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Aschkenasische Gemeinden

Zum Judentum in Südosteuropa

1. Geschichtliche Entwicklung

1.2. Aschkenasische Gemeinden

Am Beispiel der jüdischen Gemeinde von Zagreb lassen sich viele einzelne Entwicklungen, die die Aschkenasim im 19. und 20. Jahrhundert durchleb- ten, darstellen Zudem ist Zagreb deshalb bedeutsam, w eil die dortige Ge- meinde m it 12000 Juden in der Zwischenkriegs zeit die größte jüdische Ge- meinde des Königreiches Jugoslawienvor dem Zweiten W eltkrieg bildete.

H istorisch belegen Urkunden erst fü r das 14. und 15. Jahrhundert - Kroatien w ar in dieser Z eit T eil des ungarischen Königreiches - die E xi- stenz einer jüdischen Gemeinschaft in K aptol und Gradée (diese Stadtteile wurden 1850 zur Stadt Zagreb zusammengefaßt). 1526 übernahm das Haus Habsburg den ungarischen Königsthron und damit die H errschaft über Kroatien. Für die jüdische Bevölkerung bedeutete dies die Vertreibung und das Verbot, sich in Städten niederzulassen. Infolge der Toleranzpatente Kaiser JOSEPHS П. wurde der freie W ohnsitz in Städten wieder m öglich, so daß sich ab dem 18. Jahrhundert aus dem Burgenland, Böhmen und Mähren zuziehende Juden in Zagreb niederließen. Allm ählich schwanden die politischen Einschränkungen. 1873 erkannte das kroatische Parlament die bürgerliche Gleichberechtigung und das Recht a u f freie Religionsaus- Übung fü r Juden an. Die Juden der Stadt trugen einen großen A nteil an der

1806 taten sich die in K aptol und Gradée wohnenden 16 jüdischen Fam i- lien zusammen und riefen die erste o ffiz ie lle jüdische Gemeinde Kroatiens ins Leben. Im Gemeindeleben is t a u ffä llig , daß mehrere Gemeinden neben- einander existierten.10 D er H auptteil der Juden in Zagreb orientierte sich am Reform judentum , was am modernen Ritus einerseits, aber auch an der G estaltung der 1867 fertiggestellten Synagoge erkennbar is t.11 H ie r postier- te man den Thoraschrein (

bima

) an der Ostseite des Gebäudes (nicht mehr tra d itio n e ll in der M itte ), die G alerie fü r die die Synagoge besuchenden Jüdinnen w ar an allen W andseiten, nicht mehr nur hinten, angebracht und es w ar außerdem eine Orgel in s ta llie rt worden. Insbesondere letzterer Um- stand veranlaßte orthodoxe Juden, sich aus Protest von der Gemeinde in sti- tu tio n e ll zu trennen und eine eigene, orthodoxe Gemeinde ins Leben zu ru- fen. 1873 wurden sie schließlich in Zusammenhang m it der bürgerlichen G leichbereichtigung der Juden in Kroatien als ״ Betgenossenschaft des a lta ! R itus“ anerkannt. Nach dem Zusammenschluß des ״Königreiches der Ser- ben, Kroaten und Slovenen“ 1919 wurde eine weitere Gemeinde, eine se- phardische, gegründet, die aus zugezogenen Juden aus B osnia! und Serbien bestand.

Ende des 19. Jahrhunderts fand die zionistische Bewegung überall in Eu- ropa eine verstärkte Anhängerschaft. Der Zionism us, eine politische und soziale Bewegung m it dem Z ie l der E rrichtung eines jüdischen Staates in Palästina, sollte die Em anzipation der Juden fordern. E r w ar auch als Re- aktion a u f den allgem ein steigenden Antisem itism us entstanden. Zentrum des jugoslavi sehen Zionism us wurde Zagreb, die entscheidenden Einflüsse dafür kamen aus W ien. H ie r waren Studenten um die Jahrhundertwende m it dem zionistischen Gedanken in Berührung gekommen und hatten ihn w eiter nach Zagreb getragen. W ährend nun in Zagreb eine Vielzahl von Vereinigungen und Äm tern ihre A ktivitäten entfalteten, blieb der praktische E rfo lg der zionistischen A rb e it re la tiv schwach, da sich in der Zwischen- kriegszeit nur eine geringe Zahl von Juden zur E m igration aus Jugosla- wiennach Palästina entschloß. Gerade aber auch die zionistischen V erbin- dungen sowie die vielen anderen gesellschaftlichen und sozialen Organisa- tionen in Zagreb12 waren äußerst h ilfre ich bei der Versorgung der vielen aus deutschsprachigen Gebieten nach Jugoslawienströmenden jüdischen Flüchtlinge in der unm ittelbaren Vorkriegszeit. D ie w ichtigste A nlaufstelle

