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8 Diskussion

8.2 Diskussion der Untersuchungsergebnisse

8.2.1 Über welche Maßnahmen und in welchem Umfang führen Kitas systematische

Unterschiede in der Bewegungsförderung von Kindern?

Anhand des im Rahmen der Studie entwickelten Untersuchungsinstrumentes kann ermittelt werden, ob und in welchem Umfang Kitas systematische Bewegungsförderung, d.h.

integrierte umfassende und zielgerichtete Bewegungskonzepte und -programme, imple-mentieren. In Deutschland liegen bisher keine einheitlichen Strategien, Gestaltungsprinzipien und Qualitätskriterien für eine wirkungsvolle und nachhaltige Prävention und Gesund-heitsförderung vor. Ebenfalls können für das Setting Kita keine verbindlichen Aussagen über die Verbreitung der verschiedenen Arbeitsformen, Themen, Interventionsansätze und Programme der Prävention und Gesundheitsförderung sowie deren Implementationsgüte getroffen werden. Ferner gibt es keine spezifisch an den Arbeitsalltag der Kitas angepassten und übergreifend anerkannten Qualitätskriterien für gesundheitsfördernde Maßnahmen (Kliche et al. 2008, S. 24 f.). Dies trifft auch auf den Bereich der Bewegungsförderung zu.

Das Untersuchungsinstrument ermöglicht Aussagen zu verschiedenen Ebenen von Qualitäts-bereichen, die sowohl räumlich-materielle (z.B. Vorhandensein eines Bewegungsraums, An-gebot an fest installierten und frei beweglichen Spielmaterialien) als auch inhaltlich-organisatorische (z.B. Durchführung von strukturierten Bewegungsmaßnahmen) und per-sonelle (z.B. Betreuungsschlüssel, Qualifizierung des pädagogischen Personals) Bedingungen in Kitas berücksichtigen. Es kann ermittelt werden, inwieweit Bewegungsförderung in den Kitas systematisch umgesetzt wird. Ziel war es zudem, die unterschiedlichen Voraus-setzungen der Kitas für Bewegungsförderung näher zu analysieren.

Anhand des Untersuchungsinstrumentes können Kitas identifiziert werden, die bisher nur in einem sehr geringen Umfang bewegungsfördernde Aktivitäten umsetzen und in zukünftige Interventionen gezielt einbezogen werden sollten. Ebenfalls kann das Instrument in Kitas mit einem eingeschränkten Bewegungskonzept eingesetzt werden, um einzelne Zielbereiche im Bereich der Bewegungsförderung zu identifizieren, in denen spezifische Maßnahmen (z.B.

Fort- und Weiterbildung von Erzieher_innen, strukturierte Bewegungsangebote) bisher noch unzureichend durchgeführt werden.

In Übereinstimmung mit anderen Studien (Kliche et al. 2008) zeigen sowohl die Ergebnisse des Untersuchungsinstrumentes als auch die Ergebnisse der Beobachtungsprotokolle der vorliegenden Studie, dass in nahezu allen niedersächsischen Kitas Bewegungsförderung breit im pädagogischen Alltag umgesetzt wird. Alle drei identifizierten Kita-Gruppen – auch Kitas

ohne Bewegungskonzept – integrieren Bewegungsförderung in ihr pädagogisches Konzept und führen bewegungsfördernde Maßnahmen durch. Dennoch variieren die Kitas deutlich hinsichtlich des Umfangs einer systematischen Implementierung dieser Aktivitäten. Die Gründe für die Unterschiede in der Umsetzung von Bewegungskonzepten und -programmen werden insbesondere auf die unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen der Kitas (Größe, Personalschlüssel, Betreuungszeiten und Art des Trägers) zurückgeführt, die die Verwirklichung eines systematischen Bewegungskonzeptes sowohl unterstützen als auch deutlich einschränken können. Dies bestätigen die Ergebnisse der bundesweiten Studie von Kliche et al. (2008). So wurde für die Einrichtungsgröße und den Anteil der Kinder mit Förderbedarf ein Einfluss auf den Umfang und die Qualität präventiver Aktivitäten ermittelt, kleinere Effekte ergaben Öffnungszeiten, Träger, Arbeitsansatz und Betreuungsschlüssel. Die größten Unterschiede in der Umsetzung von aktiver Gesundheitsförderung erklärte jedoch die unterschiedliche Größe der Einrichtungen (Kliche et al. 2008).

