• Keine Ergebnisse gefunden

Die Erstbelegschaften als Beispiel einer erfolgreichen Re-Kontextualisierung Das Beispiel der Erstbelegschaften der beiden Automobilfabriken zeigt, dass diese beiden

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.2 Die Fertigungsspezialisten

4.2.3 Mobilisierung industrieller Kompetenzen im Standortwettbewerb

4.2.3.2 Die Erstbelegschaften als Beispiel einer erfolgreichen Re-Kontextualisierung Das Beispiel der Erstbelegschaften der beiden Automobilfabriken zeigt, dass diese beiden

Unternehmen es vermocht haben, die ererbten industriellen Kompetenzen einer neuen Nut-zung im Rahmen wettbewerbsorientierter Geschäftsmodelle zuzuführen. Eine solche NutNut-zung ist allerdings mitunter sehr voraussetzungsreich. Die Nutzbarkeit der unter planwirtschaftli-chen Rahmenbedingungen entstandenen industriellen Kompetenzen hängt vielfach von einem entsprechenden betrieblichen Kontext bzw. von einer entsprechenden sozialen Einbettung im Betrieb ab. Hintergrund hierfür ist, dass die Nutzung der Kompetenzen eine individuelle Übertragungs-, teils sogar Übersetzungsleistung ihrer Träger voraussetzt, ohne die eine solche Nutzung nicht möglich wäre. Die Reichweite dieser Übertragungsleistung ist dabei zum einen stark von der Art des Anwendungskontextes abhängig. So fällt die Übertragung von prozess-bezogenen industriellen Kompetenzen (etwa im Zusammenhang mit Fertigungstechnologien wie Drehen, Fräsen oder Schweißen) zwischen vergleichbaren Produktionsprozessen sicher-lich leichter als die Übertragung von industriellen Kompetenzen, die ihre Wurzeln in be-stimmten organisationalen Abläufen haben und die nun unter völlig neuen organisatorischen

Rahmenbedingungen genutzt werden sollen (siehe unten). Dies verweist zugleich darauf, dass die Übertragung zum anderen umso anforderungsvoller ist, je fremder sich alter und neuer Anwendungskontext sind. Das Unternehmen kann solche Übertragungsleistungen jedoch auch durch Schaffung eines geeigneten betrieblichen Umfeldes unterstützen. Die Erstbeleg-schaften der beiden Automobilfabriken sind ein Beispiel, an dem sowohl die mit der Re-Kontextualisierung verknüpfte Übertragungsleistung als auch die sich mit einem Scheitern der Re-Kontextualisierung verbundenen Probleme für die weitere Mobilisierung industrieller Kompetenzen besonders deutlich werden.

Wie gezeigt, konnten die Unternehmen mit ihren Erstbelegschaften erfahrene ‚Automobil-werker’ rekrutieren, die sich bereits zu DDR-Zeiten auf anstehende Modernisierungsprojekte eingelassen hatten und sich nun mit besonderer Motivation am Aufbau der neuen Werke be-teiligten und ihre industriellen Kompetenzen einbrachten. Die Zitate zeigen dabei auch, dass die Unternehmen – angeführt wurden vor allem die Autowerke Wagenstadt, gleiches gilt aber auch für OFW – diesen ganz im Sinne der einzuführenden neuen Produktionskonzepte zugleich auch die entsprechenden Freiräume gegeben haben, um diese Kompetenzen einzu-bringen und sie nicht unnötig durch eine restriktive Arbeitsorganisation eingeschnürt haben.

Ohne diese Freiräume wäre eine vergleichbare Nutzung dieser industriellen Kompetenzen nicht denkbar gewesen. Zugleich erwiesen sich die Kompetenzen und Erfahrungen dieser Fertigungsarbeiter aber auch als höchst kompatibel mit den umzusetzenden neuen Produkti-onskonzepten.

„Manchmal haben wir noch geschmunzelt und haben gesagt: Das, was die uns hier erzählen wollen, ist doch gar nicht so unbekannt. Das haben wir eigentlich schon im alten Werk ähnlich gemacht. Da hieß das nur ein bisschen anders. Da musste man manchmal innerlich ein bisschen lächeln, weil man dachte, da kommt jemand aus Japan oder aus Amerika, der uns etwas erzählt, aber im Kleinen haben wir doch einiges manchmal schon so gemacht. (…) Das, was uns als der große KVP-Prozess vorgestellt wurde, wo wir Schulungen durchlaufen mussten, das kannten wir alles irgendwo. Zu DDR-Zeiten hieß das nur Neuererwesen. Das hat plötzlich alles einen anderen Namen gehabt, aber irgendwo war das alles nicht so weit weg. Man konnte sich damit überall mehr oder weniger identifizieren“ (Betriebsrat B, Autowerke).

