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Christen und Muslime - untereinander durch geschichtliche Mißver- ständnisse und Vorurteile verfeindet, zerstritten und aus verschiedenen

K ardinal K Ö N IG hat a u f einer islam isch-christlichen Konferenz in W ie ! s d ir zutreffend behauptet:

״Es gehört zu den weitreichenden, die ganze Menschheit belastenden Mißverständnissen, daß die drei monotheistischen Religionen - Juden,

Christen und Muslime - untereinander durch geschichtliche Mißver- ständnisse und Vorurteile verfeindet, zerstritten und aus verschiedenen sachlichen und geschichtlichen Gründen von einem an der Wurzel sitzen- den Mißtrauen erfüllt sind. Es ist tragisch und schwer zu begreifen, daß trotz der fundamentalen Einheit des Gottesglaubens, des Gottes Ab- rahams, diese drei Religionsgemeinschaften zerfallen und einander ent- gegengesetzt sind. Es ist tragisch, daß diese drei strikt monotheistischen Religionen - fü r die es keine Parallele in der Religionsgeschichte der Menschheit gibt

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ihre gemeinsame religiöse Basis noch immer nicht

se-4 Vgl. M .E. M a rty / R.S. Appleby (Hgg:), Fundamentalism and State. Chicago, 1993.

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hen. Denn sie sollten sich gerade heute gemeinsam einsetzen fü r die Völ- kerverständigung, Gerechtigkeit und Frieden.

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H ier sind die Gründe, warum w ir durch die Religion geteilt und o ft ver- feindet waren. D ie friedensstiftende Dimension der Religion muß gestärkt werden.

D ie Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften wirken nicht in Süd-Ost- Europa friedensstiftend und ökumenisch. Es bestdien zwar Unterschiede zwischen einzelnen Religionsgemeinschaften, aber im Grunde genommen is t die prophetisch-eschatologische Dimension des Glaubens blockiert.

Warum? G esellschaftlicher Kontext ist w ichtig.

M it dem schnellen Umsturz der sogenannten ״Volksdemokartie m it so- zialistischer Prägung“ , der von Gorbatschow und von der Gesamtentwick- lung der letzten 30 Jahre (besonders in den KSZE-Konferenzen von H elsinki bis Paris) vorbereitet und ausgelöst wurde, ist fast über Nacht (seit 1989) der einst ״Eiserne Vorhang“ der europäischen Bühne zerissen worden. So hat Europa einen großen S chritt a u f dem Weg zum ״Haus Eu- ropa“ gemacht. Es wurden auch die politischen Voraussetzungen fü r eine neue R olle und Verantwortung der Christenheit geschaffen. Die im Dezem- ber 1991 in Rom abgehaltenen Bischofssynode fü r Europa nannte diese Z eit einen ״K airos“ fü r Europa.6

Aber das Christentum w ie auch der Islam waren nicht fü r die neue Situa- tion vorbereitet. Beide sind noch immer in einer A rt politischen M itte la lte r- tums steckengeblieben, w eil sie praktisch nicht Tagespolitik von der Religion, K irche vom Staat, Theologie von der Ideologie getrennt haben, und dadurch wurden die Religionen zum Zweck der Staatsideologie oder sogannter Nationalinteressen instrum entalisiert. Um die friedensstiftende Rolle der Religionen wiederzugewinnen, ist es notwendig, die oben genann- ten Trennungen durchzuführen, um sich dann eindeutig fü r die M aischen-

rechte und Gerechtigkeit im Frieden einsetzen zu können.

Die etablierten Reiigjonsgemeinschaften sind in den letzten siebzig Jahren durch den bolschewistischen Atheismus s d ir geschädigt worden, so daß sie fü r dnen Neubeginn eine starke geistige Assistenz von außen brauchen.

Eine grosse Rolle spielen die schon funktionierenden Europa- oder W elt- zentralen der Religion (Vatikan, W eltkirchenrat, K E K , Jews Congress, Die Rolle der Religion bei der Neugestaltung Osteuropas 39

, Kardinal Franz König, Grußwort bei der Eröffnung der Konferenz ״Friede fü r die Menschheit“ , in: Andreas Bsteh (Hg.), Friede fü r die Menschheit, M ödling, 1994, S.64.

6Vgl. R. Düstenberg (Hg.), Krieg im ehemaligen Jugoslawien - Herausforderung für Europa. Statements von Kum in, Lob-C orzilius, Orsolić und W ollfahrt, in: Osnabrücker Jahrbuch fü r Frieden und Wissenschaft, Osnabrück, I/ 1994.

CCEE, usw .), w ie auch religiös inspirierte Friedensbewegungen. Für die konkrete, erfolgversprechende A rbeit sind spezifische Projekte notwendig.7

D ie Projekte sollen kühn konzipiert und seriös vorbereitet werden. Eine theologische Grundvoraussetzung is t in der Tatsache zu suchen, daß alle Menschen von einem G ott (A L L A H oder JAH W E) geschaffen worden sind und daß dadurch alle Menschen Brüder und Schwestern sind, daß die Men- sehen sich durch d a ! interreligiösen D ialog nicht nur untereinander annä- hem können, sondern auch G ott selbst.

D ie Religionen in Ost- w ie Süd-Ost-Europa können aus theologischer R ückständigkeit durch A ktion von oben und durch konkrete Projekte von unten herausfinden.

