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Die orthodoxe Kirche in Südosteuropa im Spannungsfeld der Religi- on des Islams und der türkischen Expansionspolitik. Einige

Theodor Nikolaou

2. Die orthodoxe Kirche in Südosteuropa im Spannungsfeld der Religi- on des Islams und der türkischen Expansionspolitik. Einige

Anmer-kungen

D ie obige Bemerkung, daß die O rthodoxie die stärkste religiöse Gemein- schaft a u f dem Balkan ausmacht, is t in diesem Zusammenhang dahinge- hend zu ergänzen, daß im gesamten südosteuropäischen Raum, d.h.

einschließlich der T ürkei in Kleinasien (das w ie auch Zypern geographisch zu Asien zählt), neben der Orthodoxen K irche der Islam ungefähr gleich stark vertreten ist. Dies is t das Ergebnis insbesondere der letzten Jahrhun- derte, da, w ie bereits angedeutet, Südosteuropa viele Jahrhunderte hindurch fast ausschließlich ch ristlich w ar. W ir haben es som it heute in Südosteuro- pa vorwiegend m it zwei Religionen, dem Christentum und dem Islam , zu tun, die sowohl in theologischer, als auch in geographischer und histo ri- scher H insicht mannigfache Verbindungen und Zusammenhänge aufweisen.

D arau f kann ich in diesem Zusammenhang nicht näher eingehen. Zwei Aspekte sollten allerdings herausgestellt werden : Erstens ist jede Religion im Grunde ein positiver Regulator menschlichen Daseins und Zusammen- lebens. Schon der H inw eis a u f die bekannte ״Goldene Regel“ ( ״Was ih r von anderen erw artet, das tu t ebenso auch ihnen“ ), die fast w örtlich in allen G roßreligionen, und speziell auch beim Christentum und dem Islam ,11 vor- kom m t, beweist dies.

Zweitens, so w ahr und unbestritten die theologische Nähe dieser zwei Religionen is t (besonders ih r Monotheismus; vgl. darüber hinaus das W ort des Korans: ״ Du w irs t sicher finden, daß diejenigen, die den Gläubigen in der Liebe am nächsten stehen, die sind, welche sagen: W ir sind ‘ C hristen.’ “ Koran 5,85), so treten sie doch m it unterschiedlichen Akzentsetzungen und politischen V orstellunga ! in die Geschichte ein.

Jesus C hristus, der eingeborene Sohn Gottes, hat nach christlicher Lehre die menschliche N atu r angenommen, erneuert und erlöst; das bedeutet, daß er

die Einheit der Menschheit

grundsätzlich wiederhergestellt und diese gleichzeitig zur Aufgabe des Menschen gemacht hat. E r hat G ott geoffen- bart, der Liebe is t (1 Joh 4,8). Das Gebot der Liebe, ja sogar der Feindes­

11Für mehrere dieser Religionen vgl. The W o rld 's Great Scriptures... Compiled by Lew is Browne, New Y ork, 1961, S.XV. Vgl. auch L. P h ilipidis, D ie ״Goldene Regel“

religionsgeschichtlich untersucht, Eisieben/Leipzig, 1929. C h ristentum : ״ Was ih r von anderen erwartet, das tu t ebenso auch ihnen.“ (L k 6,31; M t 7,12). Islam : ״Keiner von Euch ist ein Gläubiger, bis er nicht das fu r seinen Bruder wünscht, was er fü r sich selbst wünscht.“ (Sunnah)

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liebe (M t

5,44),

und des Friedens is t das C harakteristikum des Christen- turns;12 es g ilt

für alle ohne Ausnahme

und soll unabhängig von H autfar- be, Geschlecht, Volkszugehörigkeit, R eligion etc. angewandt werden. Es ist deshalb nicht zu fä llig , daß die Ausbreitung des Christentum s nach den W orten Jesu C hristi allein durch die Überzeugung der Lehre und eines entsprechenden Lebenswandels zu erfolgen hat.

Der

Islam,

der bekanntlich geistesgeschichtlich aus dem Judentum und dem Christentum schöpft, kennt hinsichtlich der ״ Goldenen Regel“ a u f den ersten B lick zw ar keinen gravierenden Unterschied zum Christentum . D ie W ortw ahl des entsprechenden Z ita ts, beweist jedoch, daß die Anwendung der ״Goldenen Regel“ beim Islam sich nur a u f die Glaubensgenossen be- zieht.13 Dies belegt z. B. auch die Verwendung des B egriffs ״k ia fir“ - um- gangssprachlich ״gävur“ - (ungläubig), der während der osmanischen H errschaft a u f dem Balkan auch in o ffizie lle n Urkunden zur Bezeichnung der Christen schlechthin benutzt wurde.

Nach dieser islamischen Trennung in ״G läubige“ (M uslim e) und ״ Un- gläubige“ (C hristen) bildeten damals alle M uslim e die vollberechtigte is- lamische Gemeinde

(Umma),

während alle orthodoxen Christen (unabhängig davon, ob sie Griechen, Bulgaren, Serben etc. waren) halbbe- rechtigt blieben; sie machten ein

״nullet“,

d.h. eine ״N ation“ , m it dem

ф »

Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel als Ethnarchen an der S pit- ze, aus. Die R olle des Ethnarchen (m ille t bai) entspricht som it nicht der christlichen Theologie; sie is t vielm ehr eine islam isch-politische V orstel- lung.

