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Die Unternehmen der Fallgruppe

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.4 Die Flexiblen Spezialisten

4.4.1 Die Unternehmen der Fallgruppe

Bevor ich näher auf die Geschäftsmodelle und Anpassungsstrategien der Unternehmen ein-gehe, sollen auch hier zunächst kurz die Unternehmen vorgestellt werden. Bei den Flexiblen Spezialisten handelt es sich um zwei kleinere Unternehmen mit unter 50 Mitarbeitern und zwei größere Unternehmen mit jeweils über 100 Beschäftigten. Alle vier Betriebe sind Grün-dungen der Nachwendezeit. Drei der vier Betriebe – Baltic Shipbuilding Services GmbH, Meyer Motoren GmbH und Schleifstein GmbH – haben einen ostdeutschen Eigentümer. Die Maritime Technikmodule GmbH wurde von zwei Westdeutschen gegründet. Für die Eigen-tümer aller vier Unternehmen gilt, dass diese nur begrenzt Eigenkapital in die Unternehmens-gründung einbringen konnten. Teilweise dienen Familienimmobilien als Sicherheiten für die aufgenommenen Kredite. Die Unternehmen der Fallgruppe sind in Tabelle 4.5 zusammenge-stellt.

Tab. 4.5: Die Flexiblen Spezialisten im Überblick

Unternehmen Branche

Stand-ort

Eigentümer- struktur Altbetrieb oder Neu- gründung Mitarbeiter

Baltic Shipbuilding

Services (BSS) GmbH Schiffbauzulieferer See-

stadt Ost

N

ca. 130 Maritime

Technik-module (MTM) GmbH

Zulieferer für Schiff- und Kraftwerksan-lagenbau (Vormontagen / AnKraftwerksan-lagenbau)

See-

stadt West

N

ca. 40

Meyer Motoren GmbH

Zulieferer für Maschinen-, Windan-lagen- und Schiffbau (Maschinenbau)

Region

Berg-stadt

Ost

N

ca. 40

Schleifstein GmbH Zulieferer für Automobilindustrie und Ma-schinenbau (Teilefertigung) (MaMa-schinenbau)

Berg-

stadt Ost

N

ca. 120

Aus Gründen der Anonymisierung werden für Unternehmen und Standorte Pseudonyme verwendet.

Alle Angaben beziehen sich auf den Befragungszeitpunkt.

Baltic Shipbuilding Services GmbH (BSS)

Hinter dem Namen Baltic Shipbuilding Services GmbH (BSS) verbirgt sich eigentlich eine kleine Unternehmensgruppe von zum Befragungszeitpunkt vier Unternehmen, von denen drei im Verlaufe der 1990er Jahre aus der vor Ort ansässigen Störtebecker-Werft ausgegründet wurden. Bei den BSS-Teilunternehmen handelt es sich mit Ausnahme des bereits 1991 aus der Werft ausgegliederten BSS-Ursprungsunternehmens (BSS Vehicles), dem ehemaligen

‚Fuhrpark’ der Werft, um Unternehmen der Schiffbauzulieferindustrie: ein Betrieb für Schiffselektrik (BSS Electrics), ein in der Schiffsisolierung und im Schiffsinnenausbau tätiger Betrieb (BSS Fitting Services) und ein Ingenieurbüro (BSS Engineering). Aus dem ehemali-gen Werft-Fuhrpark hat sich ein Fuhrunternehmen sowie Handel und Verleih für Sonderfahr-zeuge mit rund 30 Beschäftigten entwickelt. BSS Electrics als 1995 mit zehn Mitarbeitern ausgegründeter Teil der Bordelektrikabteilung der Werft hat sich als elektrotechnischer Be-trieb mit 35 bis 40 Mitarbeitern etabliert, der nach wie vor hauptsächlich für die Störtebecker-Werft arbeitet. Beide Unternehmen haben sich im Bereich des regionalen Einzelhandels und Handwerks etabliert und sollen im Weiteren nicht mehr interessieren. Den an dieser Stelle interessanteren (und im Folgenden auch im Zentrum der Betrachtungen stehenden) Teil der Unternehmensgruppe stellen die beiden anderen Unternehmen und hier insbesondere die ehemalige Isolierabteilung der Werft dar. 1997 fiel auf der Werft die Entscheidung, keine Kühlschiffe mehr zu bauen. Anders als für Bordelektriker war auf der Werft für eine Isolier-abteilung damit nur noch begrenzt Bedarf, und die Abteilung wurde ausgegliedert. Das daraus hervorgegangene Unternehmen BSS Fitting Services musste sich entsprechend neu orientie-ren und hat sich erfolgreich neue Märkte und Kunden erschlossen. Aus den damals 27 beitern sind rund 50 geworden, im Zusammenhang eines besonderen Auftrages lag die Mitar-beiterzahl zeitweise sogar noch deutlich höher. Neben nach wie vor im Bereich des Maschi-nenraums anfallenden Isolierarbeiten, die das Unternehmen noch immer für die Störtebecker-Werft durchführt, ist BSS Fitting Services im Bereich Schiffsisolierung sowie Schiffsinnen-ausbau (etwa Kabinenbau) für eine ganze Reihe von Werften tätig. Darüber hinaus versucht BSS u.a. mit Hilfe des Ingenieurbüros BSS Engineering (rund 15 Mitarbeiter) in neue Felder vorzustoßen. Auch wenn die Unternehmen der Unternehmensgruppe nur zwei Eigentümer (mit wechselnden Anteilen) haben, werden die sehr unterschiedlichen Betriebe strikt getrennt gehalten. Die Organisation als Unternehmensgruppe107

