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Von der Massenproduktion zur flexiblen Großserienfertigung – das Antriebstechnikwerk

4 Erfolgreiche Anpassungsprozesse in ostdeutschen Unternehmen

4.2 Die Fertigungsspezialisten

4.2.3 Mobilisierung industrieller Kompetenzen im Standortwettbewerb

4.2.3.3 Von der Massenproduktion zur flexiblen Großserienfertigung – das Antriebstechnikwerk

Etwas anders gelagert als die Fälle der Werksneugründungen der beiden Autohersteller ist der Fall der Antriebstechnik Autostadt GmbH, dem einzigen Altbetrieb unter den vier untersuch-ten Fertigungsspezialisuntersuch-ten. Die Privatisierung des Antriebstechnikwerkes ist eng mit dem Prozess der OFW-Ansiedlung in Autostadt verknüpft. Entsprechend den zu DDR-Zeiten ge-machten Planungen zu einem neuen integrierten Produktionsstandort wurde das Werk vom damaligen Kombinat bereits vor der Errichtung der Fertigungshallen für die geplante neue PKW-Produktion am Standort Autostadt errichtet und befindet sich heute somit in unmittelba-rer Nachbarschaft zu den heutigen Fertigungshallen der Ostdeutsche Fahrzeugwerke GmbH.

Anders als die sich zum Zeitpunkt der Wende erst in der Anlaufphase befindliche PKW-Pro-duktion befand sich das Antriebstechnikwerk zu diesem Zeitpunkt bereits in voller Produk-tion. Mit der Währungsunion fielen die langjährigen Exportbeziehungen nach Osteuropa, die bis dahin die Auslastung des für den DDR-Bedarf überdimensionierten Werkes garantierten, allerdings in sich zusammen. Gleichzeitig liefen auch die umfangreichen Lieferverpflichtun-gen an den westeuropäischen Technologiegeber Ende 1989 aus, sodass das Werk Anfang der 1990er Jahre einen drastischen Umsatzeinbruch verzeichnen musste. Als Teil des Kombinates

wurde das vergleichsweise recht moderne Werk zunächst in die OFW-Ansiedlungsverhand-lungen aufgenommen, konnte dann aber im Zuge der Ansiedlung der Ostdeutsche Fahrzeug-werke GmbH und gekoppelt an ein Just-In-Time-Zulieferabkommen bereits 1991 an den heu-tigen Mutterkonzern privatisiert werden.

Anlaufschwierigkeiten im Antriebstechnikwerk

Auch wenn es sich um einen zum Privatisierungszeitpunkt bereits zehn Jahre alten Betrieb handelte, waren die Startbedingungen für das Werk vergleichsweise gut. Der Privatisierung ging eine Bestandsaufnahme des Konzerns voraus, die dem Werk eine gute Produktqualität attestierte. Kritisch hervorgehoben wurden vor allem der zwar qualifizierte, aber eben zu große Mitarbeiterstamm, die (von Beginn an) überdimensionierten Hallen und die aufgrund fehlender Ersatzteile teils verschlissene Technologie. Zugleich verfügte das Werk angesichts einer sich in diesem Feld nur relativ langsam weiterentwickelnden Technologie bereits zum Privatisierungszeitpunkt über eine technische Ausstattung, die anderen Standorten des Kon-zerns teils vergleichbar, teils überlegen war. Auch vom Aufgabenspektrum her – der Ferti-gung andernorts entwickelter Produkte – bewegte sich das Werk in einem vertrauten Feld. Die Übertragung der zu DDR-Zeiten entwickelten Fertigungskompetenzen scheint hier – es geht um die Übernahme und Fortführung eines Altunternehmens – nahe liegend, und es lässt sich festhalten, dass die schnelle Integration des Unternehmens in den Mutterkonzern ohne die vorhandenen industriellen Kompetenzen sicherlich wesentlich aufwendiger und keinesfalls so schnell möglich gewesen wäre.

Trotzdem war der Übergang für das Unternehmen kein leichter und wurde vor Ort vor allem als konflikthaft erlebt, wobei zum einen der massive Personalabbau nach der Wende (um weit über die Hälfte der Belegschaft), zum anderen aber auch ‚Reibereien’ mit der westdeutschen Schwesterfabrik und vor allem das gegenseitige Unverständnis der neuen westdeutschen und der alten, weitgehend in ihren Funktionen belassenen ostdeutschen Manager eine Rolle spiel-ten. Nicht zuletzt diese Konflikte dürften nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass es dem Standort zunächst schwer fiel, mit der eingespielten Produktionsorganisation zu brechen.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten vermochten es die Akteure vor Ort jedoch schließlich, die alten Produktionskonzepte zu überwinden und die vorhandenen industriellen Kompeten-zen in der Reorganisation des Werkes auf neue Weise nutzbar zu machen. Als wichtig erwie-sen sich hier gerade die fachlichen Fähigkeiten der qualifizierten Mitarbeiter in der Ausfüh-rung bestimmter Fertigungsprozesse, wobei der notwendige Personalabbau um über die Hälfte vom Unternehmen sicherlich genutzt wurde, die industriellen Kompetenzen des Standortes zu stärken.

