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IV. Lernen im System

2. Die Reflexivität des Lernens und die Lernstruktur

2.2 Neues Wissen und der Wandel der Lernstruktur

‘reflexiver Monitor’ der Struktur verstanden. Dieser interagiert auf der Basis des nützlichen Wissens und der Informationen, die er als Ergebnisse aus einem solchen

"Monitoring" gewonnen hat. Die Reflexivität der Handlung ist im Interaktionsprozess ständig präsent. Dadurch kann es zu unerwarteten Handlungsergebnissen kommen. Ein entsprechendes Ergebnis kann auch der Anlass für die Änderung der Interaktionsweise zwischen Handlung und Struktur sein.

Handlungsmodalitäten zu bestimmen und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Praktiken herzustellen. Nicht Mangel des Wissens oder dessen Qualität sind hierfür der Grund, sondern das Faktum, dass der Neuling im Vergleich zu den „fully-participant“ Mitgliedern nur geringe Möglichkeiten hat sein Wissen, seine Interessen oder Meinungen über etwas, das er an den verschiedenen Praktiken als problematisch betrachtet, innerhalb der Gemeinschaft zu artikulieren.

Die dargestellte Auffassung vom Lernen lehnt die Annahme ab, dass der Wissenserwerb durch Lernen ein rein kognitiv ablaufender Prozess ist (Lave & Wenger, ebd.; Wenger, 1998; Brown & Duguid, 1991). Dies impliziert die Gebundenheit des Lernens und der produktiven Praktiken, in denen das Wissen angewendet wird, um Handlungsmodalitäten wie Regel, Geld oder Artefakte in Funktion zu bringen. Ein anderer argumentativer Punkt liegt darin, dass Art und Umfang der Artikulation nicht von vornherein festgeschrieben sind, sondern unter den Mitgliedern immer wieder ausgehandelt werden können. Lave und Wenger machen es mit dieser Aussage deutlich:

“Further, given a relational understanding of person, world, and activity, participation, at the core of our theory of learning, can be neither fully internalized as knowledge structures nor fully externalized as instrumental artifacts or overarching activity structure. Participation is always based on situated negotiation and renegotiation of meaning in the world.” (Lave & Wenger, 1991; 51)

Die konventionellen Mitglieder (fully participants) können jedoch die Beteiligung des Neulings an dem Lernprozess verhindern. Das heißt nicht, dass sie ihm nicht gestatten, etwas zu lernen, sondern das sie seine Möglichkeiten beschränken, sich den Praktiken der Gemeinschaft anzunähern, welche sie bereits als eigene Tradition etabliert haben.

Als Beispiel seien die Audiologisten in Korea angeführt. Sie sind in Korea durch die Verbreitung digitaler Hörgeräte vor kurzer Zeit zum Bestandteil der Praktikgemeinschaft der medizinischen Dienstleistungen für Schwerhörige geworden.

Audiologisten suchen durch die Beeinflussung des Software-Programms, das in dem

Hörgerät installiert ist, die für den jeweiligen Schwerhörigkeitsgrad passende Frequenz und Lautstärke. Somit können sie mit ihrem Fachwissen eine entscheidende Rolle bei der technischen Versorgung spielen. Ihre Beteiligung an den Praktiken ist aber nur auf die Tätigkeit als Hilfskraft von Ärzten beschränkt. Die Ärzte streben nach Sicherung des neue Arbeitsfeldes, welches durch die gesetzliche Zulassung zum Verkauf solcher Hörgeräte in Kliniken entstanden ist und damit auch den Kliniken ein neues Geschäftsfeld eröffnen. Dabei benutzen die Ärzte ihre Autorität als Experten im medizinischen Dienstleistungsbereich als Legitimationsmittel, während die Audiologisten bisher noch keinen gesicherten gesellschaftlichen Status als Experten etablieren konnten.

2.2.1 Technik als Kommunikationsmedium

Wie aber läuft dann der Lernprozess in der Praktikgemeinschaft ab, in dem die Mitglieder über Technik diskutieren, diese erforschen und entwickeln, und wie wird das Wissen von der Praktikgemeinschaft in den verschiedenen Praktiken, welche die Akteure des technischen Systems alltäglich durchführen, transferiert und angewendet?

