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Nutzung industrieller Kompetenzen im Kostenwettbewerb

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.3 Die Produktspezialisten

4.3.3 Mit ‚alten’ Produktkompetenzen auf neue Märkte

4.3.3.2 Nutzung industrieller Kompetenzen im Kostenwettbewerb

Wie oben gezeigt, beruhen die Marktzugangsstrategien der Unternehmen nicht alleine auf ih-ren Produktkompetenzen, sondern zugleich auch auf ihrer Fähigkeit, ihre Produkte kosten-günstiger als die Konkurrenz anzubieten. Diese Wettbewerbsstärke im Kostenwettbewerb gründet dabei nicht alleine auf nahe liegenden Faktoren wie den durch die Reorganisation und Modernisierung im Privatisierungsprozess geprägten besonderen Ausgangsbedingungen der Unternehmen84 oder der Nutzung der niedrigeren ostdeutschen Lohnkosten85

Nutzung qualifizierter Arbeit

, sondern beruht auch auf den industriellen Kompetenzen der Unternehmen. Dies scheint insbesondere an zwei Stellen auf: erstens der Nutzung qualifizierter Arbeit (in der zugleich auch die Möglichkeiten zu einer Kostensenkung durch Lohnkostensenkung, wie ich in Kapitel fünf zeigen werde, ihre Grenzen finden) und zweitens dem Einsatz der zu DDR-Zeiten erworbenen Produkt- und Pro-zesskompetenzen zur Reduzierung des Entwicklungs- und Fertigungsaufwandes.

Alle vier Unternehmen sind durch eine hohe Facharbeiterorientierung gekennzeichnet. Eine solche hohe Facharbeiterorientierung entspricht zwar gerade im Fall eines mittelständischen Nischenproduzenten wie Schleckermaul durchaus den Erwartungen, sie findet sich aber auch in den Unternehmen, die wie Kokillenguss und SBB auf Massenproduktion setzen, hierbei aber besonders hohen Qualitätsanforderungen ihrer Kunden unterliegen. Diese Facharbeiter-orientierung wird von den Unternehmen selbst unter den von ihnen im Kostenwettbewerb ver-folgten Strategien aufrechterhalten. Hierbei spielen den Unternehmen sicherlich sowohl der bereits zu DDR-Zeiten hohe Facharbeiteranteil als auch die nach wie vor im Vergleich zu den alten Bundesländern deutlich kostengünstigere Verfügbarkeit ausgebildeter Arbeitskräfte in die Hände (BMVBS 2009, BMWI 2009a). Wichtig sind hier aber nicht nur die ostdeutschen Lohnkostenvorteile. Wichtig ist vor allem die Art und Weise, in der die Unternehmen die Qualifikationen gerade auch in ihrer Fertigungs- und Arbeitsorganisation nutzen. Besonders

84 So wurden die Werft und das Stahlwerk im Privatisierungsprozess weitgehend modernisiert und erneuert. Im Falle des Stahlwerks umfasste die Modernisierung u.a. den Aufbau fehlender und bis dahin als Fremdleistung zugekaufter Prozessstufen. Im Fall der Werft entstanden große Teile der Werksanlagen (u. a. die Dockhalle) neu, und es erfolgte eine weitgehende Automatisierung. Beide Unternehmen vermochten es, im Zuge der ‚Sanierung’

ein am ‚state of the art’ orientiertes Modernisierungskonzept umzusetzen und gehören damit zu den modernsten und produktivsten Werken ihrer Art, verfügten also gerade in Bezug auf die Produktionskosten über gute Aus-gangsbedingungen im Wettbewerb.

85 Alle vier Unternehmen nutzen die ihnen gegebenen Möglichkeiten zur Reduzierung der Lohnkosten. Dies be-trifft nicht nur die ostdeutschen Belegschaften, die nicht nur in den Unternehmen dieser Fallgruppe oftmals unter einem hohen Druck zu Konzessionen in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitszeit stehen (siehe hierzu Kapitel fünf).

