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3.4 Struktur und Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch

3.4.2 Resonanzzuordnung

Die räumliche Struktur der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch wurde mit NMR-Methoden aufgeklärt. Dazu wurde zunächst eine 13C- und 15N-markierte Proteinprobe anhand des Protokolls aus Abschnitt 3.3.1, Seite 44 präpariert. Eine Protein-Konzentration von 0.9mM in einem 50mM NaPi pH=7, 100mM NaCl Puffer wurde für die Messungen verwendet. Zusätzlich enthielt der Puffer 4mM NaN3 und 0.1mM PMSF als Konservierungsstoff, beziehungsweise Protease-Inhibitor. Die NMR-Messungen wurden bei 300K durchgeführt.

Es wurden zunächst die Resonanzen des Protein-Rückgrats zugeordnet, indem alle Signale der Spektren HNCACB (Wittekind and Mueller, 1993), CBCACONH (Grzesiek and Bax, 1992), HNCO und HNCACO (Kay et al., 1990) in einer Resonanzliste erfasst wurden. Die erfassten Resonanzen wurden anschließend von der Software AutolinkII (Masse and Keller, 2005) abgeglichen, so dass Ketten von Nachbarn definiert werden konnten und anhand von charakteristischen Resonanzen der Cα und Cβ Kerne bestimmten Aminosäuren innerhalb der Sequenz-Fragmente zugeordnet werden konnten (Abb. 3.18, Seite 57). Im Anschluss wurden die Zuordnungen manuell überprüft, und gegebenenfalls verbessert, oder neue Zuordnungen hinzugefügt. Auf diese Weise war es möglich 94.2% der Rückgrat-Resonanzen (HN, N, Cα, Hα und CO) zuzuordnen. Nachdem die NMR-Resonanzen des Rückgrats zugeordnet waren, wurden auch die Resonanzen der Seitenketten zugeordnet. Dazu wurden die Spektren

1H-15N-3D-TOCSY-HSQC (Fesik and Zuiderweg, 1988), HcCH- und hCCH-TOCSY (Bax et al., 1990) und HCCH-COSY (Gehring and Ekiel, 1998) ausgewertet. Für die aromatischen

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Reste wurden zusätzlich die Spektren hbCBcgcdHD, hbCBcgcdceHE und hbCBcgcdHar (Löhr et al., 2007; Yamazaki et al., 1993) ausgewertet.

Eine komplette Auflistung aller verwendeten Spektren befindet sich im Anhang. Insgesamt konnten 92.9% Kohlenstoff-gebundener Protonen und 94.1% Proton-gebundener Kohlenstoff-Kerne zugeordnet werden, wobei die aromatischen CH-Paare zu 100%

zugeordnet werden konnten (Kulic et al., 2013). Die Resonanzen sind unter dem Code 18155 in der öffentlich zugänglichen BMRB-Datenbank (Ulrich et al., 2008) hinterlegt. Die vollständige Auflistung der Resonanzen ist auf der beigefügten CD-ROM enthalten.

Um alle 3D Spektren aufzunehmen waren mehrere Wochen nötig, mit einem Durchschnitt von 60 Stunden Messzeit pro 3D Spektrum. Trotz dieser langen Messzeiten, war das Protein langzeitstabil in Lösung. Dies wurde geprüft, indem zwischen den Langzeitmessungen

1H-15N-HSQC-Spektren aufgenommen wurden, um mögliche Veränderung der Faltung zu verfolgen. Die 1H-15N-HSQC-Spektren wiesen durchweg gleichbleibende Linienbreiten auf und es ergaben sich keine Veränderungen der Resonanzen, was für die Stabilität des Proteins in der verwendeten Lösung spricht. Das 1H-15N-HSQC-Spektrum des Proteins weist eine sehr hohe Dispersion der Protonen-Resonanzen auf. Dies deutet darauf hin, dass das Protein reich an β-Strang-Elementen ist, was sich mit den Ergebnissen der CD-Spektroskopie deckt. Alle

1H-15N-HSQC-Signale haben zudem eine homogene Halbwertsbreite. Dies spricht dafür, dass eine monodisperse molekulare Einheit vorliegt (Abb. 3.18).

