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Die Lehrmittel für Lesen und Auswendiglernen im Zeichen kanonisierter Heterogenität und angeblich kindgerechter Didaktisierung

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 84-105)

2.2 Lesen und Auswendiglernen 1771 und 1799

2.2.3 Die Lehrmittel für Lesen und Auswendiglernen im Zeichen kanonisierter Heterogenität und angeblich kindgerechter Didaktisierung

Die 1771 im schulreformerisch ausgerichteten Kirchenkapitel Kyburg73 ent-standene «Anleitung für die Landschulmeister», welche bei den Zeitgenos-sen sehr beliebt war,74 schreibt die Lehrmittel75 fest, die aufeinanderfolgend im Unter richt verwendet werden sollten: In der ersten Klasse sind dies das Namen büchlein76 und der Lehrmeister,77 in der zweiten Klasse das Zeug-nisbuch78 und der Psalter79 und in der dritten Klasse schliesslich das (wahr-scheinlich Neue) Testament und diverse Handschriften. Dies mag zunächst erstaunen, ist die Anleitung doch in einem reformorientierten Kontext entstan-den, welcher zu der Zeit selbst gerade etliche neue Lehrmittel hervorgebracht hatte.80 Dennoch wird darauf verzichtet, neuere Bücher vorzuschlagen. Auch werden die zu verwendenden Lehrmittel nicht näher – etwa mit der Angabe einer bestimmten Ausgabe – bezeichnet, obwohl bereits in den 1770er-Jahren unterschiedliche Namenbüchlein und Katechismen zur Verfügung standen.

Diesen Sachverhalt kann man entweder dahingehend deuten, dass die Verfasser annahmen, alle Adressaten ihrer Anleitung würden ebenfalls den von ihnen

73 In den beiden Kirchenkapiteln Kyburg und Wetzikon wurde über die Verbesserung der Landschulen debattiert, was sich auch in einer regen Publikationstätigkeit einiger Pfarrer niederschlug. Eine Liste der in diesem Kontext publizierten Werke fasst Wernle unter der Zuordnung «religiöse Aufklärungspädagogik». wernLe, Protestantismus im XVIII. Jahrhun-dert, Bd. 2, S. 345 f.; hunziker, Reform der Zürcherischen Landschulen; Berner, Vernunft und Christentum.

74 Anleitung für die Landschulmeister 1771. Angesichts der grossen Nachfrage musste die An-leitung bereits 1775 neu aufgelegt werden und erschien 1779 auch in Basel. schwaB, Wissen, um zu handeln – Handeln, um zu wissen, S. 40.

75 Der Lehrmittel- und Schulbuchbegriff wird in der vorliegenden Studie pragmatisch verwen-det und bezeichnet alle Materialien und Bücher, welche in der Schule zum Lernen heran-gezogen wurden.

76 Die Namenbüchlein bezweckten eine kindgerechte Heranführung an eine grundlegende Buchstabenkenntnis der Frakturschrift, um so einen leichteren Einstieg in das Buchstabieren mit den Katechismen zu ermöglichen. Dazu stellten sie zunächst grosse und kleine Buch-staben vor, zeigten diese dann in einer konkreten Verwendung in Wörtern mit bloss wenigen Silben und schliesslich in Verbindung mit einer Abbildung. Es seien die «fortschrittlicheren Schulen und Eltern» gewesen, die das Kennenlernen komplizierter Buchstabenfiguren an-hand eines Namenbüchleins einüben liessen, schreibt Wyss. wyss, Die Ablösung des Kate-chismus, S. 162.

77 Der Lehrmeister ist ein kleiner Auszug aus dem Katechismus.

78 Beim Zeugnisbuch handelt es sich ebenfalls um einen Auszug aus dem Katechismus, der aller-dings voluminöser ausfällt als der Lehrmeister und in dem Bibelstellen (die Zeugnisse) den Text untermauern.

79 Wohl der Psalter Davids, eine auf Johannes Piscator zurückgehende Zusammenfassung der Psalmen. wyss, Die Ablösung des Katechismus, S. 113 f.

