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L IST OUSIOLOGIE

2. Michael Fredes Interpretation

Diesen Bruch in der Interpretationsgeschichte vertieft und verstärkt Michael Frede. Fredes endgültige Meinung ist im Jahre 2000 im Rahmen der Memoires des XIV. Symposium Aristotelicum über L erschienen. Eine erste Darlegung dieser Interpretation war allerdings schon etwa fünfzehn Jahre zuvor bekannt, und zwar in einem Kommentar zu Z, der von Michael Frede und Günther Patzig veröffentlicht wurde. In jenem Kommentar sind etliche Ideen zu finden, die für die spätere Hermeneutik wegbereitend sind. Zunächst gehe ich auf die darin enthaltenen Ideen ein und wende mich anschließend der Position, die im XIV. Symposium Aristotelicum vertreten wird, zu204.

Gemäß Frede und Patzig ist der Kern der Metaphysik die Kette ZHQ, in der Aristoteles die Substanz und das Sein erforscht. Aufgrund der bereits erörterten Bezugnamen von Q zu ZH, die vor allem in den ersten neun Kapiteln vorkommen, gliedert sich dieser Hauptteil ebenfalls thematisch in sie ein, obwohl Q ursprünglich eine eigenständige Schrift über die Potenz und den Akt war. I2 zum Beispiel räumt dies ein. Andererseits scheint ZH der Anfang eines metaphysischen Aufsatzes zu sein, der nicht vollendet worden ist. In Z wird der Frage nach der unsichtbaren und getrennten Substanz nachgegangen205. Wie bereits erwähnt, wird allgemein davon ausgegangen, dass L eine parallele Version von ZH ist. Niemand aber ging bisher davon aus, L könne eine kürzere Version des ursprünglichen und unvollendeten Projektes von ZH sein. Frede und Patzig sind der Meinung, L sei kein Werk des jungen Aristoteles, sondern eher eine Schrift, die nach Abschluss der gesamten Metaphysik geschrieben wurde. Dieses Werk diente also als Basis für L. Hier nimmt Aristoteles die Frage nach den unsichtbaren Substanzen wieder auf und entwickelt darüber eine Theorie. Hinzu kommt auch die Diskussion über etliche platonische Theorien, die er in Z2 ankündigt und in MN umsetzt. Die Autoren erinnern an die von Jaeger vorgeschlagene These über die Entwicklung der Substanzlehre von Aristoteles: Der junge „platonische“ Aristoteles soll gedacht haben, die

204 Sonderegger ist der Meinung, die Teilnehmer des XIV. Symposium Aristotelicum über L vertreten noch die theologische Interpretation: „Eben deshalb enthalte Met. L eine Theologie.

Diese Ansicht vertritt auch noch das XIV. Symposium Aristotelicum von 1996. Der Text [L] habe als Ziel, Gott in irgendeiner Weise als Grund der Welt nachzuweisen. Was Aristoteles damit vorstelle, sei eine Umsetzung des Platonischen Demiurgen“: Sonderegger (2008), xix. Dies ist durchaus nicht der Fall.

205 Vgl. Metaphysica Z2 1028b30-31, Z3 1029a33-b12, Z11 1037a10-17 und Z17 1041a7-9.

Metaphysik sei die Wissenschaft, die ausschließlich die ewigen Substanzen erforscht (die sogenannte „Urmetaphysik“). Später allerdings habe er seine Meinung geändert und akzeptiert, dass die sichtbaren Substanzen auch Gegenstand der Metaphysik sind, so wie in ZHQ angenommen wurde (die von Aristoteles sogenannte erste Philosophie). Erst zu diesem Zeitpunkt soll in Aristoteles das Interesse für die göttlichen Substanzen geweckt worden sein.

Diese These halten Frede und Patzig aber für unglaubwürdig und schlagen folgende Alternative vor: In ZH bereitet Aristoteles zwar die Antwort auf die Frage nach den unsichtbaren Substanzen vor, beantwortet sie aber nicht. Die Antwort folgt auch nicht in MN, wo man keine eigene Behauptung des Stagiriten, sondern eher kritische Aussagen vorfindet. Wahrscheinlich sollte L

eine vage Darstellung der Theorie über diese Substanzen sein, so Frede und Patzig206. In Z2 fragt Aristoteles nach dem Warum und der Natur des ersten Bewegers. Dabei soll er an einen ewigen Beweger gedacht haben und benutzte aus diesem Grund die Singularform207. In Z17 spricht er über eine Untersuchung in Bezug auf die unsichtbaren Substanzen. Dort geht er davon aus, dass es solche Substanzen tatsächlich gibt, auch wenn er sich deren Natur nicht erklären kann208. Dass der erste Beweger eine a)rxh/ ist, scheint dem Stagirit allerdings klar zu sein.

