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Wer sich je auf Marschen befand, weih, das ein schlechles

Im Dokument Eine Wochenschrift fur (Seite 127-130)

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Q u a r t i e r schlechter ist als em Bivouak. W i r nahmeu in Bauerhausern Q u a r t i e r ; aber wie diese im petersburger G o u -vernement beschaffeu siud, ist uur zu blkanut. I n vierzig Iahren isl's damit nicht besser geworden. Die Bauernstube ist eng, dumps, rauchsg, schmutzig. Insecten bedecken tie Wande.

Sollten wir es denn nicht erleben, dah die Bauern im nord»

lichen Nutzland, gleich denen in Neu-Fi'nulcmd und Klein-Rutz-laud, in guten, sauberen, bequemen Hausern wohnen werten?

— Dazu muhte man sie doch anhaltrn! — Die kaiserliche freie oconomische Societal hatte vor einigen Iahren die Auf-gabe gestellt: ,,die Ursachen dcr grohen Eterblichkeit der Kinder bei dem gemeinen M a n n in Ruh<and zu ermitleln." Einen einzissen Vlick auf das Leben dcr Nauern in den: nordlichen Laudstn'ch Nuylands — und das Rathsel ist gelost! Die Vauerkinder laufen bei Frost und Schnee in blotzen Hemdchen oder in Lumpen mit uackten Futzchen auf Hof und Stratze umber, erkalten sich und erkranken todtlich. Welche Pfiege wild ihnen in diesem Zustande zu Theil? Es g'ebt weder Arznei und zutragliche Nahrungsmittel, noch viel weniger tine Lagerstelle. Die kranken Kiuderchen liegeu auf Oefrn und Vmikrn umher. Das einzige Heilmittel ist die Vatstube und das ist bisweilen veilerb'.ich, wenu ts zur Uuzeit angewandt w i l d . I n Folge liefer Lebensweife bildeten sich im Icchr 1 8 I N in der Umgegend von W i l n a die todtliche hautige Braune und em dosartiger Scharlach a u s ! aus denselben Grunden wuthen unter den Bauern so haufig typhose Nervenfieber, entkrciftende Wechselsieber und tie Ruhr. Befragt man die B a u e r n , so wird man erfahren, dah von zehu Kindern eins, wenn es hoch kommt, zwei bis drei das Alter Erwachsener erreichen. Vor<

Ultheile mehren das Uebel. Der Bauer furchtet Aizt und Me^

dicin, und zwar mehr als die Krankheit selbst, dagegen hat er Vertraueu zu Quacksalbern und Vesprechern. Sonderbar genug ist's, datz man selbst unter den sogenannten gebildeten Leuten viele antrifft, die, selbst der Medicin abhold. vermeinen, dec russische Bauer werde vermoge jeuer ucrnachlasfigten Erzie-hung a b g e h a r t e t , d. h. stark uud kraftig. Weit gefehlt!

M a n kehre die Sache um. Gin Kind von besonders starker Constitution halt ein solches thierisches Leben aus — das schwach<

liche aber, dos mit den Iahren kraftiger werden wurde, geht zu Grunte. Der Mensch hat kesne eiferne N a t u r , wie wir Mls ausHudrucken psiegen, und die Kraft nimmt erst vom sie-ben ten Iahre an allmahlig mit ten Iahren zu. V i s dahin ist l a s Kind — ein Vlumchen. Ausnahmeu von der Negel find rben nur Ausnahmen. Schon die Uureinlichfeit ist todtend!

I n diesen Bauernstuben machte ich die ersten Versuche im T a -backrauchcu auf den Rath unseats 3tegimentsiCtabarztes uud meiues intinwen Freundes Malinowsky, um von dem Gestank weniger belauigt zu werdcn und dem Ecorbut fowie dem Nech-selstcber zu entgehen. Woher kommt's aber, datz wir jetzt un-trr juugen Leuteu, ja sogar unter Schulern, eine Menge von Rauchern erbiicken, die doch gewitz nicht durch den Drang der Umstanle zum Tabackrauchen gezwungen wurden? — Eine sckadliche, verderbliche Mode und Nachafferei!

