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Flexibilität als Geschäftsmodell – das Beispiel BSS

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.4 Die Flexiblen Spezialisten

4.4.3 Industrielle Kompetenzen und unternehmerische Flexibilität

4.4.3.1 Flexibilität als Geschäftsmodell – das Beispiel BSS

Besonders deutlich werden die teils ungeheure Flexibilität und Wandlungsfähigkeit des Un-ternehmenstyps der Flexiblen Spezialisten und die damit verbundenen sich wandelnden An-forderungen an das Kompetenzprofil der Unternehmen am Beispiel der Baltic Shipbuilding Services GmbH und ihrer Geschichte. Zum Zeitpunkt der Unternehmensgründung bestand die Kernkompetenz dieses aus der Abteilung für Isolierungsarbeiten der Störtebecker Werft her-vorgegangenen Unternehmens in der Schiffsisolierung als einer im Wesentlichen wenig an-forderungsvollen Montageaufgabe, die zudem aufgrund der Entscheidung der Seestädter Werft, keine Kühlschiffe mehr zu bauen, regional nur noch begrenzt nachgefragt wurde (zur Störtebecker-Werft siehe Abschnitt 4.3). Das Unternehmen ist damit in seiner Gründungs-phase in hohem Maße von seinem Herkunftsunternehmen abhängig, das die Ausgründung der Isolierabteilung und die Fremdvergabe der verbleibenden Isolierarbeiten vor allem zum Per-sonalabbau und zur Erhöhung seiner Flexibilität und Verbesserung seiner Kostenstruktur nutzt. Dies verdeutlicht bereits die fortbestehende Einbindung in die Fertigungsorganisation der Werft.

„Zu dem Zeitpunkt damals wurden praktisch nur Leistungen erbracht, also kein Material, keine Konstruktion, keine Vorbereitung usw., sondern einfach nur die Isolierung, die die Werft zur Verfügung gestellt hat, wurde dann mit den Leuten von BSS an Bord gebracht und installiert, also, reine Installationen“ (Geschäftsführer BSS).

BSS besteht in dieser Situation vor allem als Lohnfertiger bzw. Montagedienstleister. Dies ermöglicht es dem Unternehmen allerdings, sich auch für andere Montageaufgaben (‚Aus-rüstung’) anzubieten. Ziel ist es, sich aus der einseitigen Festlegung auf die wenig anforde-rungsvollen Isolierarbeiten zu befreien, mit denen sich das Unternehmen in einer drohenden Lohnkostenkonkurrenz zu osteuropäischen Niedriglohnanbietern sieht.

Beständige Ausweitung des Leistungsprofils auf neue Felder

Als auf der auf Containerschiffe spezialisierten Werft mit dem Auftrag zum Bau zweier auf-wendiger Passagierschiffe plötzlich völlig neue Kompetenzen nachgefragt werden und man

nach regionalen Partnern sucht, nutzt BSS dies dazu, auch in andere Geschäftsfelder zu ex-pandieren. In einem ersten Schritt übernimmt das Unternehmen einen Großauftrag zur Mon-tage von Passagierkabinen. Im Rückblick betrachtet der Geschäftsführer des Unternehmens diese erfolgreiche Auftragsakquisition zwar als ambivalent, weil der Auftrag das kleine und noch junge Unternehmen teils deutlich zu überfordern drohte. So verbindet sich für das Unter-nehmen mit dieser Ausweitung des eigenen Leistungsspektrums die Notwendigkeit, die ei-gene personelle Leistungsfähigkeit innerhalb kurzer Zeit deutlich auszubauen. Bereits der Auftragsumfang – 600 Kabinen in sechs Monaten – setzt einen massiven Personalaufbau vor-aus. Das Unternehmen vervierfacht in dieser Phase binnen kurzem nicht nur seine eigene Be-legschaft auf weit über 100 Mitarbeiter, sondern beschäftigt zugleich darüber hinaus auch noch Subunternehmen mit noch einmal ebenso vielen Beschäftigten. Diesen neuen Personal-stamm kann das Unternehmen nach Beendigung des Auftrages und dem (nicht selbst ver-schuldeten) Scheitern eines anschließenden Auftrages auf einer westdeutschen Werft nicht halten. Im Rückblick sieht der BSS-Geschäftsführer Aufträge dieser Größenordnung entspre-chend auch als zu groß für das Unternehmen an. Stattdessen strebt das Unternehmen nun eine Fokussierung auf Nischenbereiche an, in denen es seine besondere Flexibilität und Anpas-sungsfähigkeit besonders gut ausspielen kann.

