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M ¨unchen: Die Hofdamenserie der Herzogin Jacob¨aa

Pr´ıncipes, damas y caballeros – Tugend und Sch¨onheit im Kontext der Kunst- und Wunderkammern

3.1 Der ethnographische und der moralistische Blick: Frauengalerien im Kontext der enzyklop¨adischen Portr¨atsammlung der Kunst- und

3.1.2 M ¨unchen: Die Hofdamenserie der Herzogin Jacob¨aa

In den Jahren 1530-1535 hatte Barthel Beham f ¨ur Herzog Wilhelm IV. von Bayern eine Reihe halbfiguriger Bildnisse der damals lebenden Mitglieder der altbayerischen, kurpf ¨alzischen und jungpf¨alzischen Linien der Wittelsbacher sowie der bereits verstorbenen Eltern des F ¨ursten geschaffen591. Parallel zu dieser kleinen Familien- und Ahnengalerie entstanden im Auftrag des Herzogs und seiner Gemahlin Jacob ¨aa von Baden zwei Bildzyklen mit HistorienBer ¨uhm-ter Frauen und M ¨anner, die nach Art und Umfang des Auftrags wie nach dem

ikonographi-589Vgl. zu Typus und Verbreitung von Ahnengalerien: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, hrsg. v. Otto Schmidt, Bd. 1, Stuttgart: Metzler 1937, Sp. 221-227, s.v.

Ahnengalerie“ (Walter Sch¨urmeyer); GEBESSLER1957, S. 86-103; KLINGER1991, Bd. 1, S. 107ff.; eine Reihe wichtiger Hinweise auch bei: Lorenz Seelig, Die Ahnengalerie der M¨unchner Residenz. Untersuchungen zur malerischen Ausstattung, in: Hubert Glaser (Hrsg.), Quellen und Stu-dien zur Kunstpolitik der Wittelsbacher vom 16. bis zum 18. Jahrhundert [Mitteilungen des Hauses der Bayerischen Geschichte, Bd. 1], M¨unchen: Hirmer, M¨unchen/Z¨urich: Piper 1980, S. 253-290, bes. S. 271f. m. Anm. 200-214, u.

Wolfgang G¨otz, Beobachtungen zu den Anf¨angen der Galerie in Deutschland, in: Festschrift f¨ur Wilhelm Messerer zum 60. Geburtstag, K¨oln: DuMont 1980, S. 273-295, bes. S. 274, 278f., 283f.; in England sind Familienportr¨ats seit dem 16. Jahrhundert h¨aufig in dem baulichen Typus der Galerie konzentriert, auch wenn genealogisch-dynastische Prinzipien – soweit ersichtlich – weniger im Vordergrund stehen als in Deutschland (vgl. Susan Foister, Paintings and other works of art in sixteenth-century English inventories, in: Burlington Magazine, Bd. 123, 1981, S. 273-282, bes. S. 277ff.; Rosalys Coope, The gallery in England: names and meanings, in:Architectural History, Bd. 27, 1984, S. 446-455, bes. S. 449-453; dies., The ‘Long Gallery’: Its origins, development, use and decoration, in: ebd., Bd. 29, 1986, S. 43-84, bes. S. 61f.), wogegen in Frankreich und Italien bis in die zweite H¨alfte des 16. Jahrhun-derts Portr¨ats in gebauten Galerien nur selten und auch sp¨ater nicht vorrangig vorkommen (vgl. Wolfram Prinz, Die Entstehung der Galerie in Frankreich und Italien, Berlin: Gebr. Mann 1970, ¨Ubersicht auf S. 62-66); eine adlige Ahnengalerie des 18. Jahrhunderts, die besonders formal ¨alteren Beispielen verpflichtet ist, wurde j¨ungst erschlossen durch: Edith Schoeneck, Der Bildersaal im Blauen Schloß zu Obernzenn. Ein Spiegel adeligen Selbstbewußtseins im 18. Jahrhundert [Mittelfr¨ankische Studien, Bd. 12], Ansbach: Historischer Verein f¨ur Mittelfranken 1997. – Man unterscheidet grunds¨atzlich