Dieser Frage ist Constant nachgegangen. Bei ihm ist der Prozess nicht auf der Basis eines Lernvorgangs beschrieben. Im Konzept der Praktikgemeinschaft bedeutet das Wissen über eine Technik, oder auch das durch die Technik generierte Wissen, nicht zugleich, dass man die Technik um- oder einsetzt. Das Handeln im Bezug auf die Technik ist mehr als die Operation oder Manipulation eines Instruments, denn man setzt sich mit der Tradition der Technik oder ihrer Kultur im Hughes´schen Sinne in Verbindung.

Was kann dann unter „Praktik der Technik“ verstanden werden? Diese Wendung suggeriert, dass es die Technik ist, die selber handelt. An dieser Stelle wird auf die Diskussion über das Verhältnis von Mensch und Technik in der Techniksoziologie eingegangen .

Was unter dem Begriff von Technik definiert werden soll, ist in der Techniksoziologie

keine unumstrittene Frage. Bei Joerges wird die Technik als normatives System betrachtet (Joerges, 1989). Er argumentiert, dass die in technischen Geräten inkorporierten Normen, also die technische Norm, menschliches Anschlußverhalten bestimmen, und diese die Operationsweise des technischen Gerätes selbst steuern (Joerges, ebd.) und zwar „ziemlich unabhängig von aktuellen menschlichen Eingriffen“ (Joerges, 1989b: 250).

Es wäre unpassend, wenn eine Definition von Technik direkt mit einem Technikdeterminismus gleichgesetzt würde. Joerges betont die materielle Dimension der Technik und versteht die Technik als einen unmittelbaren Gegenstandsbereich. Damit steht er im Gegensatz zu anderen Theoretikern, die die Technik als ein Ergebnis des menschlichen Handelns begreifen. Die technischen Normen sind mit anderen sozialen Normen verflochten und die Gestaltungsspielräume der Technik werden durch dieses Normengefüge eröffnet, eingeschränkt und verändert. Trotzdem scheint es, dass der experimentelle Charakter der Technik ein wenig vernachlässigt wird, wenn die Technik nur im Rahmen von Normengefügen erklärt wird (Vgl. Heintz, 1993).

In Rammerts Ansatz vom Technikbegriff wird die Technik in einem interaktiven und reflexiven Handlungsrahmen behandelt. Er geht davon aus, dass der Dualismus zwischen Mensch und Technik, welcher in der Wissenschaft lange Zeit unhinterfragt akzeptiert worden ist, aus dem Grundgedanken abgeleitet wurde, dass die menschliche Handlung unabhängig von der Wechselwirkung mit Materie ist, die den Sinn einer Handlung überhaupt erst sichtbar macht und damit Sinn konstruieren kann. Dass

„Menschen handeln und Technik nur funktionieren“ trifft in seinen Augen nicht zu (Rammert, 2002). Menschliche Handlung und technische Funktion sind nicht unabhängig voneinander. Wie Latour gern als Beispiel für sein Argument der Interaktion zwischen dem Technischen und dem Nicht-Technischen anführt, handeln Menschen im Besitz einer Waffe anders als ohne diese. "Und die Pistole in seiner Hand funktioniert anders als die in der Schublade" (Latour, 1999: 178).

Diese Sichtweise auf Technik trägt noch weitere Implikationen in sich, die für die Technikforschung von Bedeutung sind. Denn sie verwischt die Grenze zwischen

Mensch, Maschine, und Natur. Technik ist eine „Symbiose aus Artefakt und Nutzer im Rahmen einer menschlichen Handlung“ (Rammert, 1998). Die Materialität der Technik

„handelt“ in der technischen Praxis und in ihrem Gebrauch als sinnerzeugender und sinnverarbeitender Handlungsträger „mit“ (ebd.). Technik ist aus dieser Perspektive nicht mehr bloß ein Werkzeug oder Instrument mit der Zweckmäßigkeit, dass sie von einem Nutzer bedient werden kann. Sie umschließt „aktive produktive Fähigkeit“ und erscheint dem Nutzer gegenüber selbst als Zweck (Rammert, ebd.; 2007.; Vgl. Hickman, 1990). Somit ist die Dichotomie von Handlungsobjekt und –subjekt und von Mensch und Materie (oder Mensch und Technik) überwunden.

