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2.2 Demokratietheoretische Grundlagen des Journalismus

2.2.2 Paragraf drei Thüringer Pressegesetz

Das Pressegesetz des Freistaates Thüringen vom 31. Juli 1991 umfasst insgesamt 15 Paragrafen, die den gesetzlichen Rahmen der Presse auf mehreren Ebenen festlegen.

Oberste Priorität hat die Freiheit der Presse, die ihre Schranken in den Bestimmungen des Grundgesetzes findet. Das Pressegesetz äußert sich zu der Zulassungsfreiheit (Paragraf zwei TPG) sowie den Rechten und Pflichten der Presse in Thüringen, beispielsweise das Recht auf Information (Paragraf vier TPG), die Verpflichtung zur Sorgfalt (Paragraf fünf TPG), die Impressums- (Paragraf sieben TPG) und Offenlegungspflicht (Paragraf acht TPG). Die im Gesetz folgenden Paragrafen setzen sich unter anderem mit den persönlichen Anforderungen an JournalistInnen, der Kennzeichnung von Werbung sowie dem Anspruch auf Gegendarstellung (Paragrafen neun bis elf TPG) auseinander.

Eine erste Konkretisierung der Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Presse verpflichtet ist, ergibt sich aus Paragraf drei TPG, der die öffentliche Aufgabe wie folgt definiert:

Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.29

28 Zwar legte der damalige Bundesminister des Inneren Maihofer 1974 einen Vorentwurf für ein Presserechtsrahmengesetz vor, das zum Beispiel die innere Pressefreiheit und damit das Verhältnis zwischen Verleger und Redakteur regeln sollte, dieses wurde jedoch nicht weiter verfolgt (vgl. Limbach1994: 330).

29 Paragraf drei: Öffentliche Aufgabe der Presse laut dem Thüringer Pressegesetz, in Kraft getreten am 31. Juli 1991. Auf den ersten Blick stimmen alle Paragrafen drei der Landespressgesetze überein (außer Hessen, wo der Passus ganz fehlt). In einigen, beispielsweise dem Hamburger Pressegesetz, kommt als vierte Funktion noch die der Bildung hinzu.

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Aus Paragraf drei TPG lassen sich drei grundsätzliche und in sich differenzierte Funktionen der Presse ableiten:

- die Beschaffung und Verbreitung von Nachrichten, die ein öffentliches Interesse berühren (Informationsfunktion),

- die Stellungnahme und das Üben von Kritik (Kritik- und Kontrollfunktion) und

- die Mitwirkung an der Meinungsbildung (Meinungsbildungsfunktion).30

Informationsfunktion31

In Angelegenheiten von öffentlichem Interesse32 Nachrichten beschaffen und verbreiten, darin besteht nach Paragraf drei TPG die Informationsfunktion der Presse, die laut Wildenmann und Kaltefleiter zu den ursprünglichsten Funktionen der Presse gehört (vgl. 1965: 15).33 Unveröffentlichte Informationen werden öffentlich zugänglich gemacht (vgl. Benzinger 1980: 58). Damit ist nicht eine einzige Informationsquelle gemeint, sondern jegliche aktuell interessierende Fragen, Ereignisse und Veranstaltungen sollen publik werden. Die Bereiche Politik und Kultur gehören laut Fechner ebenso dazu wie „Sportereignisse, Modetrends und Events aller Art“ (2001: 36). Eine Unterscheidung zwischen „guten“ und

„schlechten“ Informationen ist nicht zulässig (Branahl 1992: 87). Massenmedien sollten die Informationen nicht nach eigenen Kriterien selektieren, sondern vielmehr die RezipientInnen umfassend über alle Angelegenheiten des öffentlichen Lebens informieren und mit diesem Vorgehen Öffentlichkeit herstellen.

Damit spricht Branahl eine Zielgruppe der Informationen an: die RezipientInnen. Giordano hebt hervor, dass die Informationsfunktion nicht als eine einseitige, sondern als mehrseitige angelegt sei (vgl. 2002: 6): Zum einen zielt sie auf den Einzelnen, der so Einblick in das wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche

30 Trotz der exakten Funktionszuschreibung ist der Begriff der öffentlichen Aufgabe verfassungsrechtlich und kommunikationspolitisch umstritten. Zur Diskussion vgl. Jonscher (1995), Ricker (1983), Mallmann (1966) und Klein (1965).