80 hunziker, Reform der zürcherischen Landschulen, S. 53.

favorisierten Ausgaben der Lehrmittel den Vorzug geben, oder aber, wohl die wahrscheinlichere Lesart, man interpretiert das Fehlen spezifischer Angaben als Freiraum, welcher den Schulmeistern oder den Kindern respektive ihren Eltern aus pragmatischen Gründen gewährt wurde. Dies erschien angebracht, da nicht alle Kinder überhaupt im Besitz von Schulbüchern waren. Davon zeugt etwa der Bericht des Schöfflisdorfer Pfarrers, der monierte, auf das Er-lernen von Liedern mangels Schulbüchern ganz verzichten zu müssen, weil die Eltern sie ihren Kindern nicht kauften oder kaufen wollten und die Bücher auch nicht «gratis» abgegeben werden könnten.81 Hie und da wurden Bücher-geschenke an arme Kinder aus dem Kirchengut finanziert, um das Problem der fehlenden Lehrmittel etwas zu entschärfen.82 Die übrigen Kinder brachten ihre Bücher in der Regel aus den häuslichen Beständen mit, sodass schliesslich unterschiedlichste Ausgaben oder Werke Verwendung fanden.83 Der Pfarrer in Höngg schreibt in seinem Bericht: «[…] es bringen einige brave bücher von Ihren Eltern in die Schule, welche sie daselbst lesen.»84 Ob es «brave», «gott-selige»,85 nützliche»86 oder auch einfach nur «unschädliche»87 Bücher waren, welche die Kinder mitbrachten, überwachten die Pfarrer genau, wie es laut der Prädikantenordnung auch ihre Aufgabe war.88 Der Küsnachter Pfarrer etwa beteuerte, man trage die bestmögliche Vorsorge, damit «ihnen [den

81 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Schöfflisdorf, B. b. 7.

82 So berichtet etwa der Pfarrer aus Küsnacht, arme Kinder erhielten für die wichtigsten Schul-übungen Bücher vom Almosenamt in Zürich und von der Gemeinde. Antworten auf die Schulumfrage 1771, Küsnacht, B. b. 5.

83 Dies galt nicht nur für Zürich, sondern durchaus auch für andere Kantone um 1800: messerLi, Lesen und Schreiben, S. 275–284.

84 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Höngg, B. b. 5.

85 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Schwamendingen, B. b. 5/6.

86 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Seen, B. b. 7, und Rickenbach, B. b. 5.

87 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Wipkingen, B. b. 5.

88 In der Prädikantenordnung von 1758 heisst es: «Weil die Schulen sonderlich darzu die-nen, dass die liebe Jugend bey Zeyten zu allem Guten angeführet werde, so befehlen Wir allen Unsern Preidgern zu Stadt und Land, dass sie beständig eine getreue Aufsicht auf die Schulen haben; und sich höchst angelegen seyn lassen, fromme, unverleumdete, geschikte und arbeitsame Personen zu Schulmeistern vorzuschlagen, deren Examen und Wahl, nach unsern Schul-Ordnungen, auf dem Lande, von Unsern verordneten Examinatoribus soll vorgenommen werden. Es sollen die Pfarrer die Schulen fleissig, an dem Orte, so sie wohnen, wochentlich wenigstens einmal, in den Neben-Orten, so viel es ihre Geschäfte zulassen, zu unterschiedlichen Zeiten, besuchen; sich in der Schule sezen und säumen, dem einen und andern Kinde mit Vermahnen und Rühmen zusprechen, und eigentlich gewahren, worinn sie lernen, was für Briefe, Bücher oder Schriften sie vor sich haben, damit nichts unter die Jugend komme, darvon sie verärgert und verbösert werden möchte. Es sollen auch die Pfarer die Veranstaltung machen, dass die Schulen, sonderlich an entlegenen Orten, neben ihnen wech-selweise von den Vorgesezten besuchet, und sie von denselben jedesmal berichtet werden, ob alles recht bestellet sey. Und es wird den Schulmeistern so wol, als den Kindern zu einem besondern Triebe dienen, wann jährlich, zu gelegener Zeit, in Gegenwart des Pfarers und der