Diese Ideen verarbeitet Frede noch einmal im Jahre 2000 in einem detaillierten Aufsatz über Aristoteles Absicht im Buch L. Sein Beitrag basiert vor allem auf dem schon von Jaeger betonten Passus 1069a36-b2. Dies will ich nun im Folgenden darstellen: Frede beginnt mit einigen Bemerkungen, gefolgt von einer Aporie als Einleitung in die Diskussionen über die Prinzipien der sichtbaren und unsichtbaren Substanzen. In diesen Diskussionen geht es um die Frage, ob es ein gemeinsames Prinzip für alle Substanzen gibt oder nicht.

Frede behauptet, Gott sei gewissermaßen das gemeinsame Prinzip aller Substanzen. Diese Interpretation erhält eine philologische Unterstützung von Michel Crubellier, wodurch Frede letztendlich in der Lage ist, seine Position –L

sei eine Schrift über die Substanz– vorzustellen und zu erklären, welches die Stelle des zwölften Buches in Bezug auf die ganze Metaphysik ist. So kommen

206 Etliche Jahre später benutzt Frede das Adverb „wahrscheinlich“ nicht mehr. „Eine vage Vorstellung von der positiven Theorie immaterieller und zeitloser ousiai kann uns ‚vielleicht’

Met. L vermitteln“: Frede & Patzig (1986), 30; Hervorhebung von mir.

207 Vgl. Metaphysica Z2 1028b30.

208 Vgl. Metaphysica Z17 1041a7-9, auch Z3 1029b3-12 und Z11 1037a10-17.

wir zu der sogenannten „schwachen theologischen Lesart“ und der

„ousiologischen Lesart“, die meiner Meinung nach von Frede stammt. Frede beginnt seinen Aufsatz mit einer Strukturierung von L1. Er erkennt folgende Teile dieses Kapitels: (a) 1069a18 - 1069b2 ist eine allgemeine „Einleitung“ zum Hauptthema des ganzen Buches, die wiederum aus zwei Teilen besteht: (a1) 1069a18-26 und (a2) 1069a26-b2. Der erste Teil (a1) beantwortet die Frage nach der eigentlichen Substanz; der zweite Teil (a2) diskutiert die Natur der Substanz. (b) Schon in 1069b3 - 1069b7 beginnt die Vorstellung des Hauptthemas von L, die stricto sensu zum zweiten Kapitel gehören sollte209. Der letzte Passus des ersten Kapitels von L, 1069a36-b2, schließt die sogenannte

„Einleitung“ zum Hauptthema des ganzen Buches ab. Für Fredes Position spielt dies eine entscheidende Rolle. In diesem Textausschnitt leitet Aristoteles eine Beziehung zwischen den Substanzen und ihren Prinzipien ab, gemeinsam mit den Wissenschaften, die jene Substanzen untersuchen. Die Interpretation dieses Passus bestimmt also die Fredesche Lesart des ganzen Buches. Kurz davor unterscheidet Aristoteles bereits zwischen drei Arten von Substanzen210:

Es gibt aber drei Substanzen: eine ist sinnlich wahrnehmbar –von der es [i] eine ewige und [ii] eine vergängliche gibt, in Bezug auf die alle übereinstimmen, wie zum Beispiel die Pflanzen und die Tiere– wovon man die Elemente erfassen muss, und zwar, ob es sich um eines oder um viele handelt. Die andere (Substanz) ist [iii] unbeweglich, und von dieser behaupten einige, sie sei selbständig und so weiter.

Gleich nach dieser Unterscheidung kommt die besagte Passage 1069a36-b2. Auf Griechisch lautet sie so: „e)kei=nai [i und ii] me\n dh\ fusikh=j meta\ kinh/sewj ga/r, auàth

[iii] de\ e(te/raj, ei) mhdemi/a au)toi=j a)rxh\ koinh/“. Horn übersetzt sie folgendermaßen:

„Jene Substanzen [i und ii] aber sind Thema der Physik (denn sie sind mit Bewegung verbunden), diese [iii] dagegen ist Thema einer anderen Disziplin, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt“. Wie gesagt weist Jaeger schon auf die Wichtigkeit dieses Passus hin. Trotzdem führt er diese Idee nicht

209 Alle Kommentatoren stimmen überein, dass das erste Kapitel von L schon bei 1069b3 hätte aufhören sollen. Der Herausgeber irrte sich als er dieses Kapitel erst bei 1069b7 beendet.