Genauso finden sich bei zwei Unternehmen auch Bestrebungen zu Produktionsverlagerungen an mittelosteuro-päische Standorte mit geringeren Lohnkosten: Die Kokillenguss GmbH baute aus Lohnkostengründen eine ei-gene mittelosteuropäische Dependance auf, die zum Befragungszeitpunkt auf drei Viertel der Größe des Stammwerks angewachsen ist. Der slowakische Standort vermag allerdings nicht ähnlich komplexe Produkte wie das Mutterunternehmen zu fertigen. Das Unternehmen nutzt die Standortunterschiede, um die eigene Fach-arbeiterbelegschaft zu halten und trotzdem bei besonders preissensitiven Aufträgen mitbieten zu können. Die Störtebecker-Werft plant zum Interviewzeitpunkt eine Kapazitätsausweitung und Lohnkostensenkung durch die Fremdvergabe lohnkostenintensiver Stahlbauarbeiten (vor allem Schweißarbeiten) bis hin zur Fertigung von bislang vor Ort gefertigten Großbauteilen („Sektionen“) nach Mittelosteuropa. Eine solche Kooperation ist im Handelsschiffbau durchaus üblich (Ludwig/Tholen 2007).

deutlich werden die mit dem ererbten hohen Facharbeiterpotenzial auch für industrielle ‚Mas-senproduzenten’ verknüpften strategischen Möglichkeiten im Kostenwettbewerb am Beispiel des Stahlwerks SBB. In der Produktion liegt der Facharbeiteranteil des Stahlwerkes 2006 bei weit über 90 % und damit deutlich über dem Branchendurchschnitt86

„Der prägende Standortvorteil von SBB ist, dass wir hier dieses Facharbeiterpotenzial haben.

Wir haben im Vergleich zu Westdeutschland und auch zu unseren befreundeten Unternehmen im europäischen Ausland einen exorbitant hohen Facharbeiteranteil. Von den Qualifikationen her sind das Produkte des sozialistischen Bildungssystems, die tatsächlich an Exzellenz grenzen.

Wir versuchen natürlich, das über Ausbildung auch zu halten, um den Anschluss nicht zu verlie-ren. (…) Worin liegt der Standortvorteil: in der besonderen Personalflexibilität oder den nied-rigeren Personalkosten? Flexibilität und Personalkostenabstand. Wenn man die Gesamtperso-nalkosten betrachtet, liegt der Abstand in der Größenordnung von 15 bis 20% zum Westen. Ich hoffe, dass wir den auch halten werden. Wie kommen Sie auf diesen Abstand? Der Facharbeiter-anteil in der Stahlindustrie ist üblicherweise ungefähr um die 60%, wenn die Unternehmen gut sind. Hier ist er bei 90%, und die anderen bringen auch ein entsprechendes Know-how mit.

Damit ist es möglich, eine entsprechende Arbeitsplatzgestaltung zu machen, da man relativ gut und breit qualifizierte Mitarbeiter hat, die mehr Aufgaben übernehmen können. Anders ist es, wenn man für die eine Spezifikation den einen braucht und für die andere jemanden anders. Wir bieten hier in der Ausbildung und in der Praxis, also der berufsbegleitenden Ausbildung, eine Multiqualifikation an, die sich auch als Entgeltvorteil realisiert“ (Arbeitsdirektor SBB).

. SBB nutzt das hohe und im Zuge des Personalabbaus gestärkte Qualifikationsniveau zu einer anspruchs- und anforde-rungsvollen Arbeitsorganisation mit überwiegend Mehrbereichsarbeitsplätzen, die sich – nicht nur im Zusammenspiel mit den ostdeutschen Lohnkostenvorteilen – für das Unternehmen rechnet.

Deutlicher Ausdruck der durch hohe Aufgabenvielfalt und Eigenverantwortung sowie qualifi-zierte Arbeit gekennzeichneten Arbeitsorganisation und der bei den Facharbeitern liegenden industriellen Kompetenzen ist das betriebliche Vorschlagswesen: Als dem Standort Ende 2003 von seinem Mutterkonzern Einsparungen in Höhe von knapp 100 Millionen Euro auf-erlegt wurden, zu deren Realisierung eine bekannte Unternehmensberatung drastische Ein-schnitte bei den Personalkosten und einen Personalabbau von rund einem Drittel empfahl, setzte der Standort zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen auf die Mobilisierung seiner Mitarbeiter im Rahmen einer breit angelegten Kampagne zur Erhebung von Spar- und Verbesserungsvorschlägen.