31 Die Kommunikationswissenschaft unterscheidet noch weitere Funktionen des Journalismus, die sich beispielsweise aus dem Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Bildung, Beratung, Information und Unterhaltung) ergeben. An dieser Stelle werden jedoch nur jene thematisiert, die im Paragraf drei TPG genannt sind.

32 Daher rechnen Scheuner (vgl. 1965: 93) und Klein (vgl. 1973: 17) die Presse zu den öffentlichen Bereichen der Gesellschaft.

33 Beide Autoren fassen außerdem die Übermittlung von Kommentaren und Stellungsnahmen von Regierenden oder anderer Gruppen unter die Informationsfunktion der Presse (vgl.

Wildenmann/ Kaltefleiter1965: 15).

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Geschehen des Staates nehmen kann. Dieser Rezipient lebt in einem vielfältigen sozialen Umfeld, mit dem er in Interaktion steht. Auch auf diese Zusammenschlüsse von RezipientInnen zu Meinungsgruppen34 wirken die Informationen. Schließlich sind noch die politisch und wirtschaftlich Führenden im Staat angesprochen, die die Presse ebenfalls über aktuelle Ereignisse informiert.

Diesem Modell entsprechend trennt Pürer die Informationsfunktion in die Artikulations-, Transparenz- und Mitteilungsfunktion. Erstere meint die Herstellung von Öffentlichkeit in einer hierarchischen Vorstellung von unten nach oben, also die Information der Regierenden über die Einstellungen und Meinungen der Regierten.

Den umgekehrten Weg wählt die Mitteilungsfunktion der Presse, über die die Regierten über anstehende politische Entscheidungen, Ziele und Programme der Regierenden informiert werden sollen. Die Transparenzfunktion bezieht sich auf das Öffentlichmachen von politischen, ökonomischen und kulturellen Entscheidungen (vgl. Pürer 2004: 7-8).

Die Form, in der die Information stattfinden soll, legt Paragraf drei TPG genau fest: Nachrichten sollen beschafft und verbreitet werden. Damit sind zugleich der Informationsinhalt und die journalistische Darstellungsform gemeint, die sich durch die Berichterstattung über ein aktuelles Ereignis auszeichnet. Die Nachricht ist eine Tatsachen betonende Darstellungsform und soll möglichst objektiv, verständlich und vollständig gehalten sein.35 Kennzeichen der Nachricht sind die Recherche und das eigenständige Erforschen und Hinterfragen von Ereignissen und Handlungen.

Ronneberger unterstreicht, dass eine freiheitliche Demokratie ohne die Informationsfunktion der Presse nicht funktionsfähig wäre: „Mag es vielfach auch nur eine Illusion sein: durch das Öffentlichmachen ihrer Programme, Absichten, Forderungen, Ziele treten alle, die am politischen Prozess beteiligt sind, mit- und untereinander in Kommunikation“ (Ronneberger 1964: 295). Träger der Staatsgewalt in einer repräsentativen Demokratie ist das Volk, das auf „umfassende Information als Voraussetzung seiner Teilhabe und teilhabenden Kontrolle am demokratischen Entscheidungsprozess angewiesen“ ist (Baerns 1983b: 38). Die Tragweite der Informationsfunktion hebt auch der Deutsche Journalisten-Verband hervor. Über das

34 Dieses Meinungsgruppen können unterschiedlich aussehen: das familiäre Umfeld, der Freundes- und Bekanntenkreis, die Arbeitskollegen.

35 Subjektivität ist ein Kennzeichen von Darstellungsformen, die Meinungen betonen und der Kritik- und Kontrollfunktion zu zuordnen sind.

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Öffentlichmachen von Sachverhalten und Vorgängen, „deren Kenntnis für die Gesellschaft von allgemeiner, politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Bedeutung ist“, schafft der Journalismus ein umfassendes Informationsangebot (Deutscher Journalisten-Verband 2003c: 1). Der Bürger wird zum „mündigen Bürger“ (Branahl 1995: 19), der die in der Gesellschaft wirkenden Kräfte erkennt und sich so an der Meinungs- und Willensbildung beteiligen kann. Dies sind die Voraussetzungen für das Funktionieren des demokratischen Staates, in dem ein Bürger mit seiner Stimme über „Wohl und Weh des Staates“ entscheiden kann (Löffler 1959: 518).