Das Zitat verweist darauf, dass die Nutzung der industriellen Kompetenzen durch die Unter-nehmen zugleich mit nicht unerheblichen individuellen Übertragungsleistungen der Beschäf-tigten einhergeht. Diese Übertragungsleistungen, die die BeschäfBeschäf-tigten als Voraussetzung der Nutzung der von ihnen eingebrachten industriellen Kompetenzen erbringen mussten, erfolgen hier vielfach durch Bildung von Analogien – „Zu DDR-Zeiten gab es das Kollektiv, und jetzt hat man es Team genannt. Das war für uns nichts anderes“ (Betriebsrat OFW). Gerade die neuen Team- und Gruppenarbeitskonzepte wiesen in den Augen der ostdeutschen Mitarbeiter aus ihrer Erfahrung der realen Strukturen der DDR-Betriebe und der betrieblichen Arbeitsrea-lität der neuen Werke viele Anknüpfungspunkte auf und halfen so, alte Produktionserfahrun-gen und –kompetenzen auf den neuen Produktionskontext zu übertraProduktionserfahrun-gen.

Solche Übertragungsprozesse wurden von den Unternehmen teils auch gezielt unterstützt.

Dies zeigt das Beispiel der Autowerke. Hier wurde die im Zitat anklingende Form der Über-setzung der alten Betriebskollektiv-Logik in die neue Gruppen- und Teamarbeitslogik sogar von der Geschäftsleitung aktiv gefördert, wobei deutlich wird, wie eng diese Übertragung

statt mit Brüchen mit Kontinuitäten in Fragen der Betriebskultur und der betrieblichen Sozial-verfassung verknüpft ist.

„Ein Autostädter Weg ist z. B. der gewesen, dass wir die Geschäftsleitung dazu gebracht haben, dass die Teams auch außerhalb der Arbeitszeit zusammen kommen können, feiern können. Und dann ist vereinbart worden, dass das Team damals jedes Quartal 20 DM vom Unternehmen be-kommt, um in die Gaststätte gehen zu können, kegeln gehen zu können usw. Das war so eine rein typische DDR-Erfahrung. Über die Gewerkschaft kriegte man damals ja auch Geld, um ir-gendwo mal feiern gehen zu können. Das ist für mich so eine typische Erfahrung aus einem DDR-Betrieb, die hier umgesetzt worden ist, und wo sich immer alle gewundert haben, dass der Unternehmer sogar noch etwas gibt, damit wir feiern können“ (Betriebsrat A, Autowerke).

Kontinuität meint hier allerdings kein ‚Weiter so!’. Die gewollt geschaffenen Anknüpfungs-punkte an die alte betriebliche Sozialverfassung dienen im Rahmen der neuen Arbeitsorgani-sation vor allem zur Mobilisierung der industriellen Kompetenzen, nicht zur Fortschreibung der vormaligen betrieblichen Ordnung, die von keiner der beiden Seiten gewünscht wird.

Deutlich wird dies an anderer Stelle: Denn auch wenn die Geschäftsleitung in diesem Fall an die Praxis der DDR-Gewerkschaft anknüpft, sind solche Anknüpfungspunkte nicht in jedem Fall erwünscht. Vielmehr können Analogien zwischen alter und neuer betrieblicher Ordnung durchaus auch die Nutzung der industriellen Kompetenzen ausbremsen. Denn manches west-liche Managementkonzept erwies sich, wie ein anderes Beispiel zeigt, vor dem Hintergrund der DDR-Produktionserfahrungen umgekehrt als negativ konnotiert. In diesem Fall leistete der ostdeutsche Betriebsrat allerdings rechtzeitig die notwendige ‚Übersetzungsleistung’ und warnte das Unternehmen.

„Manchmal musste man auch stoppen, z. B. die ‚Straße der Besten’. Da hieß es, dass man die besten Teams irgendwo aushängt. Da haben wir gesagt, um Gottes willen, das wurde zu DDR-Zeiten schon immer so gemacht. Wenn wir das hier jetzt anfangen, das hat einen schlechten Ruf. Davon sollte man lieber die Finger lassen. Also, solche Ideen kamen uns immer ein biss-chen bekannt vor“ (Betriebsrat B, Autowerke).