Sowohl die vorliegende Studie als auch die Untersuchung von Kliche et al. (2008) belegen, dass wichtige Rahmenbedingungen der Kita-Arbeit sich signifikant auf den Umfang und die Gestaltung der präventiven und gesundheits- bzw. bewegungsfördernden Aktivitäten in den Einrichtungen auswirken. Dazu gehören 1) die Einrichtungsgröße: größere Einrichtungen setzen häufiger systematische Bewegungsförderung um und weisen eine bessere bewegungs-fördernde Ausstattung auf; 2) der Betreuungsschlüssel: Kitas mit mehr Personal können bewegungsfördernde Aktivitäten häufiger anbieten; 3) der Träger und Dachverband: Kitas deren Träger Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen sind, scheinen die Umsetzung systematischer Bewegungsförderung deutlich stärker zu unterstützen als privat getragene Kitas, zu denen die meisten Kitas ohne Bewegungskonzept gehörten. Die Gründe hierfür lassen sich jedoch wahrscheinlich eher auf die finanziellen Ressourcen der Träger zurück-führen als auf deren Haltung gegenüber der Bewegungsförderung. Ebenfalls in Überein-stimmung mit Kliche et al. (2008) kann in der vorliegenden Studie gezeigt werden, dass die Lage in oder bei einem sozialen Brennpunkt keine Rolle für die Umsetzung gesundheits-förderlicher Aktivitäten und Ausstattung spielt.

Die äußeren Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit scheinen einen starken Einfluss auf die Gestaltung und Umsetzung bewegungsfördernder Aktivitäten auszuüben, können von den Kitas selbst jedoch nur begrenzt verändert werden (Kliche et al. 2008). Insbesondere kleinere Kitas, Kitas mit schlechterem Betreuungsschlüssel und Einrichtungen privater Träger

müssen sich mit deutlich schwierigeren Voraussetzungen für die Umsetzung von systematischer Bewegungsförderung auseinandersetzen.

Neben den strukturellen Rahmenbedingungen wurden mittels des Untersuchungsinstrumentes als weitere Qualitätsmerkmale das Angebot an strukturierten Bewegungsangeboten, die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte sowie die räumliche und materielle Ausstattung der Kitas untersucht. Diese Eigenschaften der Kitas identifizierten auch andere Studien als wichtige Einflussfaktoren auf das Bewegungsverhalten von Kindern (Dowda et al. 2004;

Dowda et al. 2009; Trost et al. 2010; Ward et al. 2010).

In welchem Ausmaß strukturierte bzw. unstrukturierte Bewegungsaktivitäten in Kitas umgesetzt werden sollten, um positive Effekte auf das Bewegungsniveau von Kindern zu erzielen, konnte bisher noch nicht abschließend geklärt werden (Kreichauf et al. 2012).

Studien belegen jedoch eine hohe Wirksamkeit von Interventionen auf die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern, die materielle und soziale Kontextfaktoren miteinander verknüpfen. So konnten deutlich höhere Effekte für die Kombination aus Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte und Verbesserung der materiellen Ausstattung erzielt werden, als für die alleinigen Anschaffung von Materialien (Prohl & Seewald 1998; Scherrer 1997;

Rethorst et al. 2009). Ähnliches trifft auch auf die Umsetzung strukturierter Bewegungs-maßnahmen zu, die nur in Kombination mit der entsprechenden Qualifikation der Fachkräfte wirksam werden kann (Trost et al. 2008). Diese Ergebnisse weisen auf die hohe Relevanz der Schulung von pädagogischen Fachkräften für den Erfolg bewegungsfördernder Interventionen.

