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3 Stand der Forschung

3.6 Bewegungsförderung im Setting Kindertagesstätte

Im Lebenslauf eines Kindes kann die Kita als erste öffentliche Erziehungsinstitution bezeichnet werden (Zimmer 2002b), die „neben der Familie schon früh eine zentrale Betreuungs- und Erziehungsinstanz für Kinder aus allen sozialen Schichten darstellt“ (Kliche et al. 2008; S. 18). Darüber hinaus bildet sie aufgrund ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags die erste Stufe des institutionellen Bildungssystems (Wagner & Kirch 2006; Ungerer-Röhrich et al. 2007; Rauschenbach 2005). Der Besuch der Kita stellt im Kindesalter einen wichtigen Entwicklungsschritt dar, der mit relevanten Entwicklungsaufgaben einhergeht (z.B. die Interaktion mit Gleichaltrigen) (Lohaus & Klein-Heßling 2009, S. 165).

Der Kindergarten kann die Entwicklung der Kinder begleiten und in vielfältiger Hinsicht fördern, er kann gegebenenfalls familiär bedingte Defizite ausgleichen, gleichzeitig aber auch durch die meist noch sehr intensive Zusammenarbeit mit den Eltern auf die Gestaltung der alltäglichen Lebensbedingungen von Kindern Einfluss nehmen (Zimmer 2009a, S. 146).

Obwohl von der WHO (1986) ursprünglich nicht als relevantes Setting benannt, wird die Kita in den letzten Jahren zunehmend als besonders gut geeignetes Setting für die Umsetzung gesundheitsfördernder Interventionen wahrgenommen (Altgeld & Kickbusch 2012). In der Definition der Gesundheitsziele für Deutschland wurde im Rahmen der Zieldefinition für

Kinder und Jugendliche (“Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung und Er-nährung“) die Kita als eines von drei Settings zur Umsetzung der Gesundheitsziele für Kinder und Jugendliche definiert (Bundesministerium für Gesundheit [BMG] 2010). Auch das RKI und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung [BZgA] (2008) bezeichnen die Kita als einen der wichtigsten Lebensweltorte von Kindern (neben der Schule und dem Stadtteil).

Im 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung werden Kitas ebenfalls als relevantes Setting für gesundheitsfördernde Maßnahmen benannt (Bundesministerium für Familie, Soziales, Frauen und Jugend [BMFSFJ] 2009).

Nach Zimmer (2002, S. 965) „stellt der Kindergarten ein ideales Setting dar, in dem Ge-sundheitsförderung unter ganzheitlichen systemischen Gesichtspunkten verwirklicht werden kann“. Dies trifft ebenfalls auf die Umsetzung von Bewegungsförderung im frühen Kindes- und Vorschulalter zu (Payr & Woll 2012; Zimmer 2002a). In der Kita werden – ebenso wie im familiären Umfeld – gesundheitsrelevante Einstellungen und gesundheitsprotektive Verhaltensweisen eingeübt und nachhaltig geprägt und somit wichtige Ressourcen bereit gestellt (Lohaus & Klein-Heßling 2009; Zimmer 2009a). So werden auch Einstellungen zum eigenen Körper und das Bewegungsverhalten entscheidend beeinflusst (Rethorst et al. 2009).

Darüber hinaus können herkunftsbedingte Benachteiligungen, die häufig mit höheren gesundheitlichen Belastungen einhergehen, überwunden werden (Sylva et al. 2004).

Die Aufgaben der Gesundheits- bzw. Bewegungsförderung lassen sich in der Kita besonders gut realisieren, da gegenüber der Schule der Spielraum für selbst festgelegte Schwerpunkte in der pädagogischen Arbeit deutlich größer ist:

Ohne Leistungs- und Notendruck, ohne Stundentafeln und Rahmenrichtlinien kann hier in viel stärkerem Maße die situative Ausgangslage der Kinder berücksichtigt und auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden. Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit von Kindern müssen dabei keine Randstellung im Rahmen des pädagogischen Konzeptes einnehmen, sie decken sich durchaus mit den Aufgaben von Bildung und Erziehung im Elementarbereich. [...] Die pädagogischen Konzepte, die die Lebens-situation des Kindes als Ausgangspunkt für pädagogisches Handeln nehmen (situationsorientierter Ansatz, offene Kindergartenarbeit), bieten gute Anknüpfungs-punkte und Voraussetzungen für die Einbeziehung gesundheitserzieherischer Über-legungen in den Kindergartenalltag (Zimmer 2002b, S. 965).

