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Isabella d’Este

” Bilderfindung“ und der Mail¨ander Codicetto

2.2 Das Bildnis der Renaissancef ¨urstinnen

2.2.1 Isabella d’Este

Von den Portr ¨ats, die nach dem heutigen Forschungsstand die Markgr ¨afin von Mantua, Isabella d’Este (1474-1539), darstellen364, sollen hier nur zwei besonders charakteristische Beispiele behandelt werden: die Portr ¨atzeichnung Leonardos im Louvre und Tizians sogenannteIsabella in Schwarzin Wien.

Im April 1498 hatte sich Isabella d’Este Leonardos Portr ¨at von Cecilia Gallerani erbeten und auch ¨ubersandt bekommen. Anlaß war der Vergleich mit Portr ¨ats von der Hand Giovanni Bellinis. Etwa eineinhalb Jahre sp ¨ater, nach der franz ¨osischen Invasion in Mailand im Herbst 1499, kam Leonardo selbst zu einem kurzen Aufenthalt nach Mantua, wo er zwei Portr ¨atzeich-nungen von der Markgr ¨afin anfertigte. Noch 1501 und 1504 erkundigte sich Isabella nach der Gem¨aldeversion ihres Bildnisses, die Leonardo jedoch nicht ausf ¨uhrte. Weiterhin muß davon ausgegangen werden, daß das Bildnis der Cecilia Gallerani den Anstoß f ¨ur den Auftrag gege-ben hat und daß diese Bildl ¨osung Isabella d’Este auch f ¨ur ihr eigenes Portr ¨at vorschwebte.

Ein Karton mit einem weiblichen Profilbildnis im Louvre ist ¨uberzeugend als Leonardos Abb. 53

Portr¨atzeichnung der Isabella d’Este identifiziert worden, die der K ¨unstler zur Ausf ¨uhrung ei-nes gemalten Portr ¨ats mit sich genommen hatte. Hiervon hat sich eine wenig qualit ¨atvolle Kopie im Ashmolean Museum in Oxford erhalten, die allerdings am unteren Rand weniger beschnitten ist und aus diesem Grund ein auf einer Br ¨ustung liegendes Buch als Attribut der Dargestellten ¨uberliefert. Die Markgr ¨afin wird dadurch als M ¨azenin der Literatur ausgewie-sen. Gleichzeitig ist dieses Attribut wie der Hermelin im Portr ¨at der Cecilia Gallerani – nur verhaltener – das ausl ¨osende Moment f ¨ur einen Bewegungsimpuls im Bild, einen f ¨ur Leonardo typischen Zeigegestus. Der nur leicht aus der Bildebene gedrehte Oberk ¨orper der halbfiguri-gen Dargestellten folgt also bis zu einem gewissen Grad dem Modell des Gallerani-Portr ¨ats, w¨ahrend der ins Profil gewendete Kopf dieses Darstellungsmuster durchbricht und die ¨asthe-tische Problemstelle dieses Bildnisses bezeichnet, die eindeutig in seiner sozialen Funktion begr ¨undet liegt. Offenkundig konnte Isabella d’Este nur bis zu einem gewissen Grad einem f ¨ur Frauen von niedrigerem Rang und in der sozialen Ordnung des Hofes nicht genau festgelegter Stellung entwickelten Portr ¨attypus folgen. Sie akzeptierte diesen nur in Verbindung mit dem bis um 1500 an norditalienischen H ¨ofen noch vorherrschenden Typus des F ¨urstenbildnisses im Profil365.

364Vgl. zum ¨Uberblick: LUZIO1913, S. 183-238 (Appendix B: I ritratti d’Isabella d’Este), u. Sylvia Ferino-Pagden, Isabella d’Este im Portrait, in: FERINO-PAGDEN1994, S. 86-97.

365Vgl. BROWN1990, S. 53-60, u. außerdem Franc¸oise Viatte, L´eonard de Vinci: Isabelle d’Este [Collection

Solo“, Nr. 12], Paris: ´Ed. de la R´eunion des mus´ees nationaux 1999. – Die von Brown angef¨uhrten Beispiele der Portr¨atme-daille der Markgr¨afin von Gian Cristoforo Romano und der Kleinbronze des Apollo Belvedere von Antico als unmittel-bare Anregung f¨ur die Kopfhaltung von Isabella d’Este in Leonardos Karton sind vor dem Hintergrund allgemeinerer Zusammenh¨ange zwischen Portr¨attypus, Funktion und sozialer Stellung des Dargestellten weniger wahrscheinlich.