„Das macht hier auch noch mal Motivation, Kreativität, Facharbeiterpotenzial deutlich: Da sagt XYZ (Name der Unternehmensberatung) selbst, dass sie das auch noch nicht erlebt haben. (…) was hier feststellbar ist, dass wir in den Bereichen Einsparung von Sachkosten und sonstigen Kosten exzellente Mitarbeitervorschläge haben. Also, dass sie für die spezifischen Dinge wie Zinkbedarf, Schmiermittelbedarf, Wasserbedarf, alles, was sonst so nebenbei läuft, exzellente Vorschläge gebracht haben“ (Arbeitsdirektor SBB).

Bereits in einer ersten Welle bis zur Jahresmitte 2004 gingen pro Mitarbeiter sieben Verbesse-rungsvorschläge ein, aus deren systematischer Überprüfung über 560 Maßnahmen zur

86 Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl lag der durchschnittliche Facharbeiteranteil in der bundesdeutschen Stahlindustrie zeitgleich bei 63,5 % (2006), dies allerdings mit steigender Tendenz: 65,5 % in 2008 (Stahlinstitut VDEh/Wirtschaftsvereinigung Stahl 2009).

teneinsparung und zur Verbesserung von Service, Arbeitsqualität und Arbeitssicherheit her-vorgingen und durch die bereits ein Einsparvolumen von über 13,5 Millionen Euro realisiert werden konnte. „Man sieht also, es sind sehr werthaltige Ideen. Das ist etwa ein Faktor 30 zu vergleichbaren Unternehmen“ (Arbeitsdirektor SBB). Um den dem Anschein nach trotzdem notwendigen Personalabbau zu realisieren, wurde vor dem Auslaufen der entsprechenden ge-setzlichen Regelungen noch eine große Zahl von Altersteilzeitverträgen abgeschlossen, die dem Arbeitsdirektor des Unternehmens angesichts des kurze Zeit später einsetzenden Stahl-booms und des sich damit abzeichnenden Personalbedarfs allerdings bereits als viel zu hoch erscheint.

Nutzung planwirtschaftlicher Fertigungskompetenzen

Bereits das Beispiel der ‚Volkswagen-Strategie’ der Schleckermaul GmbH zeigte, dass die Unternehmen ihre Produktkompetenzen auch dazu nutzen, ihren Entwicklungs- und Ferti-gungsaufwand zu reduzieren und Strategien der Preisdifferenzierung zu realisieren. Das ist für Unternehmen dieses Typs zunächst sicherlich wenig verwunderlich, anderes würde man auch von keinem westdeutschen Unternehmen erwarten. Allerdings finden sich auch hier Anknüp-fungspunkte an zu DDR-Zeiten entwickelte Kompetenzen. Dies ist insofern besonders bemer-kenswert, als sich die Unternehmen selbst in ihren Rationalisierungsstrategien auf industrielle Kompetenzen stützen, die sie im Kontext einer Produktionsweise erworben haben, deren Inef-fizienz als ursächlich für den Zusammenbruch der DDR angesehen wird und deren Überwin-dung eigentlich im Zentrum des Transformationsprozesses steht. Gerade in der Organisation ihrer Fertigungsaktivitäten weisen die Unternehmen zum Teil deutliche Bezüge zu der – für die Planwirtschaft typischen, sich an fordistischen Prinzipien orientierenden – planwirtschaft-lichen DDR- (Groß-) Serienproduktion auf. Sie machen sich hier Kompetenzen zu Nutze, die im Kontext einer weitgehend durch planwirtschaftliche Produktionsplanung und die Aus-richtung auf eine (Groß-) Serienproduktion geprägten Industrieorganisation entstanden sind.

