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D) Professionelle Kompetenz

3 Informelles Lernen

3.1 Entwicklung des informellen Lernens

Beginn des 20. Jahrhunderts

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird in den USA das informelle Lernen als wichtige Lernform angesehen. Der Begriff des informellen Lernens geht vermutlich auf den amerikanischen Pädagogen John Dewey zurück: Die Relevanz der Erfah-rung für Bildungsprozesse prägten wesentlich seine Arbeiten. Dewey zählt zu den Vertretern des Pragmatismus und seine Ansichten über die rein formale Bildung werden in folgendem Zitat gut zum Ausdruck gebracht:

„Erziehung, die nicht in den Formen des Lebens erfolgt, nicht um ihrer selbst willen wertvoll ist, ist immer nur ein kümmerlicher Ersatz für die Wirklichkeit und birgt die Gefahr, zu verkrampfen und zu ertöten.“7

Er betont die Zunahme von Komplexität in Bildung und Erziehung. „Informal educati-on“ betrachtet Dewey als die Grundlage für formale Bildung (OVERWIEN, 2005, S. 3).

1950 bis 1970

In der US-amerikanischen Erwachsenenbildung wird teils von „informal learning“, teils von „informal education“ gesprochen. Später bilden sich formale (schulische) und non-formale (Kurse der Erwachsenenbildung) Bildungsangebote heraus (z. B.

KNOWLES, 1951). Anfang der 1970er Jahre gelangt durch die UNESCO der Begriff des informellen Lernens in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit und wird Teil von bildungspolitischen Organisationen. FAURE (1972), der Vorsitzende der Faure-Kommission, weist darauf hin, dass 70 % aller menschlichen Lernprozesse in-formell ablaufen. Er forderte eine Veränderung der Arbeitswelt, in der Wege

7 Vgl. www.parle.de/dewey.html (Stand: 24.02.2010).

den werden, das informelle Lernen an diese anzuschließen, und es sollten Bedin-gungen geschaffen werden, diese Lernform zu ermöglichen. Auch COOMBS und ACHMED (1974) trieben die Forderung nach einer sinnvollen Verschränkung des in-formellen und formalen Lernens voran. Sie unterstützten z. B. Formen des offenen Unterrichts an Schulen (OVERWIEN, 2005, S. 4f).

1980er bis zur Jahrtausendwende

Einige Autoren grenzen die Terminologie des informellen Lernens über die institutio-nelle Umgebung ab (z. B. die Europäische Kommission). MOCKER und SPEAR (1982) legten ihren Fokus eher auf den Grad der Kontrolle. Organisationsformen von informellem Lernen sehen demnach so aus: Lerner kontrollieren die Mittel, aber nicht die Ziele. Die meisten Definitionen setzen bei der Organisationsform an. Diese ist aus Sicht von WATKINS und MARSICK (1990) eine Sammelkategorie mit nur be-grenzter Definitionstiefe. Informell ist danach jenes Lernen, das seinen Platz außer-halb formaler Institutionen oder non-formal organisierter Prozesse hat und auch nicht von dieser Seite finanziert wird. Diese Definition scheint weitläufig. Verwickelte Be-ziehungen zwischen

 implizitem/beiläufigem Lernen,

 psychologischen Selbstregulationsansätzen,

 entdeckendem, selbstbestimmten, sozial eingebundenem, prozessorientiertem, aktivem und freiwilligem Lernen,

 selbstgesteuerten, intrinsisch motivierten Lernprozessen

werden dabei nicht berücksichtigt. Unklar ist auch, welche Rolle der Lernumgebung zukommt (OVERWIEN, 2005, S. 4 f). Neu ist hierbei, dass die Gestalt des informel-len Lernens nicht routinemäßig, sondern eher problemgeleitet ist. Z. B. tritt es in ungewöhnlichen Situationen oder in Konfliktsituationen auf. In dieser Zeitspanne existieren zwei Varianten, um informelles Lernen einzuordnen. Zum einen tritt es im Kontext von Problembestimmung und Erfahrungsreflexion auf, und zum anderen spielt es unter Lern- und Handlungsbedingungen eine wichtige Rolle. Das informelle Lernen ist seit 1980 zu einem eingeführten Begriff bei Bildungsexperten

internationa-r Ointernationa-rganisationen gewointernationa-rden.