Deswegen setzen sowohl Ross (1924) wie auch Jaeger (1957) unter anderem schon einen neuen Paragraphen bei 1069b3.

210 Metaphysica L1 1069a30-34: „ou)si/ai de\ trei=j, mi/a me\n ai)sqhth/ - h(=j h( me\n a)i+/dioj h( de\ fqarth/, h(\n pa/ntej o(mologou=sin, oi(=on ta\ futa\ kai\ ta\ z%=a [h( d¡ a)i+/dioj] - h(=j a)na/gkh ta\ stoixei=a labei=n, ei)/te e(\n ei)/te polla/: a)/llh de\ a)ki/nhtoj, kai\ tau/thn fasi/ tinej ei)=nai xwristh/n [...]“ (Christoph Horns Übersetzung).

weiter. Ross macht in seinen Kommentaren keinerlei Bemerkungen zu dieser Stelle. Frede jedoch merkt gleich Missverständnisse an. Er ist der Meinung, einige Kommentatoren hätten den Text falsch ausgelegt. Ein Fehler, der zu vermeiden gewesen wäre, hätte man bei zwei Bemerkungen innegehalten. Die erste Bemerkung geht auf Themistius zurück. Es scheint, er liest „e)pei/“ (begründende Konjunktion: „da“) anstatt „ei)“ (bedingende Konjunktion:

„wenn“, „falls“): „e)kei=nai [ii] me\n dh\ fusikh=j meta\ kinh/sewj ga/r, auàth [iii] de\

e(te/raj, e)pei/ mhdemi/a au)toi=j a)rxh\ koinh/“. Diese Version mit „e)pei/“ würde also lauten: ‚Jene Substanzen [ii] aber sind Thema der Physik (denn sie sind mit Bewegung verbunden), diese [iii] dagegen ist Thema einer anderen Disziplin,

„da“ ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt’211. Themistius ist fest davon überzeugt, dass diese Substanzarten nichts Gemeinsames verbindet, weil der unsichtbaren Substanz wiederum überhaupt kein Prinzip zugrunde liegt.

Es ist deswegen unmöglich, dass die unsichtbaren und die sichtbaren Substanzen ein gemeinsames Prinzip haben212:

Die sinnlich wahrnehmbare Substanz erfordert die Physik, denn diese Substanz überschreitet nicht den Bereich der Bewegung. Die zweite Substanz aber scheint zu einer anderen Wissenschaft zu gehören, und zwar einer edleren als es die Physik ist, „da“ ihnen nichts gemeinsam ist weder im Entstehen noch im Lokalisiertsein (beziehungsweise im Ort) noch im Zunehmen oder Abnehmen und sie auch kein gemeinsames Prinzip haben, von dem sie hergestellt werden.

Auch das sechste Fragment bezieht sich direkt darauf213:

Es sagt Alexander: Nachdem er über die bewegte Substanz gesprochen und sie in zwei Arten geteilt hat, in eine ewige und eine entstehende vergängliche, sagt er, dass über diese zwei Substanzen der Physiker zu sprechen hat. Denn die physikalische Untersuchung bezieht sich auf die Substanzen, denen Bewegung zukommt, indem sie die Prinzipien derselben der Metaphysik entnimmt. Was

211 Auch Bonitz übersetzt es mit „da“: „Jene Wesen gehören der Physik an, denn sie sind der Bewegung unterworfen, diese aber einer anderen Wissenschaft, da sie ja mit jenen kein gemeinsames Prinzip hat“. Hervorhebung von mir.

212 4, Fr. 3, 6-11. Übersetzung und Hervorhebungen von mir. Die lateinische Version des hebräischen Textes Themistius’ ist: „Porro sensibilis substantia naturali scientia indiget; haec enim substantia ex motu omnino non evadit; altera vero substantia ad aliam scientiam eamque nobiliorem quam sit scientia naturalis spectare videtur, cum nihil sit comune ipsis neque in generatione ulla neque in loco neque in augmento neque in decremento nec commune principium habeant, a quo producantur“;

Landauer (1903), 4.

213 Freudenthal (1885), 74.

aber die unbewegte Substanz betrifft, so ist die Untersuchung derselben Aufgabe der Metaphysik.

