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Das Geschäftsmodell der Fertigungsspezialisten

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.2 Die Fertigungsspezialisten

4.2.2 Das Geschäftsmodell der Fertigungsspezialisten

Wenn es im Folgenden um das Geschäftsmodell der Fertigungsspezialisten geht, gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass es sich bei den in dieser Fallgruppe betrachteten Unternehmen um einen sehr spezifischen Unternehmenstyp handelt. Alle vier Unternehmen sind zwar formal-rechtlich als eigenständige Unternehmen (GmbHs) konstituiert und treten nach außen teils auch als solche auf (z.B. in Tarifverhandlungen). Allerdings handelt es sich in allen vier Fäl-len um reine Produktionsstandorte. Das Marktzugangsproblem aller hier betrachteten Ferti-gungsspezialisten wird für die Unternehmen vom Tag ihrer Gründung an (bzw. im Fall der Antriebstechnik GmbH: vom Tag ihrer Privatisierung an) quasi von außen gelöst: Die Unter-nehmen produzieren Produkte, die sie nicht selber entwickelt haben für Märkte, die sie nicht selber bearbeiten. Vielmehr sind sie in eine konzernweite, zumeist globale Organisation von Wertschöpfungsprozessen eingebunden und verfügen in der Regel über keine eigenen For-schungs- und Entwicklungs-, Marketing- oder Verkaufskompetenzen. Die meisten und wich-tigsten Schnittstellen zum Markt werden über standortfremde Akteure in den vornehmlich an westdeutschen (bzw. im Fall der Antriebstechnik auch westeuropäischen) Standorten angesie-delten Zentralbereichen geregelt, bei denen auch die wichtigsten dispositiven Kompetenzen liegen. Die ostdeutschen Unternehmen werden als reine Fertigungsbetriebe auf- bzw. ausge-baut und in eine bestehende und funktionierende konzernweite Arbeitsteilung integriert. Ihr Aufbau erfolgt unter massivem externen Ressourceneinsatz und nach extern vorgegebenen Konzepten, die ihnen zwar im Fall der beiden Autohersteller eine besondere Position im von den Konzernen begonnenen standortübergreifenden Reorganisationsprozess einräumen, von der sie auch bis heute profitieren, die ihnen zugleich aber wenig Einfluss auf ihre konzeptio-nelle Ausrichtung lässt.

„Die Idee oder die Planung für die Fabrik hier auf der grünen Wiese, das ist alles in Weststadt (i.e. der Headquarter-Standort, d.V.) entstanden. Da hat man damals gar keine Chance gehabt hier am Standort überhaupt irgendwo Einfluss zu nehmen. (…) Es waren damals diese Ferti-gungsstrategien mit den zwei Hallen und eine Linie, also, das war alles schon fix und fertig. Der damalige Geschäftsführer hat das auch über Jahre hinweg konsequent verfolgt“ (Betriebsrat OFW).

Die Unternehmen sind im landläufigen Sinn also keine ‚vollständigen’ Unternehmen, sondern ordnen sich in ihrer Fertigungsfunktion in eine spezifische Ost-West-Arbeitsteilung ein.

„Pointiert könnte man sagen“, so Scheuplein in Bezug auf die gesamte ostdeutsche Automo-bilindustrie, „dass sich der West-Ost-Dualismus aktuell zu einem Dualismus von Kopf- und Handarbeit entwickelt“ (Scheuplein 2007:51). Wenn ich trotzdem von einem ‚Geschäftsmo-dell’ der Fertigungsspezialisten spreche, hat dies viel damit zu tun, dass diese Unternehmen aller Abhängigkeit zum Trotz weder dem Wettbewerbsdruck völlig entzogen sind (auch wenn ihre Wettbewerbssituation eine spezifische ist) noch in ihrer Reaktion auf diesen Wettbewerb so strategie- und handlungsunfähig sind, wie dies auf den ersten Blick erscheint (siehe etwa die Kritik an diesem Unternehmenstyp in Kapitel zwei). Vielmehr entwickeln sie ihre Stand-orte aktiv, um sich gegenüber ihrer Konkurrenz zu positionieren. Kurz: Auch wenn den Ferti-gungsspezialisten ihr Geschäftszweck von außen vorgegeben wird, verfolgen sie doch auch eigene Strategien in seiner Erfüllung.

