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2 Theoretische Grundlagen

2.1 Definition körperliche Aktivität, Bewegung, Sport und Spiel

Die Begrifflichkeiten „körperliche Aktivität“, „Bewegung“ und „Sport“ werden in der Literatur nicht immer klar voneinander abgrenzbar verwendet (Geuter & Hollederer 2012).

Anders als im englischen Sprachraum, wonach „physical activity“ als „Any bodily movement produced by skeletal muscles that results in energy expenditure“ (Caspersen et al. 1985; zit.

nach Sallis & Owen 1999, S. 10) definiert wird, müssen nach Wagner et al. (2006) im deutschen Sprachraum die Begriffe „körperliche Aktivität“ (oder umgangssprachlich

„Bewegung“) und „sportliche Aktivität“ differenziert werden, um den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheit nachvollziehen und die Prävalenz von körperlicher Aktivität bzw. Inaktivität in der Bevölkerung bestimmen zu können. Körperliche Aktivität beinhaltet nach Rost 1997 (zit. nach Wagner et al. 2006, S. 59) „die Summe aller Prozesse, bei denen durch aktive Muskelkontraktionen Bewegungen des menschlichen Körpers hervorgerufen werden bzw. mehr Energie umgesetzt wird“. Die Prozesse um-schließen alltägliche Bewegungen und Aktivitäten, mit relativ niedriger Intensität wie Gehen, Fahrradfahren und Treppensteigen. Dagegen handelt es sich bei sportlichen Aktivitäten um den „bewussten Einsatz von Bewegung verbunden mit besonderen Effekten (Anpassungs-erscheinungen)“ (Rost 1997; zit. nach Wagner et al. 2006, S. 59). Diese Aktivitäten gehen in der Regel mit einer höheren Intensität einher.

Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen körperlicher Aktivität und Gesundheit hat sich auf internationaler Public Health-Ebene der Begriff der gesundheitswirksamen oder gesund-heitsfördernden körperlichen Aktivität (sog. „health-enhancing physical activity“) heraus-gebildet (Geuter & Hollederer 2012; Rütten et al. 2005). „Gesundheitswirksame körperliche Aktivität verschränkt die Lebensbereiche Freizeit, Alltag und Arbeit miteinander“ (Geuter &

Hollederer 2012, S. 10) und bezieht neben den Bewegungsaktivitäten in der Freizeit auch alltägliche und arbeitsweltbezogene körperliche Aktivitäten ein (Rütten et al. 2005).

Aktuelle Erkenntnisse lassen die Annahme zu, dass die positiven gesundheitsfördernden sowie krankheitspräventiven Effekte körperlicher Aktivität nicht ausschließlich durch ein gezieltes gesundheitsorientiertes Fitness-Training erreicht werden können, sondern durch die Ansammlung freizeitbezogener Bewegungsaktivitäten (einschließlich Sport) und alltäglicher körperlicher Aktivität (z.B. im Kontext von Berufs- und Hausarbeit und zum Zwecke der Fortbewegung und des Transports, wie Radfahren und Treppen steigen), die häufig mit einer geringen oder moderaten Intensität einhergehen, jedoch ebenfalls gesundheitswirksam sind (Geuter & Hollederer 2012; Rütten et al. 2005; Bucksch & Schlicht 2006; Powell et al. 2011).

„Gesundheitsförderliche körperliche Aktivität basiert folgerichtig auf einer lebensweltlichen Betrachtung von Bewegung im Sinne eines aktiven Lebensstils“ (Geuter & Hollederer 2012, S. 10).

Eine Besonderheit des frühen Kindesalters ist, dass sich Kinder im ersten Lebensjahrzehnt natürlicherweise und vor allem durch Spiel bewegen. Demnach kann körperliche Aktivität von Kindern auch als „Spiel“ beschrieben werden (Timmons et al. 2007; Dwyer et al. 2009;

De Bock 2012). Pellegrini und Smith (1998) betonen, dass das kindliche Spiel häufig eine energische, physische Komponente hat und daher auch als „körperlich aktives Spielen“

bezeichnet wird. Aus sportmedizinischer Perspektive definieren Burdette und Whitaker (2005) Spiel als „the spontaneous activity in which children engage to amuse and occupy themselves“ (S. 46). Gabbard (2004) beschreibt Spiel als „pleasurable activity engaged for its own sake; apparently purposeless, or without a specific goal orientation“ (zit. nach Timmons et al. 2007, 124). Spiel ist damit eine Form von körperlicher Aktivität mit verschiedenen Intensitätsstufen (Timmons et al. 2007).