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Abbildung 3.18: Zuordnung der Resonanzen der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch.

(A) Zugeordnetes 1H-15N-HSQC-Spektrum. Die Zuordnung wird beispielhaft an den fünf rot markierten Resonanzen veranschaulicht (siehe (B)).

(B) 13C-Spuren der rot markierten Basissignale aus (A) in einem HNCACB-Spektrum. Es sind sowohl die eigenen als auch die benachbarten Cα- (schwarz) und Cβ-Signale (grau) abgebildet. Auf diese Weise war eine Verkettung (rote und blaue Spuren) und damit eine sequenzielle Resonanzzuordnung des Protein-Rückgrats möglich.

58 3.4.3 Strukturelle Informationen

Um strukturelle Informationen zu erhalten, wurden zunächst Distanzinformationen zwischen den Protonen innerhalb der zweiten Neurolin-Domäne gesammelt, indem NOE-Signale in 3D-NOESY-Spektren (Fesik and Zuiderweg, 1988) in einer NOE-Peakliste erfasst wurden. Zusätzlich zu 3D-1H-15N-NOESY-HSQC wurden auch 3D-1H-13C- NOESY-HSQC Spektren ausgewertet. Die dichte Packung der Immunglobulin-Domäne hatte eine hohe Anzahl an NOEs in den Spektren zur Folge (Abb. 3.19). Nachdem alle NOE-Signale erfasst worden waren, wurden sie auch integriert. Aufgrund von hohem spektralen Überlapp wurden die NOEs jedoch nicht manuell zugeordnet. Diese Aufgabe wurde später während der Strukturrechnung bei einem iterativen Prozess von der Software CANDID (Herrmann et al., 2002) übernommen, und anschließend manuell überprüft und gegebenenfalls verbessert.

Abbildung 3.19: NOESY-Spuren eines 1H-15N-NOESY-HSQC-Spektrums ausgehend von den Amid-Signalen für die Aminosäuren S71 – Y75. Die entsprechenden Amid-Signale der 1H-15 N-HSQC-Projektion sind in der Abb. 3.18A, Seite 57 rot markiert. Ausgehend von dem Amid-Diagonalsignal sind die Resonanzen räumlich benachbarter Kerne als NOE-Signale in den Spuren sichtbar. Außer der räumlichen Nähe zu den eigenen Hα-Kernen, sind auch NOEs zu den benachbarten Hα-Kernen zu sehen (rote Spuren). Außerdem gibt es viele NOEs zu aliphatischen Resonanzen, welche für eine kompakte globuläre Struktur charakteristisch sind.

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Um die φ-Dieder-Winkel zu bestimmen, wurde ein 3D-HNHA-Spektrum ausgewertet. Das Experiment war auf eine 3J(HN-Hα)-Kopplungskonstante von 9.6 Hz eingestellt. Die Auswertung der HN- und Hα-Integralverhältnisse, welche den φ-Dieder-Winkel angibt (siehe Abschnitt 2.3, Seite 17) befindet sich auf der beigefügten CD-ROM. Insgesamt konnten 79 φ-Dieder-Winkel ermittelt werden. Diese Ergebnisse wurden mit der Software TALOS+

bestätigt, welche dazu die CO, Cα, Cβ, N und HN Resonanzen analysiert hat. Die Winkel wurden ausschließlich mit der Software TALOS+ ermittelt. Es konnten 80 ψ-Dieder-Winkel erhalten werden (Tab. 4).

Es wurden auch Experimente zur Bestimmung von Bindungsorientierungen durchgeführt.

