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Zurück nach Livland: Zur Rolle des Adels

Im Dokument FORSCHUNGEN ZUR BALTISCHEN GESCHICHTE (Seite 85-88)

Ein solcher umfassender Ansatz von „Konfessionalisierung“ wurde bis-lang für die baltischen Länder nicht versucht,41 obwohl gerade hier die politischen und gesellschaftlichen Folgen unterschiedlicher Konfessions-bildung in besonderer Weise zutage treten. Als Träger einer solchen Kon-fessionalisierung erscheint dabei in der polnisch-litauischen Rzeczpospolita

39 Vgl. den dtv-Atlas zur deutschen Sprache. Tafeln und Texte, hrsg. von Werner König und Hans-Joachim Paul, München 1978, S. 66.

40 Vgl. Sebastian Schmidt: Glaube – Herrschaft – Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (1538–1683), Paderborn u.a. 2005 (Westfälisches Institut für Regionalgeschichte, Landesverband Westfalen-Lippe, Münster. Forschungen zur Regionalgeschichte, 50).

41 Demgegenüber verfolgt das vierbändige Werk Die baltischen Lande im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Livland, Estland, Ösel, Ingermanland, Kurland und Lettgallen. Stadt, Land und Konfession 1500–1721, hrsg. von Matthias Asche, Werner Buchholz und Anton Schindling, Teil 1-4, Münster 2009–

2012 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 69-72), an keiner Stelle den übergreifenden, Staat und Gesellschaft einbeziehenden Prozess. Insbesondere Aleksander Loit begreift in seinem Beitrag: Reformation und Konfessionalisierung in den ländlichen Gebieten der baltischen Lande von ca.

1500 bis zum Ende der schwedischen Herrschaft, in: ebenda, Teil 1, S. 49-215,

„Konfessionalisierung“ lediglich im engeren kirchenhistorischen Sinn. Auch Enn Tarvel weicht in seinem Beitrag Kirche und Bürgerschaft in den baltischen Staaten im 16. und 17. Jahrhundert, in: ebenda, Teil 3, S. 17-99, jedem übergreifenden Begriff der „Konfessionalisierung“ aus; siehe die Rezension von Gvido Straube:

http://www.perspectivia.net/publikationen/francia/francia-recensio/2015-1/FN/

asche-buchholz-schindling_straube (letzter Zugriff 20.1.2016), wobei der Autor allerdings meint, für das Baltikum vor 1721 kaum von einer Konfessionalisierung sprechen zu können. Ähnlich kritisch, wenn auch teilweise aus anderen Gründen, die Rezensionen von Jürgen Beyer, in: Forschungen zur baltischen Geschichte 5 (2010), S. 307-515; Anti Selart, in: ebenda 7 (2012), S. 215-218; Madis Maasing, in: ebenda 8 (2013), S. 276-280.

wie im angrenzenden baltischen Gebiet weniger die Landesherrschaft als vielmehr der Adel, der allein sich hier in der Frühen Neuzeit im Vollbe-sitz der „Bürgerrechte“ befand.42 Spätestens nach der Teilung des bis 1629 bestehenden polnischen „Herzogtums jenseits der Düna“ (Pārdaugavas hercogiste) in ein schwedisches und ein polnisches Livland tritt ein diame-traler Unterschied in der Stellung des ritterschaftlichen Adels in Livland und in Litauen-Polen hervor. Im schwedischen Teil Livlands behaupteten die Ritterschaften – ebenso wie in Kurland und in Estland – ihr landstän-disches Korporationsrecht gegenüber der Landesherrschaft. Ihre Rechte in der regionalen Landesverwaltung einschließlich des Gebrauchs der deutschen Amtssprache und der lutherischen Konfession wurden festge-schrieben.43 In „polnisch Livland“, d.h. im heutigen Lettgallen, konnte sich dagegen auf die Dauer die auf das Warschauer Zentrum ausgerich-tete polnische „Adelsrepublik“ durchsetzen. Ohne Korporationsrechte einer regionalen Selbstverwaltung ging der bis dahin deutsche Adel, trotz eines eigenen „Landtags“,44 als Teil eines gemeinsamen polnischen, litaui-schen und ruthenilitaui-schen Adels bald in dessen Gesamtheit auf. Bedeutsam war es dabei, dass Vertreter des dortigen Adels in der seit 1569 gebildeten polnisch-litauischen Wahlmonarchie gleichberechtigt an der Königswahl teilnahmen und dass dabei für den gesamten Adel des Königreichs wiede-rum die katholische Konfession konstitutiv wurde.45 Während dann nach dem Nordischen Krieg im 18. Jahrhundert im bis dahin schwedischen Liv-land die deutschen Adelskorporationen von LivLiv-land und Ösel, für die das Luthertum konstitutiv war, ihre Rechte bei der Landesverwaltung auch unter der neuen russischen Herrschaft behielten, wurde „polnisch Livland“