gewachsene“ und

k¨unstliche“ Ahnengalerien, je nachdem, ob sie im Laufe von Gene-rationen meist durch Ansammlung von Originalbildnissen entstanden sind oder nachtr¨aglich zu einem bestimmten Zeitpunkt planm¨aßig angelegt wurden. In letzterem Fall handelt es sich meist um Kopien. Es steht aber außer Frage, daß sich diese Formen wie auch die in dieser Untersuchung angef¨uhrten Beispiele oft auch gegenseitig durchdringen.

Entweder konnte eine

gewachsene“ Sammlung als Grundstock f¨ur eine

k¨unstliche“ Galerie verwandt werden, oder einek¨unstliche“ Ahnengalerie wurde sp¨ater sukzessive erweitert.

590In gewissem Sinne bildet dieser Prozeß der Feudalisierung einer humanistischen Konzeption eine Parallele zu der historischen Entwicklung des 16. Jahrhunderts in Italien, die Historiker als eine Refeudalisierung der Kultur bezeichnet haben.

591Vgl. Johannes Erichsen, Die Wittelsbacher-Bildnisse der Kammergalerie Maximilians I., in: GLASER1980, S. 179-190, hier S. 179f., 183, u. Kurt L¨ocher, Bartel Beham. Ein Maler aus dem D¨urerkreis [Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 81], M¨unchen/Berlin: Dt. Kunstverl. 1999, S. 135-167.

schen Programm eine nahezu singul ¨are Position innerhalb der deutschen Malerei der 1. H ¨alfte des 16. Jahrhunderts einnehmen. Eine kurze Analyse des geschlechterspezifischen sowie – mit Blick auf die in Kapitel 1 behandelten DarstellungsreihenBer ¨uhmter Frauen– des typo-logischen Argumentationsmusters der Heroinen-Darstellungen dieser Historienbilder ist der Behandlung einer ab 1549 entstandenen Hofdamenserie der Herzogin Jacob ¨aa von Baden vor-angestellt. Dies dient der kultur- und ideengeschichtlichen Charakterisierung des bayerischen Hofes als Entstehungsort einer fr ¨uhen Frauenportr ¨atgalerie.

Die heute auf Museen in M ¨unchen und Stockholm verteilte Bildfolge umfaßt folgende Gem¨alde: 1528 entstanden als erstes zwei Tafeln mit weiblichen Hauptfiguren,Die Geschichte

der Esthervon Hans Burgkmair undDie Geschichte der Lukretiavon J ¨org Breu d. ¨A. Im fol- Abb. 77 genden Jahr lieferten Albrecht AltdorferDie Alexanderschlacht, BurgkmairDie Niederlage bei

Cannaeund Melchior FeselenDie Geschichte der Cloelia, gefolgt 1530 durch das Hauptthema aus der Legende der Hl. Helena,Die Erprobung des Heiligen Kreuzes durch Bischof Makarios von Barthel Beham. 1535 erfolgte die Lieferung vonDie Belagerung der Stadt Alesia durch Gaius Julius Caesar durch Melchior Feselen, vonDer Mutbeweis des Mucius Scaevola vor Porsennadurch Abraham Sch ¨opfer und vonDie Geschichte der Virginiadurch Hans Sch ¨opfer.

