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madelali wa shanga – hausierende Perlenhändler Der ostafrikanische Wanderhandel ist in seiner spezifischen Ausprägung

7 Wafanya Biashara wa Shanga – Perlen- Perlen-händler in Arusha

7.8 madelali wa shanga – hausierende Perlenhändler Der ostafrikanische Wanderhandel ist in seiner spezifischen Ausprägung

eng mit dem Phänomen duka verbunden. Es sind wandernde Händler, madelali, die im 19. Jh. das Hinterland für den Warenhandel erschließen.

Perlen gehören zu den wichtigsten Waren dieser Händler. Wieder sind es die schon angeführten Vorteile, die Glasperlen vor anderen Waren auszeichnen:

Sie sind unbegrenzt haltbar, robust, fast überall begehrt, wobei Gewicht und Volumen in einem für Handel und Transport sehr guten Verhältnis stehen.

Ein wandernder Händler braucht nur relativ wenig Gewicht und Volumen zu transportieren, um hohe Umsätze tätigen zu können. Angesichts der modernen Transportmöglichkeiten mit Bus und Pkw ist der Transport einfacher geworden, doch bleibt er stets ein Kostenfaktor. So existiert denn auch bis in die Gegenwart noch ein florierender Wanderhandel mit Glasper-len, doch ist dieser auf den urbanen Kontext der Großstadt Daressalam beschränkt. Da es überall in Tansania madelali gibt, ist es gut möglich, dass in den nächsten Jahren auch in anderen Teilen des Landes Glasperlen wieder zu den von madelali vertriebenen Waren zählen werden.

Die madelali spielen bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle bei der Versorgung sowohl der ländlichen wie auch der städtischen Bevölkerung in Ostafrika. Straßenhändler und Hausierer versorgen die städtische Bevölke-rung mit landwirtschaftlichen Produkten wie Obst und Gemüse. Andere vertreiben Fertigwaren vor allem in ländlichen Gebieten. Letztere haben in ihrem Sortiment hauptsächlich Waren, die höhere Spannen erlauben als die in stationären Handelsbetrieben angebotenen Standartartikel. Meist sind dies Bekleidungsgegenstände, billige Schmuckwaren, Kurzwaren und kleine Haushaltsgegenstände.

Bis zur Unabhängigkeit Tansanias sind Glasperlen noch in vielen Regio-nen Tansanias eine der Standardwaren der madelali. Dann ändert sich zum einen die Rolle dieser Wanderhändler, zum anderen verlieren Glasperlen in den meisten Gesellschaften ihre Bedeutung und werden kaum noch

166 Vgl. dazu in der Literatur z.B. Evers 1983, S. 281ff.

nachgefragt. In den 1980er Jahren hat kaum noch ein Wanderhändler irgendwo in Tansania Glasperlen in seinem Angebot. Auch in der Region Arusha, wo Maasai und andere Gruppen weiterhin Glasperlen nachfragen, findet sich kein Wanderhandel mit Glasperlen mehr. Bis Anfang der 1970er spielt der Wanderhandel auch hier noch eine bedeutende Rolle. Fragt man nach den Ursachen für sein Verschwinden, so finden sich folgende Gründe:

Die Nachfrage nach Glasperlen ist in den städtischen Siedlungen nördlich des Stadtzentrums, also im Hauptsiedlungsgebiet der als Pflanzer lebenden Ilarus, drastisch zurückgegangen. Heute sieht man hier kaum noch Frauen, die traditionellen Schmuck tragen. Anders in den südlicher gelegenen Siedlungen, doch ist hier die Versorgung durch den Markt in Mbauda und die zahlreichen anderen minada recht gut gewährleistet. Ähnlich auch in entlegenen ländlichen Gebieten – auch hier ist durch die regelmäßigen minada eine gute Versorgung mit Waren gewährleistet. Händler, die früher als Wanderhändler von Gehöft zu Gehöft zogen, folgen heute den Markt-zyklen der minada.

Eine ganz andere Entwicklung kann in Daressalam beobachtet werden.

Hier kommt seit Ende der 1980er Jahre ein blühender Handel mit Glasper-len in Schwung, der in dieser Dimension gänzlich neu ist. Struktur und Ausprägung dieses Glasperlenhandels unterscheiden sich deutlich von dem in der Region Arusha. Der Perlenhandel in Daressalam ist in gleicher Weise organisiert wie andere Formen des Warenhandels in Daressalam auch. Die beiden zentralen Elemente sind einerseits ein Ladengeschäft (duka), das als Groß- und Einzelhandel fungiert und andererseits der Vertrieb durch hausierende madelali.

