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Die Reflexivität des Lernens und Konstruktion der Lernstruktur

IV. Lernen im System

2. Die Reflexivität des Lernens und die Lernstruktur

2.1 Die Reflexivität des Lernens und Konstruktion der Lernstruktur

lokalen Organisationspraktiken, wobei die unterschiedlichen Sichtweisen der jeweiligen Praktikgemeinschaft sich mal konfrontieren oder auch mal koordinieren (Constant, 1980; 1987).

Desweiteren erklärt die Interaktivität bei der Konstitution des Lernens das Konzept von

„Praktikgemeinschaft“ mit dem Begriff „situatedness“. Die Situation des Lernens wird durch die Interaktion produziert und der Lernende produziert Wissen durch die Situation, welche ihm als Medium dient. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Implikationen des Begriffs von ‚situatedness’ und der Giddenssche Begriff von Struktur, welcher zum Verstehen des Lernen im Netzwerk beitragen soll, nicht weit voneinander entfernt sind. Bei Giddens ist die Struktur virtuell.

Das Verhältnis zwischen den Lernenden und der Situation ist bei Giddens im Rahmen des Verhältnisses von Handlung und Struktur zu verstehen. Lave und Wenger weisen auf zwei Missverständnisse des Begriffes „situatedness“ hin. So wäre es falsch anzunehmen, „situatedness“ bedeute nur, dass einige Gedanken und Handlungen von Leuten zeitlich und örtlich lokalisiert sind. Zum anderen gehe es aber auch fehl,

„situatedness“ als Sinn der Situation zu verstehen, die von außen als sozial Konstituiertes gegeben ist. „Situatedness“ ist für Lave und Wenger ein Begriff, der für die aushandelbare, relative Eigenschaft der Lernaktivität steht.

Zum besseren Verständnis von „situatedness“ beziehe ich mich im Folgenden auf Giddens Begriff der Reflexitität.

diesem Zusammenhang versucht er, den Dualismus von Handlung und Struktur anhand der Dualität der Handlung und Struktur zu lösen. Der Handelnde ist kein passives Wesen, das sich nach der gegebenen Norm verhält. Er reflektiert vielmehr mit Hilfe des praktischen Bewusstseins den strukturellen Zusammenhang seiner Handlung ununterbrochen und leitet aus der erkannten Struktur Ressourcen wie Wissen, Material, Kapital oder Personal ab, welche für die Realisierung der Handlung notwendig sind und es ihm ermöglichen, seinem sozialen Handeln eine Bedeutung zuzuschreiben. Das menschliche Handeln, das diesen Prozess durchläuft, setzt sich aus einer Mischung von Entscheidung des Handelnden und strukturellen Ressourcen zusammen. Schließlich ist bereits die Interaktion zwischen den Handelnden bereits kein ‘isoliertes Event’ zwischen einzelnen Handelnden, sondern hängt vielmehr vom jeweiligen sozial-strukturellen Kontext ab. In diesem Sinne ist die Interaktion eine Form der sozialen Praktik, was Giddens mit folgenden Worten verdeutlicht:

„Structure is not ‚external’ to individuals: as memory traces, and as instantiated in social practices, it is in a certain sense more ‚internal’ than exterior to their activities...“ (Giddens, 1984: 25)

Wenn ein Behinderter einen Rollstuhl kauft, darf man dies nicht als bloße Transaktion betrachten, welche sich zwischen dem Behinderten und dem Unternehmer mittels eines Geldtransfers ereignet. Der Behinderte offenbart seinen Kaufwillen und wendet gleichzeitig das Wissen darüber an, auf welche Zuschüsse er einen gesetzlichen oder versicherungsrechtlichen Anspruch hat. Außerdem bringt er die Nutzungserfahrung anderer Behinderter und unter Umständen auch seine eigenen Erfahrungen als Wissenshintergrund in den Kauf des Rollstuhls ein. Der Unternehmer wird versuchen dem Behinderten, der bestimmte körperliche Behinderungen aufweist, einen Rollstuhl mit spezifischen Funktionen anzubieten. Gleichzeitig weiß er aber auch, dass Rollstühle mit einer spezifischer technischer Ausstattung und mit entsprechenden Funktionen nicht Resultat von Massenproduktion sind und somit sehr kostspielig und schwer herzustellen.

