• Keine Ergebnisse gefunden

4. Diskussion

4.3. Stärken und Limitationen des HELPS-Programmes

4.3.2. Organisation und Aufbau der Intervention

Nicht jedoch nur die oben genannte Flexibilität der Intervention, sondern auch die vorge-gebenen Rahmenbedingungen müssen diskutiert werden. Die zweitägige Multiplikatoren-schulung war vermutlich zu kurz, um die Methode der Motivierenden Gesprächsführung effektiv anwenden zu können. Auch die Dauer des Gesundheitskurses und der Gesamtin-tervention spielen eine wichtige Rolle. Einige Multiplikatoren regten an, die sechswöchige Phase des Gesundheitskurses zu verlängern oder ein zweites Intervall in den Nachbetreu-ungszeitraum zu integrieren. Zieht man oben ausgeführte Erwägungen in Betracht, dass eine Nachbetreuung vermutlich in nur sehr geringem Maße stattfand, so war die Interven-tion tatsächlich nur auf den Zeitraum des Gesundheitskurses beschränkt. Eine Interventi-onslänge von sechs Wochen liegt deutlich unter der durchschnittlichen Dauer anderer Le-bensstilinterventionen in dieser Zielgruppe. So berichtet Happell et al. in einem Review von

129 einer durchschnittlichen Interventionslänge von 27,4 Wochen [44], Verhaeghe et al. von im Durschnitt 20 Wochen [151]. Dies könnte zur Folge haben, dass während des Gesund-heitskurses gesteckte und angegangene Ziele nicht weiter fortgeführt wurden und eine langfristige Wirkung deshalb ausblieb. In Anbetracht dieser Erwägungen erscheint die Follow-up-Periode von eineinhalb Jahren unverhältnismäßig lange.

Die Vorgaben zum Ablauf einer Nachbetreuung wurden bewusst gering gehalten, um eine an die individuellen Bedürfnisse der Patienten angepasste Unterstützung bei der Umset-zung der Ziele zu fördern. Diese Flexibilität wurde schon im vorausgehenden Abschnitt dis-kutiert. Die von einer Mehrzahl der Multiplikatoren berichtete zuverlässige Umsetzung des Gesundheitskurses im Gegensatz zu einer eher sporadischen Nachbetreuung unterstreicht nochmals die schon erwähnte Notwendigkeit einer klareren Organisation der Nachbetreu-ung.

Nicht jedoch nur mangelnde Vorgaben, sondern auch andere Faktoren scheinen Ursache dieser mangelnden Nachbetreuung zu sein.

So besteht die Annahme, dass die Relevanz einer solchen in der Multiplikatorenschulung nicht ausreichend kommuniziert wurde. Die Aussage eines Multiplikators gar nicht von ei-ner geplanten Nachbetreuung gewusst zu haben, stellt ein besonders extremes Beispiel dar. Gerade aber die Ergebnisse der zuvor beschriebenen In SHAPE Intervention legen die große Bedeutung einer regelmäßigen Betreuung durch einen Gesundheitsmentor nahe [8, 9]. Auch aus den Ergebnissen der im Rahmen des In SHAPE Projektes durchgeführten qua-litativen Studie mit Patienteninterviews ging die besondere Bedeutung dieser Bezugsper-son und eine konstante Begleitung im Prozess der Verhaltensänderung als zentraler förder-licher Aspekt hervor [125]. Ebenso zeigten die Ergebnisse der im Rahmen vorliegender Stu-die durchgeführten Multiplikatoreninterviews, dass Stu-die Patienten sich eine kontinuierli-chere Nachbetreuung im Anschluss an den Gesundheitskurs gewünscht und gebraucht hät-ten und dass eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Patient und Betreuungsperson ein wichtiger förderlicher Faktor ist.

Waren die Multiplikatoren nicht zugleich die Bezugsbetreuer der Patienten, so war eine regelmäßige Nachbetreuung zusätzlich erschwert. Ein nach dem Gesundheitskurs fortbe-stehender Kontakt konnte nur sehr schwer oder gar nicht in den Arbeitsalltag integriert werden. Diese Problematik sei nach Aussagen der Multiplikatoren insbesondere bei

130 ambulant in ihren eigenen Wohnungen betreuten Patienten aufgrund der räumlichen Dis-tanzen verstärkt. Durch die Zusammenarbeit von Multiplikator und Bezugsbetreuer hätte dennoch eine kontinuierliche Versorgung dieser Patienten gewährleistet werden sollen.

Die Auswertungen der Interviews lassen jedoch darauf schließen, dass das Konzept eines Tandems zwischen Multiplikator und Bezugsbetreuer zur Nachbetreuung in der Realität nur unzureichend umsetzbar war. So mangelte es nach Schilderungen der Multiplikatoren am Austausch und der Übergabe der Methodik und Thematik an die Bezugsbetreuer und deren Umsetzung in der alltäglichen Betreuungsarbeit. Neben dem im Arbeitsalltag nicht umsetzbaren, hohen Kommunikationsaufwand zwischen Bezugsbetreuer und Multiplika-tor birgt dieses Konzept außerdem die Problematik, dass keiner der beiden Betreuungsper-sonen sich für eine regelmäßige Nachbetreuung verantwortlich fühlt. Insbesondere bei be-obachtetem mangelndem Austausch besteht also die Gefahr der Annahme, diese Versor-gung werde vom jeweils anderen übernommen.