Darüber hinaus steht fest, daß der Islam im Gegensatz zum Christentum den ״heiligen“ K rieg (D jihad) und zw ar im Zusammenhang m it seiner V er- breitung

programmatisch

kennt (K oran

9,41:

״Ziehet aus, leicht und schwer, und eifert m it G ut und B lu t in A llahs W eg.“ V gl. auch Koran

61,11).

Wenn das W ort ״program m atisch“ verwendet und der Koran hier z itie rt w ird , so soll dam it a u f einen prinzipiellen Unterschied zum Christen- tum aufmerksam gemacht werden. Daß auch unter Christen manche Phä- nomene Form a! eines H eiligen Krieges angenommen haben, is t ein geschichtliches Faktum (vgl. Kreuzzüge, D reißigjähriger K rieg, K o lo n iā li- sierung Lateinamerikas etc.). Aber im Islam is t der ״heilige“ K rieg, w ie gesagt, bereits im Koran verankert und wurde deshalb in der Geschichte auch vielfach praktiziert. Es begann schon wenige Jahre nach dem Tode Mohammeds

(632)

durch die Eroberung z.B. von Syrien und Palästina

(635-637),

Ägypten

(639-641),

Persien

(641-644),

N ordafrika (bis um

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12 Vgl. Johannes Chrysostomos, De incom prehensibili, contra anomoeos 1,1: PG 48, S. 702.

13“ Keiner von Euch ist ein G lä u b ig e r...“ ; vgl. oben S.48, Anm. 11.

700) und läßt sich leicht durch die Tatsache dokumentieren, daß das C hri- stentum aus diesen Ländern gewaltsam verdrängt wurde und w ird.

Dies g ilt auch fü r Südosteuropa und zwar bis in die Gegenwart. Es ist je - dem kla r, daß, obwohl der Islam von Anfang an a u f Eroberung eingestellt w ar, hierbei nicht immer religiöse Gründe im Spiel waren und sind, und daß der Islam o ft politischen Zweckmäßigkeiten als Vorwand diente und dient. Am leichtesten kann man dies am Beispiel der diesen Raum betref- fenden türkischen P o litik verfolgen. H ier einige Beispiele aus unserem Jahrhundert: Diese reichen vom Genozid an den Armeniern, bis zur syste- matischen Vertreibung der christlichen Syrer im Südosten der Türkei und der A usrottung der über 250.000 Griechen, die aufgrund des Vertrags von Lausanne (1923) nach dem Bevölkerungsaustausch in Konstantinopel und a u f den Inseln Im bros und Tenedos bleiben durften. Im Gegenzug blieb eine m uslim ische M inderheit im griechischen Thrakien. Während aber diese m uslim ische M inderheit von 86.000 im Jahr 1922 heute a u f 120.000 ge- wachsen is t,14 g ib t es in der Türkei nur noch zwei bis drei tausend G rie- chen. Diese geringe Zahl is t sehr bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß noch vor etwa dreißig Jahren, als ich in Chalki (Heybeliada) orthodoxe Theologie studierte, über 100.000 Griechen in der Türkei lebten. N ur ne- benbei möchte ich erwähnen, daß diese Theologische Hochschule des Ökumenischen Patriarchats, die Zweitälteste orthodoxe Theologische Fakul- ta t in Südosteuropa (gegründet 1844), im Jahr 1971 von den türkischen

Behörden geschlossen wurde.15

Ich komme a u f die eben erwähnte Vertreibung der Griechen zurück, denn dadurch blieb das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel ohne christliches V o lk an seinem Sitz. Besonders bemerkenswert ist, daß die westlichen Staaten dies fast gar nicht registriert haben bzw. nicht haben registrieren wollen. Die früheren strategischen Interessen gegenüber der T ürkei als unmittelbarem Nachbarn der Sowjetunion oder heute als ver- m eintlichem B ollw erk gegen den islamischen Fundamentalismus bzw. als möglichem Einflußzentrum fü r die turksprachigen V ölker wogen und w ie- gen offensichtlich schwerer als Überlegungen zur Gerechtigkeit in diesem Punkt. W ohl dieselben Gründe spielten eine w ichtige Rolle, als im Jahr 1974 das nördliche Zypern durch das türkische Heer ethnisch gesäubert und entchristlicht wurde. Aber diese ethnische Säuberung blieb weitgehend

14Vgl. Konst. Cholevas, H т р т ! аХшсп1 1ף<; ПоХт1<;!, in: Peiraike Ekklesia 6 (Sept.

1996) 24-26, wo nicht nur die obige Angabe, sondern auch eine Reihe von Ereignissen angeführt werden, die zu der Vertreibung der Griechen geführt haben. Vgl. auch Sot.