Sein Verkaufsverhalten kann nur auf der Basis seines Wissens in Bezug auf bestimmte materielle Ressourcen stattfinden, die zu seinem Angebot gehören. Doch braucht der Behinderte nicht unbedingt einen auf dem Markt verkauften oder im Geschäft angebotenen Rollstuhl zu kaufen. Obwohl seine Fähigkeiten, sich zu bewegen, eingeschränkt sind und er dringend einen Rollstuhl braucht, kann er sich auf der Basis seines Wissens, seiner Erfahrungen und Qualitätsbewertung dennoch gegen den Kauf des Rollstuhls entscheiden.

An dieser Stelle soll noch näher auf die ‘Reproduktion der Struktur’ nach Giddens eingegangen werden, um den Mechanismus des Zusammenspiels von Handlung und Struktur konkreter zu erörtern. Giddens erklärt die Dualität der Struktur und das Zusammenspiel von Handlung und Struktur durch einen Bezug auf zwei Ebenen und dieser Gedanke wird im folgenden Schaubild gezeichnet.

[Abb. 3 Die Dualität der Struktur]

(Giddenes, 1984:29)

Betrachtet man das Zusammenspiel von Handlung und Struktur in der Dimension der Interaktion, so weist die Interaktion drei wesentliche Aspekte auf: Kommunikation, Macht und Sanktion. Der Prozess, in dem die Handelnden ihre Beziehungen

Signifikation

Interpretative

Kommunikatio

Domination

Machtmittel

Macht Sanktion

Norm Legitimation Struktur

Modalität

Interaktion

strukturieren, ist durch die Aspekte der Signifikation, Domination und Legitimation zu erklären.

Die Handelnden in einer Situation verwenden interpretative Schemata, Machtmittel oder Normen als Interaktionsmodalität. Damit kann man der Handelnde sich mitteilen, was er im Kenntnis genommen hat, oder die Meinung vom Anderen nach eigenen Interessen bewegen. Diese Modalität läßt die Komponenten der Struktur wie Signifikation, Domination und Legitimation zur Geltung kommen und strukturiert auf diese Weise die Handlung.

Die Handelnden benutzen interpretative Schemata, wenn sie ihrer Situation eine bestimmte Bedeutung zuschreiben und diese einander mitteilen wollen (Signifikation).

Wenn beispielsweise ein an der Entwicklung eines Rollstuhls beteiligter Forscher und ein industrielles Unternehmen auf einer gemeinsamen Sitzung Berichte für ein gemeinsames Verstehen des Forschungsablaufes benutzen, werden die Sitzungsberichte als interpretative Schemata angewendet.

Wollen die Handelnden im Interaktionsprozess ihre Meinungen durchsetzen, benutzen sie Ressourcen wie Wissen, Beziehungen zu weiteren Handelnden und Informationen, um gegenseitig Einfluss oder Macht auszuüben (Domination). Zum Beispiel könnte der Forscher zur Qualitätssicherung bzw. - verbesserung eine Korrektur des Produkts verlangen, wenn seine Entwicklungsabsicht in dem vom Unternehmen hergestellten Produkt nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Legt der Forscher nun Ergebnisse von Tests mit Behinderten vor, die seine Auffassung stützen, selektiert der Handelnde auf diese Weise die Ressource, die ihm von den zur Verfügung stehenden Ressourcen am effektivsten erscheint, und verschafft sich so die Möglichkeit, mit der Interaktionssequenz fortzufahren.

Der Handelnde wendet die Norm als Sanktionsmodalität an, damit die durch die Interaktion entstandene Bedeutung, der Status oder die Beziehung gegenseitig wahrgenommen und dann als legitim anerkannt werden (Legitimation). Im vorangegangenen Beispiel könnte die Gemeinschaftsforschung etwa durch eine Norm geregelt werden, wie sie ein Vertrag darstellt. Das Vertragsbestehen definiert den

Forschungszeitraum und deutet auf Risiken bei Vertragsbruch hin. Neben einer vertraglich festgeschriebenen Norm kann aber auch eine unter den Handelnden geltende unausgesprochene Regel als Sanktionsmodalität verwendet werden. Wenn ein gemeinsames Forschungsprojekt beginnt, wird Seitens des Unternehmens die regelmäßige Beteiligung an Entwicklungsgesprächen festgelegt, um eine Basis für den Wissens- bzw. Informationsaustausch zwischen dem Forscher und dem Unternehmen aufzubauen. Dabei ist die Teilnahme an den Sitzungen eine Interaktionsnorm, über die sich die Handelnden gegenseitig geeinigt haben. Wichtig hierbei ist, dass eine reine Existenz einer solchen Norm die uneingeschränkte Handlungskontrolle nicht garantiert.