Es hcitte sich unter den Bauern des petersburger Gou-vernemeuts Winter Tchirkowizi das ebenso souderbare als lacher-liche Gerucht uerbreitet, die Ulanen atzen K i n d e r ! ! ! Die Sauern hielten uns fur ein befondereS V o l t , den Baschkiren, Kulmucken oler Kirgisen ahnlich, wozu uusere, bis dahin nicht

gesehene Tracht und die schlechte russische Aussprache des gro-tzeren Theils unserer Ulanen, welche Kleinrussen oder Polen waren, nicht wenig beitrug. Ich weih nicht, wer dieses albrrne Gerede unter den Vauern verbreitet hatte j aber fast in allen Haufern verbarg man die Kinder vor u u s , und fragte ich die Hansbefitzer, ob sie auch Kinder hatten, — so wuiden sie von Entfetzen ergriffen. Die Weiber sturzten, um Grbarmen fiehend, zu unsern Fuhen nieder und boten uus statt der Kmder Fcr-kel oder Kalber a n ! Es hirlt schwer, die einfaltigeu Dauern, besonderS die Weiber vou tem W a h n , wir waren Menscheu-fresser, zu befreien! — Aber das Mihverstanduift war nicht von Dauer. Nach Verlauf einigtr Stunden war em gutes Einvernehmeu, Frieke und Eintracht etablirt, und uusere lebens-lustigen Ulanen gewannen bald machtige Vertheieiger unter deu Naueriunen und Freunde uuter ihren Ghemannern und Vrudern.

Ienseits N a r w a , wo man zuerst Bauern vom Stammr der Esthen antrifft, wurde unsere Lage uoch uneitrciglicher.

Die Esthen wohnen namlich «icht in Hausern, sondern iu Scheueru, R ' e g e n genannt. I n demjem'gen Theile derselben, wo der Df«n zum Dorren des Korus geheizt i v i r d , lebt lie . Familie mit den Hausgenossen wahrcnd des Winters; in der Tenne aber, die zum Korndreschen dient, wird das Vieh und zwar von ter Kuh bis zu dem Thier gehalten, das den Iuden und Turken ein Grauel ist. Die Oefen haben keine Schorn-steine und die Fenster siud handgroh! Dichter Rauch fullt die Wohnung, und um <hn weuiger zu empfiuden, muh man sich unter schmutzige Kinder, Ferkel und Kalber auf den Futzboden niedersetzen. Die Esthen verpfiegen jeue Thiere fast sorgfaltiger als ihie Kinder. Eine solche Niege ist nun vollgepfropft mit Menschen, Venn man lrifft deren wohl aus drei M e n * scheualtern in ein und terselben Familie, vom llrgrotzvater bis zum Urenkel, mit Knechten und Magden an. Der Gestauk ist uuausstthlich und dcr ungepflasterte Fuhboden mit Koth be-deckt, wie der Hof. Bei den russischen Bauern trafen uusere Ulanen doch wenigstens gute Kost, russische Kohlsuppe unv V r e i a n ; die esthnische Pudro aber koimte der Huugrigste zu kostcn sich nicht entschlietzen! Was ist denn die Pudro? Ein groher gutzeiserner Kessel wird zur Halfte mit Wasser gefullt, und wenn dieses kocht, werden Kohlruben, Kartoffelu und M o h -ren hineingethanj hiezu fugt man eine bestimmte Quantitat Rog«

genmehl, turchkocht Alles tuchtig uud ruhrt die Masse so lange mit emem holzernen Ruhistock, bis sie eiuen fiussigen Nrei dai-stellt. Diesem fugt man suhe Milch und Salz bei, durchruhrt das Ganze nochmals und hebt den Kessel vom Feuer ab. Die ganze Familie umlagert nun auf dem Boden deu Kessel und verschmaust die Pudro mit Loffelu. D a s ist das ganze I a h r hindurch tie tagliche Nahrung der Esthen, ihr lebelang. I h r e Leckerbissen bestehen iu V r o t (groheulheils mit Kast gemischt), saurer Milch und Heringeu. F u r Taback, Brauntwein und Heriuge geht dec Esthe dmch's Feuer! Das ist seine Selig-keit! N u r an gesalzenem Schwemefleisch sindet er uoch einiges Behagenj alles anvere Fleisch, besonders frisches, leidet er nicht.

und uennt es s u h * ) (fade).

«) Sehr interessant ist folglnbe von mir gemachte Erfahrunz.