Dazu wurden sogenannte Inphase-Antiphase-1H-15N-HSQC-Spektren (IPAP) (Ottiger et al., 1998) aufgenommen, bei welchem die 1J(1H-15N)-Kopplung in der 15N-Dimension aufgelöst ist. Die Spektren wurden sowohl von isotroper Protein-Lösung aufgenommen, als auch mit einer Protein-Lösung, bei welcher die Proteine mithilfe von Phagen partiell ausgerichtet waren (Abb. 3.20). Im letzteren Fall kam zu der skalaren 1J(1H-15N)-Kopplung auch die dipolare Restkopplung hinzu. Nachdem die Kopplungswerte der isotropen Lösung von jenen der anisotropen subtrahiert worden waren, konnten Werte für die dipolare Restkopplung erhalten werden. Da sich bei den Strukturrechnungen gezeigt hatte, dass die so erhaltenen Informationen zu den Bindungsorientierungen nicht zur Verbesserung der Protein-Struktur beigetragen hatten, wurden sie im Folgenden auch nicht für die Strukturrechnung verwendet.

Mögliche Gründe dafür könnten unspezifische Interaktionen des Proteins mit dem Ausrichtungsmedium sein, welche die Proteinstruktur verzerrt haben. Eine Möglichkeit dies zu umgehen wäre die Wahl eines anderen Ausrichtungsmediums. Da die Qualität der Struktur jedoch ohne diese Strukturinformationen hoch genug war (siehe Tab. 5, Seite 64), wurde weiteren Experimenten zu dipolaren Restkopplungen aus Zeitgründen nicht nachgegangen.

(Eine vollständige Liste der erhaltenen dipolaren Restkopplungen befindet sich ebenfalls auf der beigefügten CD-ROM.)

60 Tabelle 4: Strukturelle Informationen

Distanzinformationen (NOEs) 1410 100%

Innerhalb der eigenen Aminosäure, |i-j| = 0 514 36.4%

Sequentielle NOEs, |i-1| = 1 343 24.3%

Kurze Reichweite, |i-j| ≤ 1 857 60.7%

Mittlere Reichweite, 1 < |i-j| < 5 91 6.5%

Lange Reichweite, |i-j| ≥ 5 462 32.8%

Informationen über Diederwinkel 159 100%

φ 79 50%

ψ 80 50%

Abbildung 3.20: Ausschnitt aus den

IPAP-1H-15N-HSQC-Spektren einer isotropen Proteinlösung (schwarz/grau), und einer durch Phagen partiell ausgerichteten Proteinlösung (blau/rot) für die Amid-Signale der Aminosäuren T57, S71 und F105. Bei isotroper Molekülbewegung betragen die skalaren

1J(NH)-Kopplungen jeweils 93.3Hz, 94.1Hz, beziehungsweise 93.3Hz. Nachdem das Protein partiell durch Phagen ausgerichtet worden war, kam zu der skalaren Kopplung noch die dipolare Restkopplung dazu. Die Summe dieser beiden Kopplungen beträgt jeweils 86.2Hz, 88.6Hz und 98.4Hz. Werden die Werte voneinander subtrahiert, bleiben für die dipolare Restkopplung Werte von -7.1Hz, -5.5Hz beziehungsweise 5.1Hz.

3.4.4 Strukturrechnung

Für die Strukturrechnung wurde die Aminosäure-Sequenz, die Resonanzliste, die NOE-Peakliste und die Dieder-Winkel verwendet. Für die ersten Rechnungen wurde teilweise auch eine Modell-Struktur verwendet. Die Model-Struktur wurde anhand der Struktur der zweiten RAGE-Domäne modelliert (pdb: 3JCC) (Koch et al., 2010). Sowohl bei Verwendung der Model-Struktur, als auch ohne Verwendung einer Model-Struktur, waren sich die erhaltenen finalen Strukturen sehr ähnlich (Rückgrat-RMSD = 1.68Å). Insgesamt wurden 78 Strukturrechnungen durchgeführt, bis sich nach diversen manuellen Verbesserungen von Zuordnungen und Distanzen ein genaues Strukturmodell mit einer sehr niedrigen CYANA Target-Funktion von 2.01 ± 0.20 ergeben hat (Abb. 3.21, Seite 62 und Tab. 5, Seite 64). (Die Optimierungen der strukturellen Informationen innerhalb der 78 Schritte ist auf der beigefügten CD-ROM enthalten.) Teilweise wurden auch die ausgewerteten dipolaren