10Ü ber die Zagreber Gemeinde im allgemeinen vgl.: K. V ö lk l, D ie jüdische Kultusge- meinde in Zagreb bis 1941, in: Juden im Grenzraum, S. 159-195.

11 D ie Synagoge von Zagreb in der Praska ulica wurde 1941 von der Ustaša zerstört.

12 K. V ö lk l, D ie jüdische Gemeinde von Zagreb • Sozialarbeit und gesellschaftliche Ein- richtungen in der Zw ischenkriegszeit, in: Münchner Z e itsch rift fu r Balkankunde, 9 (1993) S. 105-154.

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in Jugoslawien, das keine Zuzugsbeschränkungen erlassen hatte, w ar fü r die Em igranten die jüdische Gemeinde in Zagreb, die landesweit die Unter- bringung und den W eitertransport regelte.

In die Donaufürstentüm er wanderten Juden im 18. und 19. Jahrhundert vor allem aus Bessarabien und der Bukovina ein.13 So weitete sich in der M oldau, während dies in Südosteuropa sonst nicht der F all w ar, die W ohn- und Lebensform der Ostjuden, das

städtel,

aus. A ls Umgangssprache w ur- de das Jiddische gepflegt. Während in der W alachei insgesamt ein geringe- rer jüdischer Zuzug zu verzeichnen w ar, bildete Bukarest eine Ausnahme.

D ie A rbeitsfelder fü r Juden waren Handel und Gewerbe, aber auch Gele- genheitsarbeiten sowie die T ätigkeit als Zwischenpächter

{arendami),

die landw irtschaftliche G üter pachteten, um sie an Kleinbauern w eiterzuver- pachten. Gerade die dominierende Position in diesen Bereichen machte die Juden in Rumänien zur Zielscheibe heftiger Anfeindungen, so daß ihre Verbreitungsm öglichkeiten auch durch staatliche Maßnahmen eingeengt werden sollten. A ls unter dem D ruck des Auslandes 1868 der Finanz- und Innenm inister Ion B rätianu zurücktreten mußte, w eil er Ausschreitungen gegen Juden in der M oldau hingenommen und versucht hatte, Juden als

״Landstreicher“ auszuweisen, schuf dies erst re d it Stimmung gegen die Juden. Eine M öglichkeit, Juden in ihren Entfaltungsm öglichkeiten in Ru- mänien zu behindern, bestand auch darin, daß ihre Einbürgerung verhindert wurde. A b h ilfe wurde zw ar 1878 ־ nach dem B erliner V ertrag - von d a i Großmächten verlangt, diese wurde aber damals genauso wenig umgesetzt w ie nach dem M inderheitenschutzvertrag, der Rumänien 1919 auferlegt worden w ar. E rst 1924 wurde ein Gesetz zur Einbürgerung der Juden ver- abschiedet, aber noch immer an Bedingungen geknüpft. Zahlenmäßig w ar die jüdische Bevölkerung nicht nur quantitativ - m it 757 000 Juden wäh- rend der Zwischenkriegszeit - , sondern auch im Verhältnis zu anderen M i- noritäten beträchtlich: M it 4,2% an der rumänischen Gesamtbevölkerung bildete sie nach den Magyaren die zweitstärkste M inderheit im Land.

