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Medizinische Massnahmen im Ausland

Im Dokument UFAS FAS (Seite 124-129)

AHV. Vollstreckungsverjährung der Durchführungskosten

IV. Medizinische Massnahmen im Ausland

Urteil des EVG vom 6. Juli 1994 i. Sa. F. N.

Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 IVG; Art. 23bis Abs. 2 !VV. Beachtli-che Gründe für die Durchführung einer Massnahme im Ausland kön-nen nur solche von erheblichem Gewicht sein (Bestätigung der Rechtssprechnung); die Empfehlung eines Arztes oder das fehlende Vertrauensverhältnis zum Hausarzt beispielsweise stellen keine sol-chen dar.

A. - Der 1968 geborene F. N. litt an Keratokonus beidseits und wurde des-halb von der IV an beiden Augen mit Kontaktlinsen versorgt (Sekretariats-beschluss der 1V-Kommission vom 30. Mai 1990). Am 24. Mai 1991 melde-te sich der Versichermelde-te erneut hei der IV zum Leistungsbezug (medizinische Massnahmen) an. Im einzelnen ersuchte er um Übernahme der Kosten, die durch die am 10. und 17. Juli 1991 in Deutschland an beiden Augen zur Aus-führung gelangende Hornhautübertragung (Keratoplastik) anfallen wür-den.

In der Folge liess sich F. N. in Deutschland operieren (Dr. med. A.), was einen Aufenthalt vom 19. bis 26. Juli 1991 im Spital X nach sich zog. Nach Einholung einer telefonischen ärztlichen Stellungnahme (Dr. med. B.. Chef-arzt der Augenklinik des Kantonsspitals Y) wandte sich die 1V-Kommissi-on mit der Begründung gegen eine Kostenübernahme (Sekretariats-beschluss vom 29. August 1991), dass die fragliche Operation zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit nicht notwendig, im übrigen aber an jeder grösseren Klinik, also auch in der Augenklinik Y durchführbar gewesen wäre (Vorhe-scheid vom 29. August 1991). Nachdem F. N. auf seinem Leistungsbegehren beharrt hatte, hielt die 1V-Kommission nach Einholung eines ärztlichen Berichts (Dr. med. C.. Augenarzt FMH), unter Hinweis auf die fehlende medizinische Indikation an ihrer ablehnenden Haltung fest (Präsidial-beschluss vom 30. Januar 1992). Am 5. Februar 1992 erliess die Ausgleichs-kasse eine entsprechende Verfügung.

B. - Die dagegen erhobene Beschwerde hiess die kantonale Rekurs-behörde - nach Einholung weiterer Arztberichte (Dr. med. B., Bericht vom 7. August 1992: PD Dr. med. D., Spezialarzt FMH für Augenkrankheiten.

Bericht vom 20. August 1992) und eines Gutachtens (Prof. Dr. med. E. und Dr. med. F., Augenklinik des Universitätsspitals Z, Gutachten vom 22. März 1993 und Zusatzbericht vom 10. August 1993) - mit Entscheid vom 19.

Oktober 1993 insofern teilweise gut, als es die Ausgleichkasse in Aufhebung

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ihrer ablehnenden Verfügung zur Übernahme der durch die Operation des rechten Auges entstandenen Kosten im Umfang von Fr. 3731.— verhielt.

C. - Die TV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen, dass die Kosten der im Ausland durchgeführten Keatoplastik-Operationen nicht von der IV zu übernehmen seien.

Während F. N. die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde be-antragen lässt und die Ausgleichkasse auf eine Stellungnahme verzichtet, schliesst sich das BSV den Beschwerdeanträgen an.

Das EVG heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut. Aus den Erwä-gungen:

2. Nachdem der Versicherte die Verneinung der Leistungspflicht für die Hornhautübertragung am linken Auge nicht angefochten hat, ist nur mehr streitig, ob die TV gestützt auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 TVG in Ver-bindung mit Art. 23bi, Abs. 2 TVV für die Kosten der - im Ausland durch-geführten - Keratoplastik am rechten Auge aufzukommen hat.

3a. Im vorinstanzlichen Entscheid werden die für den Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen gemäss Art. 12 Abs. 1 IVG gel-tenden Voraussetzungen zutreffend dargelegt, weshalb darauf verwiesen werden kann.

b. Beim Keratokonus handelt es sich um eine kegelförmige Vorhau-chung der Hornhaut, die nach Entzündung oder als primär dystropher Pro-zess auftritt (Pschyretn bei, 256. Aufl., S. 842). Das Leiden beginnt häufig in der Pubertätszeit und ist progredient, wobei die Progredienz in der Regel um so ausgeprägter ist, je früher es sich manifestiert (Rinteien. Augenheil-kunde, 2. Aufl., Basel 1969, 5. 81; vgl. ferner Küchle/Busse, Taschenbuch der Augenheilkunde, 3. Aufl., Bern 1991, S. 190). Der Keratokonus stellt daher grundsätzlich labiles pathologisches Geschehen dar, weshalb eine wegen dieses Leidens erforderliche Hornhautübertragung nicht als medizi-nische Massnahme nach Art. 12 IVG zu Lasten der IV geht. Die Leistungs-pflicht der IV fällt namentlich dann ausser Betracht, wenn die Keratoplastik durchgeführt wird, um einer in absehbarer Zeit drohenden Perforation der Hornhaut zuvorzukommen (unveröffentlichtes Urteil D. vom 29. Oktober 1970, 1 85/70) oder wenn damit eine frische Verletzung der Hornhaut ange-gangen wird (unveröffentlichtes Urteil W. vom 12. April 1972, 1 13/72).