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Restkopplungen verwendet, welche jedoch zu höheren Target-Funktionen (27.39 ± 0.79) geführt haben, da 69 von 97 experimentell ermittelten Orientierungsinformationen in der gerechneten Struktur verletzt worden waren. Daher wurden diese für die finale Struktur nicht verwendet. Um die Qualität der Struktur weiter zu verbessern, wurde diese mit der Software XPLOR-NIH (v.2.29) (Schwieters et al., 2006; Schwieters et al., 2003) verfeinert. Wiederum wurden 20 Strukturen während einer Rechnung erhalten. Dabei kam ein kartesisches Kraftfeld mit explizitem Wassermodell (PARALLHDG5.3) zum Einsatz. Im Gegensatz zu dem Torsionswinkel-Kraftfeld welches von CYANA verwendet wird, resultiert die Anwendung von kartesischen Kraftfeldern in Kombination mit einem expliziten Wassermodell in Protein-Strukturen höherer Qualität, wie von Linge et al. (2003) und Nabuurs et al. (2004) gezeigt werden konnte. Dieses Ergebnis lässt sich auch bei den Rechnungen der vorliegenden Arbeit beobachten, da nach der Struktur-Verfeinerung mit XPLOR-NIH die Protein-Struktur bessere Werte in den Qualitätsmerkmalen wie Ramachandran-Plot oder globuläre Packung aufwies.

Insgesamt sprechen alle Qualitätsmerkmale für ein genaues Strukturmodell (Tab. 5, Seite 64).

(Die Koordinaten der gerechneten Proteinstrukturen befinden sich auf der beigefügten CD-ROM.)

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Abbildung 3.21: Verschiedene Darstellungen der gerechneten Strukturen der zweiten Neurolin Domäne aus dem Goldfisch.

(A) Atomare Darstellung einer mit CYANA gerechneten Struktur. 1410 NOEs (blaue Linien) definieren die Struktur. Der größte Teil der Struktur enthält sehr viele NOEs, welche eine kompakte Faltung definieren. Im linken oberen Bereich der Struktur definieren sehr wenige NOEs die Struktur. Dies macht sich in einer stärkeren Auffächerung in dem Ensemble (C, D) bemerkbar.

(B) Atomare Darstellung eines Ensembles aus 10 mit CYANA gerechneten Strukturen. Für eine bessere Übersichtlichkeit wurden die Wasserstoff-Atome ausgeblendet. Die Struktur des

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Proteinrückgrats ist unter den einzelnen gerechneten Strukturen sehr ähnlich, was sich in dem niedrigen RMSD (Tab. 5) bemerkbar macht. Innerhalb des hydrophoben Kernbereichs der Struktur sind auch die Seitenketten unter den einzelnen gerechneten Strukturen sehr ähnlich. Die der Oberfläche zugewandten langkettigen Reste wie Lysin, Arginin und Glutamat liegen im Gegensatz dazu innerhalb der einzelnen gerechneten Strukturen weit aufgefächert vor.

(C) Sekundärstruktur-Darstellung eines Ensembles aus 20 mit CYANA gerechneten Strukturen.

Nur die Schleife im linken oberen Teil des Moleküls ist verhältnismäßig breit aufgefächert.

(D) Sekundärstruktur-Darstellung eines Ensembles aus 20 mit XPLOR-NIH verfeinerten Strukturen. Im Vergleich mit dem CYANA-Ensemble (C) ist eine breitere Auffächerung der Struktur zu beobachten, was sich in einem höheren RMSD bemerkbar macht (Tab. 5). Jedoch sprechen die Ramachandranstatistik und die Werte für die Proteinpackung für eine Struktur höherer Qualität (Tab. 5). Zusätzlich ergeben sich nach der Verfeinerung mehr Sekundärstruktur-Merkmale in der Struktur wie der β-Strang am C-Terminus.

