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2 Literaturübersicht

2.2 Pathologie des Harntraktes

Die pathologischen Veränderungen des Urogenitaltraktes sind vielfältig und von zent-raler Relevanz für den Kliniker. Bei in Gefangenschaft gehaltenen Reptilien stellen eine adäquate Fütterung und ein den Bedürfnissen der einzelnen Tierarten entspre-chendes Wassermanagement eine spezielle Herausforderung an den Halter dar. Auf Grundlage dieser Problematik bilden haltungsbedingte Erkrankungen, insbesondere der Nieren, einen häufigen Vorstellungsgrund in der kurativen Exotenpraxis. Aber auch infektiöse Ursachen, Neoplasien und chronische Nephropathien ungeklärter Genese sind keine Seltenheit. Die Nieren sind als wesentliches Exkretionsorgan und Leitzentrale der Osmoregulation von substanzieller Bedeutung für das Tier. Insofern sind pathologische Veränderungen, welche mit einem Funktionsverlust des Organes einhergehen meist mit schwerwiegenden Folgen für den Patienten verbunden.

An dieser Stelle soll angesichts des großen Umfanges dieser Thematik lediglich ein kurzer Überblick über die wesentlichen pathologischen Veränderungen des Harntrak-tes wiedergegeben werden. Die Gliederung erfolgt anhand der Ätiologie.

2.2.1 Generelle Symptome und prädisponierende Faktoren

Die Symptome bei Nephropathien sind im Allgemeinen unspezifisch und die Ursa-chen multifaktoriell (u.a. STAHL 2003; SELLERI u. HERNANDEZ-DIVERS 2006;

NEVAREZ 2009). Nierenerkrankungen zählen jedoch zu den häufigsten Problemen in der Reptilienmedizin (SELLERI u. HERNANDEZ-DIVERS 2006). Hierbei scheinen Herbivore häufiger betroffen zu sein als Carnivore (SELLERI u. HERNANDEZ-DIVERS 2006).

Als häufige klinische Symptome werden Anorexie, Lethargie, Apathie und Schwäche genannt (MILLER 1998; HEARD et al. 2002; STAHL 2003). Des Weiteren fallen ge-neralisierte und speziell im Kehlgangs- bzw. Pharyngealbereich lokalisierte Ödeme auf (DIVERS 1999; STAHL 2003). Auch Exophthalmus (STAHL 2003) oder Aszites (HEARD et al. 2002) sind in Zusammenhang mit Nephropathien beschrieben. Häufig wird ein Gewichtsverlust bzw. Kachexie in Zusammenhang mit Nephropathien gese-hen (u.a. DIVERS 1999; HEARD et al. 2002; STAHL 2003). DIVERS (1997) und HERNANDEZ-DIVERS (2003) differenzieren hierbei zwischen einem mit Gewichts-verlust einhergehenden chronischen Verlauf und akuten Krankheitsfällen bei denen im Regelfall normal bis übergewichtige Tiere betroffen sind. Die akuten Fälle zeich-nen sich oft durch Dehydratation / Exsikkose aus (u.a. KEUNECKE 1999; HEARD et al. 2002; HERNANDEZ-DIVERS 2003), während bei chronischen Fällen Polydipsie und Polyurie auftreten kann (DIVERS 1997; HERNANDEZ-DIVERS 2003). Bei län-ger bestehender Krankheit lassen sich die oftmals vergrößerten Nieren kranial des Beckens palpieren (DIVERS 1997; DIVERS 1999; HEARD et al. 2002) sowie röntge-nologisch und sonographisch darstellen (KEUNECKE 1999; HEARD et al. 2002).

Renomegalien können, insbesondere bei Leguanartigen (ACHILLES u. SALOMON 2008), zu Kolonobstruktionen und damit zu einem weiteren typischen Symptom bei Nephropathien führen (HEARD et al. 2002). Eine gelegentlich bei Nierenpatienten anzutreffende Hinterhandparese wird von HEARD et al. (2002) beschrieben. Ein

wei-teres klinisches Symptom ergibt sich aus der gestörten Phosphatausscheidung ge-schädigter Nieren (MILLER 1998). Die erhöhte Phosphatämie bedingt einen sekun-dären Hyperparathyreoidismus wodurch es zur Demineralisierung von Skelett und Panzer und zum klinischen Bild der Metabolic Bone Disease bzw. einer Osteodystro-phia fibrosa kommt (GUMPENBERGER 1996; MILLER 1998; KEUNECKE 1999).

Durch die nahezu komplett sistierende Harnsäureexkretion geschädigter Nieren (DI-VERS 1999) liegt regelmäßig eine Urikämie vor (KEUNECKE 1999) was nicht selten zur Gicht führt (MILLER 1998).