In Daressalams Stadtteil Kariakoo gibt es in der Mkunguni Road drei maduka, die sich auf den Handel mit Glasperlen spezialisiert haben. In unmittelbarer Nachbarschaft sind Friseursalons und weitere maduka, die Toilettenartikel, Kleidung und Musikkassetten anbieten. Raymond Thomas ist der Besitzer der größeren der drei maduka, die Perlen anbieten. Der Laden selbst hat kaum 12m2, die durch einen gläsernen Verkaufstresen zur Straßenseite hin abgetrennt sind. Von der ausgewaschenen Straße führen drei Stufen auf das Bodenniveau des Ladens. Vor der Theke sind etwa 2m2 betonierte Fläche, hier stehen die Kunden, um sich die Ware anzuschauen.

Der Platz im Inneren hinter der Ladentheke fungiert hauptsächlich als Lager.

Das Angebot in diesem Laden besteht ausschließlich aus Glasperlen. Es werden nur Rocailles der Größe 8/0 angeboten, die kleineren zum Sticken oder größere Perlen sind nicht dabei. Im Ladeninneren sind 500 g-Beutel noch abgepackter Perlen zu sehen. An den Wänden und an der Tür im Kundenbereich hängen die Perlenstränge. Die meisten sind Kombinationen aus zwei oder drei Farben. Sie hängen in zwei Reihen untereinander, von

denen die obere in etwa 1,80 m Höhe angebracht ist. Es sind jeweils Bündel mit 10 oder 20 Strängen, die mit einer Sicherheitsnadel befestigt sind. 400 bis 500 solcher Bündel hängen im Verkaufsraum. Das macht etwa 6.000 Stränge. Also hängt hier, bei einem Durchschnittspreis von 250 TSh pro Strang, ein Warenbestand von mindestens 1,5 Millionen TSh bezogen auf den Einzelhandelsverkaufspreis. Hinzu kommen noch die Päckchen abgepackter Perlen – insgesamt durchaus ein kleines Vermögen.

Die anderen beiden Läden auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind nicht ganz so gut mit Glasperlen ausgestattet. Der größere der beiden hat vielleicht 60 % des eben erwähnten Ladens. Das Erscheinungsbild ist auch ein anderes. Zwar ähneln sich alle drei Läden was die Bauweise und Einrichtung angeht, das Warenangebot des mittelgroßen wird jedoch durch Bündel oder Knäuel an farbiger Strickwolle bestimmt. Der Bestand an Glasperlen ist etwa um ein Drittel kleiner als der im großen und dürfte damit bei ungefähr 1 Mio. TSh liegen und damit noch weit über dem Warenwert der Wolle. Hinzu kommen noch etwa einhundert Bündel zu je zwei oder drei Dutzend Sicherheitsnadeln. Auch der dritte Laden hat ein etwas anderes Warensortiment, jedoch wieder eindeutig auf weibliche Kundschaft ausgerichtet. Hier kommen noch Kosmetikartikel wie Shampoo oder auch Spiegel hinzu.

Schon am frühen Morgen vor 9 Uhr stehen Kundinnen vor der Theke des größeren Ladens. Die anderen Läden öffnen etwas später. Meist jüngere Frauen oder Frauen mittleren Alters beschäftigen sich mit den Auslagen.

Raymond, der Besitzer, sitzt vor der Theke auf den Stufen oder einem kleine Hocker. Er ist Mruguru, stammt also aus Morogoro, wie auch die anderen beiden Perlenhändler in der Straße. Als junger Mann kam er nach Daressa-lam, um hier sein Glück zu machen. Zahlreiche Verwandte von ihm leben jetzt ebenfalls in Daressalam, unter ihnen seine Schwester, die ihm auch im Laden hilft. Inzwischen ist er verheiratet und Vater eines Sohnes. Raymond ist römisch-katholisch, was aber, wie er sagt, in seinem Arbeitsalltag und Umfeld keine größere Bedeutung hat.