Der Branchenkontext: Umbruch in der Automobilindustrie

Wenn die westdeutschen Automobilhersteller Anfang der 1990er Jahre statt auf eine Über-nahme der niedergehenden DDR-Automobilindustrie auf den Aufbau eigener, neuer Werke setzten, liegt dieser Bruch sicherlich nicht unwesentlich in den Defiziten der DDR-Automo-bilindustrie, insbesondere der nur zu offensichtlich an den Bedürfnissen der ostdeutschen Be-völkerung vorbei gehenden Modellpolitik der DDR-Planwirtschaft begründet. Die ostdeut-schen Automarken (Trabant, Wartburg) fanden nach der Wende und mit Öffnung der Märkte einfach keine Abnehmer mehr57. Die ‚frei werdende’ Nachfrage wurde schnell von westdeut-schen Herstellern aufgefangen. Der nun folgende Aufbau eigener Werke ist allerdings nicht Ausdruck daraus resultierender Kapazitätsengpässe der westdeutschen Hersteller (vgl. etwa D'Alessio et al. 2000, Ihling 2002, Mickler et al. 1996). Dies wird bereits an der Marktent-wicklung deutlich: Zwar können die westdeutschen Hersteller in Folge des Vereinigungs-booms 1990/91 in ihren Produktionszahlen Rekordzuwächse verbuchen58, der Markt bricht allerdings bereits 1993 drastisch ein (-18 %) (Hild 2005). Absatzeinbruch und steigender Wettbewerbsdruck führen auch in Westdeutschland zu deutlichem Beschäftigungsabbau (zur Situation Anfang der 1990er Jahre vgl. etwa Kuhlmann 2004, Schumann et al. 1994)59

In der deutschen (und internationalen) Automobilindustrie kommt es zu dieser Zeit zu einem weit reichenden Umbruch, in dem zwei eng miteinander verzahnte Prozesse – der Umsetzung neuer Strategien in der globalen Organisation von Wertschöpfungsprozessen und der

Ent-. Entsprechend kommt es auch beim Aufbau der beiden untersuchten Automobilfabriken zu ei-ner teilweisen Verzögerung der Investitionen, nicht aber zu deren Einstellung. Die in den frü-hen 1990er Jahren getätigten – sicherlich auch politisch angestoßenen und durch Fördermittel angereizten – Großinvestitionen in neue Automobilfertigungen in Ostdeutschland sowie die in ihrem Gefolge entstehenden Fertigungsstätten großer Automobilzulieferkonzerne, für die auch die vier Fertigungsspezialisten im Sample stehen, sind vielmehr nur im Kontext einer strategischen Umorientierung der Autohersteller zu verstehen.

57 Kirchberg schildert den daraus resultierenden dramatischen Zusammenbruch der ostdeutschen Hersteller recht plastisch: „Wie tief greifend der Wandel nach der Wende wirklich werden sollte, begriffen die Automobilbauer schon bald. Niemand wollte die Autos mehr kaufen, die sie Tag für Tag weiter vom Band laufen ließen. Die ersten Notsignale sendete der IFA-Vertrieb aus. Der Absatz war gegen Null gesunken, die Lager quollen über – man benötigte keinen Nachschub mehr. Infolge der Auflösung der sozialistischen Wirtschaftsordnung mit ihrer Trennung von Produktion und Absatz löste sich im März 1990 zuerst die selbständige Verkaufsorganisation auf.