Ungef¨ahr in das gleiche Jahr datiert eine heute verschollene und m ¨oglicherweise nicht zu der Bildfolge geh ¨orige TafelDie Geschichte der Juditheines nordwestdeutschen oder niederl ¨andi-schen Meisters, nach 1535 entstandDie Schlacht bei Zamavon J ¨org Breu d. ¨A. Seinen zweiten Beitrag erstellte Hans Sch ¨opfer 1537 mit Die Geschichte der Susannaund im gleichen Jahr lieferte Ludwig Refinger Die Verteidigung der Tiberbr ¨ucke durch Horatius Cocles. Schließ-lich vollendete der letztgenannte Maler nach derzeitigem Kenntnisstand um das Jahr 1540 den Zyklus mit den Gem ¨aldenDas Opfer des Marcus CurtiusundDer Zweikampf des Titus Man-lius Torquatus mit einem Gallier. Im Ficklerschen Inventar der M ¨unchner Kunstkammer von 1598, in die der Gem ¨aldezyklus bereits zu diesem Zeitpunkt verbracht ist, wird ein weiteres heute verschollenes Gem ¨alde aufgef ¨uhrt,Die Geschichte der K ¨onigin von Saba, wohingegen das in M ¨unchen erhaltene BildDie Eroberung von Rhodos durch die K ¨onigin Artemisiadort nicht aufgef ¨uhrt und aus diesem Grund seine Zugeh ¨origkeit zum Zyklus umstritten ist. Der urspr ¨unglich vorgesehene H ¨angungsort f ¨ur diesen ¨uber einen l ¨angeren Zeitraum entstandenen Bildzyklus ist quellenm ¨aßig nur ungen ¨ugend belegt; ein Raum mit Repr ¨asentationsfunktion vermutlich in der M ¨unchner Neuveste und/oder eine (nur zwischenzeitliche?) H ¨angung in einem Gartenpavillon sind jedoch wahrscheinlich592.

Die beiden Bildzyklen weisen eine Reihe von Auff ¨alligkeiten auf: Zum einen ist die

” weib-liche“ Bildfolge abgesehen von der in ihrer Zugeh ¨origkeit zur Serie umstrittenen Artemisia-Episode durchg ¨angig querformatig angelegt, wohingegen die

”m¨annlichen“ Pendants s ¨amtlich hochrechteckig sind. Daraus k ¨onnte auch, da die Lokalisierung der H ¨angung bis zum Eingang der Bilder in die Kunstkammer ungewiß ist, auf einen voneinander unabh ¨angigen H¨angungs-kontext der beiden Serien innerhalb der Repr ¨asentations- und Wohnr ¨aume des M ¨unchner

Ho-592Vgl. v.a.: Anhang B.10, fol. 213r, Nr. 3215, fol. 214r, Nr. 3230-3235; HARTIG1933, S. 147-151; Barbara Eschen-burg, Altdorfers

Alexanderschlacht“ und ihr Verh¨altnis zum Historienzyklus Wilhelms IV., in:Zeitschrift des deut-schen Vereins f¨ur Kunstwissenschaft, Bd. 33, 1979, S. 36-67; Gisela Goldberg, Die Alexanderschlacht und die Historienbilder des bayerischen Herzogs Wilhelm IV. und seiner Gemahlin Jacobaea f¨ur die M¨unchner Residenz [Bayerische Staatsgem¨aldesammlungen. K¨unstler und Werke, Bd. 5], M¨unchen: Hirmer 1983, u. Volkmar Greisel-mayer, Kunst und Geschichte. Die Historienbilder Herzog Wilhelms IV. von Bayern und seiner Gemahlin Jacob¨aa.

Versuch einer Interpretation, Berlin: Gebr. Mann 1996.

fes geschlossen werden, zumal zwei Heroinendarstellungen chronologisch am Beginn des Ge-samtkomplexes stehen593. Zum anderen ist das Querformat in gewisser Weise auch als sym-bolische Form zu lesen: Zusammen mit dem Prinzip der Simultandarstellung und der italia-nisierenden Architektur der Raumb ¨uhnen verweist das Bildformat deutlicher auf italienische cassone-Malerei, als dies bisher gesehen wurde594. Weiterhin sind Innen- und Stadtraumdar-Abb. 11, 77

stellungen in der

”weiblichen“ Bildfolge vorherrschend, w ¨ahrend in der

”m¨annlichen“ Serie offene Landschaftsr ¨aume meist in Verbindung mit milit ¨arischen Aktionen dominieren. Eine geschlechtsspezifische Kodierung der beiden Bildfolgen ist demnach evident; die offenkun-dige Orientierung an dercassone-Malerei und ihre Anwendung auf die Heroinenthematik l ¨aßt kaum andere Schlußfolgerungen zu.