Sein Geschäfts- und Arbeitsalltag ist durchdrungen von familiären, ethni-schen und regionalen Verbindungen. In Daressalam gehören fast alle, die mit dem Perlenhandel zu tun haben, zu den Mruguru und viele sind Verwandte Raymonds. Die Kollegen der anderen Geschäfte sind entweder entfernte Verwandte oder zumindest aus der gleichen Region, ebenso wie der Importeur der Perlen, der noch dazu ein sehr guter Freund Raymonds ist. Die meisten der Hausierer, die für Raymond die Waren vertreiben, sind ebenfalls Mruguru. Der Perlenhandel in Daressalam wird damit von einer homogenen Gruppe bestimmt, die durch kulturelle, regionale und verwandt-schaftliche Bande verknüpft ist. Hier liegt damit auch die Antwort auf die stets wieder auftauchende Frage, wie Händler Vertrauen schaffen. Die

Bedeutung der Zusammengehörigkeit ist so groß, dass sie auch etwaige Konkurrenzgedanken überlagert. Auch, wenn es für den einzelnen Händler günstiger wäre, sich in einem anderen Viertel niederzulassen, so überwiegt doch die soziale Verbundenheit und es finden sich sämtliche Läden in direkter Konkurrenz zueinander in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Konkurrenzsituation wird jedoch dadurch abgemildert, dass der Vertrieb über die Hausierer sich auf das gesamte Stadtgebiet verteilt.

Stellt man die Frage, wer die Käufer von Glasperlen sind, so ergibt sich ein vielschichtiges Bild; die Kundschaft in den Ladengeschäften in der Mkunguni Road ist sehr heterogen. Von der maasprachigen Frau bis zur Muslima kaufen die unterschiedlichsten Frauen. Nur Männer sieht man, mit Ausnahme einiger Maasai, unter den Kunden nicht. Darüber, wer die Käufer im Hausierhandel sind, kann ich im Detail wenig Angaben machen. Die Händler sind nach meinen eigenen Beobachtungen ausschließlich junge Männer, wie mir auch Raymond bestätig. Sie kaufen ihre Ware von Raymond. Auf Kommission verkauft er nicht, wobei er einräumt, dass er einigen anfänglich Kredit gibt. Ihre Ware verkaufen die madelali ausschließlich an Frauen, die sie in ihren eigenen Gehöften oder Wohnungen aufsuchen. In manchen, möglicherweise sogar den meisten Fällen sind es nicht die Frauen, die später die Perlen tragen werden, die sie von den Händlern kaufen. Mütter kaufen für ihre Töchter, aber auch rituelle Expertinnen für ihre Klientinnen.167

Woher das Kapital für die Perlengeschäfte in der Mkunguni Road stammt, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Raymond nennt als Startkapi-tal eine siebenstellige Summe in TSh. Zusammen mit der Information, dass die Geschäfte gleichzeitig gegründet wurden und zu diesem Zeitpunkt nach Raymonds Aussage auch etwa gleich groß sind, ergibt sich die Vermutung, dass ein externer Geldgeber wie eine Entwicklungshilfeorganisation beteiligt war.

Bis hierher wurden unterschiedliche Händler vorgestellt, die in der Ver-gangenheit oder Gegenwart mit Glasperlen gehandelt haben. Fasst man die Gemeinsamkeiten und Entwicklungslinien zusammen, so kann man folgende Punkte festhalten:

Der Handel mit Glasperlen, wie wohl der Handel insgesamt, ist in der Vergangenheit eine reine Männerdomäne. Erst in der jüngeren Vergangen-heit ist hier ein Wandel zu beobachten: Frauen finden sich auch in Arusha in bestimmten Bereichen des Handels – primär dort, wo die Kundschaft auch weiblich ist, wie etwa im Lebensmittelhandel. Den Anfang nimmt diese Entwicklung bei den selbstvermarktenden Produzentinnen. Als reine

167 Ich konnte selbst nur ein kurzes Gespräch mit dem 19jährigen Simon, einem der madelali, führen, aber keinen von ihnen längere Zeit auf seinen Verkaufstouren begleiten.

Händlerinnen sehen sich Frauen trotz aller Chancen, die sich gerade bei Glasperlen bieten, aber dennoch mehr Hindernissen (etwa beim Reisen) ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen.

Kaum ein Händler definiert sich sonderlich stark über die Ware, mit der er handelt. Im Vordergrund steht die Tätigkeit als Händler. Die Ware, mit der ein Händler arbeitet, wechselt im Laufe eines Händlerlebens. Mit welcher Ware ein Händler handelt, hängt von mehreren Faktoren ab: dem verfügbaren Kapital, den Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Nachfrage- und Angebotsmärkten, dem Geschlecht, der Einbindung in Netzwerke etc.