1. D ie Projekte sollten interreligiös und m ultireligiös sein und alle drei т о - nothei sti sehen und geoffenbarten Religionen, d.h. Christentum (m it sei- nen verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften), Islam und Judentum umfassen.

2. D ie Projekte sollten von den religiösen und kirchlichen Institutionen Eu- ropas unterstützt oder zumindest m it ihrer Zustim m ung vorbereitet wer- den.

3. Stützpunkte fü r die V erw irklichung der Projekte sollten ״Häuser der Religionen“ sein (Inform ations-, Begegnungs-, M editations-, und For- schungszentren, die m öglichst einheitlich strukturiert sein s o lita !.

4. D ie Projekte s o lita ! m it dem Einsatz fü r Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung beginnen, und immer wieder über religiöse bzw. theologische Begründungen der Menschenrechte reflektieren. N ur so werden Religionen wieder ihre G laubw ürdigkeit in diesem T eil Euro- pas zurückgewinnen.

5. Das Subjekt der Projekte sollten vor allem die Menschen aus dem V o lk Gottes sein, die sich m it den Einheimischen vereinigen sollen. Gemeint und angesprochen sind die Manschen des Volkes Gottes aus ganz Euro-

p aD ie Religionen verw irklichen sich nicht in einem luftleeren Raum, son- dem sie beschäftigen sich m it konkreten Menschen, die in den letzten 50 bis 70 Jahren zum T e il von verschiedenen Ideologien stark beeinflußt waren. W ir benötigen in Süd-Ost- und Ost-Europa eine A rt ״Theologie der Zweiten W elt“ . W ir kennen die sogenannte ״Erste W elt“ , w om it die westeuropäische und nordamerikanische W elt und som it die in d u stria li- sierte W elt gemeint ist. W ir wissen auch ziem lich genau, was ״D ritte W elt“ bedeutet. W o aber sind die Menschen und die Länder der

״Zweiten W e lt“ vertreten? Darüber haben w ir uns bisher noch keine

Ge-7M arco O ršolič, M issionen und Missinswissenschaften in Süd-Ost und Ost-Europa, in:

Z e itsch rift fü r die Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, 78. Jahrgang, Heft 1, 1994.

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danken gemacht. Aus politischen Gründen, aus Mangel an einer grund- legenden R eligionsfreiheit w ar dies bis je tz t auch kaum m öglich. Die

״Theologie der Zweiten W elt“ sollte zunächst die Geschichte und die Lebensformen der Christenheit im Osten kritisch durchdenken und auf- arbeiten und sich den erstarrten Formen des religiösen T ra d itionalimus widersetzen. Das beinhaltet auch einen klaren W iderstand gegen immer wieder aufkeimende Versuche, Gewalt religiös zu legitim ieren. Somit könnte buchstäblich ve rw irklich t werden, was über die Aufgabe der K ir- che in der W elt von heute im vierten K apitel der K onzilskonstitution

״Gaudium et spes“ erwähnt ist. Spannungen zwischen einem Bekenntnis- Glauben und den täglichen Lehren gehören zu den schwersten V erirrun- gen unserer Z eit, w ie das Zweite Vatikanische K onzil betonte. Deshalb benötigen w ir eine Re-Evangelisierung im Sinne von ״ Ad gentes“ (N r.

22) und ״Evangelii nuntiandi“ .

6. Die Begründung fü r das Projekt ist in der Tatsache zu suchen, daß Ost- und Süd-Ost-Europa theologisch unterentw ickelt sind, und daß die R eli- gionen in der gegenwärtigen Situation nicht ohne die Unterstützung der K irche in der ״Ersten W elt“ auskommen können. Diese Unterstützung bedeutet in erster Linie geistige Assistenz, nicht aber Bevormundung oder eine A rt geistiger Protektorate. V iele Menschen im O stai haben jahrhundertelange ״Evangelisierung“ als Eingliederung ins christliche Abendland oder als katholische bzw. protestantische Proselytenmacherei (Bekehrung zum katholischen bzw. protestantischai Glauben) verstan- den. Deshalb ist von nun an im weitesten Sinne des W ortes ökumenisch zu handeln.

Um überhaupt ein Zusammentreffen zu erreichen, is t es w ichtig, daß man sich an einige G rundprinzipien hält:

• K irche und Staat, Tagespolitik und R eligion, Theologie und nationale Ideologie müssen deutlich voneinander getrennt sein. Daraus ergibt sich die Konsequenz:

• fü r den interreligiösen D ialog und die Zusammenarbeit kann es keine anderen politischen Voraussetzungen geben als diejenigen, die dem Grundethos zu entnehmen sind. Sonst w ird die P o litik w ichtiger als Re- ligion sein.

Ich hoffe, daß nach allen schwierigen Bemühungen, die zu den Erneue- rungsprozessen der drei monotheistischen W eltreligionen in Süd-Ost- und Ost-Europa führen, die em euertai Religionen wieder ihre friedens- stiftende und nicht nur zum Frieden bekennende R olle wiederfinden w er- den, um so Europa bei der Neugestaltung zu helfen, nicht nur einen neuen Leib, sondern auch eine neue Seele zu bekommen.

Die Rolle der Religion bei der Neugestaltung Osteuropas 41

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