107 Die Unternehmen der Gruppe sind letztendlich vor allem über die beiden Eigentümer verknüpft, bewegen sich aber auf sehr unterschiedlichen Feldern, die wenige Berührungspunkte zueinander haben. Im Kleinen kommt die BSS-Unternehmensgruppe damit am ehesten dem nahe, was Granovetter (2005) im Großen als ‚Busi-ness Groups’ beschreibt.

spiegelt den Geschäftsmodelltypus wieder: Die Entstehung der Einzelunternehmen verknüpft sich jeweils mit Marktchancen, die sich den beiden Unternehmensgründern boten und die diese ungeachtet ihrer laufenden Ge-schäfte mit den jeweiligen Übernahmen bzw. Neugründungen ergriffen haben. Umgekehrt ermöglicht die Organisationsform als Unternehmensgruppe ein hohes Maß an Flexibilität im Aufgreifen schiffbaubezogener Geschäftsgelegenheiten. Durch die Organisationsform lassen sich die für sich eher kleinen Teilfirmen recht flexibel auf neue Aufträge ansetzen. Zugleich werden mögliche Risiken jeweils auf das einzelne Unternehmen begrenzt und von den ande-ren Unternehmen der Gruppe ferngehalten. Ende der 2000er Jahre ist die

Unternehmens-gruppe um weitere Unternehmen angewachsen. Neue Schwerpunkte zeichnen sich dabei im Binnenschiffbau ab. So wird Presseberichten zufolge – „Dann sind wir jetzt halt auch noch eine Werft“ (Unternehmensgründer) – von der Unternehmensgruppe im Herbst 2009 unter Kombination der in den Einzelunternehmen vorhandenen Expertise ein erstes 100m langes Binnenfrachtschiff fertig gestellt, dem weitere folgen sollen.

Maritime Technikmodule GmbH (MTM)

Bei der Firma Maritime Technikmodule GmbH (MTM ) handelt es sich um das jüngste Un-ternehmen des Samples. Das auf Vormontagen (Modulfertigung) für den Schiff- und den Kraftwerksanlagenbau spezialisierte Unternehmen wurde erst 1997 gegründet und hat knapp 50 Mitarbeiter. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, aus von anderen Unternehmen gefertigten und von MTM zugekauften (teils auch vertriebenen) Bauteilen kundenspezifische Anlagenteile in der Peripherie des Schiffsmotors sowie Teile von Kraftwerksanlagen herzu-stellen. Die Spezifikationen dieser Anlagenteile variieren dabei in Abhängigkeit von den ver-wendeten Motoren. Beispiele für solche Module sind Brennstoffversorgungsmodule, in denen der Treibstoff für die Schiffsdieselmotoren aufbereitet wird oder Module im Schmierölkreis-lauf und in der Kühlwasserversorgung, die die wichtigsten Aggregate (Filter, Kühler, Regler, Pumpen, Ventile etc.) dieser Systeme umfassen. MTM stellt hier die entsprechenden Bauele-mente zu Anlagenteilen (Modulen) zusammen und montiert diese auf Metallrahmen als Mo-dule vor. Die Werft braucht diese fertigen MoMo-dule dann nur noch im Maschinenraum des Schiffes (bzw. der Kraftwerksanlagenbauer in der Kraftwerksanlage) aufzustellen und anzu-schließen: „Das heißt ‚Plug and Play’: Wir bauen hier die komplette Anlage, wir testen sie hier. Liefergrenze ist unser Hallentor“ (Geschäftsführer MTM).

Auch wenn das Unternehmen ganz wesentlich auf den auf dem regionalen Arbeitsmarkt ver-fügbaren schiffbauerfahrenen Arbeitskräften aufbaut, hat es keine direkten Wurzeln in der re-gionalen Schiffbauindustrie, sondern geht vielmehr auf die Verlagerung und Expansion eines westdeutschen Unternehmens, der Gödecke & Michels GmbH (G&M)108