Nach Rittner (2002) erfüllt das Setting Kita vier wichtige Grundlagen von

Interventions-Kitas erreichen nahezu die gesamte Bevölkerung der jeweiligen Altersstufe. Derzeit liegt die Inanspruchnahme von Kitas in der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen bei 93 %, in einigen ostdeutschen Bundesländern sogar bei 95 %, so dass fast alle Kinder im vor-schulischen Alter eine Kita besuchen. Bei den unter Dreijährigen sind es derzeit bundesweit 29 % (Statistisches Bundesamt 2013). Aufgrund des seit August 2013 erlassenen Kinder-förderungsgesetzes [KiFöG] wird angenommen, dass auch in dieser Altersgruppe die Be-treuungsquote in der nächsten Zeit deutlich zunehmen wird. Gesundheitsfördernde Inter-ventionen in der Kita können daher fast die gesamte Kohorte der Kinder bis sechs Jahre sowie ihre Familien erreichen (Kliche et al. 2008, S. 14).

Kitas können früh Interventionen und Maßnahmen einsetzen. Kinder gehören zwar im Vergleich zu Erwachsenen und älteren Menschen zu der gesündesten Bevölkerungsgruppe, andererseits sind die ersten Lebensphasen durch eine hohe organische und psychische Vulnerabilität gekennzeichnet (RKI & BZgA 2008; RKI 2013). Wesentliche gesundheitliche Fehlentwicklungen setzen zudem bereits im frühen Kindesalter ein. Früherkennungs- und Schuleingangsuntersuchungen geben Hinweise auf eine Zunahme gesundheitlicher Be-lastungen bei jüngeren Kindern (z.B. Defizite in der motorischen Entwicklung, Übergewicht und Adipositas, Beeinträchtigung der Sprachentwicklung, Verhaltensauffälligkeiten und Konzentrationsstörungen) (Kliche et al. 2008; Zimmer 2002b).

Aufgrund der strukturellen Gegebenheiten und des Klientel können im Setting Kita gesundheitsfördernde Aktivitäten frühzeitig und damit wirksam umgesetzt werden (Sahrai 2009; Ungerer-Röhrich et al. 2007; Quante et al. 2009). Kinder werden in einem Alter erreicht, „in dem gesundheitsschädigende Eigenschaften noch nicht aufgetreten bzw.

verfestigt sind“ (Richter & Utermark 2004, S. 5). Die Grundlagen für gesundheitsförderliches Verhalten können bereits in diesem frühen Lebensabschnitt in altersgerechter und methodisch abgestimmter Vorgehensweise verankert werden. Kitas wirken einerseits direkt positiv auf den Gesundheitszustand von Kindern ein, durch gesunde Ernährungsangebote, umfassende und abwechslungsreiche Bewegungsmöglichkeiten, Schaffung einer anregenden Umgebung, Zuwendung und Entwicklungsförderung. Andererseits prägen Kitas nachhaltig die gesund-heitsbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen der Kinder (Kliche et al. 2008, S. 14 f.).

Durch den Erwerb gesundheitsrelevanter Einstellungen und das Einüben entsprechender Verhaltensweisen im frühen Kindes- und Vorschulalter können gesundheitlichen Fehl-entwicklungen und deren negative Auswirkungen auf die Entwicklung im späteren Lebens-alter vorgebeugt werden (Zimmer 2002b; Wagner & Kirch 2006). Elternarbeit kann zudem

das Gesundheitsverhalten in der Familie sowie die Elternkompetenzen positiv verstärken (Kliche et al. 2008).

Kitas tragen dadurch zur Förderung des Bewegungsverhaltens und zur Aufrechterhaltung eines aktiven Lebensstils von Kindern bei und vermindern langfristig eine weitere Abnahme des Aktivitätsniveaus vom Kindesalter in das Jugendalter (Ward 2010).

Kitas unterstützen die Verknüpfung von verschiedenen Aktivitäten, Akteuren und Institutionen der Frühförderung und professionellen Gesundheitsförderung. Kitas verfügen in der Regel über einen längeren Zeitraum über einen unmittelbaren Zugang zu den Kindern und deren Familien und sind ein wichtiger „Knotenpunkt“, bei dem die fachliche Vernetzung mit unterschiedlichen Institutionen und Einrichtungen gelingen kann (Berg &

Wegner 2006). Dadurch können Kitas zu einer Versorgungsvernetzung und -optimierung im Gesundheitswesen beitragen (Kliche et al. 2008, S. 31).