„Unsere Konkurrenz sind zum einen natürlich die Großkonzerne. Und dann haben wir natürlich auch Konkurrenz von mittelständischen Unternehmen, wie wir eines sind. Davon gibt es aber auch nicht so viele. Gegenüber den großen Unternehmen sind wir sicherlich flexibler und mit Sicherheit auch preisgünstiger. Das müssen wir auch sein. Aber wir haben natürlich auch nicht die Finanzgewalt, um gegen die bei großen Projekten anzukommen. Wenn es um zig Millionen geht, ist es nach wie vor noch so, dass die Werften eher den Großen einen Auftrag geben. Allein um das Risiko zu minimieren. Man glaubt ja immer, dass ein Kleiner eher Pleite geht als ein Großkonzern. Insofern sehen wir uns da doch mehr als Nischenanbieter. Wo wir uns z. B. ganz wohl fühlen, das sind Bereiche, die vom Auftragsvolumen her nicht in die zig Millionen gehen, z. B. alle Behindertenkabinen oder die Brücke. So etwas, wo man nicht 300 Leute oder eine irre Serienfertigung braucht und worum sich die Großen nicht so sehr kümmern“ (Geschäftsführer BSS).

Wesentliche Grundlagen für diese Ausrichtung des eigenen Geschäftsmodells vermag das Unternehmen allerdings gerade im Rahmen des Kabinenbau-Großauftrages zu legen. Denn mit dem Auftrag verknüpft sich zugleich auch die Notwendigkeit zum Ausbau der eigenen fachlichen Kompetenzen, den BSS im Weiteren zur Ausweitung seines Leistungsprofils nutzt.

Dieser Kompetenzauf- und -ausbau erfolgt in zweifacher Hinsicht. Einerseits betrifft er die gewerblichen Beschäftigten. So bietet zwar ein Teil des Auftrages – die Vorortmontage un-ternehmensextern vorgefertigter Kabinen – von der Art der Arbeit und den Qualifikationsan-forderungen her zumindest begrenzte Anschlussmöglichkeiten an die vorgängigen einfachen Montagetätigkeiten im Bereich der Schiffsisolierung. Ein Teil der Kabinen lässt sich aller-dings gar nicht in dieser Weise vorproduzieren, sondern erfordert handwerkliche Fähigkeiten vor Ort. Beispiele hierfür sind besagte Behindertenkabinen, aber auch Korridore, Personalka-binen und die Brücke.

„Die Kabinen, die nicht als Fertigkabinen gebaut werden – z. B. Behindertenkabinen, die kann man nicht vorfertigen – die bauen wir komplett auf. Und die ganzen Korridore bauen wir kom-plett allein, die Brücke wird von uns komkom-plett ausgebaut. In diesem Fall lässt sich das nur vor Ort machen“ (Geschäftsführer BSS).

Andererseits bringen sowohl die Größe wie die Art des Auftrages aber auch neue Anforde-rungen im Projektmanagement (vom Aufbau der notwendigen Infrastruktur über die Koordi-nation der beteiligten Unternehmen bis hin zur logistischen und kaufmännischen Planung und Abwicklung des Projektes) sowie begrenzte Konstruktions- und Entwicklungsaufgaben (etwa bezogen auf die Auslegung und Konstruktion der für die Kabinen notwendigen Belüftungs-anlagen) mit sich. Hierfür verfügt das Unternehmen aus seiner Entstehungsgeschichte heraus nicht in ausreichendem Umfang über die notwendigen Kompetenzen und stellt für deren Be-wältigung bereits im Vorfeld des Auftrages allein 15 teils schiffbauerfahrene Ingenieure neu ein, die das Unternehmen zugleich dazu nutzt, seine Leistungsfähigkeit auch im Bereich wert-schöpfungsintensiverer Arbeiten auszubauen.

„Und als dann die beiden Passagierschiffe gebaut wurden, da haben wir uns dann darauf vorbe-reitet, was kann man auf so einem Passagierschiff noch machen, außer nur Isolierung an Bord zu befestigen. Wir haben uns dann mit dem Kabinenbau beschäftigt, also mit Crew-Kabinen, Passagierkabinen, dem Korridor in öffentlichen Räumen usw. Wir haben uns dazu Konstruk-teure eingestellt, einfach um das vorbereiten zu können“ (Geschäftsführer BSS).