Auch wenn die Unternehmen sich mit der Wende auf ein ausdifferenziertes Spektrum vielfach kundenspezifisch zu konfigurierender Produkte umstellen mussten, wurden diese industriellen Kompetenzen nicht entwertet87

87 Besonders gut verdeutlicht der Fall des Maschinenbauunternehmens Schleckermaul GmbH diesen Kontrast:

Das Unternehmen war zu DDR-Zeiten auf dasselbe Segment des Maschinenbaus spezialisiert und damit nicht nur DDR-weit der einzige, sondern auch RGW-weit ein zentraler Lieferant dieses Maschinentyps. Seine Pro-duktpalette bestand vor allem aus standardisierten Maschinen. Den Hintergrund hierfür bildet der staatliche Pla-nungsmechanismus: Allein schon aus Gründen der Handhabbarkeit im Planungsprozess zielte die staatliche Pro-duktionsplanung der DDR auf eine Begrenzung der Produktvielfalt. Dies wurde zum einen durch RGW-weite Abstimmungsprozesse und die Begrenzung von Doppeltproduktionen gerade spezialisierter Produkte zu errei-chen versucht. Zum anderen wurde aber auch die Produktvielfalt auf dem Binnenmarkt eingeschränkt. Dies gilt insbesondere für die Lebensmittelproduktion, für die die Schleckermaul GmbH die Maschinen zuliefert. Deren große Produktvielfalt wurde gerade in den frühen Jahren der DDR aufgrund knapper Produktionskapazitäten als Problem in der Organisation der Versorgung der Bevölkerung gesehen. Die planwirtschaftliche Umgestaltung der DDR-Industrie ging entsprechend mit einer deutlichen Einschränkung des Produktsortiments, einer zentralen Sortimentsplanung und einer Spezialisierung der Betriebe auf einzelne Produkte einher. Deutlich wird dies etwa am Beispiel der DDR-Süßwarenindustrie, deren Sortimentsbreite an Zuckerwarenartikeln zwischen 1958 und 1973 von 3.307 verschiedenen Artikeln auf 435 Artikel reduziert wurde, während die Entwicklung des westdeut-schen Lebensmittelmarktes zeitgleich durch eine deutliche Ausdifferenzierung der Produktpalette

gekennzeich-. Vielmehr lassen sich teils Lernschritte nachzeichnen, in

de-nen die Unternehmen diese industriellen Kompetenzen auf ihre neuen Produktionsstrategien übertragen.

So versucht Schleckermaul die Variation ihrer kundenspezifischen Maschinen dadurch zu be-grenzen, dass intern Maschinenbauteile zu einem möglichst hohen Grad als Standardbauteile entwickelt und als Standardkomponenten genutzt werden. Auch dies mag auf den ersten Blick nur rational wirken und kaum auf ostdeutsche industrielle Kompetenzen verweisen, finden sich vergleichbare Strategien doch auch in westdeutschen Maschinenbauunternehmen. Doch im Rückblick treten die Anknüpfungspunkte an die DDR-Produktionserfahrung zu Tage.

Ausgehend von seinen Serienfertigungserfahrungen zu DDR-Zeiten setzte das Unternehmen zunächst darauf, seine ‚Volkswagen-Strategie’ dadurch umzusetzen, dass es versuchte, sich in Anknüpfung an sein ‚Geschäftsmodell’ zu Planwirtschaftszeiten als Serienproduzent von Standardmaschinen zu etablieren und so Preisvorteile gegenüber der etablierten westdeut-schen Konkurrenz, insbesondere gegenüber dem Mutterunternehmen, aufzubauen. Diese Rechnung ging allerdings so nicht auf.

„Wobei wir das eigentlich aus der DDR schon hatten. Denn wenn wir etwas gemacht haben, dann immer gleich für riesige Stückzahlen. Es gab ja nicht diese Vielfalt an Erzeugnissen, son-dern ein Erzeugnis wurde ganz, ganz oft genau so gebaut. Gerade im Russlandmarkt hat man weniger auf Kundenanforderungen reagiert, sondern mehr auf Stückzahlen, Liefertermine. (…) Und das war dann erstmal die Argumentation dafür, warum wir preiswerter als andere sind.