Zusammenfassend belegt die hier dargestellte Studie, dass Bewegungsförderung in den pädagogischen Konzepten der niedersächsischen Kitas einen besonderen Stellenwert ein-nimmt und die Mehrzahl der Kitas bereits in eindrücklichem Umfang bewegungsfördernde Maßnahmen umsetzt. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass Bewegung als Basis für kindliche Bildungsprozesse in den letzten Jahren zunehmend Beachtung findet. Dies zeigt sich zum einen in den Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer, in denen Bewegung sowohl im Kontext von Gesundheit als auch in Bezug auf andere Bildungsbereiche einen besonderen Stellenwert einnimmt (vgl. Kapitel 3.5). Andererseits sind bei unterschiedlichen Institutionen, wie Kommunen, Trägerverbänden von Kitas, Ministerien und Sportorganisationen, vielgestaltige Bemühungen erkennbar, Bewegung, Spiel und Sport verstärkt in die Alltagswelt von Kindern zu integrieren (Zimmer 2009b).

So wird insbesondere die Gründung von Sport- und Bewegungskindergärten als richtungs-weisend für diese Entwicklung angesehen (Landessportbund Hessen 2005; Schaffner 2004;

Zimmer 2009b). In Niedersachsen hat das Kultusministerium die Qualitätsoffensive

„Bewegungserziehung im Elementarbereich“ ins Leben gerufen. Das Vorhaben geht auf eine vom niedersächsischen Landtag 2004 verabschiedete Entschließung zurück, die das Ziel hatte:

• die grundlegende und intensive Bewegungserziehung als unverzichtbaren Bestandteil der Erziehung und Bildung in den Kitas weiter auszubauen,

• dazu Ausbildungskonzepte für Übungsleiter Bewegung im Kindergarten zu ent-wickeln und entsprechende Pilotprojekte durchzuführen und

• Konzepte zur Zusammenarbeit von Kitas und Sportverein zu entwickeln (Zimmer 2009b, S. 231).

Mit dem Anliegen, Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte zu einer vielfältig

„bewegten“ Kita anzuregen, sollen mit einem sogenannten „Rollplan“, bei dem Ausbildungs-schulen für Erzieher_innen mit den Projekt-Kitas im Rahmen des Ausbildungsschwerpunktes

„Elementare Bewegungserziehung” miteinander verbunden werden, im halbjährlichen Zyklus innerhalb von drei Jahren alle Regionen Niedersachsens erreicht werden. Das „Marken-zeichen Bewegungskita“ wird an Kitas vergeben, die in ihrer pädagogischen Arbeit einen Schwerpunkt auf Bewegung legen und soll als Motivation, Anerkennung und Instrument dienen. Die Ziele sind eine ganzheitliche Förderung der Gesamtpersönlichkeit und des Lernens aller Kinder durch Bewegung sowie die Unterstützung und der Ausbau von Bewegung in den Kitas. Zur Umsetzung der Ziele wurden einheitlichen Standards für Bewegungskitas definiert, sowie Weiterbildungsmaßnahmen für Erzieher_innen entwickelt.

Die Bewegungskitas wurden während des gesamten Prozesses betreut und evaluiert. Dabei sollten möglichst alle an den Kitas Beteiligten und Verantwortlichen einbezogen werden. Das Markenzeichen wird am Ende eines auf die jeweilige Kita zugeschnittenen Qualifizierungs-prozess verliehen (www.markenzeichen-bewegungskita.de; Stand: 22.09.2014).

Die Qualitätskriterien des „Markenzeichen Bewegungskita“ bildeten auch für die vorliegende Untersuchung die Grundlage für die Entwicklung des Untersuchungsinstrumentes.