nen und Schülern, A. D. V.] weder Kezerische, noch ärgerliche Schrifften in die Hände kommen».89 Mit einem generellen Vorbehalt versah der Pfarrer in Klo-ten das Mitbringen von Büchern aus dem häuslichen Privatbesitz dann, wenn die Bücher sehr alt waren und deshalb nicht mehr der aktuellen Orthografie und Ausdrucksweise entsprachen.90 Die 1771 gültige Schulordnung verbot es den Schulkindern gar, andere als die in derselben Ordnung vorgeschriebenen91 Texte, sei dies gedruckter oder handschriftlicher Art, in die Schule mitzubrin-gen: «[…] darum die Schulmeister genaue Achtung geben sollen, dass sie keine andere oder frömde, vilweniger gefährliche oder schädliche weder getruckte noch geschriebne Bücher und Sachen mit sich bringen, ja auch die Schul-meister selbs sollen nicht befügt seyn etwas einzuführen, es sey von ihnen selbs, oder jemand anderem aufgesezt, geschrieben oder sonst getruckt.»92 Die 1778 erlassene Lehrordnung beharrte auf der tradierten Lehrmittelauswahl:

Zunächst sollen die Kinder auf dem Täfelchen die Buchstaben lernen, zum Auswendiglernen sollen sie sich den kleinen und grossen Katechismus «emp-fohlen seyn lassen», dem eine vom Pfarrer «vernünftig getroffene» Auswahl an Psalmen, Gebeten und schönen Liedern hinzugefügt werden solle. Die Fähigeren und länger in der Schule verweilenden Kinder könnten sich schliess-lich das Zeugnisbuch und «die deutschliess-lichsten und lehrreichsten Stellen» aus dem Neuen Testament «mit einer kurzen Nutzanwendung» sowie «biblische Geschicht-Erzählungen etc.» vornehmen.93

Insgesamt waren im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die im Schulzimmer eingesetzten Bücherbestände heterogener Art. Oft wurden in der Praxis nicht die neusten zur Verfügung stehenden Lehrmittel benutzt. Pfarrer Hagenbuch in Kilchberg etwa hätte in seiner Kirchgemeine gerne das Gebetbuch von La-vater eingeführt, doch er wusste, dass dies nur geschehen konnte, wenn man es

Vorgesezten, ein Examen gehalten wird.» Erneuerte und vermehrte Predicanten-Ordnung, S. 35 f.

89 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Küsnacht, B. b. 6.

90 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kloten, B. b. 5.

91 Diese Schulordnung stellt keine Liste der erwünschten Lehrmittel zur Verfügung, definiert aber in den einzelnen Paragrafen jeweils genau, womit die Kinder Buchstabieren, Lesen, Schreiben oder auswendig lernen sollten: «Welche Kinder aus dem Täffel und Namenbüch-lein sind, die sollen in dem grossen Lehrmeister, und in dem gedruckten Vor- und Nachmittag zu lesen angehalten, und also noch zu keinem Geschriebnen zu lesen angeführt werden […].»

Am wöchentlichen Schulbettag hingegen «sollen die Kinder vom jüngsten an bis auf die grös-ten im Heil. Vater Unser; in den XII. Articklen des Christlichen Glaubens; in H. X. Gebot - ten; in Fragstücklenen; und Catechismo gegründet werden. Nach demselben sollen die Fehri-geren [sic] hübsche Gebett und Psalmen lehrnen, die sie auch in den Kinderlehren aufsagen und erzehlen können.» Satzungen Land-Schulen 1744, S. 9–12.

92 Ebd., S. 17.

93 Erneuerte Schul- und Lehrordnung 1778, Lehrordnung, S. 9.

den Kindern schenkte.94 Die Kinder müssten nämlich aus denselben Büchern lernen, welche bereits ihre Eltern und Grosseltern benutzt hätten, und diese stammten meist aus den ersten beiden Dritteln des 17. Jahrhunderts.95 Grund dafür waren einerseits die hohen Kosten, welche die Anschaffung von Büchern mit sich brachte, andererseits aber auch der Versuch von Eltern und Ge-meinden, auf einem von allen Generationen geteilten Wissen zu beharren.96 Möglicherweise verweist das Beharren der Eltern auf ihre Sorge, am neuen Wissen ihrer Kinder nicht teilzuhaben und somit die Wissensvermittlung und -aneignung auch nicht mehr beurteilen zu können. Vereinzelt finden sich allerdings auch Hinweise auf grosses finanzielles Engagement der Schulgenos-senschaften. So wurden etwa in Marthalen allen Kindern, «dem Reichen wie dem Armen», das Namenbüchlein und Tafelzettel aus dem Schulgut bezahlt, woraus zusätzlich in jedem zweiten Frühjahr den am Examen geschicktesten Knaben und Mädchen Bücher geschenkt wurden.97

