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” Bilderfindung“ und der Mail¨ander Codicetto

2.2 Das Bildnis der Renaissancef ¨urstinnen

2.2.2 Giulia Gonzaga

Im Gegensatz zu Isabella d’Este hatte Giulia Gonzaga (1513-1566) weniger Probleme, zwi-schen ihrer offiziellen Selbstrepr ¨asentation und ihrem tats ¨achlichem Erscheinungsbild zu ver-mitteln. Die Contessa di Fondi galt zu ihren Lebzeiten als eine der sch ¨onsten Frauen Italiens.

Trotzdem bereiten ihre Portr ¨ats der Forschung einige Probleme, die nicht zuletzt ihre Ursache in der Konzeption der Renaissancef ¨urstin als

”sch¨one Frau“ finden.

Geb ¨urtig aus einer Nebenlinie der Gonzaga, heiratete Giulia mit 13 Jahren Vespasiano Co-lonna, wurde zwei Jahre sp ¨ater Witwe und zog sich nach Auseinandersetzungen mit der Fa-milie ihres verstorbenen Mannes in die Grafschaft Fondi zur ¨uck, wo sie einen kleinen Hof unterhielt. 1537 ging sie nach Neapel in ein Kloster, in dem sie 1566 starb. Das kulturelle Umfeld und damit der biographische Hintergrund der Giulia Gonzaga hatte sich im Vergleich zur Generation der Isabella d’Este grundlegend ge ¨andert: Die Reformation, das Aufkommen des Protestantismus auch in Italien und derSacco di Romavon 1527 hatten die Grundvoraus-setzungen f ¨ur eine providenzielle und affirmative Lebensplanung ersch ¨uttert. Giulia Gonzaga sympathisierte mit dem Protestantismus, was sie in ihren sp ¨ateren Lebensjahren in die Gefahr brachte, als H¨aretikerin zu gelten. Wie ihre entfernte Verwandte Vittoria Colonna galt sie als eine”gelehrte Frau“. Die in zeitgen ¨ossischen literarischen W ¨urdigungen ihrer Person nahezu topische Verbindung von k ¨orperlicher Sch ¨onheit und strenger Tugendhaftigkeit geht ¨uber den zeit¨ublichen neoplatonischen Standard hinaus: In ihren wenigen gesicherten Bildnissen ist sie stets in Witwentracht wiedergegeben. Von Isabella d’Este, verwitwet seit 1519, sind dagegen keine prominenten Bildnisse als Witwe bekannt377.

Eine Episode ihrer Vita aus dem Jahr 1534 ist zugleich eine Parabel f ¨ur das Ansehen von Gi-ulia Gonzagas Sch ¨onheit unter ihren Zeitgenossen: Sarazenen aus Algier unter der F ¨uhrung des Hair-eddin Barbarossa pl ¨underten auf einem ihrer Raubz ¨uge auch Fondi, aus dem die Gr ¨afin nur mit knapper Not entkommen konnte, und waren erst durch eine von Kardinal Ippolito de’

Medici gef ¨uhrte Entsatztruppe aufzuhalten. F ¨ur die italienische ¨Offentlichkeit war es keine Frage, daß der Korsarenf ¨uhrer die Absicht hatte, Giulia Gonzaga wegen ihrer unvergleichli-chen Sch ¨onheit f ¨ur Sultan S ¨uleyman II. zu entf ¨uhren und in dessen Harem einzugliedern378.

377Vgl. zur Biographie u.a.: Bruto Amante, Giulia Gonzaga, Contessa di Fondi, e il movimento religioso femminile nel secolo XVI, Bologna: Zanichelli 1896, u. Mario Oliva, Giulia Gonzaga Colonna, Mailand: Mursia 1985. – In einem 1519 entstandenem Altarbild von Francesco Bonsignori wurde eine im Profil dargestellte Witwe als Isabella d’Este identifiziert, was allerdings nicht zu verifizieren ist. Von den beiden Portr¨ats von Tizian f¨alltIsabella in Schwarzals quasi postum aus dem zu bewertenden Spektrum, w¨ahrend die durch Rubens ¨uberlieferteIsabella in Rotdie Beobach-tung best¨atigt, daß sich die Markgr¨afin in ihrer Selbstrepr¨asentation nach dem Tod ihres Gatten nicht an die Konvention hielt. Zu diesem Material zuletzt: FERINO-PAGDEN1994, S. 95, 111-117, Kat.Nr. 50ff.