Die Frage einer spezifischen Ausrichtung des Bildzyklus auf Herzogin Jacob ¨aa von Bayern ist dagegen weniger eindeutig zu kl ¨aren. Einerseits wird die Historie durch Identifikations-portr¨ats, lokale Situierung und symbolische Verweise konsequent auf die Gegenwart bezogen und aktualisiert. In diesem Verfahren unterscheiden sich die beiden Bildfolgen nicht voneinan-der: Die Reichs- und die T ¨urkenpolitik sowie die Reformation werden von der Warte der Ge-schichte aus kommentiert. Hierin wird aber zwischen Heroen und Heroinen unterschieden. In symmetrischer Aufgabenteilung stehen die Helden f ¨ur die aktive Politik Herzog Wilhelms IV.

im Reich, w¨ahrend die Heldinnen die Aufrechterhaltung und Wahrung des wahren Glaubens verk ¨orpern. In diesem Sinne steht Herzogin Jacob ¨aa, die beispielsweise als Hl. Helena figu-riert, als quasi allegorischer K ¨orper f ¨ur die bayerische Landespolitik595. So ist die F ¨urstin in der Repr¨asentation von Herrschaft und Land zwar pr ¨asent, personifiziert aber gleichzeitig de-ren passive, eher abstrakte Seite, w ¨ahde-rend in den Historien des F ¨ursten wesentlich konkretere politische Ziele zum Ausdruck kommen596.

Diese ambivalente Funktionalisierung in der Repr ¨asentation der Landesf ¨urstin gilt es bei der Analyse der Frauenportr ¨atserie zu ber ¨ucksichtigen, die Hans Sch ¨opfer d. ¨A. und dessen Sohn ab 1549 von Mitgliedern des Badischen Frauenzimmers der Herzogin Jacob ¨aa anfertigten. Die gegenw¨artig erhaltenen 24 Bildnisse sind auf Holz gemalt, ihr Format ist gleichf ¨ormig und mißt ungef ¨ahr 42-45 cm in der L ¨ange und 30-36 cm in der Breite. Die Dargestellten sind halb-Abb. 78-79

figurig vor monochromen Grund gegeben, die K ¨opfe in Dreiviertelansicht, der Blick ist stets

593Dagegen nutzt FRANKE1998, S. 116, den Bildzyklus, um gegen eine Unterscheidung in

m¨annliche“ und

weib-liche“ Themen in der Ikonographie von h¨ofischen Repr¨asentations- und Wohnr¨aumen zu pl¨adieren. Dabei ist Franke zuzustimmen, daß ein weibliches Tugendexempel grunds¨atzlich auch an M¨anner gerichtet sein kann und umgekehrt.

Daf¨ur wurden in Kap. 1 dieser Arbeit ebenfalls eine Reihe von Beispielen (vgl. u.a. Tomyris in Madrid und Ver-sailles, Abschnitt 1.3.3) angef¨uhrt. Doch m¨ussen auch die Differenzen in Argumentations- und Appellationsstruktur von einzelnen Darstellungen wie von Dekorationszusammenh¨angen gesehen werden. Allein aufgrund der von Franke angef¨uhrten Tatsache, daß beide Zyklen mit den Wappen Bayerns und Badens bzw. mit dem Allianzwappen des Herr-scherpaares besetzt sind, ist bei weitem noch nicht auf eine prim¨ar auf beide Geschlechter ausgerichtete Argumen-tationsweise der Gem¨alde zu schließen. In der M¨unchner Kunstkammer sind folglich die Gem¨alde der

weiblichen“

Bildfolge laut Inventar von 1598 weitgehend zu einer geschlossenen Gruppe zusammengestellt. Vgl. Anhang B.10, fol. 214r, Nr. 3230-3235.