Zimmer (2012) bemerkt für die Entwicklung solcher Gütekriterien einschränkend, dass es sich dabei um äußere, abprüfbare Kriterien handelt, die sich weniger auf das gesamte pädagogische Konzept sowie die Einstellung und das Verhalten der pädagogischen Fachkräfte

beziehen, sondern vor allem auf das Einhalten bestimmter Anforderungen, wie die Kooperation mit einem Sportverein oder den Umfang an Bewegungseinheiten pro Woche.

„Inwieweit Bewegung in der Kita ‚gelebt’ wird, ob den Bewegungsbedürfnissen der Kinder tatsächlich ausreichend Raum gegeben wird, ist durch die Kriterien nicht ohne weiteres zu ermitteln“ (S. 20). Dies lässt sich auch anhand des in der vorliegenden Studie entwickelten Untersuchungsinstrumentes ebenfalls nicht feststellen.

Auch die Verbindung von Bewegung mit anderen Bildungsbereichen (z.B. Sprache, MINT), die eine ganzheitliche Entwicklungsförderung unterstützt, kann vor allem im Alltag der pädagogischen Arbeit festgemacht werden und weniger anhand der Anforderungen, die von den Sportverbänden an die Kitas gestellt werden (Zimmer 2012). Die Kriterien ermöglichen zwar eine Überprüfung der äußeren Rahmenbedingungen der Bewegungsförderung in einer Kita, inwieweit diese jedoch für eine ganzheitliche Förderung der Kinder genutzt werden, wird von weiteren wichtigen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören nach Zimmer (2012, S. 20) z.B. die Einstellungen der pädagogischen Fachkräfte zu Bewegung und ihre Kompetenzen, den Alltag in der Kita für ein „Bewegtes Lernen“ zu nutzen, situative Bewegungsanlässe aufzugreifen und diese im Rahmen anderer Bildungsbereiche anzuwenden.

Um die Grenzen, die mit dem Einsatz eines standardisierten Untersuchungsinstrumentes zur Erhebung der Umsetzung von Bewegungsförderung in Kitas einhergehen, zu überwinden, wurde in der vorliegenden Studie eine ethnographische Beobachtungsstudie in vier aus-gewählten Kitas durchgeführt. Anhand der qualitativen Beobachtungsprotokolle konnte unter-sucht werden, inwieweit sich eine bewegungsfördernde Alltagsgestaltung zwischen den beiden Kita-Gruppen unterscheidet. Diese Ergebnisse stellen eine wichtige Ergänzung zu den Resultaten des Untersuchungsinstrumentes dar, da sie vertiefte Einblicke in die Verwirk-lichung einer systematischen Bewegungsförderung in der Alltagspraxis der Kitas er-möglichten. So wurde ermittelt, dass die systematische Förderung von Bewegung mit einer strukturierteren Alltagsroutine in den Kitas einhergeht. In Übereinstimmung mit den anhand des Untersuchungsinstrumentes gewonnenen Daten wurde beobachtet, dass Kitas mit systematischem Bewegungskonzept ein deutlich umfangreicheres und vielfältigeres, in den Kita-Alltag integriertes Bewegungsangebot aufweisen als Kitas ohne Bewegungskonzept.

Die Beobachtungen belegten jedoch auch, dass in den Kitas ohne Bewegungskonzept ebenfalls angeleitete bewegungsfördernde Maßnahmen realisiert werden, jedoch in geringerem Umfang als in Kitas mit systematischem Bewegungskonzept.

Zudem haben die Kinder die Möglichkeit, im Rahmen von unstrukturierten Bewegungs-gelegenheiten (z.B. freies Spielen im Innen- und Außenbereich) aktiv zu werden.

Gleichermaßen kann anhand der Beobachtungen vermutet werden, dass in einigen Kitas mit systematischem Bewegungskonzept, aufgrund einer höheren Strukturierung der pädago-gischen Angebote, den Kindern, weniger Zeit für freies Spiel zur Verfügung steht und ihr Bewegungsverhalten dadurch möglicherweise eingeschränkt wird. Hierzu sind weitere differenzierte Untersuchungen notwendig.

8.2.2 Welche Effekte hat systematisch geförderte Bewegung in Kitas auf