Damit waren die Hersteller, die immer noch den Status Volkseigener Betriebe besaßen, mit einer völlig neuen Situation konfrontiert: Sie mussten nun ihre Autos selber verkaufen. Die Voraussetzungen dafür konnten kaum schlechter sein. Die Pkw-Bestellungslisten in Millionenhöhe hatten sich bereits im Januar 1990 innerhalb von drei Wochen in Nichts aufgelöst. Die DDR-Bürger bevorzugten hauptsächlich ‚West-Wagen’, sehr zur Freude der Gebrauchtwagenhändler, die in diesen Monaten ihre ältesten Ladenhüter losschlagen konnten. Die dem DDR-Automobilerwerb seit Jahren anhängende Frustration entlud sich in Zuwachsraten im Automobilbestand in der DDR, die in der Verkehrsgeschichte ohne Beispiel waren“ (Kirchberg 2000:673).

58 „Plötzlich war ein neuer Markt entstanden, der es für die westdeutschen Fahrzeughersteller, vom Absatzpoten-zial her, durchaus mit den größten Exportmärkten aufnehmen konnte. Gleichzeitig wurden in hohem Maße Ge-brauchtwagen auf dem westdeutschen Markt gekauft, was zusätzlich den Neuwagenabsatz in den alten Bundes-ländern anregte“ Dr. Erika Emmerich, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie VDA in ihrem Vortrag zum Branchentag des Direktorates Fahrzeugbau der Treuhandanstalt am 10.12.1993 (Treuhandanstalt 1994d:179f).

59 Alleine die Volkswagen AG als größter deutscher Autohersteller – Anfang der 1990er Jahre in die roten Zah-len geraten – baut zwischen 1991 und 1993 rund 20.000 StelZah-len ab (vgl. D'Alessio et al. 2000).

wicklung der großen Automobilhersteller und Automobilzulieferer zu transnationalen Kon-zernen – zusammenkommen und der bereits in den 1980er Jahren seinen Ausgang nimmt.

Zunehmend sehen sich die europäische und amerikanische Automobilindustrie zu dieser Zeit mit Erfolgen japanischer Hersteller konfrontiert. Spätestens mit Veröffentlichung der be-kannten MIT-Studie zur Automobilindustrie (im Original 1990 unter dem Titel „The Machine That Changed The World“, deutsch 1991 unter dem Titel: „Die zweite Revolution in der Au-toindustrie“, Womack et al. 1991) bestimmt das japanische Modell der schlanken Produktion oder ‚lean production’ die Reorganisations- und Rationalisierungsdiskurse (siehe Kuhlmann 2004) und greift dabei zunehmend auch über die Automobilindustrie hinaus Raum (vgl. etwa Elger/Smith 1994, Kißler 1996, Lodbrok 1995, Wittke 1995, Zwickel 1996). Unter dem Obertitel der lean production bzw. des lean management wird hier eine breite Palette unter-schiedlichster Managementstrategien diskutiert, die in ihren Details nicht weiter interessieren sollen60

Reorganisation der konzerneigenen Wertschöpfungsprozesse – ostdeutsche Fabriken als Labor für neue Produktionsstrategien

. An dieser Stelle wichtig ist: Auch die deutsche Automobilindustrie sieht sich unter wachsendem Handlungsdruck. Die Anfang der 1990er Jahre über sie hereinbrechende Bran-chenkrise verstärkte hier nur die Dynamik des von den Marktentwicklungen, insbesondere den Erfolgen japanischer Hersteller, angestoßenen Suchprozesses nach neuen, mit den vor-herrschenden tayloristisch-fordistischen Organisationsmodellen brechenden Strategien der Produktions- und Arbeitsorganisation. Gerade in der deutschen und Automobil-zulieferindustrie sind die Formalstrukturen der Konzerne in diesem Zusammenhang seit den 1990er Jahren weit reichenden Veränderungsprozessen unterworfen, die durch Prozesse der Dezentralisierung auf den verschiedenen Organisationsebenen gekennzeichnet sind (vgl. zu-sammenfassend Minssen 2008). Wichtig in diesem Kontext sind insbesondere zwei Entwick-lungslinien in den von den Konzernen verfolgten Reorganisationsbemühungen, durch die die Handlungsspielräume der ostdeutschen Standorte neu bestimmt werden: die Reorganisation der konzerneigenen Wertschöpfungsprozesse sowohl auf der betrieblichen Ebene als auch in Bezug auf die Zulieferbeziehungen sowie die Etablierung neuer Strategien einer markt- und preisorientierten Kontrolle und Steuerung ihrer zunehmend global verteilten Produktionsstät-ten.