Nachdem ich mich in Karlowa (bei Dorpat) niedergelassen und m der Absicht, die Nahrungsmittel der Hokesleute (Huter. Gartenarbeiter ?c.) zu v«rdesstrn, ihnen gutes Brot. Fleisch, Kohlsuppe und Brei. al«

t^gliche Nahrung, v'erabfolgen lii§, di«se Leute mlch del den Behorden verklagten: , I c h liesie sie H u n g e r l e i d e n ! " So muhte ich ihnen

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Ohne Zweifel ist die Lage der W h e n seitdem fehr ver-bessert worden, deun jetzt trifft man unter ihnen selbst wohl.

habende Leute a n ; gleichwohl hat sich ihre Lebensweise nicht geandert. Der woblhabeude W h e kleilet sich jetzt bessrr, fahrt vom Hause zur Kirche oder in die S t a d t , tragt nicht mehr Bastschuhe oder Pasteln*), sondern russische S t i e f e l n , emen guten Rock oder Schafpelz; «r besitzt mchrere Pferde, eiuen mil Gisen beschlageuen Wagen, gules V i e h ; er ,'ht em besseres B r o t und genietzt haufiger Hermge; — aber seme Wohnung ist »och immer die rauchige, stinkende Niege geblieben und ohue fein Pudro kaun er mcht besteheu. Ieder Ncrsuch, lie Esthen an helle Wohnuug mit Schornsteinen und Feusicrn zu gewoh<

neu, blieb fruchtlos! Der Graf Scheremetjew lietz ten B a u -ern auf seinem Gute Haselan unweit Dorpat auf seine Kosten helle, rauchfreie Wohnhauser bauen; die Nauern bewohucn diese aber uur wahiend des SommerS; im Winter kehren sie zu ihrcn Riegen zuruck, vermeinend, im Rauche und mit lem V i r h zusammen lebe sich's g e s u n d e r ! Thatsachen wilerspre-chen jedoch diescm Korurtheil, deun die Sterblichkeit unter den Kindern in Esthlaud uud im esthnischen Theil Livlands, sowie in AIt-Fmnland ist cntsetzlich, weshalb denn tie Vevolkerung hier sehr laugsam fortschreitet. Unter den alteren Leuten trifft man viele Wlinde an. Weder Kamtschadalen noch Lapplander, ja selbst uicht einmal die Eskimos wohnen schllchter — und das fiudet sich inmitten deutscher Aufklarung"*).

' I n der Regel hat der in die Welt tretende juuge M a n n das Nerlaugen) Reiftn zu machen. M i t welchem Interesse be-trachtet er auf diesen, jedeu ihm ueuen Gegenstand! illlles w i l l er erfahren, sehen, erforschen! AUe Stadte, die ich i n m e i n e r K i n d h e i t , v o r m e i n e m G i n t r i t t in's C a d e t t e n c o r p s gesehen hatte, waren meinem Gedachtuisse cntschwunden, und ich w a r , so zu sagen, mit Petersburg verwachsen. Obschon die miuderjahrigen Cadetten in der Geographic unterwiesen wurden, war es doch fur die Umgangssprache der Cadetten stehcnder Gebrauch, jedcn Flutz N e w a , jedeu B a u m Nirke zu nenneu. ,,Aus welcher S t a d t stammst D u her?" fragte z. V . em Cadet den andern. — »Aus I a r o s l a w . " — ,,Habt ihr, bei Euch auch eine N e w a ? " >— ,,O j a , und zwar eiue grofte die W o l g a ! " — Petersburg war uberall unser Mahstab. ->

I a m b u r g , die erste Stadt auf unserem Nege, hatte, von ihrer Unbedeutenheit abgesrhen, uichts Fremdes fur mich; sie hat namtich grohe Aehulichkeit mit dcm petersburger Stadttheil Peski. — Dagegeu waren lvir uber N a i w a , — seit Peter dem Grotzen nur weuig verandert, — seines Altcrthumlichen und Fremdlaudischeu wegen entzuckt. Meine Liebli'ngswissen<

fchaft, die Gefchichte, fuhrte meiner Phantasie eine Menge vo»

Vildcrn vor — und ich schrieb au Lanting aus N a r w a einen mehrere Nogen laugen B r i e f , in welchem ich ebenso den Da«

nenkonig Waldemar, wie uusern I w a n Wassiljewitsch den Gran-denn wle frlihcr Pudro, Hermge und saure Milch rtichen lasscn, b.

h. brlngl deme Klosteriegel nicht in em fremdls Kloster! — tand.

lich, siitlich!

" j Pasteln find eine Futzbekleidung von ungrgerbtcm Rindleder oder vcn rohgahrem Leder ohne Sohlen. Der Elihe umwickelt semen Fuh bis uber die Node, statt dir Strsmpfe, mit Leinlappen. legt die Dasteln an die Futze uud beflstigr das Ganze mlt Schnuren oder siiemen bis an die Kniee hinauf.

^ ) Seit diele Memoiren ^tschrieben jind, haben sich die Vauer.

wohnungen im Allgemeinen durch den Anbau rauchfteier, mit grostt' ren Fenstcrn versehener Wchnkammern sehr verbessert.