64 Tabelle 5: Strukturelle Statistiken und Qualitätsmerkmale

Werte für ein Ensemble aus 20 Strukturen CYANA Rechnung X-PLOR Rechnung RMS Verletzungen der Distanzgrenzen 0.019 ± 0.002 0.015 ± 0.001

Anzahl Verletzungen > 0.1 Å 281 142

Anzahl Verletzungen > 0.3 Å 8 0

Anzahl Verletzungen > 0.5 Å 1 0

RMS Verletzungen der Winkelgrenzen 0.825 ± 0.063 0.771 ± 0.071

Anzahl Verletzungen > 1º 258 265

Anzahl Verletzungen > 3º 83 66

Anzahl Verletzungen > 5º 13 8

Ramachandran Statistiken

Bevorzugte Bereiche 76.4% 81.5%

Zusätzlich erlaubte Bereiche 22.0% 17.1%

Großzügig erlaubte Bereiche 1.5% 1.0%

Verbotene Bereiche 0.1% 0.5%

WHAT IF Struktur Statistiken

1. Generation Packungsqualität -2.154 ± 0.583 0.416 ± 0.643 2. Generation Packungsqualität 3.569 ± 2.110 5.101 ± 1.998 Ramachandran Plot Qualität -4.603 ± 0.456 -3.404 ± 0.413 χ1-χ2 Rotamer Normalität -7.471 ± 0.282 -3.983 ± 0.556

Rückgrat Konformation -0.563 ± 0.245 -0.694 ± 0.331

Maximale Abweichungen der idealen kovalenten Geometrie

Bindungslängen in Å 0.051 0.052

Bindungswinkel in Grad 0.784 2.44

CYANA Target-Funktion 2.01 ± 0.20 -

X-PLOR Energien in kcal/mol - -3651.29 ± 74.88

RMSD in Å

Rückgrat 0.62 0.75

Alle Schweratome (C, N, O, S) 1.06 1.13

Anmerkung: Bei allen Werten außer den Ramachandran Statistiken und den X-PLOR Energien wäre ein Wert von Null ideal. Bei den X-PLOR Energien sprechen niedrige Werte für ein gutes Strukturmodell

3.4 Struktur und Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch

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3.4.5 Die Eigenschaften der Struktur der zweiten Ig-Domäne von Neurolin

Wie bereits anhand der Sequenz-Homologie zu der zweiten RAGE-Domäne erahnt werden konnte, ergab die Strukturrechnung der zweiten Neurolin-Domäne auch eine strukturelle Homologie zu der zweiten RAGE-Domäne mit einem Rückgrat-RMSD von 2.61 ± 0.08 Å innerhalb der Reste 131 – 219 von Neurolin. Daher gehört die Immunglobulin-Topologie der zweiten Neurolin-Domäne auch zu dem Typ C1, und nicht zum Typ V, wie ursprünglich angenommen wurde. Die C1-Topologie ist an der typischen Anordnung der β-Stränge zu erkennen, bei welcher die Stränge a, b, d und e ein β-Faltblatt ausbilden, die Stränge c, f und g das andere (Abb. 3.22). Die für den Typ V typischen Stränge c‘ und c‘‘ fehlen in der Struktur.

Eine Disulfid-Brücke verbindet das eine Faltblatt mit dem anderen über die Stränge b und f.

Die Klassifizierung der Sekundärstruktur-Merkmale erfolgte mit der Software DSSP (Kabsch and Sander, 1983). Außer den sieben β-Strängen, gehören die verbindenden Schleifen auch zu bestimmten Sekundärstruktur-Elementen (Tab. 6). Dazu gehört eine Typ-II β-Schleife zwischen den Strängen a und b. Zwischen den Strängen b und c sind zwei Proline hintereinander, daher ist diese Verbindung frei von regulären Sekundärstruktur-Elementen.