In Reaktion auf die japanischen Markterfolge setzt in der Automobilindustrie in den 1990er Jahren eine umfassende Reorganisation der konzerneigenen Wertschöpfungsprozesse ein. Die von den Konzernen verfolgten neuen Produktionsstrategien haben dabei eine doppelte Stoß-richtung: Intern beginnen die Hersteller auf der Ebene der Betriebe mit neuen Ansätzen der Produktionsorganisation zu experimentieren. Als Stichworte für die hierbei verfolgten

60 Zur allgemeinen Diskussion um neue Strategien der Automobilfertigung vgl. insbesondere die MIT-Studie (Womack et al. 1991), die eine breite Diskussion mit einer Vielzahl auch von industriesoziologischen und politökonomischen Veröffentlichungen nach sich zog. Zur Diskussion um die nachfolgenden Entwicklungen in der deutschen Automobilindustrie vgl. etwa D’Alessio et al. (2000 [zur Entwicklung bei Volkswagen]), Kißler (1996 [Vergleich der deutschen und französischen Automobilindustrie]), Kuhlmann (2004), Schumann et al.

(1994 [Rationalisierungstrends u.a. in der deutschen Automobilindustrie]), Zwickel (1996 [Deutschland-Japan-Vergleich am Beispiel von Automobil- und Automobilzulieferindustrie]), zur Diskussion um mögliche gesellschaftliche Konsequenzen siehe etwa Streeck (1996).

gementstrategien sind etwa die flexiblere Gestaltung der betrieblichen Fertigungsabläufe und die Rücknahme technokratisch-tayloristischer Steuerungsformen, die Abflachung interner Hierarchien und die Dezentralisierung von Aufgaben und Verantwortungen, die Ausweitung von Aufgabenprofilen in der Produktionsarbeit und die Einführung von Gruppenarbeit oder die Umsetzung neuer Strategien des Qualitätsmanagements und der Produktionsoptimierung zu nennen (zur Reorganisations- und Rationalisierungsentwicklung in der deutschen Automo-bilindustrie in den 1990er Jahren vgl. etwa D'Alessio et al. 2000, Hild 2005, Kißler 1996, Kuhlmann 2004, Mickler et al. 1996, Schumann et al. 1994, Zwickel 1996). Zugleich stoßen sie in ihren Außenbeziehungen eine umfassende Umgestaltung der Zulieferbeziehungen an (vgl. etwa Deiß 1996, Hild 2005, Roth 1996a, Schmidt 2006b). In den Automobilunterneh-men wirkt sich dies in Form einer deutlichen Reduzierung der betrieblichen Fertigungstiefe und einer Konzentration auf Kernkompetenzen in der Automobilfertigung aus. Im Verhältnis zu den Zulieferern geht es um eine Verringerung der Anzahl der direkten Zulieferer und lo-gistischen Kontakte und den Abbau von Lagerbeständen durch Just-In-Time-Zulieferungen, die Steigerung des Leistungsumfangs der einzelnen Zulieferer und eine höhere Integration der Vorleistungen durch Zusammenfassung zu Modulen sowie um eine stärkere Einbindung von Systemlieferanten in die Produktentwicklung61

Bezogen auf die untersuchten Produktionsstandorte schlägt sich dies an den Standorten der beiden Automobilfabriken etwa in der Ansiedlung von Just-In-Time-Lieferanten im unmittel-baren Umfeld der Automobilhersteller (im Sample vertreten durch die Antriebstechnik GmbH) sowie in der Auslagerung von Produktionsaufgaben (insbesondere Vormontagen) an regionale Zulieferer nieder.

