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Die Dynamik der zweiten Ig-Domäne von Neurolin

3.4 Struktur und Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch

3.4.6 Die Dynamik der zweiten Ig-Domäne von Neurolin

Studien zur Dynamik ermöglichen Einblicke in die strukturelle Vielfalt eines Proteins.

Generell liegen Proteine nicht als statische Moleküle vor. Sie können verschiedene Konformationen annehmen, welche abhängig vom Protein nur kleine lokale Abschnitte, wie Aminosäure-Seitenketten und kurze Rückgrat-Abschnitte von 2-5 Aminosäuren betreffen können, oder aber als weitreichende Umfaltungen beispielsweise bei Transport- und Katalyse-Prozessen auftreten können (Herzberg et al., 1996). Die dynamischen Prozesse zwischen den Konformeren können je nach Ausmaß der Konformationsänderung auf Zeitskalen von Femtosekunden bis Sekunden stattfinden. Da bei der vorliegenden Arbeit nur eine Domäne eines Multidomäne-Rezeptors strukturell untersucht wurde, wurden nur die Dynamiken der lokalen Konformationsänderungen des Proteinrückgrats untersucht, welche zum größten Teil auf einer Zeitskala von Pico- bis Nanosekunden auftreten. Ein Teil der Rückgrat-Konformationen waren bereits aus dem Ensemble der gerechneten Strukturen ersichtlich. Bei den Dynamik-Studien galt es, das dynamische Verhalten zwischen den Konformationen zu untersuchen. Dafür kamen zwei unabhängige Methoden zum Einsatz. Zum einen wurde die Dynamik des Protein-Rückgrats mittels NMR-Spektroskopie bestimmt, zum anderen mittels einer Computersimulation. Die verwendete NMR-Methode basiert auf dem heteronuklearen Overhauser Effekt, bei welchem die Aufbaurate eines heteronuklearen NOEs stark von der molekularen Dynamik im Pico- bis Nanosekunden-Bereich abhängt (Grzesiek and Bax, 1993). Aufgrund einer guten Auflösung von Signalen im 1H-15N-HSQC-Spektrum und der zentralen Lage im Proteinrückgrat wird bei dieser Methode der NOE untersucht, welcher vom Amid-Proton auf den Amid-Stickstoff übertragen wird. Dazu werden pro Experiment zwei Datensätze aufgenommen. Bei einem Datensatz wird die Protonen-Magnetisierung gesättigt, wodurch ein steady-state NOE zum Amid-Stickstoff aufgebaut wird. Beim anderen Datensatz werden die Protonen-Magnetisierungen nicht gesättigt, und es baut sich kein NOE auf. Es resultieren zwei Spektren mit verschiedenen Signalintensitäten. Werden die Werte der Signalintegrale voneinander subtrahiert, wird pro Signal der reine NOE Wert erhalten, welcher ein Indiz für hohe, respektive geringe Dynamik ist. Für die vorliegende Arbeit wurden drei heteronukleare NOESY Experimente gemessen, um statistische Werte mit entsprechenden Standardabweichungen zu erhalten. (Die Integrale zu der Dynamikstudie sind auf der beigefügten CD-ROM enthalten.) Die Messbedingungen entsprachen den bereits beschriebenen Messbedingungen mit einem Puffer von 50mM NaPi pH=7, 100mM NaCl, 4mM NaN3 bei 300K, jedoch wurde hier eine Proteinkonzentration von 100µM verwendet.

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Die relativ geringe Dynamik deckt sich mit der kompakten Packung der Immunglobulin-Domäne. Lediglich der C-Terminus und die Schleifen zwischen den Strängen d und e, sowie f und g weisen eine vergleichsweise hohe Dynamik im Pico- bis Nanosekundenbereich auf (Abb. 3.24). Alle anderen Schleifen sowie alle β-Stränge weisen eine hohe Rigidität auf, was für eine kompakte globuläre Faltung spricht. Die zwei dynamischen Schleifen zwischen den Strängen d und e, sowie f und g befinden sich beide auf der gleichen Seite des Moleküls. Eine weitere Schleife zwischen den Strängen b und c, welche sich auf der gleichen Seite des Moleküls befindet, ist im Gegensatz dazu sehr rigide. Diese Rigidität folgt aus zwei Prolinen in Folge, welche sich innerhalb dieser Schleife befinden.