Frede schreibt, dass sich da sogar Averroës verliest: „And, according to Freudenthal’s translation, Averroes’ lemma has e)pei/214. Obwohl es für Averroës scheint, dass es ein gemeinsames Prinzip für beide Substanzen gibt, ist er einverstanden, dass es verschiedene Wissenschaften sein sollten, die die jeweilige Substanzart behandeln: Die Physik untersucht demnach die vergängliche Substanz und die Metaphysik die Unbewegliche. Auch dies ist umstritten. In seinem Kommentar beharrt Pseudo-Alexander auf der Partikel

ei)“. So akzeptiert er, dass die Physik alle sichtbaren Substanzen behandelt, sowohl die Vergängliche, als auch die Ewige215. Frede selbst schenkt einem Hinweis über die arabische Übersetzung folgender Passage besondere Beachtung: „Michel Crubellier points out to me that the other Arabic translation has

ei), and that there is no indication in Averroes that Alexander read e)pei/216. Folglich bleibt Frede auch bei „ei)“. Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Partikel

au)toi=j“. Als Neutrum sollte sich auf „e)kei=nai“ und auf „au(/th“ beziehen, das heißt auf die sichtbaren und auf die unsichtbaren Substanzen. Laut Frede sind daher zwei Lektüren möglich. Der ersten Lektüre nach zu urteilen, besitzen die unsichtbaren Substanzen kein Bewegungsprinzip. Dies ist evident per definitionem und bringt somit die Diskussion nicht weiter. Deswegen scheint es unwahrscheinlich, dass es sich hierbei um den Sinn des Konditionalsatzes handelt.

Die zweite Lektüre ist interessanter: Die unsichtbaren Substanzen gehören zu einer anderen Wissenschaft, falls keine von jenen Substanzen ein Bewegungsprinzip der sichtbaren Substanzen ist. Später lernen wir, schreibt Frede, dass diese Bedingung nicht erfüllt wird. Es ist nun deutlich, dass Frede das Wort „a)rxh/“ auf das Bewegungsprinzip beschränkt. Er tut das, weil Aristoteles selbst seine Untersuchung in L mit der Suche der Bewegungsprinzipien der sichtbaren Substanzen begonnen hat. Schließlich weist Frede noch darauf hin, dass in zwei Manuskripten217 nicht der Begriff

koinh/“ sondern „kinh/sewj“ vorkommt. Da Aristoteles in L mit dem Prinzip

214 Frede (2000b), 73.

215 Vgl. Pseudo-Alexanders Kommentar zum Passus (671, 7-21).

216 Vgl. Frede (2000b), 73, Fußnote 4.

217 Manuskripten C und M der Familie Ab: Marc.gr.206 und Marc.gr.211. Fazzo (2012) bittet die Rekonstruktion der Familie der uns erhaltenen L-Manuskripten.

aller Substanzarten beschäftigt ist, wäre es sinnvoller „koinh/“ anstatt „kinh/sewj“ zu lesen.

Der besprochene Passus fragt deutlich nach einem Prinzip –oder mehreren Prinzipien– der Substanz. Dies ist genau das Ziel von Aristoteles am Anfang von L: Er will die Prinzipien und Ursachen der Substanz untersuchen. Deshalb nennt Aristoteles die Substanz das Erste und erst danach kommen die Akzidenzien218. Weil die vergängliche Substanz der Ausgangspunkt der Forschung ist, wird nach dem Bewegungsprinzip gesucht. So treffen wir an dieser Stelle auf eine Aporie: Entweder ist die Substanz nicht das Erste, weil ihr die eigenen Prinzipien beziehungsweise Ursachen vorausgehen, oder sie ist prinzipienlos, was unmöglich der Fall ist. Die Frage bleibt also noch immer offen: Was verursacht –bewirkt– die Substanz, wenn sie das Erste ist? Die Frage kann auch anders formuliert werden: Was ist eigentlich das Bewegungsprinzip der vergänglichen Substanz? Das Einzige, was eine Substanz bewegen kann, ist eine andere Substanz. Davon soll das ganze Buch L handeln. Es sucht jene Substanzen, die für die Bewegung der sichtbaren Substanzen verantwortlich sind. Aristoteles vermutet zunächst, diese Substanzen seien unsichtbar. Diese Idee stammt jedoch nicht ursprünglich von ihm, sondern von den Pythagoreern und Platonikern. Sie glauben an die Existenz unsichtbarer Substanzen und drücken diesen Glauben sowohl in Zahlen als auch in Ideen aus. Aristoteles erinnert daran219, als er Fragen nach dieser Substanz beziehungsweise Substanzart stellt. Offen bleibt die Frage, ob Aristoteles akzeptiert hätte, dass sich eine bestimmte Wissenschaft mit den unsichtbaren Substanzen beschäftigt.