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Unterstrichen wird die Veränderung der Zuliefererrolle zudem durch die technologische Ent-wicklung (insbesondere die Nutzung neuer Materialien und die drastisch wachsenden Elektro-nikanteile). Die Automobilhersteller sehen sich damit in wachsendem Maße auf externes Know-how von Systemzulieferern wie der Automotive Elektronik Wagenstadt GmbH bzw. ihres Mutterkonzerns oder auch der Bergstädter Kokillenguss GmbH, einer als Automobilzulieferer tätigen Gießerei aus der Fallgruppe der Produktspezialisten (zu den Unternehmen dieser Fall-gruppe siehe Abschnitt 4.3) angewiesen. Zugleich erhöhen die Autohersteller allerdings auch massiv den Kostendruck auf die Zulieferer. Bei den Sampleunternehmen spielt dies beispiels-weise im Fall der als Automobilzulieferer tätigen Produktspezialisten Kokillenguss GmbH und Stahlstädter Brammen und Bleche GmbH, einem Stahlwerk, eine wichtige Rolle, macht sich aber besonders im Fall der hier betrachteten Fertigungsspezialisten (sowohl der Automobilher-steller wie der Automobilzulieferer) als reinen Fertigungsstandorten bemerkbar.

Auch die untersuchten Fertigungsspezialisten sind deutlich von den neuen Strategien der Pro-duktionsorganisation geprägt. Insbesondere gilt dies für die beiden Automobilfabriken des Samples, denen bei der Einführung neuer Produktionsstrategien in den Mutterkonzernen eine

61 Die hiermit verknüpfte steigende Bedeutung der Zulieferer drückt sich auch in einer relativen Verschiebung der Beschäftigtenstruktur aus: Während die Beschäftigtenzahlen in der Automobilindustrie nach dem Beschäfti-gungseinbruch Anfang der 1990er Jahre (Tiefststand 1994 mit 641.685) im Jahr 2000 mit knapp 750.000 Be-schäftigten in etwa wieder das Niveau von 1992 erreicht haben und sich die Zahlen seit dem zwischen 760.000 und 770.000 eingependelt haben (2005: 766.350 Beschäftigte, Anstieg zwischen 1995 und 2005 um knapp 16 %), stieg die Beschäftigung in der Automobilzulieferindustrie zwischen 1995 und 2005 um über 30 % (2005:

325.800 Beschäftigte) (Schmidt 2006a, 2006b).

Schlüsselrolle zukommt. Der Aufbau der neuen ostdeutschen Fabriken eröffnet den Automo-bilkonzernen von neuen Formen der Arbeitsorganisation über die deutliche Reduzierung der Fertigungstiefe bis hin zur Ausgestaltung der lokalen und regionalen Zulieferbeziehungen Spielräume zum Experimentieren mit den neuen, japanisch inspirierten Produktionskonzep-ten, zu Experimenten also, die den Konzernen zu diesem Zeitpunkt in den eingefahrenen Strukturen ihrer westdeutschen Altstandorte kaum möglich gewesen wären (Blöcker/Walker 1994, Hessinger et al. 2000, Mickler et al. 1996).

„Also, Sie sagen, das war im Grunde eine Weststädter Idee und die haben diese Grüne-Wiese-Situation genutzt, um Sachen auszuprobieren, die in Weststadt aus den verschiedensten Grün-den nicht gingen? Ja, festgefahrene Strukturen. Die hat man bis heute nicht geschafft aufzubre-chen“ (Betriebsrat OFW).