378Eine Zusammenstellung der Quellen gibt AMANTE1896, S. 121-135, wovon zwei charakteristische Beispiele w¨ort-lich zitiert werden sollen. Gregorio Rosso schreibt angesichts der Vorg¨ange in Fondi:Barbarossa a’ 7 agosto 1534, passando a vista di Napoli, con pi `u paura che danno della citt`a, mise gente in terra all’isola di Procida, saccheggi `o quella terra, n`e contento di questo assalt `o all’improvviso Sperlonga, dove dicono facesse schiavi pi `u di mille persone:

mand `o gente per infino a Fondi per pigliare Donna Giulia Gonzaga, per presentarla allo Gran Turco, che la desiderava per la gran fama della sua bellezza. Fondi fu saccheggiata e Donna Giulia appena ebbe tempo di salvarsi quella notte sopra un cavallo in camicia, come se trovava“ (ebd., S. 129). Es gibt kaum eine Quelle, die nicht die Sch¨onheit der

bellissima delle belle“ (ebd., S. 130) als Beweggrund der Sarazenen angibt, in der EklogeLa Ninfa fuggitivavon Muzio Giustinopolitano heißt es beispielsweise:

[...]

A barbarichi lidi, al bel Petruolo Corsi eran per spogliar le nostre rive Del primo onor: fuggia la bella Ninfa Che splende di belt`a fra l’altre belle,

Von Giulia Gonzaga ist eines der ber ¨uhmtesten Portr ¨ats der Kunstliteratur ¨uberliefert. Ip-polito de’ Medici, der urspr ¨unglich Giulias Stieftochter Isabella Colonna heiraten sollte, aber dann sein Interesse der Stiefmutter zugewandt hatte, schickte 1532 Sebastiano del Piombo von Rom aus nach Fondi, wo dieser sich zwischen dem 8. Juni und dem 15. Juli des Jahres aufhielt.

Laut Vasari war der Maler beauftragt, ein Portr ¨at der Giulia Gonzaga zu malen, das er binnen eines Monats fertigstellte,

”[...] il quale venendo dalle celesti bellezze di quella signora e da cos`ı dotta mano, riusc`ı una pittura divina[...]“. Der unmittelbare Anlaß des Gem ¨aldes wird der Wunsch des Medici-Kardinals gewesen sein, auf einer Reise nach Mitteleuropa das Bildnis einer geliebten abwesenden Person mit sich zu f ¨uhren, also eine der zentralen Aufgaben der Portr¨atmalerei. Seinen literarischen Reflex fand das Fondi-Portr ¨at des Sebastiano del Piombo in Dichtungen von Francesco Maria Molza und Gandolfo Porrini, die nicht wenig zu seiner Ber¨uhmtheit beitrugen379.

Der literarische Ruhm des Bildnisses hat in der Kunstgeschichte bereits fr ¨uh zu dem Ver-such gef ¨uhrt, das Fondi-Portr ¨at unter den Werken des Sebastiano del Piombo zu identifizie-ren, obwohl die topische Struktur von Portr ¨atgedichten kaum Anhaltspunkte zur Identifikation konkreter Werke liefert380. Dementsprechend wenig befriedigend sind die Ergebnisse: Am ehesten kann eine Gruppe von Repliken, Kopien und variierenden Wiederholungen mit dem Fondi-Portr ¨at in Verbindung gebracht werden, die in einer in ihrer Eigenh ¨andigkeit umstritte-nen Fassung in Wiesbaden dem vermutlich verloreumstritte-nen Original am n ¨achsten kommt und deren Abb. 55

Identifizierung vor allem durch bezeichnete Wiederholungen in Portr ¨atserien gesichert ist381. Eine alternative Identifikation des Fondi-Portr ¨ats der Giulia Gonzaga mit einem Frauen-Abb. 56

portr¨at des St¨adelschen Kunstinstituts in Frankfurt am Main steht ebenfalls zur Debatte382. Die Zuschreibung des qualit ¨atvollen Bildnisses – ein Problem, das sich selbstverst ¨andlich nur

Qual fra i lumi minor la bianca Luna.