594Vgl. Abschnitt 1.2.1. Besonders die Lukretia-Darstellung von Breu d.¨A. und die entsprechendecassone-Tafel der Botticelli-Werkstatt in Boston zeigen deutliche Parallelen. Dies wurde auch von GREISELMAYER1996 (S. 115, 119) gesehen, aber nicht weiter verfolgt. Die italianisierende Architektur ist nat¨urlich auch durch die historische Lokalisierung der Themen bestimmt. Ob diese Architektur aber auch politisch auszudeuten ist, wie dies Greiselmayer z.B. anhand der venezianischen Architekturzitate in derGeschichte der Esthervorf¨uhrt (ebd., S. 105ff., S. 110ff.), ist nur schwer zu beurteilen.

595Vgl. zu Deutung und Einzelnachweisen: GREISELMAYER1996, bes. S. 144-156.

596Vgl. die pers¨onliche Verflechtung Wilhelms IV. mit dem reichspolitischen Hintergrund der Gem¨alde mit m¨annlichen Protagonisten (ebd., bes. S. 201-204).

nach rechts gewandt. Besondere Aufmerksamkeit richteten die Maler auf eine detailgenaue Wiedergabe der Kleidung. Die Gem ¨alde sind zum Teil datiert und signiert, außerdem gibt eine Inschrift, die wahrscheinlich von anderer Hand hinzugef ¨ugt wurde und nicht gleichzeitig mit der Entstehung des Bildnisses ausgef ¨uhrt sein muß, Auskunft ¨uber Namen und Personenstand der Dargestellten. Die urspr ¨ungliche Anzahl der Bildnisse von mindestens 41 ergibt sich nach ihrer ersten Erw ¨ahnung im Ficklerschen Inventar der M ¨unchner Kunstkammer von 1598597, doch k ¨onnte auch eine gr ¨oßere Anzahl vorhanden gewesen sein, da nicht zwingend davon aus-gegangen werden muß, daß s ¨amtliche Exemplare der Serie in die Kunstkammer gelangten. Die sp¨atesten der erhaltenen Portr ¨ats datieren in das Todesjahr der Herzogin Jacob ¨aa 1580598.

Mit dem Tod der Herzogin Jacob ¨aa wurde die Erweiterung der Serie demnach offensicht-lich eingestellt, was auf eine unmittelbare Auftraggeberschaft der Herzogin schließen l ¨aßt. Ob und wo der Bildzyklus in den R ¨aumen des M ¨unchner Witwensitzes der Herzogin, im Frau-enzimmer oder in anderen Teilen der damaligen herzoglichen Bauten in M ¨unchen vor seiner Uberf ¨uhrung in die Kunstkammer lokalisiert war, ist zum gegenw ¨artigen Zeitpunkt nicht fest-¨ zustellen. Allerdings gibt die ¨Uberlieferung Quicchebergs, Herzogin Jacob ¨aa habe ein eigenes Gemach ausgestattet mit den Bildnissen ihrer weiblichen Verwandten, von verwandten F ¨urst-lichkeiten und ab und zu von ber ¨uhmten Fr¨aulein599, einen Hinweis auf einen separate Samm-lungsraum f ¨ur den Portr ¨atbesitz der F ¨urstin600. Aufgrund der langen und kontinuierlichen Entstehungszeit der Serie von ¨uber 30 Jahren ist nicht davon auszugehen, daß ein prim ¨arer Auftragsanlaß in der Neugestaltung eines r ¨aumlichen Ausstattungsprogramms vorgelegen hat.