Tizians Portr¨at der Isabella d’Este von 1534/36 (Isabella in Schwarz) basiert auf einem bis Abb. 54 vor kurzem verloren geglaubten Portr ¨at Francesco Francias von 1511366, dem wiederum nur

ein anderes Bild und eine Beschreibung der Dargestellten durch Lucrezia Borgia Bentivo-glio zugrundelagen. Die Dargestellte ist zu diesem Zeitpunkt bereits ¨uber 60 Jahre alt, eine Portr¨at¨ahnlichkeit im engeren Sinne ist offenkundig nicht intendiert. Isabellas Aussage,

”Das Bildnis Tizians gef¨allt uns derartig, daß wir zweifeln in dem Alter, in dem es uns zeigt, von der Sch¨onheit gewesen zu sein, die es beinhaltet“, sollte durchaus w ¨ortlich genommen werden. Es ist darin kein Anzeichen von M ¨udigkeit, Alter oder Lakonik zu entdecken367. Vielmehr ist der Topos des ¨Ubertreffens der Natur ein uneingeschr ¨ankt positives Urteil, das Isabella d’Este be-reits ¨uber das verlorene Bildnis von Francia ge ¨außert hatte. Ziel ist nicht die individualisierte Portr¨at¨ahnlichkeit, sondern das offizielle Bildnis der F ¨urstin, die ¨uberzeitliche Repr ¨asentation ihrer standesgem ¨aßen Eigenschaften in k ¨orperlicher Sch ¨onheit und als novarum vestium in-ventrix. Wie Leonardo gestaltete Tizian das Bildnis der F ¨urstin anhand einer eigentlich nicht standesgem¨aßen Vorlage, seinem Prototyp f ¨ur das Bild der

”sch¨onen Frau“, der ungef ¨ahr zur

gleichen Zeit entstandenen, sogenanntenLa Bellaim Palazzo Pitti. Außerdem tr ¨agt Isabella Abb. 74 d’Este in Tizians Bildnis modische Neuerungen zur Schau, auf deren Erfindung sie Anspruch

erhob, vor allem das Knotenmuster auf den ¨Armeln und die zazaragenannte turban ¨ahnliche Kopfbedeckung368. Das Problem des F ¨urstenbildnisses im Profil stellte sich anders als bei der mehr als 30 Jahre zuvor entstandenen Portr ¨atzeichnung Leonardos jetzt nicht mehr. Der ver¨anderte Modus des Staatsportr ¨ats erm ¨oglichte inzwischen die Integration des Portr ¨attyps der”sch¨onen Frau“ in das Bildnis der F ¨urstin.

Tizians Bildnis repr¨asentiert Isabella d’Este als eine Sch ¨onheit, die sie nicht nur zu der Zeit, in der das Bildnis entsteht, sondern auch in fr ¨uheren Jahren nie gewesen ist369. Bereits in Leonardos Portr ¨at, das sie als etwa 25j¨ahrige zeigt, kaschiert das weite Gewand geschickt ihre Tendenz zu rundlichen K ¨orperformen. Der h ¨aufige Wechsel der Portr ¨atmaler durch die Markgr¨afin hatte nicht zuletzt seine Ursache in der Diskrepanz zwischen deren Produkten, die zu sehral naturalewaren und die Portr ¨at¨ahnlichkeit herausstellten, und dem standesbedingten Selbstverst¨andnis der Markgr ¨afin als F¨urstin und sch ¨one Frau370. Somit erkl¨art es sich auch, daß die aus der Distanz geschaffenen oder bestimmten Portr ¨attypen folgenden Bildnisse Ti-zians und Leonardos ihre Zwecke offensichtlich besser erf ¨ullten als in unmittelbarem Kontakt mit dem Modell entstandene Gem ¨alde.

Das Portr¨atverfahren Leonardos und Tizians, n ¨amlich einen

”Bildnistypus der sch ¨onen Frau“

dem jeweils von ihnen geschaffenen Portr ¨ats der Isabella d’Este zugrundezulegen, entspricht in gewisser Weise einem synthetischen Herstellungsprozeß, bei dem die Sch ¨onheitsdetails ver-schiedener Frauen zusammengefaßt werden bzw. ein daraus entwickelter Idealtyp

individuel-366Vgl. VIATTE1999, S. 20 m. Anm. 33 u. Abb. 13.

367Die Deutung der ¨Außerung als resignativ bei: FERINO-PAGDEN1994, S. 111f., Kat.Nr. 50; dort auch das Zitat in Ubersetzung (S. 111) und im Original (S. 114, Kat.Nr. 51).¨

368Vgl. ebd.; Tiziano, Ausst.kat. Venedig/Washington, Venedig: Marsilio Ed. 1990, S. 218, Kat.Nr. 25 (Sylvia Ferino, m. ¨alterer Lit.), u. Rona Goffen, Titian’s Women, New Haven/London: Yale UP 1997, S. 86-95, bes. S. 91 (Brief-Zitat zum Portr¨at Francias); zuLa Bellavgl. Abschnitt 2.4.

369Vgl. folgende boshafte Bemerkung Pietro Aretinos von 1534:

la mostruosa Marchesana di Mantova la quale ha i denti de hebano e le ciglia di avorio, dishonestamente brutta e arcidishonestamente imbellettata“. – Zit. n. WOODS -MARSDEN1987, S. 214, Anm. 6.