Abbildung 3.24: Dynamik der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch im Pico- bis Nanosekundenbereich. Die Daten der Messreihe des heteronuklearen NOESY (schwarze Kreise mit Standardabweichung) decken sich mit den Daten der Computersimulation der molekularen Dynamik (rot). Die hohe Auffächerung der gerechneten Strukturen zwischen den Strängen f und g (Abb. 3.21, Seite 62) macht sich auch in der Dynamikstudie bemerkbar. Dieser Teil des Proteins weist die höchste Dynamik innerhalb der Domäne auf.

Die zweite Methode, welche eingesetzt wurde, um die Dynamik des Proteins zu bestimmen, ist eine computersimulierte Molekular-Dynamik. Bei dieser Methode werden spontane molekulare Bewegungen auf einer definierten Zeitskala von einer Software simuliert. Die dabei auftretenden potentiellen Energien und Wechselwirkungen wie Van-der-Waals- oder elektrostatische Interaktionen werden von einem sogenannten Kraftfeld definiert.

Die Atome des Moleküls werden während der Simulation in sehr kleinen Zeitabschnitten im Femtosekunden-Bereich entsprechend der im Kraftfeld definierten Kräfte bewegt. Wirken wenige Kräfte, hat das Atom oder der Bereich des Moleküls viele Bewegungsmöglichkeiten.

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Wirken dagegen viele Kräfte, ist die Bewegung des entsprechenden Strukturmerkmals eingeschränkt. Die Fluktuation von Strukturmerkmalen im Raum wird anhand von Trajektorien der Simulation verfolgt und ausgewertet. Eine hohe Fluktuation entspricht einer hohen Dynamik, eine geringe Fluktuation einer geringen Dynamik des Moleküls. Bei der vorliegenden Arbeit wurde die Dynamik des Proteins mit der Software GROMACS (v.4.5.5) in einem periodischen, oktaedrischen Volumenelement simuliert, dessen Ränder 1nm von den Rändern des Moleküls entfernt liegen. Das Volumenelement wurde, abgesehen vom Protein, mit Wassermolekülen und mit Na+ und Cl- Ionen gefüllt um den experimentellen Bedingungen möglichst nahe zu kommen. Die restlichen Simulationsparameter wie Temperatur und Druck wurden ebenfalls den experimentellen Bedingungen mit 300K respektive Atmosphärendruck angepasst. Um das Ergebnis mit den Daten der NMR-Studie vergleichen zu können, wurde die Dynamik über eine Nanosekunde simuliert, und nur die Rückgrat-Dynamik ausgewertet. (Das simulierte Volumenelement mit der Trajektorie befindet sich auf der beigefügten CD-ROM.) Die Ergebnisse der Simulation decken sich zum größten Teil mit den NMR-Daten (Abb. 3.24). Auch in der Simulation ist der C-Terminus und die Schleifen zwischen den Strängen d und e sowie f und g vergleichsweise dynamisch.

Zusätzlich sind in der Computersimulation auch die Schleifen zwischen den Strängen c und d sowie e und f dynamischer als der Rest des Proteins. Dieser geringe Unterschied zwischen der Simulation und den NMR-Daten ist vermutlich ein Artefakt der Simulation oder eine molekulare Fluktuation auf einer Zeitskala, auf welcher der heteronukleare NOE nicht empfindlich ist. Ansonsten spricht die relativ geringe Fluktuation der Strukturmerkmale wiederum für eine sehr kompakte und stabile globuläre Faltung, was typisch für Immunglobulin-Domänen ist.

3.4.7 Zusammenfassung und Diskussion

Die Struktur der zweiten Neurolin-Domäne aus dem Goldfisch wurde mit NMR-spektroskopischen Methoden aufgeklärt und mit CD-Spektroskopie, Computer-gestützter Moleküldynamik-Simulation und heteronuklearem Overhauser-Effekt untersucht. Alle experimentellen Daten und in-silico Rechnungen sprechen für ein genaues strukturelles Modell, welches typisch für Immunglobulin-Domänen ist. Die Daten, welche aus der CD-Spektroskopie erhalten werden konnten, decken sich mit der räumlichen Struktur, die vorwiegend aus antiparallelen β-Strängen, β-Schleifen und ungeordneten Schleifen besteht.