Die Raison d’ˆetre der Bildnisse findet sich vielmehr in ihrem Dokumentcharakter – und dies in mehrfacher Hinsicht: Die Inschriften geben zumeist die Verheiratung der Dargestellten an oder die Aufnahme in ein Kloster (ELISABETH / VON FELS / IST GOT UNND / IN DAS CLOST / ER VERHEIIRAT601). Es kommt zwar vor, daß das (z.T. durch Datierung gesicherte) Jahr der Bildnisaufnahme von dem ¨uberlieferten Jahr der Eheschließung abweicht, doch be-legen die Inschriften das vorherrschend dokumentarische Interesse602. Die Bildnisse bringen

597Vgl. Anhang B.10, fol. 216r-217r, Nr. 3255-3295.

598Vgl. VONREBER1893, S. 46-49 (teilweise fehlerhafte Angabe der Inventarnummern Ficklers); Karl Voll, Heinz Braune, Hans Buchheit, Katalog der Gem¨alde des Bayerischen Nationalmuseums, M¨unchen: Verl. d. Bayer. Na-tionalmuseums 1908, S. 41ff., Kat.Nr. 118-128; Lada Nikolenko, Sch¨onheitsgalerien der Wittelsbacher, M¨unchen:

Institut Bavaricum 1990, S. 11-19, 51ff. (wenig wahrscheinliche Zuweisung der Auftraggeberschaft an die Schwie-gertochter der Herzogin Jacob¨aa und Gemahlin Albrechts V. von Bayern, Anna von ¨Osterreich); Kurt L¨ocher, Hans Sch¨opfer der ¨Altere. Ein M¨unchner Maler des 16. Jahrhunderts [Ars Bavarica, Doppelbd. 73/74], M¨unchen: Weber 1995, S. 75-89; ders. (unter Mitarbeit von Carola Gries), Germanisches Nationalmuseum N¨urnberg. Die Gem¨alde des 16. Jahrhunderts, Stuttgart: Hatje 1997, S. 450-455. Die kunsthistorischen und – soweit zu erschließen - biogra-phischen Fakten zu der Hofdamen-Serie sind am umfassendsten in den beiden letztgenannten Publikationen erfaßt. – Die von SCHWINDRAZHEIM1937, S. 267, unter Berufung auf Niels von Holst, Die deutsche Bildnismalerei zur Zeit des Manierismus [Studien zur deutschen Kunstgeschichte, H. 273], Straßburg: Heitz 1930, erw¨ahntenSerien sch¨oner Hofdamen, wie sie Hans Mielich f¨ur den Herzog von Bayern lieferte,“ sind vermutlich Ergebnis eines Mißverst¨and-nisses: Von Holst nennt Mielich und die Sch¨opfer-Serie in einem Abschnitt, ohne einen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen (S. 59).

599Vgl. HARTIG1933, S. 189.

600Das Nachlaßinventar der Herzogin Jacob¨aa gibt ¨uber ihren Gem¨aldebesitz nur sp¨arlich Auskunft. Der Kunstbesitz der M¨unchner Wittelsbacher ist vor der Anfertigung des Ficklerschen Inventars von 1598 insgesamt nur ungen¨ugend in Inventaren ¨uberliefert. Vgl. Rainer R¨uckert, Das Nachlaßinventar der bayerischen Herzogin Jacob¨aa (1580/81), in:

MJbBK, 3. Folge, Bd. 16, 1965, S. 121-148.

601Bayerische Staatsgem¨aldesammlungen, Inv.Nr. 3567.