„Die steile Kurve der Euphorie wurde irgendwann zur Parabel“

Gerade das Beispiel der Autowerke verdeutlicht zugleich allerdings auch Probleme der Re-Kontextualisierung, die über solche kulturellen Dissonanzen hinausreichen. Denn in der an-fänglichen Euphorie der Mitarbeiter, die gerade in den Autowerken auch bewusst geschürt wurde, ist zugleich auch die später drohende Enttäuschung angelegt. Der Fertigungsalltag ent-spricht in seinen Anforderungen kaum noch der Aufbausituation, von der die Betriebsräte im Interview schwärmen. Und so ist insbesondere bei den Autowerken, mit Abstrichen aber bei-spielsweise auch bei OFW, zu beobachten, dass die anfängliche Motivation der Mitarbeiter mit der Zeit deutlich abgenommen hat. Stattdessen drohen bei der qualifizierten Belegschaft sowohl die Zunahme von Routine im Fertigungsalltag als auch ein allmähliches teilweises Zu-rückdrehen der ambitionierten Arbeitsorganisation und gestiegene Leistungsanforderungen in Unzufriedenheit umzuschlagen, die sich sowohl aus inhaltlicher Unterforderung wie aus (mit dem Alter wachsender) physischer Überforderung speist. In den Interviews wird die aktuelle Situation entsprechend bewusst mit der Aufbruchstimmung und der Dynamik der Aufbau-phase kontrastiert, in der die industriellen Kompetenzen der Mitarbeiter noch in ganz anderer Weise gefragt waren und abgefragt wurden.

„Diese steile Kurve der Euphorie, die anfangs da war, wo es noch ganz steil berghoch ging, wurde irgendwann zur Parabel. (…) Dann kamen die ersten Problemchen, wo auch der Be-triebsrat ins Spiel kam, wo die ersten Verhandlungen geführt wurden, was wir vorher so nicht hatten, dass man sich auch mal zu Streitgesprächen zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung zusammengefunden hat. Da kamen dann die ersten Forderungen wie: Hier muss noch etwas verändert werden, hier muss nachinvestiert werden, hier muss etwas gemacht werden für die Gesundheit der Leute, für die Arbeitsabläufe“ (Betriebsrat B Autowerke).

„Das Grundkonzept ist immer noch das gleiche (…) Nur, es sind bei vielem Abstriche gemacht worden, und das sind eben so Sachen wie Hilfsarbeiten. Die hat man nicht mehr in dem Umfang wie früher. (…) Der Hauptpunkt unsere Arbeit ist, in hoher Produktivität Autos herzustellen.

Das merken die Mitarbeiter dann auch. Vor acht oder zehn Jahren hatten sie noch mehr Spiel-raum, auch etwas anderes zu machen. Das ist auch etwas, wo meiner Meinung nach ein Stück-chen Motivation verloren gegangen ist“ (Betriebsrat A Autowerke).

Auch Berichte von Vertrauensleuten aus dem Autowerk verdeutlichen, wie hier durch das stetige Bestreben, Effizienz und Output des Werkes zu steigern, die Prinzipien des neuen Pro-duktionskonzeptes bereits in Teilen konterkariert werden. So wird etwa über die zu kurze Taktzeit geklagt – „Da bleibt einem zwischen zwei Autos noch nicht einmal mehr die Zeit, sich die Nase zu putzen. Wenn ich Schnupfen habe, kann ich da eigentlich nicht arbeiten“

(Vertrauensmann, Autowerke). Die mit dem neuen Produktionskonzept eingeführte Möglich-keit, das Band anzuhalten, bestünde zwar theoretisch nach wie vor, aber jeder Stillstand über zwei Minuten müsse schriftlich begründet werden. Gerade bei Personalknappheit würde so schon jeder Toilettengang zum Problem. Ein weiteres Beispiel ist eine für den Einbau der schweren Autobatterien gedachte Handling-Einrichtung, die allerdings von den Arbeitern am Band nicht genutzt wird, weil sie zu langsam ist bzw. die Taktzeiten für eine Nutzung zu kurz sind. In den Gesprächen wird dabei deutlich, dass hier durch die steigenden Leistungsanforde-rungen und den damit einhergehenden schleichenden Wandel des Produktionsalltags die Nut-zung der industriellen Kompetenzen mehr und mehr untergraben zu werden droht.

4.2.3.3 Von der Massenproduktion zur flexiblen Großserienfertigung –