsweise das Individuum an den vorliegenden Wer-temustern des für sie wichtigen Umfeldes, was sich im Verlauf des Lebens ändern

ann (z. B. Ablösen von Familienwerten durch Werte des Freundeskreises).

k

Als Indikator für die bestehende Ausprägung von Werten, die normative Einstellung und die Verantwortungsübernahme gelten bestimmte Emotionen (vgl. MONTADA, 1989; MONTADA, 1995; MONTADA, 2001). Es gibt Überlegungen, dass Emotionen ebenso eine wichtige Rolle beim Aufbau von Moral spielen: Eine positive emotionale Verbundenheit mit einem Sachverhalt lässt diesen zu einem wertvollen und schüt-zenswerten Gut werden (vgl. KALS, BECKER, RIEDER, 1999). Diese Aussage ist wichtig für die Konzeption von Programmen, welche die Entwicklung von

Kompeten-en verfolgKompeten-en.

z