Beim Wechsel der Waren zeigt sich deutlich eine Hierarchie der Waren, die wiederum durch Faktoren wie Kapitalisierung, aber auch kulturell bedingte Wertigkeiten geprägt wird.

Der einzelne Händler ist in ethnische oder religiöse Netzwerke eingebun-den, so mag er wie z.B. Saifuddin Essajee die Ladenräume von einer Stiftung seiner Moschee mieten, er mag Kapital über familiäre Netzwerke erhalten oder ein Nachtlager auf seinen Reisen bei einem Mitglied des gleichen olaji finden. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich kaum Netzwerke finden lassen, die sich vertikal über verschiedene Handelsstufen erstrecken.

So wird die Verbindung zwischen einem Perleneinzelhändler und dem Großhändler, bei dem er kauft, nicht über eine übergeordnetes Netzwerk bestimmt sein, sondern ganz überwiegend als direkte duale Beziehung.

Ebenso wie es keine ausgeprägten vertikalen Netzwerkstrukturen im Perlenhandel Arushas gibt, so gibt es auch keine Netzwerke die synchron innerhalb einer Handelsebene angelegt sind. Anders ist dies in Daressalam, wo ein ethnisch geprägtes Netzwerk den Perlengroßhandel bestimmt.

Netzwerke spielen also für das Individuum eine durchaus große Rolle, nicht aber über den Einzelnen hinaus in der Struktur des Perlenhandels. Hier zeigt sich vielmehr, dass besonders der persönliche Verknüpfungen zwischen Akteuren auf zwei Handelsebenen bedeutsam sind. Der Einzelhändler hat

‚seinen’ Großhändler und sogar umgekehrt. Das Beispiel der Großhändler Esmail und USHANGA, die ‚ihren’ Einzelhändler unmittelbar neben dem eigenen Geschäft haben, zeigt wie deutlich sich immer wieder die Struktu-rierung in Handelsstufen herauskristallisiert. Die Verknüpfung von einer Stufe zur nächsten ist stark vom persönlichen Kontakt zwischen zwei Akteuren geprägt. Netzwerke ermöglichen es also dem Einzelnen, innerhalb des Handels zu agieren, indem sie z.B. Zugang zu Kapital, Unterkunft etc.

ermöglichen, innerhalb des Handels selbst geht es aber primär um die Überwindung von Grenzen, und eben dies geschieht nicht innerhalb von Netzwerken oder Gruppen, sondern zwischen Individuen, die um so erfolgreicher agieren können, je besser der persönliche Kontakt, vor allem das Vertrauen, ist und um so größer die Differenz zwischen beiden Hand-lungsräumen. Über mehrere Jahrzehnte überaus erfolgreich ist z.B. die

Kooperation zwischen dem Inder Abdul Razak Esmail als Großhändler und dem maasprachigen Einzelhändler, den er ‚Onkel’ nennt.

Die Frage nach der Bedeutung der Familie im Handel selbst zeigt deutli-che Unterschiede zwisdeutli-chen lokalen und fremden Händlern. In den maduka der Inder hilft die ganze Familie mit und sie werden auch von einer Generation an die nächste weitergegeben. Bei Händlern aus der lokalen Bevölkerung gibt es diese Kontinuität über Generationen nicht. Es stellt sich die Frage, ob sich derartige Kontinuitäten vielleicht erst von der Gegenwart in Zukunft erstrecken werden. Bis zur Unabhängigkeit ist der Perlenhandel fast ausschließlich Fremden (Indern und Somalis) vorbehalten. Nach dem fast völligen Zusammenbruch in den 1980er Jahren beginnt in den 1990ern eine gänzlich neue Generation von Perlenhändlern, die sich ganz überwie-gend aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert. Das spiegelt zum einen eine historische Entwicklung, im Zuge derer die Hauptkompetenz nicht mehr in Bezug auf den Angebotsmarkt liegt, zu dem die Fremden über ihre transna-tionalen Netzwerke besseren Zugang hatten. Zum anderen ist es vergleichs-weise einfach geworden etwa zum Großhändler nach Nairobi zu reisen. Die Schlüsselkompetenzen der Händler in Arusha liegen damit nicht mehr auf der Seit der Beschaffung sondern in der Erschließung von Absatzmärkten.