1772 nach der ersten Teilung Polens unterschiedslos in die Verwaltungs-strukturen des Russischen Reiches einbezogen.

42 So für Polen-Litauen Edward Opaliński: Die Funktionen regionaler Ämter im Machtsystem der polnischen Adelsrepublik in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel der Woiwodschaften Łęczyca und Sieradz, in: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert, hrsg. von Joachim Bahlcke, Hans-Jürgen Bömelburg und Norbert Kersken, Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 6), S.

65-80, hier S. 65.

43 Vgl. Heinz von zur Mühlen: Das Ostbaltikum unter Herrschaft und Einfl uß der Nachbarmächte (1561–1710/1795), in: Deutsche Geschichte im Osten Europas.

Baltische Länder, hrsg. von Gert von Pistohlkors, Berlin 1994, S. 173-264, hier S. 191ff .

44 Vgl. Boguslavs Dibass [Bogusław Dybaś]: Latgale (Poļu Infl antija) Lielā Ziemeļu kara laikā – Daugavpils pils tiesas grāmatu atspoguļojumā [Lettgallen (Polnisch-Livland) zur Zeit des Großen Nordischen Krieges – das Dünaburger Burggericht im Spiegel der Gerichtsbücher], in: Kurzeme, Vidzeme, Latgale. Reģions un identitāte vēsturē. Konferences materiāli, hrsg. von Ilgvars Misāns, Erwin Oberländer und Gvido Straube, Riga 1999, S. 66-74, hier S. 66.

45 Vgl. Opaliński, Funktionen (wie Anm. 42), S. 66f. (dort ohne Hinweis auf den Adel in Polnisch Livland).

Beispielhaft für die Haltung des Adels im polnischen Herrschaftsbe-reich kann die Familie Broel gen. Plater (von Plater) gelten, die im Mit-telalter aus Westfalen nach Livland eingewandert und vom Livländischen Orden belehnt worden war.46 In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist ein Heinrich Plater als Gutsbesitzer auf Nedderitz47 im südöstlichen Liv-land, d.h. im späteren polnischen Teil des Landes, nachweisbar;48 sein Sohn und Erbe Heinrich wurde 1561 von der Livländischen Ritterschaft beauf-tragt, die Übergabe Livlands, d.h. des gesamten „Herzogtums jenseits der Düna“, an Polen zu vermitteln.49 Zu dieser Zeit erschien die Familie ohne jede Einschränkung als Teil der deutschen livländischen Adelskorporation.