Über Kitas lassen sich Beziehungen zu anderen Settings (Familie, Freizeiteinrichtungen, etc.) herstellen. In der Kita können alle Kinder einer Altersgruppe sowie ihre Familien gleichermaßen von präventiven und gesundheitsförderlichen Maßnahmen profitieren. Dazu gehören insbesondere sozial benachteiligte Kinder und ihre Familien, Kinder mit Migrations-hintergrund und Kinder mit einer (drohenden) Behinderung (BMFSFJ 2009). Der niedrigschwellige Zugang zu Kindern und Eltern aus unterschiedlichen sozialen Lagen über die Kita ermöglicht es, Kontakt zu (schwer erreichbaren) Zielgruppen zu erhalten, ohne kontraproduktiv zu stigmatisieren (Richter & Utermark 2004). Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund relevant, dass sozial benachteiligte Kinder höheren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind (Zurhorst 2000; Frahsa et al. 2012) und im Lebenslauf schlechtere Gesundheits- und Bildungschancen aufweisen (Lampert et al. 2011; Geene & Gold 2009).

Kita als erste Ebene des Bildungssystems kann damit als „Schlüsselsetting gesundheitlicher Chancengleichheit“ angesehen werden:

[...] Hier werden Kinder in einem Alter erreicht, in dem negative gesundheits-schädigende Eigenschaften noch nicht aufgetreten bzw. noch nicht verfestigt sind [und] hier kann am ehesten auf die gesundheitlichen Bedürfnisse von Kindern aller sozialen Lagen eingegangen und ein gesundheitsförderlicher Lebensraum geschaffen werden (Richter & Utermark 2004, S. 6).

Maßnahmen der Bewegungsförderung sind besonders geeignet, um Benachteiligungen im

fördern (Payr & Woll 2012, S. 216). Grundsätzlich zielen Bewegungsförderung und -erziehung in der Kita darauf, „Kinder zu befähigen, sich über Bewegung mit sich selbst, mit ihren Mitmenschen, mit den räumlichen und materialen Gegebenheiten ihrer Umwelt auseinanderzusetzen und dabei sowohl motorische als auch personale, soziale und kognitive Kompetenzen zu erwerben“ (Zimmer 2013b, S. 28). Zu den konkreten Zielen der Bewegungs-förderung in der Kita gehören (Woll & Payr 2011; Zimmer 2009a):

• Entwicklung motorischer Fähigkeiten

• Erfüllung der kindlichen Bewegungsbedürfnisse

• Förderung von Bewegungsfreude und Kompensation von Bewegungsmangel

• Gesundheitsförderung direkte Effekte (z.B. Übergewicht, Bluthochdruck, Unfälle, Körperhaltung)

• Gesundheitsförderung indirekte Effekte (z.B. Entwicklung einer gesundheitsförder-lichen Lebensweise)

• Ganzheitliche Entwicklungsförderung und frühkindliche Bildung (z.B. Selbst-, Sach-, Sozialkompetenzen)

• Bewältigung von Beschwerden/Fehlentwicklungen (z.B. psychomotorische Angebote für Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten)

Der Bildungsbereich Bewegung in der Kita kann sehr vielfältig gestaltet sein und beinhaltet nach Zimmer (2013b, S. 33) sowohl situative Gelegenheiten, die aus einer bewegungs-freundlichen Raumgestaltung und einer permissiven Erzieher_innenhaltung heraus entstehen sowie offen gestaltete Bewegungsangebote, wie zum Beispiel Bewegungsbaustellen oder frei zugängliche Bewegungsräume. Ebenso gehören dazu angeleitete Bewegungsangebote, die regelmäßig von der pädagogischen Fachkraft angeboten und an konkreten pädagogischen Zielvorstellungen ausgerichtet werden. Bewegungsangebote sollten Kinder dazu anregen, sich mit der räumlichen und materiellen Umwelt auseinanderzusetzen und vielfältige Gelegen-heiten zur selbsttätigen, körperlich-sinnlichen Aneignung der Welt eröffnen (Zimmer 2013b, S. 29).