Zwischen den Strängen c und d befindet sich eine Typ-I‘β-Schleife zwischen den Resten K40 und Q43. Zwischen den Strängen d und e befindet sich eine α-Schleife. Zwischen den Strängen e und f ist kein erkennbares Sekundärstruktur-Element. Weiterhin befindet sich eine Typ-IV β-Schleife zwischen den Strängen f und g. Eine Auffälligkeit in der Struktur ist das Amid-Proton von T76, welches in den Anisotropie-Kegel vom benachbarten Y75 Rest hineinragt (Abb. 3.23). Dies hat zur Folge, dass die Resonanz des Amid-Protons abseits der restlichen Amid-Signale weit Hochfeldverschoben bei 6.1ppm liegt (Abb. 3.18A, Seite 57).

Die Hoch- und Tieffeldverschiebungen der Amid-Stickstoffkerne von G22 bei 100ppm, beziehungsweise L23 bei 134ppm können anhand der Struktur nicht geklärt werden.

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Abbildung 3.22: 3D-Darstellung (cross-view) der Strukturen der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch.

(A) Rückgrat-Darstellung eines Ensembles aus 10 Strukturen. Jede zehnte Aminosäure wurde rot markiert. Die Strukturmerkmale, welche β-Stränge ausbilden sind blau dargestellt, die Schleifen sind grau dargestellt (vgl. (B)).

(B) Sekundärstruktur-Darstellung. Die β-Stränge b – g sind markiert. Der kurze β-Strang a befindet sich hinter dem Strang c. Die Topologie, bei welcher die Stränge a, b, d, und e ein β-Faltblatt ausbilden und die Stränge c, f und g das andere, ist typisch für den C1-Typ der Immunglobulin Domänen (vgl. Abb. 1.4, Seite 10).

3.4 Struktur und Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch

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Tabelle 6: Klassifizierung von Schleifen (Toniolo, 1980; Venkatachalam, 1968)

α-Schleife (i → i+4) Es besteht eine Wasserstoff-Brücke zwischen zwei Aminosäuren, welche vier Peptid-Bindungen voneinander entfernt sind.

β-Schleife (i → i+3) φ (i+1) in ° ψ (i+1) in ° φ (i+2) in ° ψ (i+2) in °

Typ I -60 -30 -90 0

Typ II -60 120 80 0

Typ VIII -60 -30 -120 120

Typ I‘ 60 30 90 0

Typ II‘ 60 -120 -80 0

Typ VIa1 -60 120 -90 0

Typ VIa2 -120 120 -60 0

Typ VIb -135 135 -75 160

Typ IV Werte, welche in keine der oberen Kategorien passen γ-Schleife (i → i+2)

δ-Schleife (i → i+1) (sterisch unwahrscheinlich) π-Schleife (i → i+5)

Abbildung 3.23: Ausschnitt der Struktur im Bereich der Aminosäuren Tyrosin-75 und Threonin-76. Das Amid-Proton von Threonin-76 ragt in den Anisotropie-Kegel der Tyrosin-75-Seitenkette. Dadurch erfährt dieser Kern eine Hochfeld-Verschiebung im Spektrum, was in einer Resonanz von 6.1ppm resultiert (Abb. 3.18A, Seite 57).

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3.4.6 Die Dynamik der zweiten Ig-Domäne von Neurolin

Studien zur Dynamik ermöglichen Einblicke in die strukturelle Vielfalt eines Proteins.