Diese Beobachtungen lassen die Überlegung aufkommen, die Intervention so zu organisie-ren, dass sowohl der Gesundheitskurs als auch die Nachbetreuung von einer Person be-treut werden können. Dies könnte eine konstantere Versorgung der Patienten und eine klar geregelte Zuständigkeit fördern. Andernfalls könnte in Betracht gezogen werden, wei-tere Einrichtungsmitarbeiter, insbesondere die Bezugsbetreuer, in der Methodik der Moti-vierenden Gesprächsführung zu schulen, um den Patienten eine möglichst umfassende Nachbetreuung zu bieten.

Die zu den vier Erhebungszeitpunkten durchgeführten Befragungen wurden von den Mul-tiplikatoren als belastend für einige Patienten erlebt. Auch in einer qualitativen Studie von Roberts et al. gaben die Patienten in Interviews an, sich bei Gewichtskontrollen unwohl gefühlt zu haben, obwohl diese Aussagen im Gegensatz zur beobachteten Motivation durch Gesundheitschecks, psychometrische Messungen und Gewichtsmessungen stehen [108].

Eine wie von den Multiplikatoren beschriebene negative Wahrnehmung der Befragungen von Seiten der Patienten könnte die Angaben insbesondere der Selbstbeurteilungsinstru-mente oder die Zuverlässigkeit beim Ausfüllen der Ernährungs- und Bewegungstagebücher negativ beeinflusst haben. Dies könnte sogar bis dahin reichen, dass die Patienten die ge-samte Intervention negativ wahrnahmen und abbrachen. Aus den qualitativen Patienten-interviews der In SHAPE Studie geht hervor, dass diese es besonders schätzten, sich durch

131 die Mitarbeiter der Intervention nicht stigmatisiert oder negativ bewertet gefühlt zu haben [125]. Es muss also verhindert werden, dass die Patienten sich durch den Fokus der Befra-gungen auf problembehaftetem Verhalten verurteilt und abgewertet fühlen. Stattdessen sollten diese weniger belastend oder gar motivierend für die Patienten gestaltet werden.

So zeigte die qualitative In SHAPE Studie die besondere Bedeutung eines durch Erfolgser-lebnisse gesteigerten Selbstbewusstseins [125]. Wäre es möglich, derartige Erfolgserleb-nisse bei den Evaluationen stärker zu betonen, könnten diese Befragungen einen Ansporn und eine Motivation für die Patienten bedeuten. Dass dies theoretisch möglich ist, zeigen die qualitativen Ergebnisse vorliegender Studie. So berichtete ein Multiplikator von einer Antriebssteigerung seiner Patienten vor den Gruppensitzungen des Gesundheitskurses, um von Erfolgserlebnissen berichten zu können. Positiv wäre also, die Befragungen so durch-zuführen, dass die Patienten diese nicht als belastend, sondern als Motivationssteigerung zur Umsetzung ihrer gesetzten Ziele erleben.

Die In SHAPE-Intervention zeichnet sich nach Beschreibung der Autoren vor allem durch ihren individualisierten Ansatz in Abgrenzung zu sonst häufig im Gruppendesign gestalte-ten Interventionen aus [23]. Die HELPS-Intervention ist so entworfen, dass sie die Vorzüge eines Gruppensettings mit denen einer Einzelbetreuung verbinden kann. So ergaben die Ergebnisse der Interviewauswertungen viele von den Multiplikatoren erlebte Vorteile einer Gruppenintervention, wie beispielsweise die Kommunikation der Teilnehmer, gegenseiti-ger Erfahrungsaustausch sowie Bestärkung bis hin zur Bildung von Freundschaften. Solch positive Erfahrungen mit einem Gruppensetting werden durch eine weitere qualitative Stu-die, in der Teilnehmer einer Lebensstilintervention für psychisch erkrankte Menschen in-terviewt wurden, bestätigt und die Gruppe als wichtige soziale und motivierende Kompo-nente der Intervention bewertet [108]. Diesen positiven Einfluss eines Gruppensettings zu-gunsten einer Individualisierung aufzugeben und die Intervention im Einzelsetting durch-zuführen, ist also nicht anzustreben. Durch die patientenzentrierte Methode der Motivie-renden Gesprächsführung sowie einer Nachbetreuung im Einzelsetting können die Patien-ten trotz eines häufig im Gruppensetting durchgeführPatien-ten Gesundheitskurses eine individu-elle Betreuung erfahren. Auch die qualitativen Auswertungen ergaben eine positive Bewer-tung der Motivierenden Gesprächsführung durch die Multiplikatoren. Lediglich an einer kontinuierlichen, individuellen Nachbetreuung muss, wie schon diskutiert, noch gearbeitet

132 werden. Positiv an HELPS ist also, dass die Intervention je nach Ausgestaltung und Umset-zung Individualisierung mit Gruppendesign verbinden kann.