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4. Diskussion

4.6. Empfehlung für zukünftige psychiatrische Gesundheitsversorgung

Lebensstilinterventionen sind ein möglicher Ansatz zur Verbesserung der körperlichen Ge-sundheit psychisch kranker Menschen. Viele Schwierigkeiten, die sich laut Multiplikatoren bei der Umsetzung der HELPS-Intervention ergaben, sind auf Charakteristika der Patienten zurückzuführen. Interventionen müssen also spezifisch auf die Bedürfnisse dieser Ziel-gruppe zugeschnitten werden und können nicht einfach von der Allgemeinbevölkerung übertragen werden. Dazu muss an den Rahmenbedingungen der Intervention gearbeitet werden. Viele der Patienten benötigen eine enge und intensive Betreuung und somit ein besonderes Leistungsangebot. Um dies zu gewährleisten, sollte der Gesundheitskurs über einen längeren Zeitraum stattfinden, damit bei den Patienten Veränderungen nicht nur an-geregt werden, sondern diese noch länger Unterstützung im Prozess der Umsetzung erfah-ren. Wichtig ist dafür auch, eine kontinuierliche Nachbetreuung sicherzustellen. Dafür sollte klar festgelegt sein, durch wen die Patienten in dieser Phase betreut werden. Ge-schieht dies nicht, so besteht, wie die Interviewauswertungen zeigten, die Gefahr, dass die Nachbetreuung im alltäglichen Betrieb der Einrichtungen untergeht. Deshalb sollte auch in Betracht gezogen werden, dass die Bezugsbetreuer die ganze Intervention mit Gesund-heitskurs und Nachbetreuung umsetzen und das Modell eines Tandems aus Multiplikator und Bezugsbetreuer aufgegeben wird. Somit würden keine Informationen im Austausch verloren gehen und die Zuständigkeit wäre deutlich definiert. Auch eine von den Multipli-katoren als förderlicher Faktor beobachtete vertrauensvolle Beziehung zum Patienten könnte hierdurch stärker gefördert werden. Fraglich und im Rahmen der oben genannten Implementierungsstudie zu prüfen ist jedoch, inwieweit eine alleinige Betreuung durch den jeweiligen Bezugsbetreuer umsetzbar ist. Andernfalls könnte in Betracht gezogen werden, die Schulung in der Motivierenden Gesprächsführung auf weitere Einrichtungsmitarbeiter auszuweiten, um das Lebensumfeld der Patienten möglichst förderlich bezüglich einer ge-sundheitsbewussten Lebensweise zu gestalten.

145 Darüber hinaus sollte eine gute Balance zwischen Gruppenintervention und Einzelbetreu-ung gefunden werden. Beide Modelle zeigten in den InterviewauswertEinzelbetreu-ungen wichtige Vor- und Nachteile. Die Entscheidung, ob der Gesundheitskurs in der Gruppe durchgeführt wird, sollte immer gemeinsam mit den Patienten und nicht aufgrund organisatorischer Ab-wägungen getroffen werden. Ist ein Patient bereit für eine Gruppenintervention, könnte eine Kombination aus Gruppen- und Einzelbetreuung ein guter Ansatz sein. Der Gesund-heitskurs könnte dann in der Gruppe angeboten werden. In einer Einzelnachbetreuung zwi-schen und nach dem Gesundheitskurs könnte dann verstärkt auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden. Auch ein umgekehrter Ansatz ist denkbar. So könnte der Einstieg in die Thematik in Einzelgesprächen erfolgen, um die Patienten insbesondere bei der The-menfindung und Zielsetzung individuell unterstützen zu können. In der Phase der Umset-zung der Handlungspläne könnte dann in eine Gruppenintervention übergegangen wer-den, um den Teilnehmern einen Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung zu ermöglichen. Wichtig ist außerdem, eine angemessene Gruppengröße zu finden. Bei zu großen Gruppen besteht die Gefahr, dass nicht ausreichend auf die Patienten eingegangen werden kann und eher ein edukativer Ansatz verfolgt wird. Eine zu kleine Gruppengröße erschwert wiederum den Austausch und die Entstehung einer Gruppendynamik. Auf Grundlage der Interviewauswertungen erscheint deshalb eine Gruppengröße von drei bis vier Mitgliedern sinnvoll.

Auch eine konsequentere Umsetzung der Methode der Motivierenden Gesprächsführung sollte angestrebt werden. Dazu sollte evaluiert werden, ob eine längere Schulung der Mul-tiplikatoren sinnvoll ist. Auch ein häufigerer Kontakt der MulMul-tiplikatoren untereinander so-wie mit Mitarbeitern des HELPS-Projektes zum Erfahrungsaustausch und zur Unterstützung bei Unsicherheiten könnte die Implementierung der Intervention fördern. In der jetzigen Studie wurde das Angebot eines universitären Ansprechpartners nie angenommen. In die-sem Kontext sollte außerdem evaluiert werden, ob die Methode der Motivierenden Ge-sprächsführung bei einem derartigen Klientel mit kognitiven Einschränkungen als alleinige Methode ausreichend ist oder ob ein Bedarf an zusätzlichem Informationsmaterial und edukativen Elementen besteht.