[...]

Ninfa ove fuggi? e perch`e’l dolce viso Guasti col pianto? Vuolsi aver pi ´u cara Tanta belt`a, per lo cui chiaro grido Vengono amiche a te l’armate squadre, Che tu fuggi nemica. Il santo amore A te l’ha porte con l’aurate penne, Amor, perch`e ti faccia il gran Tiramo Tra le reine sue prima Reina.

[...]

(ebd., S. 126f.). – Die Bezeichnung der Giulia Gonzaga als Nymphe ist hier – im Gegensatz zur Funktion des Begriffs im Mail¨anderCodicetto(s. Abschnitt 2.1.3) – vor allem durch die literarische Gattung bedingt. Trotzdem bietet die Ekloge einigen Spielraum f¨ur m¨annliche Imagination.

379Darstellungen des Sachverhalts mit Belegen finden sich u.a. bei: Michael Hirst, Sebastiano del Piombo, Oxford:

Clarendon 1981, S. 115 (dort auch das Vasari-Zitat), u. E.H. Ramsden, ‘Come take this lute’. A Quest for Identities in Italian Renaissance Portraiture, Tisbury: Element Books 1983, S. 133ff. Das Portr¨atgedicht Molzas findet sich ana-lysiert und auszugsweise zitiert in: ALBRECHT-BOTT1976, S. 30-35, 177ff.; dasselbe leistet f¨ur Porrini: RAMSDEN 1983, S. 155-158. – In Raffaello BorghinisIl Riposovon 1584 wird das Bildnis der Giulia Gonzaga ebenfalls als

cosa rara, e de’ pi `u belli ch’ egli [sc. Sebastiano del Piombo] facesse“ kommentiert (zit. n. ALBRECHT-BOTT1976, S. 30).

380Vgl. SHEARMAN1992, S. 120; f¨ur das Beispiel Molzas ALBRECHT-BOTT1976, S. 35.

381HIRST1981, S. 116-119. Vgl. auch: Roggero Roggeri, I ritratti di Giulia Gonzaga, Contessa di Fondi, in: Ci-vilt`a Mantovana, N.S., Nr. 28-29, 1990, S. 61-78, bes. S. 63-68, offensichtlich ohne Kenntnis von HIRST1981 u.

RAMSDEN1983. Zum Kleinbildnis der Giulia in der Portr¨atsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol, das eine Schl¨usselstellung f¨ur die Identifizierung der Dargestellten einnimmt, vgl.: Friedrich Kenner, Die Portr¨atsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol, in: JbKW, Bd. 17, 1896, S. 101-274, bes. S. 216f., Nr. 89A; zuletzt: Sylvia Ferino-Pagden (Hrsg.), Vittoria Colonna, Dichterin und Muse Michelangelos, Ausst.kat. Wien: Kunsthistorisches Museum 1997, S. 55f., Kat.Nr. I.13 (Gabriele Goffriller).

382Diese These wurde zuletzt von RAMSDEN1983, S. 138-170, mit einer ausf¨uhrlichen Argumentation vertreten.