Anmerkung der Uebersetzer.

samen und Peter den <3roheu, alle mit jugrndlicher Phantasie ousgeschnnM, lluftretru lieh. I n der Stadt fanden wir rs jedoch recht langweilig uud nach einem Rasttoge zogen wir ab und erreichtm endlich Dorpat.

Gegenwartig ist Dorpat eine schone, saubere, wohleinge-rkchtete Stadt mit e<wa I 3 , l l 0 0 G u w o h n e r n ; sie hat eine Universitat, die von etwa 6 W Studirenden besucht w i r d , em Gymnasium und audere Krons- und private Lehranstalten mit elwll ll>0lj Lerneuden. Die hier befindlichm Kaufmannslaken sind prachtvoN nnd reich ausgestattel. s^ datz man Alles erhal.

ten l a m , , was in Petersburg. Moskau und Riga verkauft wird. Aber was war Dorpat d a m a l s ! A n dem grohen Uarktplahe befanden sich steinerne Hauser; fonst bcstand die gauze E t a d t aus wenigrn, mit holzernru Hausern besetzten Stratzen und die C'inwohuerzahl betrug etwa 2590 ! I n der neu eingerichteten Universitat traf wan uicht uber l o v Stu»

deuten und in alien ubrigen Lehranstalten nicht uber 3lW Lernende. Die Uniform der Ctudenten erregte unser S t a u n e n ! Si« trugeu damals Collets nach dem Schuitt dcr Curassiere, lauge Stulpstiefelu mit S p o r e n , Ritterhelme uud gewaltige Schwerter an der Ceite. Wingeu zwei Studeuteu auf den oden Stratzen der S t a d t , so erscholl das Klirreu der Sporen und Echwerter bis in die Simmer hinein. Die Studeuten befuchten sogar die Vorlesungrn in diesem heroischen Costum.

Die Einwohner wareu im Allgemeiuen a r m ; der Kaufhof eristirte damals noch nicht; Kaufladen gab es nur wenige,—

und gleichwohl war das Leben in der S t a d t damals vkel an-genehmer und heiterer als jetzt.

Der Liolandische Adel, aufgeklart und wohlhabend, lebt mcht gern in seiner reichen, handeltreibenden Gouveruemeuts-stadt R i g a , well er mit der riga'schen Kaufmannschaft im Luxus uicht wetteifern mag. Die Bedeutung und der Werth des Edelmanns sind durch Stammesvorzuge, Verdienste uud Fami-lienverbindungen, - » die Beleutung des Kaufmauns ist durch Geld bediugt. A n Geld, d. h. den M a m m o n hnngen sich ge-wohnlich Vitelkeit, Aufgeblaselcheit uud Stolz, wie Molten an Wollenzeug. Wie stellt mau jeue Schwachen anders, als durch Luxus und erkuustelte Freigebigkekt zur Schau? Hausig wan-delt es den Kaufmaun an, Tausende zu verschleudern, in der alleinigeu Absicht, von sich reden zu machen! Der liolandische Gdelmann lebt sauber, anstandig, anspruchlos und mrhr als Matzig! Der eingeladeue Cast w i l d , nach alien Regeln aristo-kratischer Etikette, jedoch ohne Ueberschwenglichkeit, anstandig bewirthet. Beim Kaufmann im Gegentheil wird bci einer geladenen MittagsgeseNschaft oder bei einem B a l l der Ueber-ssutz zur Schau gesteNt. W o der Ecelmann ein halbes Dutzend Flaschen Weiu verbraucht, da verwendet der Kaufmann tine ganze Kiste. Riga ist uberhauvt eine gastronomische S t a d t , gleich Hamburg mit dem Uuterschiede, datz man sich in Ham-burg auch in den Gasthausern delectiren kann, in den riga'schen Gasthausern aber hungern m u h , wahrend Ucbcrflutz in den Kaufmanushausern anzutreffen ist. Die riga'schen Kaufleute sind fast alle Commisiouare und macheu ungebeure Geschnfte fur fremde Rechnung, folglich ohne eigenes Risico. D a das Geld ohne Wagm'tz zustromt, fiieht ts m Gaumen, und Liebes-genussen oder fur kaufiiche Liebe leicht wieder ab. Dem lio-landischen Adel wfrd es schwer, mit ihuen zu wetteifern und deshalb erkor er D o r p a t zu seinem Winteraufenthalte. T a

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mals wohute hier der Patriarch der liolandischen Geselligkeit,

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