„Wir hatten fast kein ungelerntes Personal, die Mindeststufe war immer Facharbeiter in der Übergangszeit und es ist noch heute fast so“ (Leiter Industrial Engineering, Antriebstechnik).

„In der mechanischen Bearbeitung ist nach wie vor, dass man da zu 100% Facharbeiter hat. Und das war vorher auch schon so? Ja, das war die DDR-Struktur, da hat jeder seine Ausbildung gehabt“ (Manager Human Resources, Antriebstechnik).

Eingebettet waren diese Fähigkeiten zu DDR-Zeiten jedoch in eine nunmehr unzweckmäßige Produktionsorganisation, da sich die zu DDR-Zeiten aufgebaute Fertigung (entsprechend der auf eine Vereinheitlichung der Zulieferteile zielenden Modernisierungsstrategie) durch große

Losgrößen und Serien und seltene Produktwechsel auszeichnete. Der neue Markt, in dem das Unternehmen sich nun bewegte, ist hingegen durch eine spezifische Arbeitsteilung mit den Autoherstellern gekennzeichnet. Diese decken mit ihren Inhouse-Fertigungen etwa ein Viertel des weltweiten Gesamtbedarfs an Antriebstechnikprodukten selber ab, wobei sie konzernin-tern tendenziell eher die großen Serien fertigen und über den Markt vor allem kleinere Serien und Varianten mit höherer Varianz und / oder Komplexität beziehen. Entsprechend bestand die Anforderung an die Fabrik, sich nicht nur räumlich und personell zu verkleinern, sondern sich vor allem auch organisatorisch schnell den neuen Anforderungen nach höherer Produkt-vielfalt und mehr Flexibilität und Effizienz anzupassen.

„Und dann haben die (i.e. der neue Mutterkonzern, d.V.) gesagt, dass wir auf 500 Beschäftigte runter gehen müssen. Und sie haben uns klipp und klar gesagt, dass das erste Jahr nicht zählt, dass wir 1991 noch mit Verlust fahren dürfen. Für 1992 verlangten sie von uns ein ausgegliche-nes Ergebnis, und 1993 wollten sie Gewinn sehen. Das war die Aufgabenstellung“ (Leiter In-dustrial Engineering, Antriebstechnik).

Nach anfänglichem Hin und Her bekam die Reorganisation plötzlich einen ungewollten An-stoß: Durch die unabgesprochene Vermietung eines Teils der Produktionshallen wurde es plötzlich notwendig, die komplette Fabrik umzuräumen und in diesem Zusammenhang auch die bisherigen Produktionsstrukturen zu überdenken.

„Wir haben dann mit der Zentrale gemeinsam verschiedene Szenarien für die Fabrik erarbeitet, die am Ende aussagten, dass die Fabrik in fünf Jahren bei den und den Aktivitäten diesen Um-satz mit dem und dem Gewinn erreichen könnte, und dass wir die Fabrik in dieser Richtung umbauen müssten. Das war das große Konzept. Dann ging das immer noch nicht los. (…) Und dann ist unser Geschäftsführer auf die glorreiche Idee gekommen, wenn wir nur noch 500 Leute sind, brauchen wir auch nur noch so viel Fläche. Da könnte man ja eigentlich etwas vermieten.

Jetzt hat er einfach Verträge abgeschlossen, dass hier in dieses Gebäude, wo unsere Maschinen standen, andere Firmen einzuziehen haben. (…) Und dann haben wir die Fabrik von hier nach dort geschoben und von hier drüben hier herüber. Wir haben sie dann natürlich auch zum da-maligen Stand verändert“ (Leiter Industrial Engineering, Antriebstechnik).

Erst jetzt wurden alte Maschinenverkettungen aufgebrochen, der Maschinenpark neu sortiert und bereinigt, die Fertigungstiefe weiter reduziert und die Produktion reorganisiert.

„Ich hatte hier drüben 14.000 m² voll Maschinen. In der DDR hat man jede Maschine braucht. Und wir haben dann alles rausgehauen. Wir haben für jedes Produkt ein Konzept ge-macht, ausgerichtet auf die in fünf Jahren zu erwartenden Mengen, nach den einzelnen Bautei-len. So haben wir das komprimiert. Da geht man mal in die Schmiedetechnik, nimmt Präzisi-onsschmiedeteile, wo man nicht mehr soviel Bearbeitung hat und kann die Maschinen entsor-gen. Oder es gab verschiedene Arbeitsgänge, die man nach außen verlagern kann, ohne dass man hier großes Theater macht. Oder man verlagert nach Polen. Was wir hier früher alles ge-fertigt haben, war doch nicht normal. Das musste nicht unbedingt sein. Und am Ende war das ein Paket, und dieses Paket musste in diese Halle auf die eine Seite passen, und alles andere musste freigemacht werden“ (Leiter Industrial Engineering, Antriebstechnik).