Der geringe Anteil, welcher als α-Helix in den CD-Daten auftaucht, kommt vermutlich von der α-Schleife zwischen den Strängen d und e. Die Lücken in der Resonanzzuordnung

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ergeben sich aus der hohen Anzahl von acht Prolinen, was eine vollständige Resonanzzuordnung erschwert. Die hohe Anzahl der Winkel und Distanzinformationen hat eine akkurate strukturelle Bestimmung ermöglicht und hatte eine Proteinstruktur hoher Qualität zur Folge. Der kurze Versuch Daten der dipolaren Restkopplungen in die Strukturrechnung miteinzubeziehen hatte keinen Erfolg, da das eingesetzte Ausrichtungsmedium die Struktur vermutlich durch unspezifische Interaktionen des Proteins mit dem Ausrichtungsmedium verzerrt hatte und nicht mit den Informationen zu Diederwinkeln und Protonendistanzen konsistent war. Eine Möglichkeit wäre gewesen, weitere Ausrichtungsmedien zu untersuchen. Dieses Vorhaben wurde jedoch aufgrund eines zu hohen Zeitaufwandes und der ohnehin bereits sehr hohen Strukturqualität nicht realisiert.

Die Daten für die molekularen Dynamiken, die mit heteronuklearem Overhauser-Effekt und Computer-gestützten Moleküldynamik-Simulationen erhalten wurden, decken sich ebenfalls mit der räumlichen Struktur. Die β-Stränge sind sehr rigide, während die dynamischen Anteile des Proteins in einzelnen Schleifen sitzen, die wenige elektrostatische- und Van-der-Waals-Interaktionen mit dem Rest des Moleküls eingehen. Insgesamt ist die Dynamik der Immunglobulin-Domäne erwartungsgemäß sehr niedrig. Der geringe Unterschied zwischen den NMR-Dynamik-Daten und den simulierten Dynamik-Daten in den Schleifen zwischen den Strängen c und d sowie e und f ergibt sich aus den eingesetzten Methoden. Generell sind der heteronukleare NOE und die RMSF der Simulation zwei verschiedene Größen, die quantitativ nicht vergleichbar sind. Das Diagramm in welchen die beiden Größen aufgetragen wurden dient daher als qualitativer Vergleich der Proteindynamik mit zwei verschiedenen Methoden. Die Ergebnisse beider Methoden sind jedoch konsistent mit einer sehr niedrigen Gesamtdynamik.

Das wichtigste Ergebnis der Strukturbestimmung ist die Klassifizierung des Immunglobulin-Typs zur C1 Topologie. Seit der Entdeckung der CD166-Vertreter in zahlreichen Organismen galt eine Zuordnung der zweiten Immunglobulin-Domäne zum Typ V als akzeptiert (siehe Abschnitt 1.3, Seite 3). Auch waren die Grenzen der N- und C-Termini anhand von Sequenzmerkmalen festgelegt worden. In der vorliegenden Arbeit wurden die Termini und der Immunglobulin-Typ neu bestimmt, und durch die räumliche Struktur des Proteins bestätigt. Dieses Ergebnis ermöglicht funktionelle Studien der CD166-Rezeptoren, bei welchen mit Deletionsmutanten und isolierten Domänen gearbeitet werden muss. Durch die Neubestimmung der Termini und des Immunglobulin-Typs wird auch erreicht, dass bei der Bestimmung der übrigen Immunglobulin-Domänen des Rezeptors höhere Vorsicht waltet.

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Die hohe Sequenzhomologie aller CD166-Vertreter spricht auch für eine hohe strukturelle Homologie der Domänen. Da die Struktur der zweiten Neurolin-Domäne homolog zu jener des RAGE-Rezeptors ist, kann angenommen werden, dass die zweite Domäne mit der ersten Domäne eine strukturelle Einheit bildet, so wie es für RAGE gezeigt worden war (Koch et al., 2010). Leider waren entsprechende Versuche zur Expression und Reinigung von Neurolin Tandem-Domänen nicht erfolgreich (Weise, 2011).