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4.1 Das Beispiel T HÜRINGER A LLGEMEINE

4.1.1 Charakterisierung des Untersuchungsgegenstandes

Die THÜRINGER ALLGEMEINE, seit dem 15. Januar 1990 Nachfolgerin der SED-Bezirkszeitung DAS VOLK, ist Marktführerin unter den regionalen Abonnementzeitungen in Thüringen.168 Schütz schätzte ihre verkaufte Auflage im 3.

Quartal 2004 auf 215.500 Exemplare. An zweiter Stelle folgte die OSTTHÜRINGER

ZEITUNG mit 130.100, den dritten Rang nahm die THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG

mit 46.300 verkauften Exemplaren ein (vgl. Schütz 2005a: 242). Eine direkte ökonomische Konkurrenz besteht zwischen den drei größten Zeitungen Thüringens nicht, da alle drei zur WAZ-Gruppe gehören und über die ZEITUNGSGRUPPE

THÜRINGEN miteinander verbunden sind.169 Aufgrund dieser Daten bietet sich die THÜRINGER ALLGEMEINE als Objekt der Fallstudie an, da sie zum einen die auflagenstärkste regionale Tageszeitung mit der größten Reichweite in Thüringen ist170 und sich zum anderen in verlagsinterner Konkurrenz mit der THÜRINGISCHEN

168 Zur Gründungsgeschichte der THÜRINGER ALLGEMEINE vgl. Kapitel 3.1.4 Zeitungslandschaft Thüringens und das Engagement der WAZ.

169 Die Konzernzugehörigkeit zeigt sich beispielsweise in dem gemeinsamen Anzeigenteil, in der einheitlichen Erscheinungsweise, unter anderem an Feiertagen, und dem identischen Umfang des Lokalteils.

170 Nach eigenen Angaben erreichte die ZGT im Jahr 2005 mit den ihr angehörenden Tageszeitungen 1,08 Millionen ThüringerInnen und damit 51,2 Prozent aller Erwachsenen des Bundeslandes über 14 Jahren (vgl. Zeitungsgruppe Thüringen 2006: 2). Gegenüber 2003 verlor sie in der absoluten Reichweite 37.000 LeserInnen, was teilweise auch auf den Bevölkerungsrückgang in Thüringen zurückzuführen ist (vgl. Zeitungsgruppe Thüringen 2004: 2).

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LANDESZEITUNG und/oder der OSTTHÜRINGER ZEITUNG befindet.171 Außerdem wurde nach der Wiedervereinigung vermutet, dass ostdeutscher Journalismus in der Nachrichtenbearbeitung, Recherche sowie im Wettbewerbsdenken und -handeln Mängel aufweise (vgl. Mast et al. 1994: 434). Vermutungen, die die Fallstudie ebenfalls aufgreift, da sie Informations- und Recherchewege innerhalb verschiedener Redaktionen hinterfragt.172 Der Befund von Mast et al. legt nahe, dass JournalistInnen in den neuen Bundesländern eher PR-Quellen als eigenständig recherchierte Artikel zum Füllen von Seiten verwenden könnten.

Die THÜRINGER ALLGEMEINE setzt nach eigenen Angaben auf einen kritischen und sachlich-fairen Journalismus, der auf einem hohen Nutzwert der Zeitung für ihre LeserInnen zielt.173 Sie versteht sich als regionale qualitativ hochwertige Tageszeitung. Heute habe sich die TA laut ihrem Chefredakteur Lochthofen als eine „deutlich vernehmbare Stimme aus dem Osten im politischen Diskurs der Bundesrepublik etabliert“ (Lochthofen 2000: 17). Er sieht in den TA-LeserInnen die „Elite Thüringens. Ob Krankenschwester, Busfahrer, Lehrer oder Professor – sie alle eint das Interesse am Leben in diesem Land“ (Lochthofen 2005:

33). Ziel der Berichterstattung sei es, dafür Sorge zu tragen, dass die LeserInnen bei jedem Thema kompetent mitreden könnten (vgl. ebd.).

Dass die THÜRINGER ALLGEMEINE Erfolg zu haben und als Tageszeitung Anerkennung zu finden scheint, zeigen zahlreiche Preise und Auszeichnungen, die sie für ihre Berichterstattung erhalten hat. So wurde sie 2005 beispielsweise für ihre Berichterstattung über die Olympischen Spiele in Athen 2004 mit dem „Award of Excellence 2005 (European Newspaper Award)“ geehrt.174 Im Jahr 2006 wird sie erneut mit diesem Designpreis für die Gestaltung zweier Titelseiten ausgezeichnet

171 Zur Diskussion um den möglichen Einfluss der Konkurrenzsituation auf die Berichterstattung vgl. Kapitel 3.1.2 Aspekte der Lokalzeitungsforschung.

172 Diese Vermutungen sind in die Bildung der Hypothesen eins und fünf eingegangen.

173 Um den Servicecharakter des Lokalteils zu erhöhen, erscheint seit dem 1. März 2005 täglich eine eigene Serviceseite, die u.a. Veranstaltungstermine, Geburtstage und das Kinoprogramm aufführt. Zuvor war der Service in den redaktionellen Teil eingebettet. Einen Tag später erhöhte die TA ihren Mantelumfang und veröffentlichte erstmals auf einer ganzen Zeitungsseite das Fernsehprogramm des Tages.

174 Diese Auszeichnung verleiht der freiberufliche Zeitungsdesigner Küpper gemeinsam mit den Fachzeitschriften MEDIUM-MAGAZIN (Deutschland), JOURNALIST (Österreich) und MEDIA

FACTS (Niederlande) für das Design der Tageszeitung. 2005 wurde der Preis zum sechsten Mal in Wien vergeben (vgl. Küpper2005).