Kritik- und Kontrollfunktion

Als zweite Funktion nennt das TPG im Paragrafen drei die Stellungnahme und das Üben von Kritik an Ereignissen des öffentlichen und politischen Lebens. Mit der Formulierung versetzt das Gesetz die Presse in die Rolle eines öffentlichen Wächters. „Wo immer in Staat, Politik oder Gesellschaft etwas faul ist, soll die Presse Laut geben“, umreißt Löffler (1964: 116) das Aufgabengebiet. Ohne diese Funktion laufe eine Demokratie Gefahr, der Korruption zu erliegen.

Daher solle die Presse bei Verstößen gegen Sach-, Personal- und Verfahrensfragen auf den Plan treten. Grundsätzlich muss dabei zwischen Sach- und Stilkritik differenziert werden. Während die Sachkritik die sachliche Korrektheit und Zweckmäßigkeit von Entscheidungen untersucht, hinterfragt und versucht, Argumentationsfehler aufzudecken, setzt sich die Stilkritik mit der Art und Weise der Kommunikation auseinander. Sie beobachtet das Verhalten aller an der Entscheidungsfindung beteiligten Gruppen und analysiert, ob sie in Übereinstimmung mit den Regeln der Verfassung und den geltenden Normen handeln.36 Neben der Kontrolle von Handlungen und Äußerungen auf der einen und von Normen auf der anderen Seite, wirkt die Presse, indem sie ein öffentliches Informationsforum schafft, an der Findung und Entstehung von Normen mit (vgl.

Pürer/ Raabe 1996: 309).

Die Kritik- und Kontrollfunktion wird häufig als eine „Rundumkontrolle“

beschrieben (Ronneberger 1964: 297). Ansatzpunkte für Kritik können alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche sein. Meist wird die Funktion jedoch als

36 Wildenmann und Kaltefleiter sind sich sicher, dass die Presse über die Normenkontrolle helfe, Vertrauen innerhalb der Gesellschaft aufzubauen (vgl. 1965: 32).

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eine politische aufgefasst, deren Hauptaufgabe in der kritischen Beobachtung und Kontrolle der drei Staatsgewalten Exekutive, Legislative und Judikative besteht. Sie sind entsprechend der Gewaltenteilung zwar grundsätzlich voneinander getrennt und sollen sich gegenseitig kontrollieren, in der alltäglichen Praxis sind sie jedoch immer wieder miteinander verknüpft. Die Presse stelle den Gegenpol zu den in den drei Gewalten gebündelten Mächten dar und sei „Anwalt des Menschen und der Menschlichkeit“ (Löffler 1959: 519). Daher wird häufig die Auffassung vertreten, dass die Presse die vierte Gewalt,37 als eine Art „Publikative“ (Pürer 2004: 1), im Staate sei.38

Entscheidendes Fundament der Presse in der Bundesrepublik ist ihre grundgesetzlich garantierte Freiheit. Sie darf weder vom Staat, noch von wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Kräften abhängig sein. Durch den Grundsatz der Staatsferne der Presse kann sie nicht Bestandteil der Staatsgewalt und damit die vierte Gewalt sein (vgl. Schulz/ Jürgens 2003: 401). Vielmehr ist die Presse ein unabhängiges Organ, das sowohl Vorgänge in der Politik als auch in Wirtschaft und Gesellschaft kritisch begleitet, kommentiert, kontrolliert und veröffentlicht. Dadurch versetzt sie den Bürger wiederum in die Lage, sich seine Meinung frei aus allgemein zugänglichen Quellen zu bilden.

Pürer führt als Argumente gegen die Vorstellung der Presse als vierter Gewalt an, dass diese Aufgabe weder in der Verfassung niedergeschrieben noch die JournalistInnen seiner Meinung nach die erforderlichen Kompetenzen für eine solche Aufgabe mitbringen würden (vgl. Pürer 2003: 113, 423). Hinzu kommen die ökonomische Abhängigkeit der Presse und die „Tendenz zahlreicher Medien zur Skandalisierung. Nicht zuletzt steht fest, dass zumindest Teile der Massenmedien selbst mächtige Institutionen darstellen, die ihrerseits […] Machtinteressen vertreten und daher selbst der Kontrolle bedürf(t)en, also der Kontrolle der Kontrolleure“

(Pürer 2004: 3).

37 Inzwischen werden Webtagebücher, so genannte Web-Blogs, als fünfte Gewalt bezeichnet (vgl. Steinberger2004: 13).

38 Zur Diskussion über die Vorstellung von der vierten Gewalt vgl. Bergsdorf (1980). Löffler vertritt die Meinung, dass die Presse zwar die vierte Gewalt sei. Er gliedert sie jedoch nicht an die Exekutive, Legislative und Judikative an, sondern sieht sie vielmehr als Gegengewicht zur Macht des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft (vgl. 1964: 116).