108 Der Name wurde aus Anonymisierungsgründen geändert.

, einem im Hambur-ger und Bremer Raum tätigen Ingenieurbüro ohne eigene Fertigung, zurück: Der heutige MTM-Eigentümer und -Geschäftsführer kam zu der Zeit als Unternehmensberater mit G&M in Kontakt und trug die Geschäftsidee an das Unternehmen heran. Gemeinsam mit den G&M-Eignern wurde die dem heutigen Unternehmen zugrunde liegende Strategie ausgearbeitet, die darauf zielte, sich unter Nutzung des ostdeutschen Fördermittelangebots und der sich mit der Modernisierung der ostdeutschen Werften bietenden Möglichkeiten als Schiffbauzulieferer zu etablieren. Mitte der 1990er wurde dann das Unternehmen Gödecke & Michels GmbH als In-genieurbüro aus West- nach Ostdeutschland verlagert und parallel dazu die Maritime Tech-nikmodule GmbH als G&M zugeordneter Fertigungsbetrieb gegründet. Der alte westdeutsche Betrieb wurde weitestgehend aufgegeben. Wenig später trennten sich die Wege der Unter-nehmensgründer und der beiden Unternehmen zwar wieder, die Geschäftsidee blieb aber bei beiden dieselbe. Die Gödecke & Michels GmbH nahm unter ihrem Namen an einem anderen Standort die Entwicklung und nun auch die Fertigung von Modulen auf, die Maritime Tech-nikmodule GmbH erweiterte ihr Leistungsspektrum auf die bis dahin von G&M getragenen

Ingenieursleistungen. Ihren Referenzlisten zufolge hat MTM mit Europa (mit deutlichem Schwerpunkt in Deutschland) und China (mit einer etwa doppelt so langen Referenzliste) zwei klar ausgeprägte regionale Marktschwerpunkte. Um seine Kunden im schnell wachsen-den chinesischen Markt zu bedienen, hat das Unternehmen Ende der 2000er Jahre ein Toch-terunternehmen mit eigener Fertigung in China aufgebaut. 2009 eröffnete MTM eine eigene Vertriebsniederlassung in Hamburg.

Meyer Motoren GmbH

Die Meyer Motoren GmbH baut anwendungsspezifische Elektromotoren und Generatoren in einer Gewichtsspanne von einigen hundert Gramm bis zu mehreren Tonnen. Der Unterneh-mensgründer kann auf einschlägige Erfahrungen aus seiner Arbeit in einem Kombinatsbetrieb zurückblicken, den er allerdings aus politischen Gründen schon zu DDR-Zeiten verlassen hat.

Nach Versuchen bereits zu DDR-Zeiten, sich auf anderen Feldern selbständig zu machen, nutzte er die Umbruchsituation Anfang der 1990er zur (bis dahin versperrten) Rückkehr in den Elektromotorenbau als Kernbereich seiner Kompetenzen und gründete die Meyer Moto-ren GmbH. Das Unternehmen ist ein nahezu echter Garagenbetrieb. Gegründet Anfang der 1990er in der Scheune eines privaten Anwesens in einem Dorf westlich von Magdeburg be-schäftigt die Meyer Motoren GmbH an diesem und einem weiteren, Mitte der 1990er Jahre er-richteten Nachbarstandort 40 Arbeitnehmer, davon acht Ingenieure. Das Unternehmen ist im alleinigen Besitz des ostdeutschen Gründers und seiner Familie, die Unternehmensleitung ging inzwischen auf den Sohn des Gründers über. Ende der 2000-Jahre hat das Unternehmen sich als Zulieferer für den Maschinenbau, den Windanlagenbau sowie den Schiffbau etabliert und erweitert bereits zum dritten Mal seine Produktionsfläche.

Schleifstein GmbH

Die Schleifstein GmbH ist ein Teilefertiger für Unternehmen des Maschinenbaus sowie vor allem der Automobil- und der Automobilzulieferindustrie. Der Maschinenbaubetrieb ist auf die Bearbeitung von Rohlingen und Werkstücken aus den verschiedensten Metallarten durch Schleifen und Fräsen, insbesondere durch Profilschleifen, spezialisiert und verfügt über eine große Bandbreite unterschiedlicher Fräs- und Schleifmaschinen. Die Produkte des Unterneh-mens reichen von Einzelteilen und Prototypen für Entwicklungsabteilungen großer Endher-steller bis hin zur Großserienproduktion von Bauteilen für die Automobilindustrie. Die Wur-zeln der Schleifstein GmbH liegen im Werkzeugbau eines großen Kombinatsbetriebs in Berg-stadt. Dort hatte der Unternehmensgründer als Verfahrensinnovation gegenüber traditionellen Fräsverfahren ein neues Profilschleifverfahren zur Einsatzreife gebracht und rund um dieses Verfahren einen eigenen Bereich im Werkzeugbau des Betriebes aufgebaut. Nach seiner Ent-lassung Anfang der 1990er Jahre machte er sich mit einigen wenigen Mitarbeitern seines alten Bereichs selbständig. Er konnte dabei zunächst auf einem Auftrag zur Fortführung seiner al-ten Produktion aufbauen und dazu die entsprechenden Maschinen des Kombinatsbetriebs übernehmen. In den Folgejahren wuchs das Unternehmen mit immer neuen Aufträgen so schnell, dass es mehrfach in Raumprobleme geriet und über Neubauten und

Ausweichquar-tiere nachdenken musste. Die Schleifstein GmbH ist im alleinigen Besitz ihres ostdeutschen Gründers und seiner Familie und beschäftigt zum Interviewzeitpunkt rund 120 Mitarbeiter109