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(vgl. O.A. 2005c: 1).175 Bildreporter Frommerhielt 2002 und 2004 einen Preis für das beste Sportfoto des Jahres. Mehrere JournalistInnen aus verschiedenen Ressorts wurden zudem für ihre Berichterstattung, durch die Zeitung ins Leben gerufene Aktionen und ihr soziales Engagement geehrt.176 Über diese Prämierungen drückt sich auch die Bindung der JournalistInnen an die TA aus, die sich über ihre redaktionellen Aufgaben hinausgehend für soziale Projekte einsetzen und diese in die Berichterstattung aufnehmen.

Als publizistische Einheit erscheint die THÜRINGER ALLGEMEINE von Montag bis Sonnabend mit 14 redaktionellen Ausgaben. Angeboten wird sie im Abonnement (186,98 Euro jährlich), im Straßenverkauf (0,70 Euro von Montag bis Freitag, 0,80 Euro am Sonnabend) oder als elektronische Zeitung (E-Paper für 17,20 Euro monatlich). Sie gliedert sich in die Ressorts Politik/Nachrichten, Wirtschaft/Soziales, Thüringen und die Landesredaktion sowie Kultur, Beilage und Sport. Daten zur Zahl der beschäftigten JournalistInnen (feste und freie) liegen nicht vor.177 Im Impressum findet sich ein Hinweis auf die Ressortverantwortung innerhalb der Zentralredaktion, die sich bis auf eine Ausnahme (Thüringen) in den Händen männlicher Ressortleiter befindet. Eine Journalistin ist für die Redaktionstechnik verantwortlich, eine Mitarbeiterin übernimmt die Dokumentation (vgl. Thüringer Allgemeine 2005a).

Diese Zahlen stimmen mit den Ergebnissen von Neverla und Kanzleiter überein, die von der vertikalen und horizontalen Segregation des Journalismus sprechen (vgl.

1984: 206). Klaus definiert vertikale Segregation wie folgt: „Je weiter unten die Position in der medieninternen Hierarchie, je abhängiger und weniger eigenverantwortlich die Tätigkeit, desto höher ist der Frauenanteil“ (2005: 162), die Ressortverantwortung liege mehrheitlich in männlicher Hand – wie in den zentralen Redaktionen der THÜRINGER ALLGEMEINE.

Über den Onlineauftritt der TA kann zumindest die Zahl der fest angestellten JournalistInnen in den einzelnen Lokalredaktionen ermittelt werden (Stand: Februar 2005). Danach waren 2005 43 Journalisten und 33 Journalistinnen im Lokalen beschäftigt, deren Arbeit insgesamt 17 Sekretärinnen unterstützten. Die TA steht mit

175 Geehrt wurde die TA für ihre Titelseiten vom 19. Januar und 25. Juni 2005. Erstere zeigte Einsteins berühmteste Formel (e=mc2), auf der anderen unterstützte die Zeitung „den Protest Erfurter Bürger gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (O. A. 2006a: 1).

176 Eine Aufstellung aller Auszeichnungen, zusammengestellt von der Chefredaktion, befindet sich im Anhang im Kapitel 9.1 Auszeichnungen und Ehrungen der THÜRINGER ALLGEMEINE.

177 Die Frage nach den Beschäftigungszahlen lehnte die Chefredaktionunter dem Hinweis, dass diese Daten betriebsinterne vertrauliche Informationen beinhalten, am 10. Februar 2005 ab.

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diesen Zahlen dem Bild des „typischen deutschen Journalisten“, das Weischenberg (1995: 423) zeichnet, entgegen. Laut der zweiten JouriD-Studie sind 62,9 Prozent der JournalistInnen in Deutschland Männer (vgl. Malik 2005: 2).Aufgeschlüsselt nach den Ressorts und ausgeübten Arbeitsfeldern stellt Weischenberg zudem fest, dass in den Lokalredaktionen nur 29,2 Prozent der JournalistInnen Frauen sind (vgl. 1995:

483). In den Lokalredaktionen der TA waren 56,6 Prozent Journalisten und 43,4 Prozent Journalistinnen beschäftigt.

Aufgegliedert nach der Funktion Redaktionsleitung fällt bei der THÜRINGER

ALLGEMEINE eine überdurchschnittlich hohe Präsenz der Journalistinnen auf, was den Verdacht der vertikalen Segregation für die Lokalredaktionen des Fallbeispiels zwar entkräftet. Eine Gleichverteilung der Geschlechter ist jedoch auch in den Lokalredaktionen der TA nicht gegeben: In fünf der insgesamt 14 Lokalredaktionen steht eine Frau, in den restlichen neun ein Mann an der Spitze. In drei Fällen ist ein/e JournalistIn für zwei Redaktionen verantwortlich: eine gemeinsame Redaktionsleiterin gibt es in Artern und Sondershausen, einen gemeinsamen Redaktionsleiter in Weimar und Apolda sowie in Mühlhausen und Bad Langensalza.

Daher stehen bei der Funktionsstelle RedaktionsleiterIn Frauen und Männer in einem Verhältnis von vier zu sieben.

TAB.14:Zahl der LokaljournalistInnen der THÜRINGER ALLGEMEINE

Anzahl der

Heiligenstadt 4 2 1 Sekretärin

Mühlhausen 4 2 2 Sekretärinnen

Nordhausen 3 2 1 Sekretärin

Sömmerda - 5 1 Sekretärin

Sondershausen 3 2 1 Sekretärin

Weimar 2 4 2 Sekretärinnen

Gesamt: 43 33 17 Sekretärinnen

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Angaben der THÜRINGER ALLGEMEINE (2005b).

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