Die auf diese Weise begründete Konstruktionsabteilung wird im nächsten Schritt als BSS En-gineering verselbständigt und befasst sich zum Interviewzeitpunkt – ausgehend von den im Kabinenbau erworbenen Erfahrungen und Reedereikontakten und unter Nutzung öffentlicher Fördermittel – mit neuen, technologisch anspruchsvollen Entwicklungsaufgaben, die dem Unternehmen völlig neue Betätigungsfelder eröffnen sollen.

„Wir haben uns damals, als wir uns mit den Passagierkabinen so intensiv beschäftigt haben und beschäftigen mussten, bei verschiedenen Forschungsprojekten beworben. Ein Thema (für das es Fördermittel gab, d.V.), war damals Security, also, Personenanwesenheitskontrolle auf einem Schiff. Damals aber noch unter einem anderen Aspekt, da war das mehr für den Katastrophen-fall – wo befindet sich welche Person? Rein aus Evakurierungsgesichtspunkten. Dann mit dem 11.September 2001 kippte das ganz plötzlich, da war dann plötzlich Personenzugangskontrolle das Thema. Daraufhin haben wir uns dem angenommen, haben dafür Leute eingestellt im Rah-men dieses Forschungsthemas“ (Geschäftsführer BSS).

Im konkreten Beispiel geht es um Zugangskontrollsysteme, für die es zwar grundsätzlich be-reits Lösungen gibt, die jedoch aus verschiedenen Gründen nicht 1:1 auf den Schiffbau über-tragbar sind. Das Unternehmen entwickelt und baut hier – teils unter Nutzung bestehender, zugekaufter Systeme, teils aber auch in eigener Entwicklung – eigene Lösungen, bei denen es wiederum mit der Reederei kooperiert, die bei der Werft die beiden Passagierschiffe in Auf-trag gab113

113 Hier findet sich damit in gewisser Weise ein ähnliches Muster des Reputationserwerbs, wie es bereits bei den Produktspezialisten zu beobachten war.

. In einem anderen Fall entwickelte das Unternehmen im Kontext des Kabinenbauauftrages eigene Lösungen zur Realisierung der von den Innenarchitekten für be-stimmte Kabinen entworfenen Nasszellen. Dass das Unternehmen in beiden Fällen nicht auf vorhandene Lösungen zurückgreifen kann, erklärt sich dabei aus der Kombination der beson-deren Anforderungen im Schiffbau (etwa in Bezug auf die netzunabhängige Energie- oder Wasserversorgung), die eine Übertragung von Lösungen aus anderen Bereichen erschwert, den im Schiffbau typischerweise sehr geringen Stückzahlen sowie der gerade bei Passagier-schiffen hohen Varianz der Kundenanforderungen, aufgrund derer es oftmals keine

standardi-sierten Lösungen gibt, was wiederum auch für KMU wie die BSS GmbH die Chance zur Übernahme solcher Aufträge eröffnet. Neben solchen Strategien zur vertikalen Diversifika-tion und zum Upgrading versucht das Unternehmen auch seine auf der Grundlage des Kabi-nenmontageauftrages erworbenen Fertigungskompetenzen weiter zu nutzen und plant zeit-weise den Einstieg auch in den Kabinenbau für die lokale Werft, die jedoch bald wieder aus dem Passagierschiffbau ausscheidet.

Von der Isoliermattenmontage zur Isoliermattenfertigung

Jenseits solcher Felder, in die sich das Unternehmen nur auf der Grundlage neu rekrutierter fachlicher Qualifikationen bewegen kann, versucht das Unternehmen aber auch seine ur-sprünglichen Montagekompetenzen im Bereich Schiffsisolierung und Verblechung, der nach wie vor ein zentrales Geschäftsfeld des Unternehmens darstellt, effizienter und breiter zu nut-zen. Dies bedeutet zum einen, dass das Unternehmen sich auch überregional als Montage-dienstleister in diesem Bereich anbietet und es so z.B. vermag, auch größere Aufträge auf westdeutschen Werften zu akquirieren. Zum anderen startet das Unternehmen zum Interview-zeitpunkt aber auch einen interessanten Versuch vertikaler Integration, der darauf zielt, diese Kompetenzen und Erfahrungen auf neue Weise zu verwerten: Mit unter minimalem Investiti-onsaufwand beschafften gebrauchten Industrienähmaschinen sucht das Unternehmen den Ein-stieg in die Eigenfertigung der von ihm benötigten Isoliermatten und damit in ein Feld, das traditionellerweise von Textilunternehmen besetzt wird, die solche Industrietextilien bran-chenübergreifend fertigen. Interessant daran ist weniger, dass das Unternehmen mit den ge-brauchten Maschinen die Matten wesentlich günstiger selber zu fertigen vermag, als wenn es sie, wie dies traditionell der Fall gewesen wäre, zukaufen würde. Vor allem werden die am Markt erhältlichen Isoliermatten von branchenfremden Textilunternehmen in standardisierter Form gefertigt. Dies bringt bei der Montage entweder einen entsprechenden Anpassungsauf-wand an die konkreten, sich von Schiff zu Schiff unterscheidenden Gegebenheiten vor Ort mit sich oder erfordert passgenaue Sonderanfertigungen. Das Unternehmen strebt hier danach, die hiermit verbundenen Kosten mit dem Schritt in die Eigenfertigung zu reduzieren, indem es versucht, seine spezifische Montageerfahrung in die Fertigung einzubringen und damit auch Rationalisierungseffekte für die Montage zu erzielen.