stellt, wenn das Gem¨alde nicht mit dem Fondi-Portr ¨at identisch ist – gestaltet sich ¨außerst schwierig. Die in den letzten Jahren vorherrschende Identifizierung des Malers mit Girolamo da Carpi wurde j ¨ungst durch eine Benennung als Peter de Kempeneer in Frage gestellt. Doch ist die Liste der Zuschreibungsversuche lang und beinhaltet fast jeden bekannten K ¨unstlernamen der ersten H¨alfte des 16. Jahrhunderts, der in Frage kommen k ¨onnte383. Ein nordeurop ¨aischer K¨unstler wie Kempeneer kommt vor allem aufgrund der Ausf ¨uhrung des Landschaftshinter-grundes in Frage, dessen Felsformation in der Profillinie allerdings eine verbl ¨uffende ¨ Ahn-lichkeit mit einer Felslandschaft bei Terracina aufweist, an der Straße nach Fondi und nur f ¨unf Kilometer von dort entfernt. Dies w ¨urde wiederum f ¨ur eine Identit ¨at des Frankfurter Bildnisses mit dem Fondi-Portr ¨at sprechen384. Stilistisch ist das Frankfurter Bild dagegen kaum im Œuvre des Sebastiano del Piombo zu verorten, wenn auch die Zuschreibung an Kempeneer ebenfalls nicht absolut ¨uberzeugend ist385. Weiterhin spricht gegen eine Identit ¨at mit dem Fondi-Portr ¨at, daß das Frauenportr ¨at in Frankfurt kein Ausgangspunkt f ¨ur eine große Anzahl von Kopien und Variationen gewesen ist, wie es bei einem ber ¨uhmten Portr ¨at der Fall gewesen w¨are, und daß keinerlei ikonographische Verbindungen zu einem inschriftlich gesicherten Bildnis der Giulia Gonzaga bestehen. Somit muß davon ausgegangen werden, daß das Fondi-Portr ¨at verloren ist und nur durch eine Gruppe von Wiederholungen rekonstruiert werden kann.

Auch wenn deshalb eine Interpretation des erhaltenenen Bestandes in Hinblick auf Sebastia-nos Portr¨at von 1532 wenig sinnvoll ist, so sind doch die Umst ¨ande von Produktion, Rezeption und Verbreitung dieses Bildnisses im Kontext der Portr ¨attypologie der F ¨urstin als

”sch¨one Frau“ von einiger Bedeutung. Hier interessieren vor allem zwei Aspekte: die Abl ¨osung der Portr¨atproduktion von der Person der Dargestellten, die somit keine Kontrolle ¨uber ihr

”Bild“ in der ¨Offentlichkeit mehr hat, und die Funktion solcher Bildnisse innerhalb

”autonomer“ Kunst-sammlungen.

Zum ersten Gesichtspunkt: Sebastiano del Piombo fertigte bis zu seinem Tod 1547 Repliken des Bildnisses f¨ur weitere Auftraggeber an und entwickelte unter Umst ¨anden zwei verschie-dene Versionen davon, die er bereits in Fondi als Alternativen h ¨atte herstellen k ¨onnen386. Wei-terhin steht fest, daß Tizian ein Portr ¨at der Giulia Gonzaga gemalt hat, wie aus einem Brief der Dargestellten vom 25. April 1562 an den damaligen Besitzer des Gem ¨aldes, Ippolito Capilupi, hervorgeht:

[...] Del guadagno, che ha fatto di un mio ritratto, io non so quanto mi debba rallegrare, percioch`e essendo della bellezza che scrisse, non deve essere di naturale, oppure mess.

Titiano ha voluto mostrar la forza del suo ingegno formando una donna compitamente bella et come dovrebbe essere, non come io mi sia stata. Pure mi piace, che il ritratto sia in potere di V.S. potendomi facilmente succedere, che ella per mezzo della pittura avr`a memoria delle persone vive, et per l’avvenire mi sar`a pi`u cortese delle sue lettere. [...]387.

383Die Zuschreibung an Kempeneer bei: Nicole Dacos, Entre Bruxelles et S´eville. Peter de Kempeneer en Italie, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek, Bd. 44, 1993, S. 143-164, bes. S. 146ff.; dort auch eine Auflistung der verschiedenen alternativen Zuschreibungsversuche mit Literaturangaben, S. 162, Anm. 13: Giulio Romano (Borghese-Inventar), Sebastiano del Piombo (Crowe/Cavalcaselle u. AMANTE1896, S. 143f.), Sodoma (Morelli), Scorel (W. v.

Bode), Dosso Dossi (Burkhardt), Parmigianino (Venturi), Girolamo da Carpi (Voss), Nicol `o dell’Abbate (Venturi).