Dass wir sagen, wir entwickeln ein Erzeugnis und reagieren nicht auf jeden Kundenwunsch.

Wir haben uns einmal richtig Gedanken gemacht, was man unbedingt braucht (…) Unsere Grundmaschine, so wie dort steht, kann das. Und wenn man jetzt irgendwelche Sonderdinge machen will, kann man das bei unserem Mutterunternehmen kaufen. Bei uns geht das halt nicht, dafür sind wir aber preiswerter. Das geht so aber auch nicht. Von diesen Kunden gibt es immer weniger. Auch kleine Kunden und Kunden mit wenig Geld haben immer mehr den Anspruch, individuell bedient zu werden, möchten das optimal auf sie zugeschnitten haben. Die sagen dann, dann lasst euch eben etwas einfallen, wie ihr diese Flexibilität auch preiswert machen könnt“ (Leiter Konstruktion Schleckermaul).

Heute versteht sich Schleckermaul zwar als ausgewiesener Spezialmaschinenbauer mit klei-nen Stückzahlen und sehr kundenspezifischen Produkten. Die damit verbundene Varianten-vielfalt ist allerdings mit einem entsprechend hohen Zeitaufwand in der Produktentwicklung verbunden, dem das Unternehmen als Lehre aus dem gescheiterten Versuch einer Standard-maschine mit neuerlichen Standardisierungsüberlegungen – diesmal in Form einer Modulari-sierung der benötigten Baugruppen und dem Aufbau eines entsprechenden ‚Baukastensys-tems’ – begegnet.

„Und das ist jetzt diese zweite Veränderung, die so in den letzten Jahren zu Tage getreten ist und wo wir uns bemühen, das jetzt konsequent umzusetzen, dass wir mehr modular konstruie-ren. Dass wir also das Augenmerk nicht so sehr auf eine Fertigmaschine legen, sondern dass wir Einzelkomponenten bauen und dabei gezielt darauf gucken, wie wir Schnittstellen festlegen.

Also: so wenig wie möglich Kommunikation mit der benachbarten Baugruppe, sodass man Teile leicht kombinieren kann und dass der Konstruktionsaufwand, um so eine Baugruppe in ei-nem anderen Erzeugnis zu nutzen, geringer wird (…) Das sieht man eigentlich auch, dass das

net war (Heinemann 2007:79). Diese Sortimentseinschränkung spiegelt sich wiederum in der Ausrichtung des entsprechenden Lebensmittelmaschinenbaus auf Serienproduktion und Standardmaschinen wider.

zumindest bei den Kleinaggregaten erfolgreich ist, weil man diese Baugruppen immer wieder sieht“ (Leiter Konstruktion Schleckermaul).

Ähnliche ‚Baukastenprinzipien’ finden sich im Fall der Störtebecker-Werft. Auch hier lassen sich Elemente der alten DDR-Produktionsweise im modernen Werft-Konzept entdecken, auch wenn dieses sich nicht nur an eigenen Erfahrungen, sondern gleichermaßen auch an den Stra-tegien asiatischer Wettbewerber orientiert.

Während die Schiffe westdeutscher Werften nach wie vor in hohem Maße nach Reedereian-forderungen gebaute Einzelanfertigungen sind, verfolgt die ostdeutsche Werft eine auf Serien-fertigung und höheren Durchsatz ausgerichtete Strategie des ‚industriellen Schiffbaus’, mit der sie sich von der westdeutschen Konkurrenz absetzt88. Bezogen auf die Fertigungskosten zielt die Strategie des Unternehmens hier auf Skaleneffekte, die für das auf westdeutschen Werften vorherrschende auf Spezialschiffbau und eher manufakturartige Einzelfertigung aus-gerichtete Produktionsmodell eher untypisch sind, ohne die es dem Unternehmen aber kaum gelungen wäre, in den umkämpften Containerschiffbaumarkt vorzustoßen89