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LAVE (1991) arbeitet Problemlösekompetenzen heraus und bezieht sich auf die Ge-staltung von Lernumgebungen im Kontext der Kultur. Er beschreibt das „Situated Learning“, in dem der Lerner in die „Community of practice“ eingebunden ist, und das besonders beim beruflichen Lernen in „Entwicklungsländern“ einen wichtigen Bau-stein in der Praxis darstellt (EBENDA, S. 7). Die Perspektive der Faure-Kommission der UNESCO (1996) wird im Delors-Kommissionsbericht wieder aufgenommen. Es geht darum, brachliegende Kompetenzpotenziale zu mobilisieren und eine Verbin-dung formales-informelles Lernen zu schaffen. Die Felder der Sozialpädagogik, Er-wachsenenbildung, Jugendforschung, Umweltbildung und Freizeitpädagogik werden dadurch angesprochen. Die „Wissensgesellschaft“ steht dabei im Fokus und ihre Schlüsselqualifikationen sowie -kompetenzen werden herausgearbeitet. Es muss

emnach eine Neubewertung außerschulischen Kompetenzerwerbes erfolgen.

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Die Definitionen vom informellen Lernen sind nicht einheitlich, sondern orientieren sich nach SALMI (1993) am Individuum. Diese Sicht lehnt sich an eine Definition des Begriffes aus tätigkeitspsychologischer Perspektive an. Informelles Lernen wird In-stanzen zugeordnet, deren Hauptaufgabe nicht in diesem Feld liegt, wie z. B. Zeitun-gen, Fernsehen, Bibliotheken, Jugendorganisationen, Hobbyaktivitäten. Der Begriff wird oft als Synonym für selbstgesteuertes, natürliches und implizites Lernen

ver-endet. Definitionsunterschiede resultieren daraus, dass sich Forschungsergebnisse

vgl. KÜNZEL, 005). Die „Informalisierung“ von Bildungsfragen ist grundsätzlich eng verknüpft mit

.2). Seine Definition des informellen Lernens wurde von John eweys Pragmatismus beeinflusst und stellt einen am selbstgesteuerten Lernen

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nicht ohne Weiteres vergleichen lassen (EBENDA, S. 6).

GARRICK (1998) beschäftigt sich mit informellem Lernen im Prozess der Arbeit und betont, dass menschliche Ressourcen im Produktionsprozess teuer seien und eine effektive Ausbildung im Prozess der Ausbildung ein nicht zu unterschätzender Bau-stein sei, um Produktionsfehler zu vermeiden. Er kritisiert Ungleichheit in Bezug auf mögliches Empowerment, des sich zugehörig zum Betrieb Fühlens, und der Beloh-nung, denn informelles Lernen ist nur eine Ressource, die zusätzlich zur ausgebeu-teten Arbeitskraft nützlich gemacht werden soll. Hier steht er mit seiner Skepsis für die ökonomische Nutzbarmachung der Europäischen Kommission entgegen, da die-se zwar Wirtschaftsnähe anstrebt, jedoch in ihren Schriften ausdrücklich den Netz-werkgedanken und das humanistische Anliegen des FAURE Report (1972) unter-streicht. Auch das proklamierte Leitbild der OECD (1996) spricht von einem „Lifelong Learning for All“, bei welchem das informelle Lernen eine Grundvoraussetzung dy-namischer und sozial gerechter Wissensgesellschaften darstellt (

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der beruflichen Qualifikation und den Kompetenzen eines Subjektes.

So ziehen BELLE und DALE (1999) die Definition enger und beschreiben das infor-melle Lernen als ein Lernen im Arbeitskontext, angebunden an die individuellen Lernfähigkeiten und -bedürfnisse im betrieblichen Kontext. Es ist nicht formal organi-siert, kann jedoch bei Arbeitgebern Anerkennung finden und indirekt oder direkt un-terstützt werden (OVERWIEN, 2005, S. 10). LIVINGSTONE (1999) vergleicht den in-formellen Lernprozess mit einem Eisberg.8 Die Spitze des Eisbergs stellt den forma-len Outcome dar und der Rest, der sich unter der Wasseroberfläche befindet, ist das informell gesammelte Wissensreservoir der Menschen, auf das diese zurückgreifen können. Der kanadische Forscher David Livingstone hat umfangreiche und auf-schlussreiche Studien im Bereich der Kompetenzanerkennungsverfahren durchge-führt (vgl. Kapitel 6.2.7

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entierten Zugang dar:

„(...) jede mit dem Streben nach Erkenntnissen, Wissen oder Fähigkeiten verbunde-ne Aktivitäten außerhalb der Lehrangebote von Einrichtungen, die Bildungsmaßnah-men Lehrgänge oder Workshops organisieren. (...) Die grundlegenden Merkmale des informellen Lernens (Ziele, Inhalt, Mittel und Prozesse des Wissenserwerbs, Dauer, Ergebnisbewertung, Anwendungsmöglichkeiten) werden von den Lernenden jeweils einzeln oder gruppenweise festgelegt. Informelles Lernen erfolgt selbstständig, und zwar individuell oder kollektiv, ohne dass Kriterien vorgegeben werden und aus-drücklich befugte Lehrkräfte dabei mitwirken. Informelles Lernen unterscheidet sich von Alltagswahrnehmungen und allgemeiner Sozialisierung insofern, dass die

Ler-8 Vgl. www.wallnetwork.ca/resources/DorayLivingstone2008.pdf. 24.02.2010.

nenden selbst ihre Aktivitäten als bewusst signifikanten Wissenserwerb einstufen.

Wesensmerkmal des informellen Lernen ist die selbstständige Aneignung neuer sig-ifikanter Erkenntnisse oder Fähigkeiten, die lange genug Bestand haben, um im

alen Lernen be-chreibt (OVERWIEN, 2005, S. 15). Das obere Ende stellt das „reine“ informelle Ler-n

n

Nachhinein noch als solche erkannt zu werden (1999). (LIVINGSTONE, 1999) SOMMERLAD und STERN (1999) stecken eine Art Skala ab, die einen Abstufungs-prozess vom informellen, über das non-formale bis hin zum form

s

en dar und der Schluss läuft auf die formale Qualifikation hinaus:

Nicht vorhergesehene Herausforderungen bedeuten Lernen als Informell

(unbewusstes/bewusstes) inzidentelles Nebenprodukt

itsaufgaben, die zur eigenen Entwicklung genutzt werden

hing und

slernen und strukturierte Lernangelegenheiten

ss eingepflegt werden („just-in-time”) und tradi-rntechnologie

Neue Arbe

Selbst initiierte, geplante Erfahrungen durch Medien, Mentor, Reisen, Coac Beratung

Total-Quality-Maßnahmen, Aktionslernen, qualitätsbezogene Maßnahmen

Rahmen für das Lernen setzen, z. B. Laufbahnplanung, Zielvereinbarung, Evaluation

Kombination: organisiertes Erfahrung (Überprüfung möglich)

Mentoring, Ausbildung „on-the-job”

Kurse, die direkt in den Arbeitsproze

tionelle Kurse/Selbstlernprogramme mit und ohne Le

Formale Ausbildungsprogramme

Formal Formale Programme, die zur Qualifikation führen

Skala des Lernens (nach

Abb. 3.1 SOMMERLAD und STERN (1999, zitiert nach

WIEN, 2005, S. 15)

der außerschulischen Um-OVER

2000 bis heute

WATKINS und MARSICK (BMBF 2001, S. 19) schließen sich mit der Auffassung an, dass informelles Lernen in Nicht-Lern-Organisationen stattfindet und auf der eigenen Erfahrungsverarbeitung beruht. Auch hier spielt das beiläufige Lernen (inzidentelle Lernen) als Bestandteil des informellen Lernens eine wichtige Rolle. Informelles Ler-nen ist hier „der Oberbegriff, der sowohl dieses unbeabsichtigte und unbewusste

bei-ufige Lernen wie ein bewusstes absichtliches Lernen in

welt umfasst, - wobei die Übergänge (...) fließend sind.“

DEHNBOSTEL (2003) betrachtet das informelle Lernen prozesshaft im Kontext des betrieblichen Erfahrungslernens, das eingebettet in betrieblichen Lern- und Wissens-arten stattfindet (DEHNBOSTEL, 2003, S. 2ff.) (vgl. Kapitel 5.2.1). Informell Gelern-tes sieht er als Voraussetzung für Erfahrungslernen. Handlungen erfolgen nicht repe-titiv, sondern sind in Probleme, Herausforderungen und Ungewissheiten eingebun-den. Und genau das ist in dynamischen Arbeitsprozessen und Umwelten gegeben.

Seine Studie in Klein- und Mittelbetrieben der Informationstechnologiebranche kenn-zeichnet eine dichte Beschreibung des Phänomens betrieblichen informellen Lernens (EBENDA, S. 2ff.). Das Ergebnis zeigt ein überwiegend positives Verhältnis zu for-malisierter Weiterbildung, die jedoch nicht für hinreichend gehalten wird. Im Mittel-punkt des informellen Lernens stehen kommunikative Prozesse wie z. B. kontinuierli-cher Austausch über akute Arbeitsaufgaben und Arbeitsprobleme mit Kollegen.