Den Beitrag von Ramsden kennt Dacos offensichtlich nicht. – Kempeneer ist aufgrund seines langen Aufenthalts in Spanien auch unter dem Namen Pedro Campa ˜na bekannt.

384RAMSDEN1983, S. 143ff., beruhend auf einer Beobachtung von AMANTE1896, S. 144.

385Die Zuschreibung von DACOS1993, S. 148, beruht in erster Linie auf einem physiognomischen Vergleich mit KempeneersSieben Tugendenim Museo San Carlo, Mexiko-Stadt (ebd., Abb. 3).

386Vgl. HIRST1981, S. 115f., u. RAMSDEN1983, S. 160f.

387Zu Ihrer Erwerbung eines Portr¨ats von mir vermag ich nicht zu sagen, ob es mich erfreuen soll, denn, wenn es von

Der Brief enth¨alt zwei Informationen, die hier von besonderem Interesse sind. In der Be-scheidenheitsfloskel, das Bildnis k ¨onne nicht ¨ahnlich sein, ist eine Beschreibung von Tizians Portr¨atverfahrens enthalten. Die ¨Uberformung der individuellen Portr ¨ataufnahme nach einem idealen Portr¨attyp der

”sch¨onen Frau“, wie es Giulia Gonzaga vermutet, entspricht dem Vor-gehen des Malers bei Isabella d’Estes Port ¨at von 1534/36. Dies trifft um so mehr zu, da das Bildnis der Giulia Gonzaga von Tizian wohl nur 1532/34 nach der Vorlage des Fondi-Portr ¨ats gemalt worden sein kann: Tizian und Ippolito de’ Medici trafen im Dezember 1532 in Bo-logna zusammen. Aus diesem Anlaß ist das Portr ¨at des Kardinals in ungarischer Kleidung entstanden, das sich heute im Palazzo Pitti befindet. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Ippolito de’ Medici bei dieser Gelegenheit als Gegenst ¨uck zu seinem eigenen Bildnis von Tizians Hand auch ein Portr ¨at der Giulia Gonzaga bestellt hat, das der Maler zu diesem Zeitpunkt nur nach der Vorlage von Sebastiano del Piombo h ¨atte anfertigen k ¨onnen. Ein Tizian zugeschriebenes Frauenportr ¨at in einer Bologneser Privatsammlung zeigt den Motivapparat des Fondi-Portr ¨ats – wie sie die Gruppe von Gem ¨alden um das Wiesbadener Portr ¨at ¨uberliefert – in Verbindung mit einer tizianesken Formensprache und einem Gesichtstyp, der den vonLa Bellaantizipiert bzw.

widerspiegelt. Das Bild k ¨onnte also durchaus mit Tizians Version des Fondi-Portr ¨ats identisch oder doch zumindest eine Kopie dieses Werkes sein388. Der Herstellungs- und Idealisierungs-prozeß im Fall der Tizian-Version des Fondi-Portr ¨ats gleicht somit in hohem Maße dem von Isabella in Schwarz: Die Dargestellten sind nicht anwesend, als Vorlage dient das Gem ¨alde eines anderen Malers, das nach Tizians ¨uberindividuellen Portr ¨attyp der

”sch¨onen Frau“ trans-formiert wird. Beide Bildnisse entstehen in dem relativ kurzen Abstand von etwa zwei bis drei Jahren,Isabella in Schwarzsteht allerdingsLa Bellades Palazzo Pitti zeitlich und typologisch n¨aher, es ist auch in Format und motivischen Apparat das anspruchsvollere Bild. Darin zeigt sich die relative Variabilit ¨at von Tizians Portr ¨atverfahren, die dem Maler die Ausf ¨uhrung von Auftr¨agen unterschiedlicher Besteller auf verschiedenen Niveaus erm ¨oglichte.