602Das Bildnis der Ursula Nothafft ist 1556 datiert, ihre Eheschließung findet 1560 statt, dagegen datiert das Bildnis der 1560 verheirateten Elisabeth Nothafft in das Jahr 1563. Die Bildnisse der Sidonia Wazler und der Corona von Gumppenberg datieren wiederum in das Jahr ihrer Ehen. F¨ur die ¨ubrigen Portr¨ats lassen sich derartige Angaben nach derzeitigem Quellenstand nicht machen (vgl. L¨OCHER1995, S. 77, 81-84). Auch die Tatsache, daß Felicitas von Fels bereits in der Ordenstracht der Barf¨ußerinnen dargestellt ist, spricht f¨ur eine Darstellung des Eintritts in die zweite

den ¨Ubergang vom Stand der Jungfrau (innerhalb des Frauenzimmers) in den Ehestand zum Ausdruck und erf ¨ullen so eine der prim ¨aren Funktionen des Portr ¨ats als quasi juristisches Do-kument einesrite de passage603.

Auch wenn das Verlassen des Frauenzimmers durch die Dargestellte der prim ¨are Anlaß der Herstellung ihres Bildnisses war, ist die Portr ¨atserie vor allem als Dokument des Frauenzim-mers selbst zu verstehen: Die Serie dokumentiert ¨uber einen l ¨angeren Zeitraum die Familien, deren weibliche Mitglieder im Hofstaat der F ¨urstin aufgenommen waren, und die ¨uber (von der F¨urstin vermittelten?) Eheschließungen gekn ¨upften Beziehungen zwischen einzelnen Familien Bayerns: eine Leistungsschau und eine Kontrollinstanz des sich konstituierenden fr ¨uhneuzeit-lichen F ¨urstenhofes.

Das Frauenzimmer konstitutierte sich fortschreitend mit der

”Verhofung“ der f ¨urstlichen Haushalte. Es war in der fr ¨uhneuzeitlichen Residenz in einem gut zu kontrollierenden Teil der Geb¨aude, meist im Obergeschoß, untergebracht, dessen Zugang, vor allem f ¨ur M¨anner, restriktiv gehandhabt wurde. Die Mitglieder des Frauenzimmers bildeten den Hofstaat der F¨urstin, die jungen adeligen Frauen unterstanden einer Hofmeisterin. Ihre T ¨atigkeit umfaßte vor allem ihre Anwesenheit in der Umgebung der F ¨urstin, die Teilnahme an h ¨ofischen Festen und die Herstellung kostbarer Handarbeiten. Am M ¨unchner Hof kontrollierte die Herzogin die ehelichen Verbindungen ihrer Hofdamen auch durch die Hofgabe, eine f ¨urstliche Beigabe zur Aussteuer604. Ehemalige Mitglieder des Badischen Frauenzimmers konnten dort sp ¨ater auch Hofmeisterin werden, wie der Lebenslauf der ebensfalls in der Portr ¨atserie vertretenen Rosina Ramung belegt605. Entsprechend ihrer Verpflichtung zur Teilnahme an repr ¨asentativen Veranstaltungen des M ¨unchner Hofes zeigen die in der Portr ¨atfolge der Sch ¨opfer dargestellten Hofdamen vor allem in Reichtum und Sorgfalt von Schmuck und Kleidung eine an sch ¨onheit-lichen Gesichtspunkten orientierte Selbstrepr ¨asentation.

Die M¨unchner Portr ¨atfolge stellt somit ein bedeutendes fr ¨uhes Dokument f ¨ur die Repr¨asen-tation des Frauenzimmers – als Organisationsform der Hofdamen am fr ¨uhneuzeitlichen Hof – in der Gestalt von Serienportr ¨ats dar. Die Hofdamen waren aber nicht die einzige soziale Formation, die um 1550 in Bayern als Gruppe portr ¨atw¨urdig bzw. -pflichtig wurde. Von Hans

weibliche Lebensphase.