Insgesamt dürfte an den vorgestellten Gemeinden deutlich geworden sein, in welch hohem Maße die w irtschaftliche und politische Lage der Juden von ihrer staatlichen Umgebung abhängt. R elativ günstige M öglichkeiten zur w irtschaftlichen und religiösen E ntfaltung bestanden im Osmanischen Reich, während sich nach dem Ende von dessen H errschaft die Konditionen unter den sich etablierenden Nationalstaaten a u f dem Balkan verschlechter- ten. So versuchte Rumänien Ende des 19. Jahrhunderts m it staatlichen Maßnahmen, Juden vor allem in ihren beruflichen Tätigkeiten

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13Zum rumänischen Judentum vgl. Ekkehard V ö lk l, Rumänien. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Regensburg, 1995, S.244-253; Beate W eiter, D ie Judenpolitik der rumänischen Regierung 1866 bis 1888, Frankfurt am M ain [u.a.], 1989; H ildnm Glass, Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918-

1938), M ünchen, 1996.

ken. Hingegen bestanden im K önigreich Jugoslawiensdion deshalb bessere Bedingungen, w eil die Zahl der hier lebenden Juden vergleichsweise gering w a r und zudem eine große Zahl an V ölkern und M inderheiten überhaupt im

Land lebte.

W ährend allgemein die Geschichte der Juden a u f dem Balkan bis zum Zweiten W eltkrieg relativ wenig erforscht ist, g ib t es übergreifende Darstel- lungen der systematischen Vernichtung des Judentums während des H olo- caust, in die auch die Ereignisse in Südosteuropa einbezogen sind.14 Be- dauem swert is t jedoch, daß in den südosteuropäischen Staaten selbst noch ein erheblicher Klärungsbedarf darüber besteht und daß sich manche M y- then, die in bezug a u f die eigene R olle und a u f die K ollaboration m it den zuständigen deutschen Stellen hin entstanden sind, hartnäckig halten. So kann sich Bulgarien nicht als ״Land ohne Antisem itism us“ bezeichnen m it der Begründung, die bulgarischen Juden seien d a ! Deutschen nicht ausge- lie fe rt worden, während die in den von Bulgarien während des Zweiten W eltkrieges annektierten Gebieten Makedonien und Thrakien lebenden Juden zur Deportation übergeben worden sind. Auch in Rumänien w ird der während des Zweiten W eltkrieges im Gebiet zwischen Dnestr und Bug (Transnistrien) verübte und bisher tabuisierte ״ schweigende Holocaust“

erst langsam ein allgemein diskutiertes Them a.15

Nach der Katastrophe des Holocaust, der einen unglaublichen M aischen- verlust m it sich brachte, von dem sich das jüdische Leben a u f dem Balkan nie mehr erholen konnte, wanderte ein großer T e il der überlebenda! Juden nach Israel aus. W ährend der kommunistischen Z e it wurde das Judentum w ie die übrigen Religionen einer Säkularisierung unterzogen, so daß das religiöse Leben der völligen E igeninitiative der Gläubigen überlassen w ur- de. Andererseits wurden die Juden aber - anders als die übrigen M inderhei- ten - p o liti s d ì einer besonderen Vorzugsbehandlung fü r w ürdig befunden, so in B u lg á riá i, wo die Juden zur Vorzeigem inderheit avanderten.16 In Tito-Jugoslaw ienunterstützte die jüdische Gemeinde - jedenfalls nach außen hin - den staatlichen K urs,17 wobei hier ihre B eteiligung am Partisanen- kam pf gegen die deutsche Besatzung eine besondere Auszeichnung fand.

Nach dem Ende der kommunistischen H errschaft in Osteuropa spielte der

14Vgl. W olfgang Benz (H g.), Dim ension des Völkerm ords. D ie Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialism us, München, 1991.

15Julius S. Fischer, Transnistria. The Forgotten Cemetery, South Brunsw ick, 1969; I.C.

Butnaru, The Silent Holocaust. Romania and its Jews, New Y o rk, 1992.

14 Stefan Troebst, Antisem itism us im ״Land ohne Antisem itism us“ : Staat, Titulam ation und jüdische M inderheit in Bulgarien 1878-1993, in: Juden und Antisem itism us im östlichen Europa, S. 109-125, hier S. 122.

17H arriet Pass Freidenreich, ТЪе Jewish Com m unity o f Yugoslavia, in: Elazar [u.a.], The Balkan Jewish Com m unities, S. 12-58, hie r S.21.

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Pragmatismus fü r die Verbesserung bzw. Herstellung der außenpolitischen Beziehungen der Länder Südosteuropas zum Staat Israel eine R olle.18

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