Der Sohn Gotthard hielt sich nach der Teilung Livlands zwischen Schwe-den und Polen aufgrund seiner Besitzungen in „polnisch Livland“ zur pol-nischen Seite und trat als polnischer Oberst hervor;50 sein Sohn Johann Heinrich Andreas wiederum war 1669 an der Wahl des polnischen Königs beteiligt; 1694 oder 1695 konvertierte er zum Katholizismus und wurde königlicher Woiewode von „Polnisch Livland“51 – ein „polnischer Zweig“

der Familie war entstanden, der im folgenden Jahrhundert den polnischen Grafentitel annahm und in vielfacher Funktion im polnischen Staatsdienst nachzuweisen ist.52 Ein Nachkomme dieser Linie, Konstanty Ludwik von Plater, verheiratet mit der polnischen Prinzessin Augusta Ogińska, stif-tete 1768 in Kraslaw, dem neuen Stammsitz der Familie, eine Kathedra-le.53 Noch bevor jedoch der Bau vollendet war, kam es vier Jahre später zur Angliederung des Landes an das Russländische Reich; als Katholiken und Polen waren Mitglieder der nächsten Generation der Familie am pol-nischen Freiheitskampf gegen das Zarenreich beteiligt.

Es ist unübersehbar, welche Welten sich zwischen dem Adel in Kurland und Livland einerseits und dem Adel in Lettgallen andererseits trotz einer Jahrhunderte zurückreichenden gemeinsamen Herkunft durch die unter-schiedliche konfessionelle und staatliche Entwicklung seit dem 17. Jahr-hundert auftaten. Dabei „strömten“ nun weniger „polnische Gutsbesitzer“

nach Lettgallen;54 es waren die ehemals deutschen Gutsbesitzer, die ohne eigene ständische Korporation sehr rasch die katholische Konfession und die polnische Sprache annahmen und über Heiratsbeziehungen Teil des polnischen Reichsadels wurden. Dieser örtliche Adel spielte in Lettgallen im 17. und 18. Jahrhundert bei der endgültigen Durchsetzung der

Gegen-46 Adelslexikon, Bd. 10, Limburg an der Lahn 1999 (Genealogisches Handbuch des Adels, hrsg. von der Stiftung Deutsches Adelsarchiv, 119), S. 408.

47 Der polnische Name lautet Indrycę.

48 Genealogien kurländisch-ritterschaftlicher Geschlechter [Bd. 1], bearb. von Klas Lackschewitz und Andrzej Prus-Niewiadomski, o. O. 2004, S. 61, 87.

49 Ebenda, S. 87.

50 Simon Konarski: Th e Platers, Brisbane 1982, S. 33.

51 Genealogien (wie Anm. 48), S. 88f.

52 Vgl. ebenda, S. 92.

53 Ebenda.

54 So Soms, Entstehung (wie Anm. 5), S. 168.

reformation eine zentrale Rolle und unterstütze mehrfach die Ansiedlung geistlicher Orden. Selbst die Gründung des neuen katholischen Zentrums, der Kirche von Aglohn, erfolgte im Jahr 1697 auf Initiative der dort ansäs-sigen Gräfi n Ewa Justyna Sielicka-Szostowicka.55 Die Waff enstillstands-linie zwischen Schweden und Polen von 1629 wurde auf diese Weise im Verlauf des folgenden Jahrhunderts nicht allein zur Grenze einer grund-sätzlich unterschiedlichen regionalen Adelsherrschaft, die sich ihrer inne-ren Struktur nach ebenso wie ihrer ethnischen und konfessionellen Aus-richtung auseinander entwickelte. In Verbindung damit war auch für die bäuerliche Bevölkerung eine jeweils unterschiedliche konfessionelle Ent-wicklung vorgegeben, die im Weiteren deren Auseinanderleben begüns-tigte. Bis zur Teilung in ein „schwedisches“ und „polnisches“ Livland war in dieser Hinsicht nicht die geringste Sonderstellung des späteren Lett-gallen gegeben. Zu einem Abschluss kam die Konfessionalisierung für die Region wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts: 1749 meldete der General-vikar des livländischen Bischofs, Lettgallen sei, abgesehen von einer win-zigen Zahl von „Lutheranern und Schismatikern“ – gemeint sein dürften die Altgläubigen – wieder ein katholisches Land.56

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