Die an ihren ostdeutschen Standorten verfolgten neuen schlanken Produktionsstrategien ver-helfen den vornehmlich westdeutschen Autoherstellern nicht nur in ihren ostdeutschen Fabri-ken zum Anschluss an das im Weltmaßstab vorherrschende Effektivitätsniveau. Die ostdeut-schen Standorte dienen zugleich auch als Hebel zur Durchsetzung der nur schwerfällig in Gang kommenden Reorganisation der westdeutschen Autoindustrie (vgl. Mickler et al. 1996).

Deutlich wird die Bedeutung, die ostdeutsche Automobilfabriken in den 1990er Jahren als Referenzstandorte für die neuen schlanken Produktionsstrategien erlangen, an Branchenver-gleichsdaten, die für das Eisenacher Opelwerk vorliegen. Danach arbeiten 1994 in Eisenach 100 % der Arbeiter bzw. 85 % aller Beschäftigten in Gruppenarbeit, während dies im Durch-schnitt der gesamten deutschen Autoindustrie zum gleichen Zeitpunkt nur 22 % bzw. 15,8 % sind. Die einzige Ausnahme bildet hier das Mercedes-Werk in Rastatt mit annähernd gleichen Werten (Roth 1996b:134). Ähnlich erreicht das Opel-Werk in Bezug auf Mitarbeiterverbesse-rungsvorschläge bereits Anfang der 1990er Jahre eine deutlich höhere Anzahl an Verbesse-rungsvorschlägen pro Mitarbeiter als dies an westdeutschen Vergleichsstandorten der Fall ist (ebenda:171). Mehrfach wurde das Eisenacher Werk für sein Vorschlagswesen und Ideenmanagement vom Deutschen Institut für Betriebswirtschaft ausgezeichnet (Läge 2002).

Die Fertigungsleistung liegt Mitte der 1990er Jahre mit 72 Fahrzeugen pro Mitarbeiter und Jahr bereits über der japanischer Transplants in England (56 Fahrzeuge), die zu der Zeit ein Stück weit als europäischer Benchmark gelten (Retzmann 1997). Bestätigt wird diese beson-dere Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Standorte auch an den beiden im Sample vertretenen Standorten. Und gerade in diesem Kontext erweisen sich die Standorte trotz ihrer allein auf die Endmontage von Automobilen bzw. die Fertigung von Automobilzulieferteilen begrenz-ten Funktionen bei Weitem nicht als so strategieunfähig, wie dies auf den ersbegrenz-ten Blick er-scheint. Wichtig an dieser Stelle ist jedoch zunächst einmal: Gerade die beiden Automobilfa-briken unter den Fertigungsspezialisten entstehen mit einem entsprechenden Investitionsauf-wand als Modellfabriken, in denen die Automobilkonzerne die neuen Konzepte der Produk-tionsorganisation austesten und versuchen, ihre Fertigungseffizienz deutlich zu steigern. Für die beiden Automobilzulieferunternehmen der Fallgruppe gilt dies hingegen nur mit deutli-chen Abstrideutli-chen, da beide nie in einen vergleichbaren Charakter als Modellfabrik erlangten.

Aber auch hier finden sich vergleichbare Ansätze der Produktionsorganisation.

Ähnlich deutlich wird der Modellcharakter der ostdeutschen Automobilfabriken auch an der besonders niedrigen Fertigungstiefe der Betriebe, die in beiden Automobilfabriken von Be-ginn an zum Standortkonzept gehört und die auf der einen Seite vom Management zwar als

Ausdruck einer besonders effizienten Organisation der Standorte betrachtet wird, die auf der anderen Seite aber zugleich auch dauerhafter Gegenstand von Auseinandersetzungen zwi-schen Management und Betriebsrat ist:

„Ja, das war damals schon so. Das war eigentlich von Anfang an so. Wir wollten natürlich so viele Mitarbeiter wie möglich hier bei OFW beschäftigen. Und einige vom Management haben natürlich immer die Philosophie vertreten, soviel wie möglich nach draußen zu geben“ (Be-triebsrat OFW).