Hier haben Händler mit lokalen Wurzeln bessere Chancen als Fremde. Dass mit diesen neuen lokalen Händlern eine generationsübergreifende Kontinui-tät im Perlenhandel einsetzt ist unwahrscheinlich, bleiben doch die Hand-lungsorientierungen dieser Händler auf die Ideale einer agropastoralen Kultur gerichtet. Der erfolgreiche Händler investiert primär in Rinder und nicht in den Handel. Doch sind Handlungsorientierungen keineswegs statisch und so kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich in Zukunft ein neues Händlerideal der Ilarushändler oder -händlerinnen bildet.

Die historischen Entwicklungen des Perlenhandels, wie sie bis hier nur grob skizziert wurden, spiegeln durchaus die größeren globalen historischen Zäsuren im Raum des Indischen Ozeans bzw. Ostafrikas. Wir werden diesen Entwicklungslinien in späteren Abschnitten noch detaillierter nachspüren.

Doch bereits anhand der bisher vorgestellten Befunde lassen sich einige bemerkenswerte Umbrüche und Wandlungsprozesse aufzeigen. Der jüngste Schub der Globalisierung, der nach dem Ende des Kalten Krieges Ende der 1980er einsetzt, spiegelt sich direkt im Glasperlenhandel Arushas.

Während der Kolonialzeit, so meine Hypothese, die ich später noch detaillierter untermauern werde (S. 263ff.), wurden lokal verankerte Bedürfnisse aufgegriffen, weiter stimuliert und in globale Warenaustausch-systeme eingebunden. Strukturell sind diese Vernetzungen nichts unbedingt Neues, doch erreichen sie im 19. Jh. eine nie zuvor gekannte Intensität.

Vormals von den Hauptwaren- und Kommunikationsströmen abgelegene Regionen, wie die heutige Region Arusha, werden immer intensiver in diese

Vernetzungen eingebunden. Akteure dieser Intensivierung sind primär Fremde, die durch ihre Spezialisierung auf lokal neue Formen des Handels eine Existenzgrundlage finden. Innerhalb der transnationalen und transkon-tinentalen Räume, die in der Kolonialzeit entstehen, gelingt es ihnen mit neuen Transport-, Kommunikations-, Handelsformen überaus erfolgreich zu sein. Das Ende der Kolonialzeit und der Anbruch einer Zeit der National-staaten in Ostafrika, wie im Raum des Indischen Ozeans generell, markieren eine Zäsur innerhalb dieser Prozesse der Globalisierung. Gerade im Perlenhandel Ostafrikas zeigt sich die Zeit der Nationalstaaten als Zeit der Regression. Die Jahrzehnte zwischen 1960 und 1990 erscheinen aus heutiger Sicht nur als vorübergehendes Innehalten, nach dem sich der Prozess der Globalisierung mit erstaunlicher Kraft wieder Bahn bricht. Nur sind jetzt die Akteure andere geworden. Die Intensivierung von Transport und Kommunikation versetzten lokale Akteure in die Lage, entscheidende Schlüsselpositionen am Ende der Handelsverknüpfung des Glasperlenhan-dels einzunehmen. Man kann hier durchaus von einer signifikanten Stär-kung des Lokalen innerhalb und durch Prozesse der Globalisierung spre-chen.

Die erstaunliche Vitalität des Lokalen zeigt sich im Folgenden, wenn wir uns den Konsumentinnen der Glasperlen und damit auch dem Gebrauch der Perlen im lokalen Kontext zuwenden. Von dort wenden wir den Blick auf lokale Händlerinnen, die mit Perlensouvenirs handeln, und auf zumeist indische Curiohändler. Im Souvenir- und Curiohandel zeigen sich weitere Auswirkungen von Globalisierungsprozessen. Gerade im Bereich des Tourismus, innerhalb dessen Souvenir- und Curiohandel stattfinden, zeigt sich, dass Fremdes und Lokales in bisher unbekannter Intensität aufeinander treffen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sich diese gegenseitig beeinflussen oder ob sich vielleicht bloß die Distanzen der geographischen Räume verringern und gleichzeitig die Grenzen der kulturellen Räume bestehen bleiben.168

168 Das Thema Tourismus findet erst in den 1990er Jahren in der ethnologischen Forschung größere Beachtung. Anfänglich beschränkt sich diese Auseinandersetzung weitgehend auf eine bloße Tourismuskritik. Touristen, lokale Akteure in den Reiseländer und deren gegen-seitigen Beziehungen werden erst in den letzten Jahren auch Gegenstand von Forschungen innerhalb ethnologischer Theorien (so Vorlaufer 1996 und Burns 1999).

8 Maasaifrauen, Diebe und Viehhändler –