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Meinungsbildungsfunktion

Grundlegend für die Funktion der Meinungsbildung sind die Informations- sowie Kritik- und Kontrollaufgabe. Nur wer umfassend über alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, Handlungen, Vorgänge und Prozesse informiert ist und weiß, welche eventuellen Missstände existieren, kann sich seine Meinung und sein eigenes Urteil bilden. Mit der Verpflichtung zur Meinungsbildung wird im Paragrafen drei TPG die demokratische Funktion der Presse betont.

Grundmerkmal einer Demokratie ist, dass jeder Bürger einen Anspruch auf die gleichberechtigte Mitwirkung an den Staatsgeschäften besitzt (vgl. Löffler 1959:

518). Aus der Vielzahl möglicher Meinungen des einzelnen Bürgers bilden sich über Diskussionen und den Austausch von Ansichten mehrere öffentliche Meinungen,39 die „auf die Willensbildung durch Parlament und Regierung einwirken und sie kritisch begleiten“ (Bullinger 1997: 170).

Dies ist am ehesten möglich, wenn alle in der Gesellschaft vertretenen Positionen und Argumente von der Presse dargestellt werden, wobei das Augenmerk in erster Linie auf eine sachgerechte und damit nicht verzerrende Darstellung zu richten ist.40 Die Presse soll nicht ausschließlich die Meinungen und Argumente anderer wiedergeben. Auch sie selbst soll sich am Meinungsbildungsprozess aktiv beteiligen und dabei als Faktor und nicht nur als Medium der Informationsverstärkung Dritter fungieren, indem sie

- „den Stand der Debatte durch eigene Stellungnahmen strukturiert und ergänzt,

- Interessen und Bedürfnisse artikuliert, die bislang unberücksichtigt geblieben sind,

- kritikwürdiges Verhalten sowie unbefriedigende Zustände aufdeckt und der öffentlichen Auseinandersetzung zugänglich macht und

- dem Adressaten durch eigene Kommentare Gelegenheit gibt, sich mit der Auffassung des Kommentators auseinanderzusetzen“ (Branahl 1992: 88).

Der Meinungsbildung wird noch ein weiterer Aspekt zugeschrieben. Über ihre Funktion hilft die Presse, das „demokratische Bewusstsein und demokratische Verhaltensweisen“ (Branahl 1999: 174) aller BürgerInnen zu fördern. In dieser

„Stärkung der Demokratie“ sieht Fechner (2001: 14) die wichtigste Funktion der

39 Dass nicht eine öffentliche Meinung, sondern immer eine Vielzahl von Ansichten nebeneinander bestehen, unterstreicht Groß(vgl.1999: 20).

40 In diesem Fall könne von publizistischer Vielfalt gesprochen werden, meint Branahl(vgl.

1992: 87-88).

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Medien. Jeder Bürger ist, nachdem er sich in der Presse über das aktuelle Zeitgeschehen informiert, sich seine Meinung gebildet und mit seinen Mitmenschen ausgetauscht hat, prinzipiell in der Lage, selbst aktiv an den Staatsgeschäften mitzuwirken. In der Praxis geschieht dies in der Regel bei Wahlen. Dabei entscheidet sich der Bürger für eine/n Kandidatin/en, die/der seine Meinung, beispielsweise bei politischen Entscheidungen, öffentlich vertreten und, wenn möglich, bei Abstimmungen durchsetzen soll.

Zusammenfassend lässt sich folgendes festhalten: Die Presse soll in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich frei von Zwängen jeglicher Art sein. Sie darf weder einer gesellschaftlichen Gruppe noch einer wirtschaftlichen Macht oder dem Willen des Staates unterworfen und soll pluralistisch organisiert sein. Erste Aussagen über ihre Funktionen treffen die Landespressegesetze im Paragrafen drei, wonach sie eine öffentliche Aufgabe innehat, die sie zur Information, Kritik und Kontrolle sowie Meinungsbildung verpflichtet. Wie dies konkret in der Praxis geschehen soll, klären die Pressegesetze nicht. Vielmehr hat die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts in verschiedenen Urteilen die öffentliche Aufgabe konkretisiert, vor allem im Zusammenhang mit der Bedeutung der Presse für die Meinungsbildung der BürgerInnen.