Generell liegen Proteine nicht als statische Moleküle vor. Sie können verschiedene Konformationen annehmen, welche abhängig vom Protein nur kleine lokale Abschnitte, wie Aminosäure-Seitenketten und kurze Rückgrat-Abschnitte von 2-5 Aminosäuren betreffen können, oder aber als weitreichende Umfaltungen beispielsweise bei Transport- und Katalyse-Prozessen auftreten können (Herzberg et al., 1996). Die dynamischen Prozesse zwischen den Konformeren können je nach Ausmaß der Konformationsänderung auf Zeitskalen von Femtosekunden bis Sekunden stattfinden. Da bei der vorliegenden Arbeit nur eine Domäne eines Multidomäne-Rezeptors strukturell untersucht wurde, wurden nur die Dynamiken der lokalen Konformationsänderungen des Proteinrückgrats untersucht, welche zum größten Teil auf einer Zeitskala von Pico- bis Nanosekunden auftreten. Ein Teil der Rückgrat-Konformationen waren bereits aus dem Ensemble der gerechneten Strukturen ersichtlich. Bei den Dynamik-Studien galt es, das dynamische Verhalten zwischen den Konformationen zu untersuchen. Dafür kamen zwei unabhängige Methoden zum Einsatz. Zum einen wurde die Dynamik des Protein-Rückgrats mittels NMR-Spektroskopie bestimmt, zum anderen mittels einer Computersimulation. Die verwendete NMR-Methode basiert auf dem heteronuklearen Overhauser Effekt, bei welchem die Aufbaurate eines heteronuklearen NOEs stark von der molekularen Dynamik im Pico- bis Nanosekunden-Bereich abhängt (Grzesiek and Bax, 1993). Aufgrund einer guten Auflösung von Signalen im 1H-15N-HSQC-Spektrum und der zentralen Lage im Proteinrückgrat wird bei dieser Methode der NOE untersucht, welcher vom Amid-Proton auf den Amid-Stickstoff übertragen wird. Dazu werden pro Experiment zwei Datensätze aufgenommen. Bei einem Datensatz wird die Protonen-Magnetisierung gesättigt, wodurch ein steady-state NOE zum Amid-Stickstoff aufgebaut wird. Beim anderen Datensatz werden die Protonen-Magnetisierungen nicht gesättigt, und es baut sich kein NOE auf. Es resultieren zwei Spektren mit verschiedenen Signalintensitäten. Werden die Werte der Signalintegrale voneinander subtrahiert, wird pro Signal der reine NOE Wert erhalten, welcher ein Indiz für hohe, respektive geringe Dynamik ist. Für die vorliegende Arbeit wurden drei heteronukleare NOESY Experimente gemessen, um statistische Werte mit entsprechenden Standardabweichungen zu erhalten. (Die Integrale zu der Dynamikstudie sind auf der beigefügten CD-ROM enthalten.) Die Messbedingungen entsprachen den bereits beschriebenen Messbedingungen mit einem Puffer von 50mM NaPi pH=7, 100mM NaCl, 4mM NaN3 bei 300K, jedoch wurde hier eine Proteinkonzentration von 100µM verwendet.

3.4 Struktur und Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch

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Die relativ geringe Dynamik deckt sich mit der kompakten Packung der Immunglobulin-Domäne. Lediglich der C-Terminus und die Schleifen zwischen den Strängen d und e, sowie f und g weisen eine vergleichsweise hohe Dynamik im Pico- bis Nanosekundenbereich auf (Abb. 3.24). Alle anderen Schleifen sowie alle β-Stränge weisen eine hohe Rigidität auf, was für eine kompakte globuläre Faltung spricht. Die zwei dynamischen Schleifen zwischen den Strängen d und e, sowie f und g befinden sich beide auf der gleichen Seite des Moleküls. Eine weitere Schleife zwischen den Strängen b und c, welche sich auf der gleichen Seite des Moleküls befindet, ist im Gegensatz dazu sehr rigide. Diese Rigidität folgt aus zwei Prolinen in Folge, welche sich innerhalb dieser Schleife befinden.