Wettbewerbsfaktor Engineering

Auch wenn der Bruch mit den eingefahren Abläufen gerade in dem Altbetrieb Antriebstech-nik zunächst schwer fiel und erst durch die Schaffung von Tatsachen durch den Geschäftsfüh-rer erzwungen wurde, beweisen letztendlich auch hier ostdeutsche Fertigungsingenieure wie

der zitierte Leiter des Industrial Engineering, der fast seit Werksgründung im Betrieb ist und damit zum ‚Urgestein’ am Standort zählt, ihre Phantasie und ihr Improvisationsvermögen in der Umgestaltung der Produktion. Die Parallelen zu den bei OFW eingesetzten Produktions-planern sind deutlich. Auch die in diesem Fall bezieht sich ein wichtiger Teil der genutzten industriellen Kompetenzen vor allem auf die Prozessoptimierung. So verfügt das Unterneh-men über eine kleine Konstruktionsabteilung, die zum einen in die Produktentwicklung am westdeutschen Schwesterstandort eingebunden ist, die zum anderen aber vor allem auch vor Ort für die Anpassung der Produktionsprozesse und die prozessbezogene Optimierung der aus der Produktentwicklung als fertig übernommenen Produkte zuständig ist. Die Arbeitsteilung mit der in Westdeutschland angesiedelten Produktentwicklung ist dabei teils fließend.

„Weststadt (Standort des Schwesterunternehmens) hat die Konstruktion, aber man braucht ja auch hier im Haus Konstruktion. (…) Die ist so angelegt, dass sie eigentlich Konstruktions- oder Prozessbetreuung machen soll. Kleine Veränderungen usw. (…) Die Entwicklung wird in Weststadt gemacht, wir kriegen dann eine Zeichnung, und dann heißt es: ‚Macht mal!’. Die ge-ben Richtlinien vor, aber wir müssen das dann über Prototypen ausprobieren. Und dann geht das in alle Welt, dann werden Versuche gefahren und irgendwann wird festgelegt, dass es so ge-macht wird.“ (Leiter Industrial Engineering, Antriebstechnik).

In dem Zitat klingt bereits an, dass es sich bei dieser Art von ‚Prozessbetreuung’ (Terminolo-gie des Unternehmens) um mehr handelt, als um die einfache Umsetzung andernorts entwi-ckelter Ideen. Vielmehr verbergen sich gerade in der Organisation und Konzeption des Ferti-gungsprozesses entscheidende industrielle Kompetenzen, die damit auch eine wesentliche Wettbewerbsstärke des Standortes ausmachen.

„In den Prozessen steckt ja auch das Know-how drin. Also das Produkt, was man dort sieht, das kann eigentlich jeder herstellen. Von der Form her kann das jeder herstellen. Das Problem ist nur, das hält nicht bei jedem. (…) Da stecken so ein paar kleine Geheimnisse drin. (…) Hat sich das Verhältnis zu Weststadt im Lauf der Zeit verändert? Da arbeiten wir eigentlich ziemlich autark. Wir schöpfen da drüben zwar etwas ab, wenn wir mal was sehen. Aber sonst, dass es da direkt großartige Zusammenarbeit gibt, so ist es eigentlich nicht. Da lernt jeder für sich selber?

Ja, eigentlich lernt jeder für sich selber. Dann gibt es dort mal was Positives, da tauscht man sich aus. Man hat ja auch verschiedene Besprechungen. Aber dass man gemeinsam an die Auf-gaben rangeht, macht man eigentlich nur dann, wenn Unterstützung von dort erforderlich ist.

Sonst macht man eigentlich die Sachen im eigenen Hause selber. War das von Anfang an so?

Das war eigentlich schon von Anfang an so“ (Leiter Industrial Engineering, Antriebstechnik).

Das Zitat verdeutlicht: Auch hier wird auf industriellen Kompetenzen aufgebaut, die der Standort über lange Zeit entwickelt hat und die das Unternehmen auch weiter hält. Zugespitzt fundiert hier noch stärker als in den Fällen der beiden Automobilfabriken weniger die Über-tragung westdeutscher best practices und Konzepte, als vielmehr die Kompetenz ostdeutscher Ingenieure den Erfolg des Unternehmens:

„Frage: … das Know-how, was Sie jetzt mittlerweile über Jahrzehnte schon haben … Leiter IE: Das ist sicher bemerkenswert, das kann man nicht so schnell ersetzen … Manager HR: Wir haben wenig Fluktuation. Die, die damals, 1995, schon da waren, die sind heute im ingenieurtechnischen Personal immer noch da“ (Leiter Industrial Engineering, Mana-ger Human Resources, Antriebstechnik).