Nach der Rechtsprechung gilt die Keratoplastik nur dann als ein medizini-

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schen Massnahmen nach Art. 12 IVG zugänglicher Eingriff, wenn damit eine narbig veränderte Hornhaut oder eine getrübte Keratokonusspitze ersetzt wird. In diesen Fällen rechtfertigt sich die Annahme eines stabilen bzw. relativ stabilisierten Defektzustandes, weshalb sie grundsätzlich eine medizinische Massnahme nach Art. 12 IVG bilden kann (BGE 100 V 97 = ZAK 1975 S. 63; ZAK 1963 S. 531; unveröffentlichte Urteile L. vom 21. Mai 1990. 118/90, und G. vom 25. Februar 1987. 1280/85).

Im Sinne der Rechtsprechung wird gemäss der hier anwendbaren Ver-waltungspraxis eine Keratoplastik (wie die Kataraktoperation) von der IV übernommen, wenn ein funktionell stabiler Endzustand vorliegt. Dies trifft dann zu, wenn eine narbig veränderte Hornhaut besteht oder die Kor-nea dermassen stark vorgewölbt ist, dass eine Korrektur mit optischen Hilfsmitteln (Brille oder Kontaktlinsen) nicht möglich ist (Rz 661/861.15 des Kreisschreibens über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen [KSME] in der Fassung gemäss 1V-Mitteilungen Nr. 308 vom 11. November 1991, publiziert in ZAK 1991 S. 486: ebenso Rz 661/861.2 KSME in der ab 1. Januar 1994 gültigen Fassung des KSME).

c. Trotz der von der Beschwerdeführerin angesprochenen fachärztlichen Meinung, wonach es sich heim Keartokonus stets um ein progredientes Lei-den und damit um ein labiles pathologisches Geschehen handle, besteht auch im vorliegenden Fall kein Anlass, von der dargelegten Rechtspre-chung und der daran anknüpfenden Verwaltungspraxis abzuweichen. Inso-fern ist daran festzuhalten, dass eine Keratoplastik unter anderem dann einen medizinischen Massnahmen gemäss Art. 12 IVG zugänglichen Ein-griff darstellt, wenn eine narbig veränderte Hornhaut besteht (zur anderen, hier nicht interessierenden Variante vgl. Erw. 3b hievor). Dass dasselbe kan-tonale Gericht in einem vergleichbaren Fall unter Hinweis auf den fehlen-den stabilen Zustand davon abgesehen haben soll, das Vorliegen einer nar-big veränderten oder wesentlich getrübten Hornhaut zu prüfen, vermag hieran nichts zu ändern. Endlich ist darauf zu verweisen, dass es sich beim Begriff des labilen pathologischen Geschehens wie auch demjenigen des (relativ) stabilen Defektzustandes im hier gegebenen Zusammenhang (Art.

12 Abs. 1 IVG) um Rechtsbegriffe handelt, die nicht vom Arzt auszulegen sind und daher - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - auch nicht strikte mit der medizinischen Sicht übereinstimmen müssen.

4. Im vorliegenden Fall gilt in medizinischer Hinsicht aufgrund der vor-handenen, teilweise voneinander abweichenden ärztlichen Berichte als er-stellt, dass beim Beschwerdegegner am rechten Auge ein funktionell stabi-ler Defektzustand vorlag. Es kann in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Angaben von Dr. med. F. (Oberarzt an der Augenklinik Z) im

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Zusatzbericht vom 10. August 1993 («Die bestehende Vorwölbung beim rechten Auge war schon narbig .. .»)' im übrigen aber auf die sehr einlässli-che Würdigung im angefochtenen Gerichtsentseinlässli-cheid verwiesen werden (Erw. 2, S. 5 ff.), ohne dass die verschiedenen ärztlichen Stellungnahmen hier ein weiteres Mal darzulegen wären. Aufgrund der gegebenen medi-zinischen Sachlage hat die Vorinstanz die durchgeführte Vorkehr richti-gerweise als Eingliederungsmassnahme im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG qualifiziert, zumal auch die im Vorfeld der Operation erwähnte drohende Perforation der Hornhaut angesichts der klaren Stellungnahme von Dr.

med. B. (Bericht vom 7. August 1992) verneint werden dürfte. Dabei hat das kantonale Gericht - wenn auch stillschweigend - zugleich das Erfordernis der (unmittelbar drohenden) Invalidität (Art. 8 Abs. 1 IVG) ebenfalls zu Recht bejaht, nachdem sich der Beschwerdegegner aus gesundheitlichen Gründen zur Aufgabe seiner Stelle als Autolackierer gezwungen gesehen hatte.