Abbildung 3.24: Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch im Pico- bis Nanosekundenbereich. Die Daten der Messreihe des heteronuklearen NOESY (schwarze Kreise mit Standardabweichung) decken sich mit den Daten der Computersimulation der molekularen Dynamik (rot). Die hohe Auffächerung der gerechneten Strukturen zwischen den Strängen f und g (Abb. 3.21, Seite 62) macht sich auch in der Dynamikstudie bemerkbar. Dieser Teil des Proteins weist die höchste Dynamik innerhalb der Domäne auf.

Die zweite Methode, welche eingesetzt wurde, um die Dynamik des Proteins zu bestimmen, ist eine computersimulierte Molekular-Dynamik. Bei dieser Methode werden spontane molekulare Bewegungen auf einer definierten Zeitskala von einer Software simuliert. Die dabei auftretenden potentiellen Energien und Wechselwirkungen wie Van-der-Waals- oder elektrostatische Interaktionen werden von einem sogenannten Kraftfeld definiert.

Die Atome des Moleküls werden während der Simulation in sehr kleinen Zeitabschnitten im Femtosekunden-Bereich entsprechend der im Kraftfeld definierten Kräfte bewegt. Wirken wenige Kräfte, hat das Atom oder der Bereich des Moleküls viele Bewegungsmöglichkeiten.

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Wirken dagegen viele Kräfte, ist die Bewegung des entsprechenden Strukturmerkmals eingeschränkt. Die Fluktuation von Strukturmerkmalen im Raum wird anhand von Trajektorien der Simulation verfolgt und ausgewertet. Eine hohe Fluktuation entspricht einer hohen Dynamik, eine geringe Fluktuation einer geringen Dynamik des Moleküls. Bei der vorliegenden Arbeit wurde die Dynamik des Proteins mit der Software GROMACS (v.4.5.5) in einem periodischen, oktaedrischen Volumenelement simuliert, dessen Ränder 1nm von den Rändern des Moleküls entfernt liegen. Das Volumenelement wurde, abgesehen vom Protein, mit Wassermolekülen und mit Na+ und Cl- Ionen gefüllt um den experimentellen Bedingungen möglichst nahe zu kommen. Die restlichen Simulationsparameter wie Temperatur und Druck wurden ebenfalls den experimentellen Bedingungen mit 300K respektive Atmosphärendruck angepasst. Um das Ergebnis mit den Daten der NMR-Studie vergleichen zu können, wurde die Dynamik über eine Nanosekunde simuliert, und nur die Rückgrat-Dynamik ausgewertet. (Das simulierte Volumenelement mit der Trajektorie befindet sich auf der beigefügten CD-ROM.) Die Ergebnisse der Simulation decken sich zum

Wirken dagegen viele Kräfte, ist die Bewegung des entsprechenden Strukturmerkmals eingeschränkt. Die Fluktuation von Strukturmerkmalen im Raum wird anhand von Trajektorien der Simulation verfolgt und ausgewertet. Eine hohe Fluktuation entspricht einer hohen Dynamik, eine geringe Fluktuation einer geringen Dynamik des Moleküls. Bei der vorliegenden Arbeit wurde die Dynamik des Proteins mit der Software GROMACS (v.4.5.5) in einem periodischen, oktaedrischen Volumenelement simuliert, dessen Ränder 1nm von den Rändern des Moleküls entfernt liegen. Das Volumenelement wurde, abgesehen vom Protein, mit Wassermolekülen und mit Na+ und Cl- Ionen gefüllt um den experimentellen Bedingungen möglichst nahe zu kommen. Die restlichen Simulationsparameter wie Temperatur und Druck wurden ebenfalls den experimentellen Bedingungen mit 300K respektive Atmosphärendruck angepasst. Um das Ergebnis mit den Daten der NMR-Studie vergleichen zu können, wurde die Dynamik über eine Nanosekunde simuliert, und nur die Rückgrat-Dynamik ausgewertet. (Das simulierte Volumenelement mit der Trajektorie befindet sich auf der beigefügten CD-ROM.) Die Ergebnisse der Simulation decken sich zum