Die Norm ist Gegenstand der Aushandlung, kann abgeschafft oder verändert werden, je nachdem für wie wichtig die einzelnen Handelnden diese Norm halten. Die Anerkennung, ob diese Norm für sich relevant ist oder nicht, basiert auf der reflexiven Einschätzung der Handelnden darüber, ob sie die Norm für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Beziehung für notwendig erachten.

In diesem Zusammenhang übt die Regel eine zwingende Kraft auf die Handlung aus, aber die Handelnden (re)produzieren die Regel. Die Handelnden wenden die Interaktionsmodalität an, die während der Interaktion von der Struktur (Signifikation, Ressource der Domination und Legitimation) hergeleitet wird, geben ihrer Beziehung damit Bedeutung, üben Macht aus, erkennen ihre Beziehung an und (re)produzieren schließlich die Struktur, die sich situativ zwischen ihnen als Handelnden herausgebildet hat.

Somit wird die Sozialstruktur in Giddens Ansatz während der Ausführung der Handlung von den Handelnden selbst konstruiert. Giddens zufolge existiert sie nicht als ein konkretes Artefakt, sondern in der menschlichen Erinnerung und Kognition; sie wird durch die menschlichen Handlungen erst konkretisiert. Die Struktur findet nur unter den Handelnden nur in Form von ‚strukturellen Eigenschaften’ Gestalt und zeigt sich situativ durch die ‚social practice’ der Handelnden. Als solche ist sie allgegenwärtig existent und wird ständig reproduziert (Vgl. Giddens, 1984). Die Gesellschaft kann sich

durch die „social practices“ manifestieren und von den gesellschaftlichen Mitgliedern (Handelnden) als eine „Situation“ interpretiert werden. In diesem Sinne spielt die

„social practices“ als ein Vermittelnder zwischen dem Handelnden und der Struktur und bzw. den Individuen und der Gesellschaft eine wichtige Rolle. (Bo Kaspersen, 2000).

Die Interessen, der Willen zum Lernen und die Äußerung von Lernleistungen zeigen sich nicht in der Erkenntnisstruktur und –fähigkeit eines Individuums allein, sondern in dem durch die Praktikgemeinschaft etablierten Wissen und die Anwendung des Repertoires an Handlungsmöglichkeiten, das die Mitglieder einer Praktikgemeinschaft besitzen.8 In diesem Zusammenhang sollte das Lernen nicht als ein einfaches „Learning by doing“ verstanden werden, das die Rolle der „tacit knowledge“ bei der Wissensgenerierung betont, sondern als ein sozialer Prozess. „Situated Learning“ ist ein Prozess zur Konstruktion der sozialen Beziehungen einer Gemeinschaft.

Wissensgenerierung und Informationsaustausch sind das Ergebnis dieses Prozesses (Lave & Wenger, ebd.).

Dieses dynamische Verhältnis zwischen Handlung und Struktur ist gerade deshalb möglich, weil der Handelnde die Eigenschaft eines ‚reflexiven Monitors’ besitzt. Der Handelnde hat jetzt keine feste Identität mehr, die durch die Struktur definiert wird.

Somit wird dem Handelnden zwar Freiheit ermöglicht, doch andererseits keine Garantie für die Identität aus der Struktur automatisch angeboten.

Der Handelnde verfügt über das Wissen bezüglich der Signifikationsmittel, die Ressource der Domination, und über Sanktionsmittel, um seine Identität zu bilden bzw.

sie zu bewahren. Er wendet sie auch situativ an. Aus diesem Grund erhöht das umfangreiche Wissen über die Struktur und die passende Strategie den Effekt der Anwendung bestimmter Handlungsmodalitäten. Somit wird der Handelnde als

8 Eine solche Auffassung vom Lernen hat in bestimmter Hinsicht Ähnlichkeiten mit dem Begriff ‘ba’ von Nonaka. Er betont, dass bei Wissensgenerierung und –transfer die Interaktionen unter den Lernenden sehr wichtig ist und er betrachtet das Angebot des Raumes („ba“), in dem die Lernenden die in der Organisationen angesammelten Gemeinschaftsressourcen miteinander teilen und verwenden können, als Kernelement des Wissensmanagements (Nonaka & Konno,1998; Nonaka & Takeuchi, 1995).

‘reflexiver Monitor’ der Struktur verstanden. Dieser interagiert auf der Basis des nützlichen Wissens und der Informationen, die er als Ergebnisse aus einem solchen

"Monitoring" gewonnen hat. Die Reflexivität der Handlung ist im Interaktionsprozess ständig präsent. Dadurch kann es zu unerwarteten Handlungsergebnissen kommen. Ein entsprechendes Ergebnis kann auch der Anlass für die Änderung der Interaktionsweise zwischen Handlung und Struktur sein.