Die Standorte nehmen hier lange Zeit in ihren Konzernen eine Vorreiterrolle ein, da ähnliche Strategien an den westdeutschen Standorten am harten Widerstand von Betriebsräten und IG Metall scheitern. Zum Untersuchungszeitpunkt werden an beiden Standorten viele Aufgaben von Fremdfirmen wahrgenommen. So sind bei OFW fertigungsnahe Dienstleistungen bis hin zur Werkslogistik weitgehend outgesourct.

„… und dann gibt es natürlich auch die verschiedensten Gewerke hier im Haus: Das sind alles Dienstleister. Aber die eigentliche Werksinstandhaltung ist OFW? Die Werksinstandhaltung ist auf das Minimalste heruntergegangen. Da gibt es über drei Schichten ein, zwei Leute, die nur im Brennpunkt stehen und wenn da heute mal etwas Größeres ausfällt, dann rufen die beim Ser-vice an und der rückt dann hier ein“ (Betriebsrat OFW).

Vor allem aber wird an beiden Standorten mit einer weitgehenden Auslagerung von Vor-montagen zur Reduzierung der Fertigungstiefe experimentiert.

„Wir haben auch kaum noch Vormontagen, die sind so gut wie alle aus der Halle verbannt.

Wenn man jetzt mal von irgendwelchen vorbereitenden Tätigkeiten für die Montage mal ab-sieht, haben wir reine Vormontageplätze keine mehr, das ist alles weg. (…) Die Teile werden als Module ans Band geliefert und eingebaut. Und das Liefern macht dann wahrscheinlich ir-gendein externer Logistikdienstleister? Ja, bis an das Band heran, (aber) nicht bis ins Band. Bis ans Band ist damals im Prinzip auch eine Auslagerung der Logistik gewesen“ (Betriebsrat OFW).

„Wir haben dann später die Situation gehabt, dass wir auch Produktionen raus gegeben haben.

Das war am Anfang eigentlich weniger aus Kostengründen, sondern das war zunächst eigentlich eine Flächenproblematik. Wir hatten erst ein Auto an der Linie, dann kam ein zweites Modell dazu, und wir brauchten mehr Platz. Also hat man nachgedacht, bestimmte Vormontagen weg-zunehmen. Und die Vormontagen hat man weggegeben zu der Firma XYZ ein paar Hundert Meter weiter. Die macht diese Sachen jetzt. (…) Natürlich kam dann auch noch die Kosten-problematik dazu. Vor allen Dingen wurden die Wirtschaftlichkeitszahlen nach außen, also mit so und so viel Leuten so und so viel Autos bauen, dadurch natürlich besser, weil die Ferti-gungstiefe nicht mehr so tief war. Dadurch sind wir wieder relativ weit oben gewesen“ (Be-triebsrat Autowerke).

Die Fertigungsstätten der beiden Automobilzulieferer in der Fallgruppe der Fertigungsspezia-listen folgen nicht ganz demselben Muster wie die Automobilfabriken. Mit ihrer Errichtung zielen die Zulieferkonzerne zum einen auf die sich ihnen in Ostdeutschland und Mittelosteu-ropa nach 1990 mit der Modernisierung der regionalen Automobilproduktion und dem Auf-bau neuer Automobilfabriken neu eröffnenden Märkte. Zum anderen folgen sie zum Teil auch ihren Kunden und bauen Produktionsstätten in der Nähe der neu entstehenden Automobilfa-briken auf. So ist auch die Ansiedlung des Antriebstechnik-Konzerns in Autostadt eng mit seiner Bindung an den Mutterkonzern von OFW als einem wichtigen Großkunden verknüpft, demgegenüber er für das neue OFW-Werk in Autostadt Just-In-Time-Lieferverpflichtungen