Die Datenerfassung wurde von einigen Patienten als belastend empfunden. Es muss des-halb bei weiteren Studien darauf geachtet werden, die Datenerhebung in ein angemesse-nes Verhältnis zur Intervention zu stellen und für die Patienten motivierender zu gestalten.

146 Es muss verhindert werden, dass die Patienten sich durch die Befragung verurteilt und ne-gativ bewertet oder durch eine große Anzahl an Fragen überfordert fühlen. Stattdessen sollte angestrebt werden, dass die Patienten die Interviews als Möglichkeit zur Präsenta-tion ihrer Erfolgserlebnisse und somit als besondere MotivaPräsenta-tion wahrnehmen.

Am 04.04.2019 fand zum Abschluss dieses Pilotprojektes ein Stakeholdertreffen mit den Trägern und Multiplikatoren statt. Dabei wurde die Zukunft von HELPS in den Einrichtungen diskutiert und Verbesserungsvorschläge zusammengetragen. Die Teilnehmenden kamen zu dem Schluss, dass allen Menschen ein Recht auf eine gesunde Lebensweise gewährt werden sollte und dass eine wechselseitige Beeinflussung der körperlichen und psychi-schen Verfassung bestehe. Aus diesem Grund sollten HELPS oder ähnliche Projekte zur För-derung der gesundheitsbewussten Lebensweise psychisch kranker Menschen weiter in den Einrichtungen etabliert werden. Dazu wurden konkret für das HELPS-Projekt folgende An-regungen gesammelt:

Zur Erleichterung der Umsetzung der Intervention sollte den Multiplikatoren ein Köffer-chen mit bestimmten Tools ausgehändigt werden. Darin sollte sich eine Kurzfassung des HELPS-Toolkits als Broschüre befinden. Diese stellt einen Kurzleitfaden zur Umsetzung der Intervention dar und verfügt bei Bedarf nach tiefergehenden Informationen über Verweise auf das schon verfügbare, umfangreiche HELPS-Toolkit. Darüber hinaus könnte diese Bro-schüre mit Erfahrungen aus dem Pilotprojekt bezüglich der Umsetzung der Motivierenden Gesprächsführung sowie beispielhaften Handlungsplänen aus den fünf Themenbereichen ergänzt werden. Auch Möglichkeiten zur Erfolgskontrolle sollten diesem Köfferchen beilie-gen. So hätten die Multiplikatoren die Möglichkeit, die Wirksamkeit der Intervention zu erfassen und die subjektive Befindlichkeit der Patienten zu evaluieren. Genannte Tools könnten auch in digitalisierter Form ausgearbeitet werden.

Es wurde außerdem diskutiert, vor Beginn der Intervention die Patienten hinsichtlich ihrer psychischen Verfassung klinisch zu beurteilen und so zu entscheiden, ob diese für ein der-artiges Konzept geeignet erscheinen. Laut Einschätzung der Multiplikatoren seien Patien-ten mit starken Selbstwertproblemen oder in einer Phase großer psychischer Instabilität eher ungeeignet für einen derartigen Interventionsansatz. Die Patienten müssen in der Lage sein, mit Ambivalenzen umzugehen, um nicht Gefahr einer Destabilisierung zu laufen.

Ebenfalls problematisch seien Patienten, die ein großes Aufmerksamkeitsbedürfnis

147 aufweisen. Hier bestünde die Gefahr, dass diese die Intervention ausnutzen, um verstärkt Zuneigung zu erfahren und mit einem Ende der Interventionsphase nur schlecht zurecht-kämen.

Um das HELPS-Projekt weiter in den Einrichtungen etablieren zu können, müssten jedoch zunächst die strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden. So muss die Förde-rung einer gesundheitsbewussten Lebensweise in den Behandlungsplan der Patienten mit-aufgenommen werden, um den Multiplikatoren zu ermöglichen, darauf verwendete Be-treuungszeit entsprechend zu dokumentieren. Die Förderung einer gesundheitsbewussten Lebensweise gehört grundsätzlich zum Leistungsspektrum des Sozialgesetzbuches (SGB) XII. Darauf kann in der Leistungsvereinbarung, welche zwischen den Einrichtungen und dem Träger der Sozialhilfe abgeschlossen werden muss, Bezug genommen werden. Die Einrichtungsmitarbeiter brauchen einen konkreten Behandlungsauftrag bezüglich der För-derung einer gesundheitsbewussten Lebensweise der Patienten. HELPS sollte auf dieser Grundlage als Einrichtungsmaßnahme etabliert werden, sodass nicht mehr nur wenige Mit-arbeiter in der Anwendung von HELPS geschult sind, sondern das gesamte Betreuungsper-sonal involviert ist. Damit kann ein struktureller Rahmen für eine konsequente Umsetzung geschaffen werden. Um dies zu ermöglichen, müssen außerdem regelmäßige HELPS-Schu-lungen angeboten werden.