Zu den wichtigsten Arten des körperlich aktiven Spiels in der Altersgruppe der zwei- bis fünfjährigen Kinder gehören im Kleinkindalter rhythmische Stereotype sowie das Eltern-Kind-Interaktionsspiel und im frühen Kindesalter das Übungsspiel (Timmons et al. 2007). Da Kinder im Vorschulalter eher in geringerem Umfang an sportlichen Aktivitäten teilnehmen, sondern vor allem im Rahmen von Spiel körperlich aktiv sind, wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff „körperliche Aktivität“ bzw. „Bewegung“ verwendet.

Hierbei sei darauf verwiesen, dass das (kindliche) Spiel und seine Sinnhaftigkeit, Funktionen und Erscheinungen aus entwicklungs- und sozialpsychologischer Sicht eine höhere Vielfalt und Komplexität aufweisen als in den oben benannten Definitionen dargestellt (Hauser 2013;

Oerter 2008), die an dieser Stelle kurz aufgezeigt, jedoch nicht näher beschrieben werden.

Oerter (2007) weist darauf hin, dass zwischen dem Sinn von Spiel sowie dessen Funktionen (u.a. Übung, Lernen, Erholung, soziale Interaktion) (vgl. Kapitel 3.4) unterschieden werden sollte, da Kinder nicht mit der „Absicht“ spielen, um zu üben, zu lernen oder sich zu erholen.

Mit der Deutung von Spiel haben sich vor sehr unterschiedlichen theoretischen Hintergründen drei bedeutsame Entwicklungspsychologen (Freud, Wygotsky, Piaget) beschäftigt, die zu einem gemeinsamen Erklärungskern kommen, der Spiel einen tieferen Sinn zuweist: „Es übernimmt Aufgaben der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken und Möglichkeiten noch nicht zur Verfügung stehen“ (vgl. ausführlich Oerter 2008, S. 238). Spiel wird nach Oerter (2008) von drei Merkmalen geprägt: „Selbstzweck des Spiels“ (Handlung um der Handlung willen); „Wechsel des Realitätsbezugs“ (eingebildete Situation) und

„Wiederholung und Ritual“ (Handlungswiederholungen mit Ritualcharakter) (S. 237). Zu den typischen Spielformen in der Entwicklung gehören: sensomotorisches Spiel, Exploration, Symbolspiel oder Als-ob-Spiel, Konstruktionsspiel, Rollenspiel und Regelspiel. „Alle diese Spielformen dienen trotz ihrer Verschiedenartigkeit dem übergeordneten („Tätigkeits“-)Ziel der Lebensbewältigung und Existenzsteigerung“ (Oerter 2007, S. 18).

Ferner soll an dieser Stelle die Handlungstheorie des Sozialpsychologen Mead (1998) herangezogen werden, in der Mead den Sozialisationsprozess eines Menschen anhand der Entwicklung kindlicher Spielformen darstellt. Mead unterscheidet zwischen „play“ und

„game“. Play bezeichnet das kindliche Rollenspiel. In diesem nachahmenden Spiel über-nimmt das Kind verschiedene Rollen von Bezugspersonen (sog. „signifikante Andere“: z.B.

Mutter, Vater, Lehrer_innen). Diese signifikant Anderen konfrontieren das Kind im Alltag mit Reaktionen auf sein Verhalten (Niederbacher & Zimmermann 2011). In der Spielsituation organisieren Kinder diese Reaktionen, „die sie bei anderen Personen, aber auch in sich selbst hervorrufen“ (Mead 1998, S. 192). Durch die wechselnde Rollenübernahme von unter-schiedlichen Bezugspersonen entwickeln Kinder die Fähigkeit zur Verhaltensantizipation (Niederbacher & Zimmermann 2011, S. 49).