Die zweite wichtige Information in dem Schreiben der Giulia Gonzaga ist der Umstand, daß ihr die Tizian-Version ihres Bildnisses ca. 30 Jahre nach deren mutmaßlicher Entstehung noch immer unbekannt war. Auch Sebastiano del Piombo fertigte Repliken des Fondi-Portr ¨ats noch Jahre sp¨ater f ¨ur verschiedene Besteller an. Weder die Dargestellte, Giulia Gonzaga, noch der Auftraggeber, der (dies muß einschr ¨ankend gesagt werden) bereits 1535 verstorbene Ippolito de’ Medici, kontrollierte die Portr ¨atproduktion, sondern der Maler (bzw. jeder, der eine Vor-lage besaß), der Bildnisse an Personen lieferte, die nicht in den urspr ¨unglichen Auftrags- oder Funktionskontext involviert waren.

Dies leitet zu dem zweiten Gesichtspunkt einer rezeptionsgeschichtlichen Betrachtung der Portr¨ats der Giulia Gonzaga ¨uber: die Funktion des Bildnisses innerhalb einer

”autonomen“

Kunstsammlung. Bereits Vasari ¨uberliefert, daß das Fondi-Portr ¨at an Franz I. von

Frank-der Sch¨onheit ist, wie Sie schreiben, dann kann es nicht nach Frank-der Natur gemacht sein, anFrank-dernfalls wollte Herr Tizian die F¨ahigkeit seines Genius unter Beweis stellen, indem er eine vollkommen sch¨one Frau erschuf, wie sie zu sein hat, nicht wie ich war. Doch es gef¨allt mir, daß das Portr¨at sich in Euer Gnaden Besitz befindet, so daß Sie sich ¨uber die Malerei an lebende Personen erinnern werden und zuk¨unftig freigiebiger mit Ihren Briefen sein werden. – Zit. n. G.B.

Intra, Di Ippolito Capilupi e del suo tempo, in:Archivio storico Lombardo, 2. Serie, Bd. 10, 1893, S. 76-142, hier S. 117; ¨Ubersetzung d. Verf.

388Vgl. ROGGERI1990, S. 68-76 u. Abb. 11. Roggeri verfolgt in einer plausibelen Argumentation den Weg der Tizian-Version durch die Inventare verschiedener Kunstsammlungen bis zum Verkauf des gr¨oßten Teils der Galleria Estense von Modena nach Dresden im Jahr 1746. Das Bild ist allerdings nicht nach Deutschland gelangt. Vgl. auch RAMSDEN 1983, S. 161f., der das Gem¨alde in Bologna nicht kennt, aber prinzipiell die gleichen Schl¨usse zieht.

reich gesandt worden sei, der es in Fontainebleau aufbewahrt habe389, nach anderen Quel-len gelangte das Bild erst an Heinrich II. oder bereits 1541 an dessen Gattin Katharina de’

Medici390. Wahrscheinlicher ist, daß nur eine Kopie Frankreich erreichte, die 1547 noch von Sebastiano del Piombo begonnen wurde, aber nach seinem Tod durch dessen Sohn vollendet werden mußte. Ein Brief des Kardinals Alessandro Farnese vom August 1547 gibt ¨uber die-sen Vorgang Auskunft: Katharina de’ Medici hatte die Bildnisse von Papst Clemens VII. und von Giulia Gonzaga bei Sebastiano bestellt und sollte nun durch den Kardinal dazu bewogen werden, die durch dessen Sohn vollendeten Gem ¨alde zu akzeptieren, was diese auch tat391. Dieser Auftrag l¨aßt sich noch durch familielle und genealogische Interessen begr ¨unden: Die franz ¨osische K ¨onigin und Clemens VII. entstammten beide der ¨alteren Medici-Linie; zu Gi-ulia Gonzaga bestand eine Bindung ¨uber Ippolito de’ Medici, auch wenn diese bereits nicht mehr im engeren Sinne als verwandtschaftlich zu charakterisieren ist. Eine Kopie nach Tizians Bildnis des jungen Medici-Kardinals befand sich ebenfalls in Fontainebleau392. Andererseits k ¨onnte der verwandtschaftliche Bezug auch reiner Zufall sein; die erfolgreichsten Produkte von Sebastiano del Piombo waren eben die Portr ¨ats des Medici-Papstes und der Giulia Gon-zaga, wie die in seiner Werkstatt nach seinem Tod vorgefundenen Gem ¨alde belegen393und

wie weiterhin exakt die gleiche Abfolge dieser Portr ¨ats in Fulvio Orsinis Inventar von 1600 Abb. 55 best¨atigt394.