603Das Bildnis als Dokument einer Ehe ist – neben dem bekannten Beispiel der Zeugenschaft Jan van Eycks in der Arnolfini-Hochzeit – auch die prim¨are Funktion der meisten Doppelportr¨ats des 16. Jahrhunderts, die die Ehepart-ner auf zwei zusammenklappbaren Tafeln darstellen und von D¨ULBERG1990 – neben anderen Portr¨atgattungen, bei denen die Bildfl¨ache verdeckt werden konnte – mit dem Begriff

Privatportr¨at“ bezeichnet wurden. Zum Bildnis als Zeugnis verschiedener Lebensphasen vgl. auch am Beispiel der Habsburger: G¨unther Heinz, Studien zur Portr¨atmale-rei an den H¨ofen der ¨osterPortr¨atmale-reichischen Erblande, in: JbKW, Bd. 59, 1963, S. 99-224, hier S. 100.

604Auch die Angaben der j¨ungeren Literatur zum M¨unchner Frauenzimmer beruhen m.W. noch auf folgender Quelle, die allerdings bereits eine bayerische Hofordnung von 1589 heranzieht: Otto Titan von Hefner, Des denkw¨urdigen und n¨uzlichen Bayerischen Antiquarius erste Abteilung: Adelicher Antiquarius, Bd. 2: Der altbayerische kleine Adel, M¨unchen: Heraldisches Institut 1867, S. 251-261. Die Institution des Frauenzimmers an den europ¨aischen H¨ofen wird erst in j¨ungerer Zeit systematisch erforscht. Vgl. folgende Tagung, die allerdings f¨ur Bayern keine neuen Ergebnisse brachte: Das Frauenzimmer – La Chambre des Dames. Die Frau bei Hofe in Sp¨atmittelalter und fr¨uher Neuzeit.

La femme `a la Cour `a la fin du Moyen ˆAge et aux Temps Modernes, Dresden, 26.-29. September 1998; bis zum Erscheinen der Kongreßakten vgl. die Tagungsberichte von J¨org Wettlaufer u. Jan Hirschbiegel, in:Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu G¨ottingen, Jg. 8, 1998, Nr. 2, S. 65-71, sowie, mit kunsthistorischem Schwerpunkt, von dem Verf., in: Kunstchronik, 52. Jg., 1999, S. 143-146. – Somit lassen sich Fragen nach der Anzahl der Mitglieder im Badischen Frauenzimmer zwischen 1550 und 1580, nach ihrem Verh¨altnis zur Zahl der in der Hofdamen-Serie Dargestellten und nach welchen Kriterien die Dargestellten ausgew¨ahlt wurden, zum gegenw¨artigen Zeitpunkt nicht beantworten.

605Bayerisches Nationalmuseum M¨unchen, Inv.Nr. R 1047; vgl. L ¨OCHER1995, S. 77f. – Außerdem findet sich das Bildnis der Hofmeisterin Cordula von Pienzenau im Ficklerschen Inventar unter Nr. 2951.

Sch¨opfer d. ¨A. haben sich vier Bildnisse einer Hofbeamtenserie erhalten, darunter der Vater ei-ner der Dargestellten der Hofdamenserie, Wilhelm L ¨osch606. Die auch in Format und Gestal-tung gleichartigen Portr ¨ats weisen allerdings signifikante Unterschiede zur Darstellungsform der Hofdamen auf: Der Blick der m ¨annlichen Dargestellten weist nicht in ein und dieselbe Richtung wie bei der wesentlich umfangreicheren weiblichen Serie, d.h., die Darstellungsform der M¨anner unterliegt nicht so strengen Normen wie die der Frauen. Die Inschriften wei-sen entweder nur den Namen oder noch eine Berufs- oder Standesbezeichnung in Latein auf.

W¨ahrend also die Repr ¨asentation des m¨annlichen Teils des fr ¨uhneuzeitlichen Hofes auf seiner eigenen Herkunft, seiner Bildung und seinem Beruf beruhte, war der weibliche Teil traditionell

W¨ahrend also die Repr ¨asentation des m¨annlichen Teils des fr ¨uhneuzeitlichen Hofes auf seiner eigenen Herkunft, seiner Bildung und seinem Beruf beruhte, war der weibliche Teil traditionell