Technisches Wissen und technische Komponente, immaterielle und materielle Elemente, vermitteln als Ressource der Interaktion zwischen den menschlich Handelnden den Sinn der Handlung und sind somit konstitutiv für die Handlung. Technische Komponenten verkörpern die Absichten und Wünsche, welche nicht sichtbar sind, und machen sie sichtbar. Die Kultur des organisationellen Umfelds der menschlichen Handlung wird in die schematischen Abläufe der technischen Komponenten inkorporiert.

In diesem Zusammenhang sprechen Lave und Wenger von „Transparenz“ beim Lernprozess. Die Interessen oder die Absichten, die nicht sichtbar in der Technik eingeschrieben sind, werden durch Kommunikationsmedien wie mathematische Formeln, Zeichen oder Artefakte sichtbar. In diesem Sinne machen sie die Technik transparent und verändern sie von einer "Black box" hin zu einer "Glass box" (Lave &

Wenger, 1991: 102).

2.2.2 Die Transparenz der Medien

Wie stark die Transparenz einer Technik ausgeprägt ist, hängt davon ab, welche Kommunikationsmedien die Mitglieder auswählen bzw. produzieren.

Dafür gibt uns der Fall des Hörgerätes ein Beispiel. Das koreanische Hörtestsystem wurde von westlichen Unternehmen implantiert und das Gerät für den Hörtest wird aus westlichen Ländern importiert. Das heißt, dass der Test nach den Standards westlicher

Länder durchgeführt wird, welche sich im Körpermaß und Hörsinn vom koreanischen Maßstab unterschieden. Die koreanischen Audiologisten sind der Meinung, dass ein koreanischer Standard für Test und Testgerät erstellt werden sollte. Einen Grund sehen sie u.a. in dem Resonanzrohr (resonance tube), das ein Volumen von zwei Qubikzentimetern hat. Dieses Röhrchen ist für die Koreaner etwas zu lang aufgrund einer unterschiedlichen Kopfform. An dieser Stelle ist das Resonanzrohr innerhalb des Prozesses in der Praktikgemeinschaft als ein Kommunikationsmedium zu verstehen, welches dazu dient, die Diskussion um die Standards des Hörtests und des Testgerätes anzuregen und die Bedenken hinsichtlich der Präzision des Hörtest zur Sprache zu bringen. Das Beispiel weist darauf hin, wie die technischen Elemente in bestimmten Handlungskontexten mit sozialen Elementen verwoben sind.

Interessant daran ist, dass die Technik in dem Moment nicht mehr transparent ist, wo die Sinnvermittlung der Medien in eine bestimmte Beziehungsstruktur mündet, die im Status Quo verweilt. Transparent wird die Technik dagegen, wenn neue Informationen in die Praktiken eingeführt werden und mit der Rekonstruktion der Information in den jeweiligen Praktiken neues Wissen generiert wird. In einem Spannungsfeld, in dem sich altes und neues Wissen tangiert, wird die Technik transparent. Dieses Spannungsfeld existiert nur an dem Ort, wo das Wissen in den Praktiken angewendet wird. Das heißt, dass die Expansion des Wissens nicht von seiner Anwendung getrennt erfolgt.

“Thus the term transparency when used here in connection with technology refers to the way in which using artefacts and understanding their significance interacts to become one learning process.” (Lave & Wenger, 1991: 102)

Auf welche Weise und in welcher Form das Wissen und die Aktivität der Anwendung des Wissens aneinander angeschlossen sind, hängt davon ab, mit welchem Ergebnis die Konstitution der Lernsituation zwischen den Mitgliedern in der Gemeinschaft ausgehandelt wird. In welchem Prozess die Aushandlung sich fortsetzt, hängt wiederum davon ab, mit welchen Kommunikationsmedien die Technik wie weit transparent und

damit das Wissen unter den Mitgliedern überhaupt kommunizierbar gemacht wird.