V am alidis, Оисоицеѵисо П а тр іа р хе ю . М а р т о р іа - EuBuveç- n p e ro ß o u X ie (;, (Sonderdruck aus: Ekklesia), Athen 1996, S.18ÉF.

13 Acht Jahre zuvor (1963) hatten die türkischen Behörden die Druckerei des Patriarcha-tes geschlossen und dadurch die Einstellung der Z eitschrift ״ Orthodoxia“ und der W o-chenzeitimg ״Apostolos Andreas“ des Patriarchats herbeigeführt.

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unbem erkt.16 Andere Nachrichten, w ie z. B. die Forderung führender tü rk i- scher P olitike r nach erneuter Umwandlung der Hagia Sophia K irche (heute Museum) in eine Moschee oder die Explosion von Bomben im Gelände des Ökumenischen Patriarchats (zum letzen M al n o d i am 29.9.1996) finden kaum Beachtung. Aber sie sind von immenser Bedeutung fü r das Leben der orthodoxen Christen in Südosteuropa. Bedenkt man andererseits, daß ähn- liehe Nachrichten, z.B. die ethnische Säuberung im ehemaligen Jugoslawi- en oder das Vorgehen von S A D D A M HUSSEIN im Irak, berechtigterweise zu anderen Reaktionen der westlichen W elt führen, muß man sich über eine solche unterschiedliche Gewichtung von ähnlichen Ereignissen tatsächlich wundem!

Da hier von der Ausnützung des Islams fü r politische Zwecke die Rede ist, sollte hervorgehoben werden, daß der Islam sich geradezu fü r einen solchen M ißbrauch anbietet. Ich denke hierbei zum einen an das

politische, theokratisch bestimmte Mandat

des Islams, das heute den Nährboden eines w eltw eit grassierenden islamischen Fundamentalismus bildet. Zum anderen g ib t es im Islam

eine Gleichsetzung von Religion und Nation.

D ie Folgen dieser Gleichsetzung spüren w ir heute s d ir deutlich, wenn die M uslim e z.B. in Bosnien-Herzegowina, die bezüglich ihrer Volkszugehö- rig keit zum T e il Serben oder Kroaten sind, m it ihrer Religions- und nicht m it ihrer Volkszugehörigkeit bezeichnet werden.17 Dies wäre vielleicht v ö llig harmlos, wenn gewisse fundamentalistische Gruppen oder sogar bestimmte Staaten nicht bereit wären, diesen Umstand politisch auszunüt- zen. Auch hier kann man die Türkei als Beispiel anführen, die aufgrund dieser Gleichsetzung ih r Interesse und ihre ״Fürsorge“ fü r die etwa sechs M illionen M uslim e a u f dem Balkan erklärt. Es mag sein, daß die Türkei in erster L in ie dadurch von ihren innenpolitischen Hauptproblemen (Kurdenfrage und islam ischer Fundamentalismus) ablenken w ill, es bleibt aber gleichzeitig unbestritten, daß hier V olks- und Religionszugehörigkeit sich v ö llig vermischen und in der Tat eine gewisse Angst vor expansionist- sehen Tendenzen erzeugen.

16 Auch die E lim inierung des kurdischen Volkes in der Türkei bleibt weitgehend un be- merkt. D ie fast täglichen Nachrichten über 10, 50, 100 oder mehr tote Kurden sind kaum erwähnenswert; die Süddeutsche Zeitung Z.B. bringt sie, wenn überhaupt, fast ausschließlich nur ganz kurz und auf den Seiten 6-8.

17 Erwähnenswert ist der Versuch von Sm ail B alić, (Das unbekannte Bosnien. Europas Brücke zur islamischen W elt, K öln u.a., 1992), die M uslim e in Bosnien-Herzegowina von ihrer Volkszugehörigkeit her als ״Bosniaken“ (Bosnier) im Sinne einer eigensten- digen N ation zu verstehen; aber gleichzeitig re la tivie rt er selber diesen Standpunkt, wenn er die Proklam ation bosnischer Volksvertreter vom 10. Juni 1991 m it den W or- ten zitie rt: ״Für Bosnien als Heimat der bosnischen M uslim e und als Vaterland aller jugoslavischen M uslim e sind w ir bereit zu kämpfen“ (S.371). Denn dadurch ste llt er

die ״Nation der Bosniaken“ in den Dienst ״aller jugoslawischen M uslim e“ .

T rotz solcher und ähnlicher Probleme leben orthodoxe Christen und M uslim e in Südosteuropa seit Jahrhunderten zusammen. Dadurch haben m.E. die einfachen Gläubigen beider Religionen mehr als anderswo auch gemeinsame Erfahrungen gemacht, sich gegenseitig beeinflußt und eine gewisse Nähe entwickelt. Darum müßte bei allen die Erkenntnis reifen, daß sie - unabhängig von ihrer Rasse, R eligion und N ationalität - zur Koexi- stenz und Zusammenarbeit verpflichtet und genötigt sind. Diese Erkenntnis erfordert Toleranz und ru ft zum D ialog und zur Verständigung der beiden Religionen auf.

3. Die orthodoxe Kirche in Südosteuropa