Lernweisen entwickeln sich über strukturiertes Problemlösen, systematisches Probie-ren vor dem Hintergrund bereits gemachter Erfahrungen, aber die Reflexion im

Aus-usch mit Kollegen steht im Zentrum aller Lernstrategien.

unkt steht der Kompetenztransfer us dem sozialen Umfeld in die berufliche Sphäre.

Intentionalität aus der erspektive der Lernenden ergänzt (DOHMEN (BMBF 2001)).

ab, r in Zukunft vorherrschend und gängig benutzt werden:

ernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und s der Sicht des Lernenden zielgerichtet.

fsbildungseinrichtung stattfindet und übli-ziele, Lerndauer oder Lernmit-enden ist es zielgerichtet.

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KIRCHHÖFER (2004) definiert einerseits das informelle Lernen über den Indikator

„Institution“ als „Lernprozesse, die durch das Subjekt als Lernen antizipiert, selbst or-ganisiert und reflektiert werden, eine Eigenzeit und gerichtete Aufmerksamkeit erfor-dert, an Problemsituationen gebunden, aber nicht in eine Institution eingebunden ist“.

Er führt außerdem aus, dass informelles Lernen gemeinsam mit einer vierten Katego-rie des „beiläufigen Lernens“ die Ausformungen des non-formalen Lernens sind (KIRCHHÖFER, 2004). Er thematisiert informelles Lernen in alltäglichen Lebensfüh-rungen mit direktem Bezug zur beruflichen Kompetenzentwicklung. Über protokollier-te Tagesabläufe werden Prozesse des informellen Lernens im Alltag identifiziert.

Daraus können Lerntypisierungen abgeleitet werden und Erkenntnisse über Lernsi-tuationen und Lernstrategien. Diese Erkenntnisse sind besonders wichtig im Hinblick auf das Ziel, lernförderliche Bedingungen für das informelle Lernen am Arbeitsplatz schaffen zu wollen und den Betrieb als einen Lernkontext anzuerkennen und ihn – im Interesse des Unternehmens und der Arbeitnehmer – zu fördern. Die lernende Orga-nisation der Zukunft, die Gesundheitskompetenzen fördern soll, kann von KIRCH-HÖFERS Analysen profitieren. KIRCHHÖFER geht dabei von einer zunehmenden Entgrenzung der Lebens- und Arbeitssituationen vieler Menschen aus. Immer wieder entstehen Lernsituationen im sozialen Umfeld, deren Ertrag den Prozess der berufli-chen Kompetenzentwicklung beeinflusst. Im Mittelp

a

DOHMEN (BMBF 2001) leistete einen strukturierten und ausdifferenzierten Beitrag zum Forschungsstand des informellen Lernens, der eine große Übersicht zu den verschiedenen diskursiven Blickwinkeln (vgl. Kapitel 3.2) und Kompetenzanerken-nungsverfahren bietet. Er definiert das informelle Lernen nach der dreiteiligen Begriff-lichkeit der EU formal, non-formal und informell, die sich nun offenbar durchzusetzen scheint. Organisationsformen werden hier durch den Grad an

P

Die folgenden Definitionen beziehen sich auf die Begriffe, die im Rahmen der EU-Diskussionen um das lebenslange Lernen entstandenen sind. Es zeichnet sich dass diese in der Literatu

Formales Lernen

Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung statt-findet, (in Bezug auf L

zur Zertifizierung führt Formales Lernen ist au Nicht formales Lernen

Lernen, das nicht in Bildungs- und Beru cherweise nicht zur Zertifizierung führt

Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lern tel). Aus Sicht der Lern

 Informelles Lernen

zwischen selbstgesteuertem und außeninduziertem Lernen zu be-achten sein. Lernorganisatorische und prozesshafte Definitionen ergänzen sich ins-RWIEN,

ische Entwicklung den Begriff des informellen

Gesichts-tur- und bildungspolitischen Diskurs. In diesem Kontext hat die EU die

er bildungsökonomische Ansatz gewinnt vor dem Hintergrund

en (dazu mehr in Kapitel 6). Das in-rmelle Lernen muss in Zukunft mit dem formalen (Weiterbildungs-, Ausbildungs-)

Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit statt-findet

Zum Teil wird das informelle Lernen in einer zunächst allgemeineren Sichtweise als in Kontinuum