Prädisponierende Faktoren und mögliche Ursachen für Nephropathien sind in erster Linie Haltungs- und Fütterungsfehler (DIVERS 1997; MILLER 1998; HERNANDEZ-DIVERS 2003). Dabei spielen insbesondere bei chronischem Verlauf (HERNANDEZ-DIVERS 1997) eine proteinreiche Ernährung (u.a. MILLER 1998; HERNANDEZ-DIVERS 2003;

BARTEN 2006), zu geringe Luftfeuchte und mangelnde Wasseraufnahme zusam-men (DIVERS 1997; HERNANDEZ-DIVERS 2003; STAHL 2003). Akutes Nierenver-sagen ist hingegen eher durch Toxine bzw. Medikamente (u.a. HERNANDEZ-DIVERS 2003; STAHL 2003; BARTEN 2006) sowie durch Infektionen bedingt (DI-VERS 1997; MILLER 1998; STAHL 2003).

2.2.2 Entwicklungsanomalien

Die einzigen bislang in der Literatur erwähnten kongenitalen Entwicklungsanomalien des Urogenitaltraktes wurden von ZWART (2006) beschrieben. Dazu zählen das vollständige Fehlen einer Niere, das Fehlen bestimmter Organstrukturen sowie Ab-weichungen in Größe und Form. Bei einer Anakonda (Eunectus murinus) konnte fer-ner eine zusätzliche Niere aufgefunden werden.

MILLER (1998) zählt Nierenzysten zu den Entwicklungsanomalien und gibt überdies an, dass zystische Veränderungen sehr selten sind und meist nur durch Zufall bei Sektionen gesichtet werden. Auch FRYE (1991) diskutiert die Zugehörigkeit von Zys-ten zu den Entwicklungsanomalien oder aber genetischen DefekZys-ten. NierenzysZys-ten werden nach ZWART (2006) gelegentlich bei verschiedenen Reptilien gefunden, wo-bei die Zysten hierwo-bei einzeln, in Gruppen oder über das ganze Organ verteilt vorla-gen.

2.2.3 Stoffwechselstörungen und Ablagerungskrankheiten

Die ätiologische Gruppe der Stoffwechselstörungen und Ablagerunskrankheiten be-inhaltet als wichtige Vertreter die Nephrokalzinose, eine Störung des Kalziumstoff-wechsels, und die renale Gicht, eine Störung des Harnsäurestoffwechsels. Ferner kommen Ablagerungen von Pigmenten, Amyloid und Cholesterol sowie ernährungs-bedingter Vitamin-A-Mangel oder primär durch Arzneimittel und Schwermetalle her-vorgerufene Erkrankungen vor.

Nephrokalzinose

Die Nephrokalzinose kann als typische Stoffwechselstörung bei Reptilien angesehen werden (u.a. JOHNSON 2004; HERNANDEZ-DIVERS 2004; ZWART 2006) und stellt laut SEYBOLD (1993) eine häufige Todesursache dar. Wie viele Nephropathien ist auch die Nephrokalzinose multifaktoriell bedingt (ZWART 2006). Grundsätzlich ist zwischen zwei Formen der Gewebsverkalkung zu unterscheiden - der metastati-schen und der dystrophimetastati-schen Verkalkung.

Die metastatische Verkalkung betrifft ausschließlich vitales Gewebe (SHIVELY u.

EDWARDS 1985; RICHMAN et al. 1995) und wurde bislang nach MILLER (1998) bei Reptilien nur selten beschrieben. SEYBOLD (1993) und GÜNTHER et al. (2013) hin-gegen sehen die Mehrheit der Verkalkungen als metastatisch an und beschreiben wiederum die dystrophische Verkalkungen als Seltenheit. Die häufig haltungsbeding-te (GÜNTHER et al. 2013) metastatische Verkalkung geht meist mit einem erhöhhaltungsbeding-ten Kalziumserumspiegel einher und ist auf einen gestörten Kalziummetabolismus zu-rückzuführen (SHIVELY u. EDWARDS 1985; RICHMAN et al. 1995; ZWART 2006).

Vermutlich steht sie in Zusammenhang mit einer Vitamin-D3-Inbalance (BARTEN 2006; NEVAREZ 2009). Erhöhte Kalzium und Phosphat Blutspiegel führen bei Über-schreitung des Kalzium-Phosphat-Löslichkeitsindex zu Nierenverkalkungen (SELLE-RI u. HERNANDEZ-DIVERS 2006) und dadurch letztlich zu Nephrosen (MILLER 1998).