„Der westdeutsche Schiffbau arbeitet nach wie vor im Manufakturstil, während die ostdeut-schen Werften in großem Stil fabrikmäßig arbeiten, genau wie die koreaniostdeut-schen Werften. (…) Wir machen ganz klar industriellen Schiffbau und keine Manufakturarbeit. Also, wir sind nicht die XYZ-Werft (bekannte westdeutsche Werft), die ein oder zwei oder drei Schiffe im Jahr bauen, Produkte von höchster Qualität, keine Frage. Aber wir bauen im Moment 12 Schiffe im Jahr und wollen mal irgendwann in naher Zukunft dahin kommen, 20 Schiffe im Jahr zu bauen.

Das ist wirklich ein industrieller Betrieb hier. Und entsprechend sind wir aufgestellt mit unseren Prozessen, mit unserer Struktur. In der Form unterscheiden wir uns stark von den Werften im alten Bundesgebiet“ (Leiter FuE, Störtebecker-Werft).

. Zugleich stellt eine schnelle Auslieferung der bestellten Schiffe, wie oben bereits dargelegt, einen nicht un-wichtigen Wettbewerbsvorteil dar.

Auch wenn es sich bei der Störtebecker-Werft um eine der modernsten europäischen Werften handelt, die auf den ersten Blick kaum noch etwas mit der alten DDR-Werft gemein hat, wer-den bei näherer Betrachtung die historischen Bezugspunkte der verfolgten Strategie deutlich.

Vor 1989 gehörte die Störtebecker-Werft gemeinsam mit den anderen ostdeutschen See-schiffwerften zum VEB Kombinat Schiffbau, das maßgeblichen Einfluss auf die

88 Eich-Born interpretiert diese auch auf den anderen ostdeutschen Werften zu beobachtende Strategie als Aus-druck der Sandwich-Position der Unternehmen, aus der heraus diese sich unter einem höheren KostenAus-druck se-hen als im Spezialschiffbau erfahrene und etablierte westdeutsche Werften: „Offensichtlich wird der Kosten-druck von ostdeutschen Werften sehr viel stärker wahrgenommen, woraus sich für sie die Notwendigkeit ergibt, höhere Produktivitätssteigerungen über Lernkurveneffekte bei Kleinserienfertigung erzielen zu wollen. Mit an-deren Worten: Effizienz der faktorspezifischen Investitionen wird über die Häufigkeit bzw. Auslastung in einem spezifischen Marktsegment angestrebt“ (Eich-Born 2005:190).

89 Besonders deutlich wird das „maritime Manufakturwesen“ (IG Metall 2004) an den westdeutschen (bzw.

westeuropäischen) Werftstandorten im Vergleich zu großen asiatischen Werften. So stellt der Reisebericht einer China-Delegation der IG Metall-Bezirksleitung Küste mit Betriebsratsmitgliedern der großen deutschen Werften fest: „Der augenfälligste Unterschied zwischen europäischen Werften und ihren Hauptkonkurrenten aus Ostasien liegt in der Produktionsweise. Verglichen mit den Industriebetrieben in Asien, befindet sich der deutsche und eu-ropäische Schiffbau im Stadium des entwickelten Manufakturwesens. Notwendige Kosteneffekte sind jedoch ohne Serieneffekte (economies of scale) kaum zu erzielen. Ein abgestimmter Produkt-Mix mit teilweise Stan-dardkomponenten kann darin ebenso eine Rolle spielen wie intelligente Arbeitssysteme und speziell ausgerich-tete Arbeitsmittel“ (ebenda:32f).

organisation der Werft hatte. Hier finden sich bereits ähnliche Strategien, wie sie die Werft im Containerschiffbaumarkt verfolgt, war die Werft doch bereits zu dieser Zeit auf die Serien-entwicklung und -fertigung von Schiffen ausgerichtet. Kennzeichnend für den DDR-Schiff-bau war – ganz in der Logik der planwirtschaftlichen Rationalisierungsstrategie – eine Spezi-alisierung der Werften des Kombinats auf bestimmte Schiffstypen und damit verbunden ein mehr oder minder stark ausgeprägter Serienbau von Schiffen (North 2008, Wiebeck 2004)90. Die Serienbauausrichtung des Kombinats und seiner Werften findet dabei ihren Niederschlag nicht nur in der Ausrichtung der Produktionsabläufe auf den Werften, sondern genauso auch in der betrieblichen und überbetrieblichen Organisation von Innovationsprozessen. So kommt in den betrieblichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Organisation von Lernkur-veneffekten in der Fertigung und der Entwicklung serienfertigungstauglicher Maschinen und