Game bezeichnet dagegen den Wettkampf oder Sportspiele. Play und game unterscheiden sich grundlegend dadurch, dass das Kind im Wettkampf „die Haltung aller anderen Beteiligten in sich haben muss“ (vgl. ausführlich Mead 1998, S. 196 ff.). Während „play“

keinen festen Regeln folgt und das Kind sich an dem Verhalten einer einzelnen Bezugsperson orientieren kann, wird das Kind im Gruppenspiel gefordert, Spielregeln zu beachten und gleichzeitig das Verhalten der Mitspieler damit zu verknüpfen (Niederbacher & Zimmermann

Die organisierte Gemeinschaft oder gesellschaftliche Gruppe bezeichnet Mead (1998) als den

„generalisierten Anderen“ (S. 196). Die Fähigkeit zum „game“ geht mit einem kompetenten sozialen Handeln einher. Durch die Übernahme von Einstellungen und Rollen der anderen innerhalb organisierter Gruppen „gegenüber sich selbst, wie gegenüber den anderen“, entwickelt der Mensch seine eigene Identität (Niederbacher & Zimmermann 2011, S. 49-50).

Bei der Deutung von Spiel aus frühpädagogischer Perspektive sei auf Fröbel verwiesen, der dem Spiel als Aktivität von Kindern eine besondere Bedeutung zuschreibt, indem er es neben der Arbeit und der Kunst als Grundform menschlicher „Selbstdarstellung“ bezeichnet.

(Berger 2000, S. 12). Bereits Fröbel hat bemerkt, dass Spiel die gesunde Entwicklung eines Kindes fördert. Dem Kind werden aktiv durch das Handeln im Spiel wechselseitig die persönlich-individuellen Kräfte (Fröbel verwendet den Begriff „Geist“) und die materiellen, sachlichen sowie sozialen Erfahrungen vermittelt (Heiland 2003, S. 182). Fröbel beschreibt

„kategorialer Bildung“ bzw. genauer „Elementarbildung“ zudem als „Kräfteentfaltung der Kinder durch Sacherfahrungen im Spiel“. „Kategoriale Bildung“ meint, dass dem Kind im Spiel „erste Perspektiven des Verstehens“ von Strukturen, Zusammenhängen und Gesetz-mäßigkeiten (also dem Welt- und Selbstverstehen) eröffnet werden (Heiland 2003, S. 182).

Hinsichtlich der Bedeutung von Spiel für die Bildungsprozesse von Kindern führt Schäfer (2011) aus, dass bei den von Kindern selbst organisierten bzw. selbst motivierten Bildungs-prozessen das Spiel dominiert. Spiel beschreibt er als „Form der Beziehung zwischen dem Kind und seiner Welt“ (S. 25). Dabei werden zwei Aspekte deutlich: Einerseits bilden die Bezüge zu der gegebenen Wirklich einen wesentlichen Teil von Spiel. Im Spiel erfolgt eine intensive und konzentrierte Auseinandersetzung mit Menschen und Dingen. Andererseits ermöglicht Spiel dem Kind, die Wirklichkeit entsprechend seiner Wünsche, Gedanken und Vorstellungen zu gestalten. Lernen aus der Perspektive des Spiels scheint damit eine Er-weiterung von Spielräumen des Handeln, Denkens und Fühlens zu sein (Schäfer 2011, S. 26).

In der vorliegenden Arbeit wird Bewegung von Kindern im Rahmen von Spiel vor allem aus der Public Health-Perspektive betracht, da die Untersuchung der Auswirkungen von kita- und elternbezogenen Determinanten auf die Gesundheitsressourcen von Kindern vor dem Hinter-grund der systemischen Perspektive der Gesundheitsförderung erfolgt. Da jedoch ins-besondere im frühen Kindesalter Gesundheit und Bewegung eng mit den kindlichen Bildungs- und Entwicklungsprozessen verknüpft sind (Schäfer 2007; Elflein 2007) werden die unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen von Bewegung bzw. Spiel für die frühkind-liche Bildung und Entwicklung (vgl. Kapitel 3.5) ebenfalls in die Analyse einbezogen.