Die dystrophische Verkalkung zählt zu den degenerativen Nierenerkrankungen bei Reptilien und kann in Folge einer Urämie auftreten (SHIVELY u. EDWARDS 1985;

FRYE 1991; RICHMAN et al. 1995). Hierbei werden nur abgestorbene und verletzte

Zellen mineralisiert (SHIVELY u. EDWARDS 1985; RICHMAN et al. 1995; GÜN-THER et al. 2013). Die dystrophische Verkalkung erfolgt im Gegensatz zur metasta-tischen Verkalkung bei normalen Kalziumspiegeln im Blut (SHIVELY u. EDWARDS 1985; RICHMAN et al. 1995; ZWART 2006). MADER (2013) beschreibt die dystro-phische Verkalkung und andere kristalline Formationen als sekundäre Folgen einer primären Nierenerkrankung.

Renale Gicht

Gicht ist eine Harnsäurestoffwechselstörung und gilt als häufiger pathologischer Nie-renbefund und Todesursache bei Reptilien (u.a. CASIMIRE-ETZIONI et al. 2004;

HERNANDEZ-DIVERS 2004; MADER 2007). Im Gegensatz zum Säuger ist die Gicht der Reptilien unabhängig vom Purin-Stoffwechsel (FRYE 1991; SEYBOLD 1993).

Gicht lässt sich als Ablagerung von Harnsäurekristallen in Weichteilgeweben definie-ren (u.a. ARIEL et al. 1997; CASIMIRE-ETZIONI et al. 2004; HERNANDEZ-DIVERS 2004). Die Entstehung einer Gicht ist multifaktoriell bedingt (SEYBOLD 1993; ABELE 1999) geht aber in der Regel mit einem erhöhten Harnsäureplasmaspiegel (Hyperur-ikämie) einher (u.a. ZWART u. SASSENBURG 2007a; ACHILLES u. SALOMON 2008; NEVAREZ 2009). MADER (2007) unterscheidet anhand der Entstehungsform der Hyperurikämie zwei Arten von Gicht: die primäre Gicht, bei der die Hyperurikämie durch eine Überproduktion von Harnsäure entsteht; und die sekundäre Gicht, bei der die Hyperurikämie durch eine von Toxinen oder Krankheiten verursachte Störung des Gleichgewichtes zwischen Harnsäureproduktion und –exkretion bedingt ist.

Nach Meinung vieler Autoren liegt der Hyperurikämie meist eine Nephropathie unter-schiedlichster Genese zugrunde (u.a. ZWART 2006; ACHILLES u. SALOMON 2008;

NEVAREZ 2009), was nach Definition von MADER (2007) einer sekundären Gicht entspricht. Durch die unzureichende Harnsäureausscheidung bei renaler Dysfunktion reichern sich die Urate zunehmend im Blutkreislauf an bis sie ihr Löslichkeitsprodukt überschreiten und als unlösliche Harnsäurepräzipitate ausfallen (u.a. ACHILLES u.

SALOMON 2008; NEVAREZ 2009; REAVILL u. SCHMIDT 2010). Als wichtige prä-disponierende Faktoren werden länger anhaltende Dehydratation (u.a. ACHILLES u.

SALOMON 2008; NEVAREZ 2009; MADER 2013) und unphysiologisch proteinreiche

Ernährung genannt (u.a. ZWART u. SASSENBURG 2007a; REAVILL u. SCHMIDT 2010; MADER 2013). Überdies spielen neben Toxinen (MONTALI et al. 1979) be-stimmte Arzneimittel wie z.B. Aminoglykoside, Sulfonamide (MONTALI et al. 1979;

FRYE 1991; MADER 2007) und das Schleifendiuretikum Furosemid (MADER 2007;

ACHILLES u. SALOMON 2008) sowie chronische Erkrankungen (NEVAREZ 2009) und zu niedrige Haltungstemperaturen (ZWART u. SASSENBURG 2007a; ACHIL-LES u. SALOMON 2008) eine Rolle.

Gicht lässt sich anhand des makroskopischen Erscheinungsbildes in zwei Formen einteilen – die viszerale und die artikuläre bzw. periartikuläre Gicht (u.a. ABELE 1999; MADER 2007; NEVAREZ 2009). Bei der viszeralen Gicht finden sich die Harn-säureablagerungen in Organen, u.a. Niere, und in serösen Häuten (SEYBOLD 1993;

MILLER 1998). Bei der gelenkassoziierten Gicht sind vor allem Gelenke, angrenzen-de Sehnenscheiangrenzen-den, Bänangrenzen-der und das Periost betroffen (FRYE 1991; SEYBOLD 1993; MILLER 1998).