„Isoliermatten sind Kleinkram, das ist nicht anspruchsvoll. Aber wenn man mal nachhakt: So viele gibt es gar nicht, die sich damit beschäftigen und die sich auch einen Kopf darum machen, wie man das optimieren kann. (…) Man kann z. B. die Art der Matten optimieren. Es gibt z. B.

diese ganz normalen Norm-Matten. Und dann gibt es einen Teil, der nach Aufmaß gemacht werden muss. Die sind dann komplizierter, da sind dann Löcher drin, Ausschnitte drum herum usw. Und das kann man optimieren. Das ist jetzt der nächste Schritt, dass man überwiegend mit Norm-Matten arbeitet und diese aufwendigen Teile immer mehr reduziert“ (Geschäftsführer BSS).

Durch eine anforderungsgerechtere Produktion der Isoliermatten soll hier der Anteil der auf-wendigen Sonderanfertigungen reduziert und damit auch der Aufwand in der Montage der Matten gesenkt werden. Die Umsetzung ist dabei nicht ganz so anspruchslos, wie dies in dem Zitat zunächst klingt: Um diesen Rationalisierungsschritt umzusetzen, versucht das Unter-nehmen die bei den Montagearbeitern liegenden industriellen Kompetenzen zu nutzen und holt sich die für die Fertigung der Isoliermatten benötigten Arbeitskräfte aus deren Reihen.

„Die, die das hier machen, habe ich mir aus der Produktion geholt. Eine Frau macht das hier leitend, und die war vorher z. B. auch in der Montage dieser Matten beschäftigt. Die weiß also ganz genau, wie sie etwas produzieren muss, damit sie es besser an Bord einbauen kann. (…) Das ist also nicht nur einfach eine Nähmaschine bedienen? Nein, das hätte uns nicht viel ge-nutzt“ (Geschäftsführer BSS).

Der zum Interviewzeitpunkt erst vor wenigen Monaten und mit nur geringem Aufwand ge-startete Testballon einer an die Anforderungen im Schiffbau angepassten Isoliermattenferti-gung verspricht sich als Erfolg zu erweisen und reizt bereits ÜberleIsoliermattenferti-gungen zu einem neuen Geschäftsfeld an, zeigen doch schnell auch andere Schiffbauzulieferer Interesse.

„Das Ziel ist klar, wir probieren das erst mal. Wir hätten das auch einfacher machen können, in-dem wir die Isoliermatten weiterhin einkaufen oder sie in Polen einkaufen. Nein, wir wollten das selber machen, einmal um die Kontrolle zu haben – wir hatten unseren eigenen Markt – und um Arbeitskräfte zu halten. Und jetzt platzt es aus allen Nähten, und das sieht alles noch total primitiv aus. Aber wenn es jetzt so weitergeht und wir für dieses Schiff auch noch die Matten fertigen, dann sind es schon 4.000 Matten innerhalb der nächsten acht Wochen. Da weiß ich schon nicht mehr, wie wir das hin kriegen, da müssen wir schon über zwei oder drei Schichten nachdenken. Und dann sind wir auch bei einer anderen Firma dran, die einen Auftrag für die nächsten vier Jahre vergeben wollen. Dann müssen wir schon überlegen, dann wird das hier nicht mehr ausreichen“ (Geschäftsführer BSS).

4.4.3.2 Raus aus der Lohnfertigung – die Anpassungsstrategie der Flexiblen