‚Rationalisierungsmittel’ ein hoher Stellenwert zu. Ergebnisse dieser Entwicklungsarbeiten wie etwa eine teilautomatisierte Mehrkopfschweißanlage kommen auch in der vollkommen modernisierten und auf den allerletzten technischen Stand gebrachten Störtebecker-Werft noch zum Einsatz. Ebenso deutlich werden die betrieblichen Kontinuitäten in der Produkt-entwicklung. Die Ausrichtung auf seriellen Schiffbau führte im Kombinat Schiffbau zur zent-ralen Entwicklung von Basisschiffstypen mit einheitlichen Rastermaßen und einem Baukas-tensystem normierter Ausstattungselemente im Rahmen des so genannten ‚Einheits-Erzeug-nissystems Schiffbau’, das es ermöglichte, eine gewisse kundenspezifische Flexibilität im Rahmen der Serienfertigung zu realisieren (Wiebeck 2004)91

„Anders als westliche Schiffbaubetriebe konnten sie Schiffe in großen Serien herstellen, aller-dings auf einem wesentlich niedrigeren technischen Niveau. Die stärkere Ausrichtung auf indi-viduelle Kundenwünsche der Reeder und das höhere Modernisierungstempo zwangen westliche Werften zu weit größerer Flexibilität“ (Gehrke 1993:106).

. In dieser Serienfertigungskompetenz lag ein wesentlicher Unterschied des DDR-Schiffbaus zu west-deutschen Werften:

Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich in der Strategie des ‚industriellen Schiffbaus’ der Störtebecker-Werft wieder, wobei hier zugleich auch andere Einflüsse zum Tragen kommen.

Die Strategie des ‚industriellen Schiffbaus’ schlägt sich vor allem in zwei Punkten nieder.

Erstens versucht das Unternehmen in der Entwicklung neuer Schiffe allen reedereispezifi-schen Anforderungen und Sonderwünreedereispezifi-schen zum Trotz ein hohes Maß an Standardisierung zu erreichen und greift dabei auf Strategien zurück, wie sie sich auch in der betrieblichen

90 Die Serienbau-Orientierung des Kombinats steht in einem engen Zusammenhang mit seiner Exportorientie-rung und den damit verknüpften Stückzahlen und erklärt sich vor allem aus der regionalen Ausrichtung der ost-deutschen Schiffbauindustrie: Bereits der Auf- und Ausbau der ostost-deutschen Werften nach dem Zweiten Welt-krieg erfolgt (zunächst als Reparationsleistung) mit dem Ziel der Befriedigung der großen sowjetischen Schiff-baunachfrage, und die Sowjetunion stellt bis zum Ende der DDR den Leitmarkt des ostdeutschen Schiffbaus dar.

Vor dem Hintergrund dieser stark quantitativ geprägten Nachfrage entwickelte sich der ostdeutsche Schiffbau hier bereits früh in Richtung Serienschiffbau (Eich-Born 2005, Gehrke 1993, Jenssen 2004, Schiffbaumuseum Rostock 1988, Spychala 2008).

91 Die Verantwortung für zentrale Entwicklungsaufgaben lag beim kombinatseigenen Institut für Schiffbau in Rostock (ISR). Die von ihm entwickelten „Baukästen“ definierten die möglichen Ausstattungselemente. In der

91 Die Verantwortung für zentrale Entwicklungsaufgaben lag beim kombinatseigenen Institut für Schiffbau in Rostock (ISR). Die von ihm entwickelten „Baukästen“ definierten die möglichen Ausstattungselemente. In der