Diese funktionalen Zusammenh ¨ange gingen allerdings mit den Jahren verloren. In Pierre DansLe Tr´esor des Merveilles de la Maison de Fontainebleau, publiziert 1642, erscheint Giulia Gonzaga als Schwester von Clemens VII. Dan beschreibt die Kunstsammlung in Fontainebleau geordnet nach italienischen Meistern, bei Sebastiano del Piombo als

[...] rare cabinet, o`u il y en a trois excellens [tableaux] de Frere Sebastien del Piombe, homme de cr´edit parmy ceux de c´et Art. [...] Le deuxi´eme est vn portrait du Pape Cle-ment VII. Et le troisi´eme est celuy de la Sœur de ce mesme Pape, peint sur vn grand fond

389

[...] mandato al re Francesco in Francia, che lo fe porre nel suo luogo di Fontanableo [...]“ – Zit. n. HIRST1981, S. 116, Anm. 111.

390Vgl. ebd. u. hier Anm. 396. Die Annahme eines Besitzerwechsels 1541 an Katharina de’ Medici beruft sich im allgemeinen auf L´eon Dorez, La Cour du Pape Paul III, 2 Bde., Paris: Leroux 1932, Bd. 1, S. 276, bei dem es heißt, das Bild

paraˆıten effet avoir ´et´e offert, en 1541, sur sa demande, `a Catherine de Medicis“ (Hervorhebung des Verf.).

Diese Formulierung und das Fehlen eines Nachweises geben f¨ur diese Provenienz allerdings keine Begr¨undung.

391Zitiert bei HIRST1981, S. 115f. Der Verfasser ist nicht der Auffassung von Hirst, daß sowohl das Fondi-Portr¨at als auch die 1547 entstandene Kopie nach Frankreich gelangt sind. Es w¨are ein sehr ungew¨ohnlicher Vorgang gewesen, wenn man eine Kopie in Rom bestellt h¨atte, obwohl man das Original besitzt. Ein einheimischer Kopist w¨are dann wohl eher beauftragt worden. Vasari muß hier in der Erinnerung das Original mit der nach der Aussage Farneses sehr qualit¨atvollen Kopie verwechselt haben. Dies gilt um so mehr, da sich das 1547 entstandene Bildpaar in den Quellen zu den franz¨osischen k¨oniglichen Sammlungen nachweisen l¨aßt (s.u.), das wesentlich spektakul¨arere Fondi-Portr¨at allerdings nicht.

392Vgl. COX-REARICK1995, S. 100 u. 254f., Kat.Nr. VII-11.

393Vgl. RAMSDEN1983, S. 158.

394Inv.-Nr. 16 u. 17. Der Gem¨aldebestand Orsinis ging in den Besitz des Odoardo Farnese ¨uber. Das Bildnis der Giulia Gonzaga ist eine Kopie nach Sebastiano del Piombo und befindet sich heute als Dauerleihgabe des Palazzo Reale, Caserta, im Palazzo Ducale von Mantua. Es tr¨agt folgende InschriftQve disivnctas utroqve ab littore gentes facta neces eqvora cvrris atvlis pvlchri inhians aliqvid, fine iam pone labori: te, conspecta semel, parva tabella beat“, die

394Inv.-Nr. 16 u. 17. Der Gem¨aldebestand Orsinis ging in den Besitz des Odoardo Farnese ¨uber. Das Bildnis der Giulia Gonzaga ist eine Kopie nach Sebastiano del Piombo und befindet sich heute als Dauerleihgabe des Palazzo Reale, Caserta, im Palazzo Ducale von Mantua. Es tr¨agt folgende InschriftQve disivnctas utroqve ab littore gentes facta neces eqvora cvrris atvlis pvlchri inhians aliqvid, fine iam pone labori: te, conspecta semel, parva tabella beat“, die