Sa. Gemäss Art. 9 Abs. 1 IVG werden die Eingliederungsmassnahmen in der Schweiz, ausnahmsweise auch im Ausland, gewährt. Die IV übernimmt die Kosten einer einfachen und zweckmässigen Durchführung einer Ein-gliederungsmassnahme im Ausland dann, wenn sich die Durchführung in der Schweiz nicht als möglich erweist, insbesondere weil die erforderlichen Institutionen oder Fachpersonen fehlen, oder wenn eine medizinische Massnahme notfallmässig im Ausland durchgeführt werden muss (Art. 23bil

Abs. 1 IVV). Wird eine Massnahme aus andern beachtlichen Gründen im Ausland durchgeführt, so vergütet die Versicherung die Kosten bis zu dem Umfang, in welchem solche Leistungen in der Schweiz zu erbringen gewe-sen wären (Art. 23hs Abs. 2 IVV).

h. Die Vorinstanz hat die teilweise Übernahme der wegen der Operati-on in Deutschland angefallenen Kosten durch die IV gestützt auf Art. 23bil Abs. 2 IVV damit begründet, dass der Beschwerdegegner das Vertrauen in seinen Hausarzt verloren und insofern beachtliche Gründe für die Vornah-me des Eingriffs ausser Landes gehabt habe, zumal ihm der operierende - im übrigen auch in der Schweiz als erfahrener Hornhautchirurg bekannte - Arzt (Dr. med. A.) von seinem Augenarzt in Italien empfohlen worden sei.

Des weiteren seien die Auskünfte, die der Beschwerdegegner über die Möglichkeiten zur Durchführung des Eingriffs in der Schweiz erhalten hat-te, verwirrlich und hinsichtlich des Risikos nicht gerade vertrauenerwek-kend gewesen. Hinzu gekommen seien ferner die durch das Tragen der Kontaktlinsen verursachten Schmerzen, die eingehende Art des operieren-den Arztes sowie der relativ kurzfristige Operationstermin, was insgesamt die Annahme beachtlicher Gründe rechtfertige.

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c. Diese Beurteilung wird VOfl der Beschwerdeführerin mit Recht bean-standet. Dass die Vornahme des Eingriffs im der Schweiz unmöglich gewe-sen wäre und sogar eine Übernahme der Kosten in Rahmen von Art. 23111 Abs. 1 IVV in Frage käme, steht dabei von vornherein ausser Diskussion.

Aber auch die Bejahung beachtlicher Gründe im Sinne von Art. 23'» Abs.

2 IVV geht im vorliegenden Fall zu weit. Zwar ist Art. 23'» Abs. 2 IVV nach der Rechtsprechung nicht restriktiv auszulegen (BGE 110 V 101 Erw. 1 = ZAK 1984 S. 276). Indes können beachtliche Gründe nur solche von er-heblichem Gewicht sein, weil sonst nicht nur Abs. 1 von Art. 23bil IVV be-deutungslos, sondern auch Art. 9 Abs. 1 IVG unterlaufen würde, wonach Eingliederungsmassnahmen (nur) «ausnahmsweise» im Ausland gewährt werden (unveröffentlichtes Urteil K. vom 6. November 1990,1212/90). Das EVG hat daher erkannt, dass besondere persönliche Erfahrungen des aus-ländischen Arztes auf dem in Frage stehenden Gebiet aufgrund der nur im Rahmen des Einfachen und Zweckmässigen zu erbringenden Versorgung nicht entscheidend sind (BGE 110V 102 = ZAK 1984S. 276): ebensowenig vermag eine Verringerung des mit der Operation verbundenen Risikos die Durchführung des Eingriffs im Ausland zu rechtfertigen (ZAK 1984 S. 88 mit Hinweisen).

Genügen somit weder die besonderen Fertigkeiten des operierenden ausländischen Arztes noch die Verminderung des Operationsrisikos zur Annahme eines beachtlichen Grundes im Sinne Art. 23k« Abs. 2 IVV, ver-mag sich der Beschwerdegegner in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Empfehlung seines italienischen Augenarztes oder auf das gestörte Ver-trauensverhältnis zu seinem Hausarzt zu berufen. Desgleichen müssen die übrigen von der Vorinstanz angeführten Gründe ausser Betracht fallen.

Denn bei Beschaffung der entsprechenden Informationen wäre es dem Be-schwerdegegner ohne Zweifel möglich gewesen, sich binnen nützlicher Frist auch hierzulande operieren zu lassen und damit seinen Schmerzen ein Ende zu setzen. (1374/93)

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