Wenn Aristoteles nach dem Prinzip der Substanzen fragt, sucht er vor allem das, was die Bewegung jener Substanzen verursacht. In L liefert er auf diese Frage eine sehr ausführliche Antwort. Jede Bewegung muss einen Ursprung haben. Welches ist also das gesuchte Bewegungsprinzip? Mit den Prinzipien

218 Vgl. Metaphysica L1 1069a18-19: „kai\ ei) t%= e)fech=j, ka)\n ou(/twj prw=ton h( ou)si/a, ei)=ta to\ poio/n h)\ to\

poso/n“ („Aber auch wenn es reihenförmig beschaffen ist, kommt auf diese Weise als erstes die Substanz, dann die Qualität oder die Quantität“; Christoph Horns Übersetzung).

219 Vgl. Metaphysica L1 1069a33-35: „a)/llh de\ a)ki/nhtoj, kai\ tau/thn tine\j ei)=nai/ fasi xwristh/n, oi( me\n ei)j du/o diairou=ntej, oi( de\ ei)j mi/an fu/sin tiqe/ntej ta\ ei)/dh kai\ ta\ maqhmatika/ [...]“ („Die andere [Substanz] ist unbeweglich, und von dieser behaupten einige, sie sei selbständig, wobei die einen sie in zwei aufteilen, die anderen die Idee und mathematischen Objekte zu einer Natur [zusammennehmen...]“; Christoph Horns Übersetzung).

und Elementen der sichtbaren Substanz beschäftigt sich der Stagirit in L4 und

L5. Da unterscheidet er zwischen inneren und äußeren Ursachen220:

[...] wie zum Beispiel Ursache eines Menschen die Elemente sind, Feuer und Erde, im Sinn der Materialursache, und die eigentümliche Form, und zudem etwas anderes, Äußeres wie der Vater, und neben diesen die Sonne und ihr ekliptischer Verlauf, wobei diese weder Materie noch Form noch Privation sind, sondern Bewegungsursachen.

Neue Elemente –nämlich ewige sichtbare Substanzen– werden nun in die Diskussion hinzugefügt. Die Sonne und sämtliche Fixsterne gehören zur Gruppe der sinnlich wahrnehmbaren, ewigen Substanzen. Die Sphäre der Fixsterne ist ortsbezogen, weil die Materie der Himmelskörper ausschließlich in einem örtlichen Sinne bewegungsfähig ist. Sie fällt also nicht in die Kategorie

„Entstehen/Vergehen“221. Trotzdem spielen die Sonne und ihre Ekliptik eine gewisse Rolle in der Bewegung aller vergänglichen Substanzen. In L8 beschreibt Aristoteles mit Hilfe der Theorien von Eudoxos und Kallippos seine persönliche Vorstellung eines astronomischen Systems. Dieses verfügt über mehrere Sphären. Jede Sphäre wird von einem Beweger bewegt. Die Beweger an sich sind allerdings bewegungslos. Da es mehrere Sphären gibt, gibt es folglich auch mehrere unbewegte Beweger222. Aristoteles schlägt eine Reihefolge von unbewegten Bewegern vor. Alle hängen von einem ersten Beweger ab. Eine genaue Beschreibung der Beziehung zwischen dem ersten und den folgenden Bewegern liefert Aristoteles jedoch leider nicht. Weil jeder unbewegte Beweger Vernunft ist (noei=), darf man vermuten, dass der erste Beweger ein Gedankenprinzip der anderen Beweger ist. In diesem Sinne könnte man behaupten, der erste Beweger sei Prinzip der anderen Beweger223. Daraus schließt Frede, dass es doch ein gemeinsames Prinzip der unsichtbaren und der

220 Metaphysica L5 1071a13-17: „w(/sper a)nqrw/pou ai)/tion ta/ te stoixei=a, pu=r kai\ gh= w(j u(/lh kai\ to\

i)/dion ei)/doj, kai\ e)/ti ti a)/llo e)/cw oi(/on o( pa/th/r, kai\ para\ tau=ta o( h(/lioj kai\ o( loco\j ku/kloj, ou)/te u(/lh o)/nta ou)/t¡ ei)=doj out)/e ste/rhsij ou)/te o(moeide\j a)lla\ kinou=nta“ (Christoph Horns Übersetzung).