370Vgl. BROWN1990, S. 54, 57. – Wie die Selbstrepr¨asentation Isabella d’Estes bis in das 20. Jahrhundert hinein

funktionierte“, zeigt folgende Darstellung von Stephen Kolsky, Images of Isabella d’Este, in:Italian Studies, Bd. 49, 1984, S. 47-62.

len Portr¨ats zum Vorbild dient371. In dieser Hinsicht sind die Isabella-Bildnisse der beiden K¨unstler einem weiteren der wenigen von der Markgr ¨afin akzeptierten Portr ¨ats ihrer Person vergleichbar, Gian Giorgio Trissinos literarischem Portr ¨at von 1514372. Trissino l¨aßt in die-ser enkomiastischen Beschreibung der Isabella d’Este kein Verfahren und keine Kategorie aus, um ihre Sch ¨onheit zu behaupten: Zun ¨achst verlegt er den Dialog in die Vergangenheit, macht die Dargestellte durch diesen einfachen Trick j ¨unger. Des weiteren bettet er seineRitrattiin einen Kontext des Epochen- und Gattungsparagone ein – dieRitrattiin Vergleich mit Lukians Eikonesbzw. die Behauptung des Primats Petrarcas, des

”edelsten aller Maler“, gegen ¨uber den bildenden K ¨unstlern der Antike, Apelles und Euphranor, und der Renaissance, Mantegna und Leonardo. Es ist somit auch kaum verwunderlich, wenn sich der Autor bei der Schilderung von Isabellas Antlitz auf petrarkistische Metaphern st ¨utzt, so daß dem

”Koloristen“ Petrarca eine Verbesserung seiner eigenen Laura gelingt. Besonders wichtige Strukturmerkmale von Trissinos Text sind – im Vergleich mit Lukian – die Einf ¨uhrung der Figur des Zeuxis als Mo-dell der selektiven Imitation und der synthetischen Konstruktion der

”sch¨onen Frau“ und im Anschluß daran ein Frauenkatalog zur Exemplifizierung einer platonischen Tugendlehre. Tris-sinosexemplareichen, in Erweiterung von Lukians Panthea, von der antiken Mythologie bis in die kaiserzeitliche r ¨omische Geschichte: Julia Mammaea, Aspasia, Diotima, Arete, Nausi-kaa, Porcia, Harmonia, Penelope, Alkestis, Antonia, Aemilia, Claudia, Sulpicia, Theano und Zenobia.

Die Konstruktion der k ¨orperlichen Sch ¨onheit ist im Portr¨at der Isabella d’Este also unab-dingbar f ¨ur ihr tugendhaftes Verhalten, wie umgekehrt alleinige k ¨orperliche Sch ¨onheit ohne entsprechende moralische Eigenschaften wertlos ist373. Die Exempel f ¨ur moralisches Verhal-ten entstammen s¨amtlich der Antike, die Modelle zur Konstruktion k ¨orperlicher Sch ¨onheit da-gegen von zeitgen ¨ossischen Frauen aus verschiedenen St ¨adten Italiens374. Hier begegnet man einer charakteristischen Differenz zwischen Bildnisfolgen von Heroinen und Portr ¨atsammlun-gen von sch ¨onen Frauen: W ¨ahrend eine Aktualisierung weiblicher heroischer Exempel bis in die Gegenwart nur selten erreicht wird375, stellen prim¨ar unter dem Aspekt weiblicher Kultur-techniken und k ¨orperlicher Sch ¨onheit – folglich auch als Tugendmodelle – zusammengestellte Bildnissammlungen wie der Mail ¨anderCodicettoeine M ¨oglichkeit zur Repr ¨asentation zeit-gen ¨ossischer Frauen dar376.

Das Portr¨at der Isabella d’Este ist also, gleich ob als gemalte oder als literarische Repr ¨asen-tation, eine an Idealbildern der

”sch¨onen Frau“ orientierte Konstruktion ihrer Person, die in keinem Widerspruch zu ihrer Selbstrepr ¨asentation stand und nur zu Anfang in Konflikt mit ei-nem zu diesem Zeitpunkt bereits an Bindungskraft verlierenden Modell des F ¨urstenbildnisses geriet.

371Vgl. Abschnitt 2.3.

3721524 ver¨offentlicht.

373Vgl. die umfassende Analyse von HIRDT1981, S. 41-100, 111f.; das Zitat ¨uber Petrarca: ebd., S. 33; s. auch: Marina Beer, Idea del ritratto femminile e retorica del Classicismo: i

Ritratti“ di Isabella d’Este di Gian Giorgio Trissino, in:Schifanoia, Bd. 10, 1990, S. 161-173; eine nur geringf¨ugig abweichende Version dieses Aufsatzes findet sich in:

GENTILI/MOREL/CIERIVIA1989-93, Bd. 3, S. 253-269. Die synthetische Konstruktion der

sch¨onen Frau“ wird ausf¨uhrlicher in Abschnitt 2.3 behandelt. – Ein weiteres bekanntes Beispiel f¨ur die Einbindung des Portr¨ats einer idealen sch¨onen Frau in einen Frauenkatalog findet sich in Agrippas Margarete von ¨Osterreich gewidmeter SchriftDe nobilitate et praecellentia foeminei sexus. Vgl. AGRIPPA1990, S. 55f., u. HIRDT1981, S. 66f.

374Vgl. den Textauszug in Abschnitt 2.3.

375Vgl. Kap. 1.

376Vgl. auch SYSON1997, S. 49, 53.