Durch die im Allgemeinen unspezifischen Symptome gestaltet sich eine Diagnose ausschließlich anhand der klinischen Allgemeinuntersuchung schwierig, so dass eine definitive Diagnose oftmals erst anhand der Sektion gestellt werden kann (GUM-PENBERGER 1996; ABELE 1999). Einen wesentlichen Vorteil bei der Früherken-nung bildet die darstellende Diagnostik. Gichtablagerungen können oftmals sonogra-phisch und röntgenologisch in verschiedenen Geweben nachgewiesen werden (GUMPENBERGER 1996; NEVAREZ 2009). So sind beispielsweise das so genann-te Panzerherz, ausgelöst durch Urat- oder Kalziumablagerungen im Perikard, sowie gelenksassoziierte Uratdepositionen und gichtbedingte Knochenlysen vielfach rönt-genologisch darstellbar (GUMPENBERGER 1996; ABELE 1999; NEVAREZ 2009).

2.2.4 Infektiöse Ursachen

Infektiöse Nephropathien können parasitär, bakteriell, viral oder mykotisch bedingt sein. Ein Überblick über einige in der Literatur erwähnte Auslöser wird im Folgenden gegeben.

Parasiten

Bei Reptilien konnten verschiedene Parasiten in den Nieren nachgewiesen werden (SEYBOLD 1993; MADER 2013). Die relevanten Erreger lassen sich grob in Einzel-ler (Protozoen) und MehrzelEinzel-ler (Metazoen) untergliedern.

Tabelle 2.1 Tabellarische Übersicht über in der Literatur erwähnte Parasiten der Nieren

Erreger Symptome/Befunde Literatur

Kryptosporidien Nephritiden MILLER 1998

Amöben (Entamoeba

FRYE (1991) und MADER (2013) sehen Bakterien als wichtige Krankheitserreger der Nieren. Als potenziell nephropathogene Bakterienstämme werden in der Literatur vorrangig die gramnegativen Erreger genannt.

Tabelle 2.2 Tabellarische Übersicht über in der Literatur erwähnte nephropathogene Bakterien

Erreger Symptome /Befunde Literatur

gramnegative Erreger

Bei Reptilien können Infektionen der Nieren durch verschiedene Viren ausgelöst werden (ZWART 2006). Relevant ist unter anderem die durch Arenaviren verursach-te IBD (Inclusion Body Disease) (MARSCHANG et al. 2014).

Tabelle 2.3 Tabellarische Übersicht über die in der Literatur erwähnte IBD (Inclusion Body Disease)

Erreger Symptome /Befunde Literatur

IBD (Inclusion Body Disease)

Neoplasien müssen nach MADER (2013) als wichtige Differentialdiagnose bei Er-krankungen des Harntraktes angesehen werden. Die Häufigkeit der Tumordiagnose hat laut NEVAREZ (2009) in jüngster Zeit deutlich zugenommen. Die Metastasie-rungsrate von Nierentumoren wird von REAVILL u. SCHMIDT (2010) als gering ein-geschätzt. Laut ZWART (2006) können Viren bei der Entstehung von Nierentumoren eine ätiologische Rolle spielen.

Tabelle 2.4 Tabellarische Übersicht über in der Literatur erwähnte Nierentumoren

Nephroblastom selten REAVILL u. SCHMIDT 2010

lymphatische Leukose selten SEYBOLD 1993

2.2.6 Blasen- und Nierensteine

Bei Reptilien sind Nieren-, Ureter-, Blasen- und Urethrasteine beschrieben (MADER 2013). Die Entstehung von Konkrementen im Harntrakt ist vermutlich auf eine inadä-quate Haltung mit Kalzium-Oxalat- oder proteinreichem Futter sowie unzureichender Hydration zurückzuführen (NEVAREZ 2009). Die Steine bestehen meist aus Kalzi-um- oder Ammoniumurat (u.a. MILLER 1998; HEARD et al. 2002; ZWART u. SAS-SENBURG 2007a) sowie eingetrockneter Harnsäure (BLAHAK 1994) und lassen sich je nach Beschaffenheit röntgenologisch darstellen (SILVERMAN 2006; NEVA-REZ 2009).

Tabelle 2.5 Tabellarische Übersicht über in der Literatur erwähnte Konkremente

Tierart Vorkommen Literatur

Nephroli- thiasis Häufiger bei Arten mit

Harnblase selten MILLER 1998; NEVAREZ

2009

Urolithiasis Schildkröten häufig MILLER 1998; KEUNECKE

1999; SILVERMAN 2006

Leguane gelegentlich

BLAHAK 1994; ZWART u.

SASSENBURG 2007a; NE-VAREZ 2009