221 Metaphysica L3 1069b25-27: „pa/nta d¡ u(/lhn e)/xei o(/sa metaba/llei, a)ll¡ e(te/ran: kai\ tw=n a)i+di/wn o(/sa mh\ genhta\ kinhta\ de\ fora=|, a)ll¡ ou) genhth\n poqe\n poi/“ („Alles nun, was sich verändert, hat Materie, aber jeweils eine andere. Auch von den ewigen Entitäten [haben alle diejenigen eine Materie], die zwar nicht entstanden sind, aber durch Ortsbewegung verändert werden, allerdings keine genetische Materie, sondern eine auf das Woher und Wohin bezogene“;

Christoph Horns Übersetzung).

222 Vgl. Beere (2003).

223 Wie wird die Bewegung ausgehend von dem Beweger an die Sphäre abgegeben? Welche Art von Verbindung besteht zwischen dem Beweger und der Sphäre? Diese Fragen können hier leider nicht beantworten werden. Für Diskussionen zu diesem Thema vgl. Gill (1991).

sichtbaren Substanzen gibt. Um dies zu erklären, benutzt er den Begriff

a)nalogi/a“, auch wenn dieser nicht in L1 vorkommt224. Seine Argumentation lautet folgendermaßen: In L7 wird der erste Beweger mit Gott identifiziert. Weil der erste Beweger Prinzip aller Beweger ist, sagt man, Gott sei Prinzip von allem. Da alle diese Beweger bewegungslos sind, ist Gott kein Bewegungsprinzip, sondern eher Gedankenprinzip, zumal Gott Objekt (der Bewegung) für die Beweger ist. So ist Gott Bewegungsprinzip der himmlischen Sphären; außerdem ist Gott Bewegungsprinzip der vergänglichen Substanzen über die Fixsterne. Gott ist also das Gedankenprinzip aller unbewegten Beweger, die ihrerseits die Sonne bewegen, die ihrerseits die Bewegung der sichtbaren Substanzen verursacht. Anders ausgedrückt: Gott verursacht die Bewegung der nichtwahrnehmbaren Substanzen, die die Bewegung des Himmels erklären und durch die Sonne wird die Bewegung an die natürlichen Substanzen abgegeben. Gott ist also das Prinzip beider Substanzen, jedoch auf eine jeweils andere Art und Weise. Für die unsichtbaren Substanzen ist er Gedankenprinzip, für die sichtbaren Substanzen ist er Bewegungsprinzip. Nur wenn man diese zwei Arten der Prinzipien unterscheidet, ist man mit Hilfe der Analogie imstande zu erkennen, dass Gott ein gemeinsames Prinzip aller Dinge ist. In diesem analogischen Sinne haben also die sichtbaren und unsichtbaren Substanzen ein und dasselbe Prinzip.

Crubellier unterstützt die Interpretation Fredes mit einer philologischen Anmerkung. Er erkennt eine doppelte Apodosis im Passus, das heißt, dass der Konditionalsatz der Passage („falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt“) sich seiner Meinung nach sowohl auf den ersten Teil des Satzes („jene Substanzen aber sind Thema der Physik“) wie auch auf den zweiten („diese dagegen ist Thema einer anderen Disziplin“) bezieht. So könnte man den Satz folgendermaßen auslegen: ‚Jene Substanzen sind Thema der Physik, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt, jene Substanzen aber sind Thema einer anderen Disziplin, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt’.

Darin findet Frede eine Bestätigung seiner Interpretation. Es gibt keine Schriften von Crubellier, die diese Idee enthalten, mit Ausnahme eben des Aufsatzes von Frede:

224 Aristoteles benutzt ihn erst in L5.

[...] Michel Crubellier has pointed out that the whole preceding sentence may constitute a twofold apodosis: if sensible and non-sensible substances have no principle in common, physics has to deal with sensible substances, whereas theology will deal with non-sensible substances. But, as they do have a principle in common, not only physics, but also metaphysics, will deal with sensible substances, and it will also deal with

[...] Michel Crubellier has pointed out that the whole preceding sentence may constitute a twofold apodosis: if sensible and non-sensible substances have no principle in common, physics has to deal with sensible substances, whereas theology will deal with non-sensible substances. But, as they do have a principle in common, not only physics, but also metaphysics, will deal with sensible substances, and it will also deal with