Der heterogene und lückenhafte Bücherbestand war Gegenstand der zeitgenös-sischen Reformforderung, gemäss der einheitliche Lehrmittel für eine nach Leistungsniveaus gegliederte Gruppe von Schülerinnen und Schülern zur Ver-fügung stehen sollten.98 Dahingehend ist auch die weitverbreitete Klage über den Mangel an Schulbüchern zu interpretieren. Es fehlten nicht in erster Linie Bücher oder Schriftstücke an sich, sondern vor allem Materialien, welche es allen Kindern erlaubten, am selben Gegenstand zu lernen. Dazu gehörten etwa Klassensätze, Tabellen oder auch Wandtafeln.99 Dabei stellte in den 1770er- Jahren die Kritik an der Heterogenität der Lehrmittelbestände eine neuere und auf einzelne Pfarrer beschränkte Entwicklung dar. Noch seltener fanden sich konkrete Lösungsvorschläge für das neuerdings als solches wahrgenommene Problem. Als mögliche Remedur schlug der Knonauer Schulmeister in seiner Antwort auf die Stapfer-Enquete 1799 eine kleine Schulbibliothek vor. Die Ge-meinde habe alle Bücher in derselben Auflage in hinlänglicher Anzahl für alle Kinder angeschafft. Jedes Buch habe seine Nummer und die Bücher blieben stets in der Schule.100

94 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kilchberg, B. b. 7.

95 Am weitesten seien das Gebetbuch von (Martin) Moller aus dem Jahr 1624 und das von (Johann) Georg Heyder aus dem Jahr 1662 verbreitet. Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kilchberg, B. b. 7.

96 Dass sich dies bis in die 1830er-Jahre kaum änderte, zeigt etwa der Schulbuchstreit im Jahr 1834, bei dem sich einzelne Zürcher Gemeinden weigerten, die neuen obligatorischen Lehr-mittel einzuführen. messerLi, Lesen und Schreiben, S. 480.

97 Stapfer-Enquete, Antwort aus Marthalen (Anmerkungen), BAR, B0 1470.

98 Berner, Vernunft und Christentum, S. 75, 285.

99 messerLi, Lesen und Schreiben, S. 276, 283 f.

100 Stapfer-Enquete, Antwort aus Knonau, BAR, B0 1471.

Mit der Heterogenität ging gleichzeitig eine enorme Stabilität der Lehrmittel einher, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht wesentlich aufgebrochen wurde. Die Auswertung der beiden Schulumfragen von 1771 und 1799 ergab, dass an den meisten Schulorten ein Kern geradezu kanonisch gewordener Schulbücher Verwendung fand. Dieser Kanon bestand aus Namenbüchlein, Katechismus, Bibel und Psalter sowie Gesang- und Gebetbüchern101 und be-stimmte den Kern des Schulstoffs. So beschrieb der Pfarrer in Ützikon das, was ein Schüler oder eine Schülerin an seiner Schule zu lernen hatte, selbstverständ-lich anhand der Abfolge der gelesenen Bücher: «In der Schulle Wird Gelehrt von Namen Büchlein in ds Katechismus, und Weiters Zeugnus Psalmenbuch und Psalter Testament, und neben dem nach Zeitungen, und Geschribens.»102 Ähnlich äusserte sich der Schulmeister in Hofstetten: «a) für die Kleinen, das Nahmen oder A: B: C: Büchli b) vom Buchstabieren bis Zum lesen, der Lehr-meister c) Lesebücher – Zeugniss, Psalmen u: Testament d) Zum Unterricht in der Religion; Zeügniss; Waser büchli Psalm. U. Gellerds Lieder.»103 Sowohl die Auswahl als auch die Verwendung waren insofern typisch, als sie an vielen anderen Schulen identisch oder mit geringen Abweichungen hervortraten, wobei das, was in der zitierten Passage mit «Religion» bezeichnet wird, meist

«Auswendiglernen» genannt wurde. Lesen lernte man also schrittweise anhand der kanonischen Lehrmittel. Neuere Bücher, wie etwa das Waserbüchlein104 oder Gellerts Lieder,105 wurden, wenn überhaupt, eher zum Auswendigler-nen herangezogen. Die als Beispiel angeführte Schule Hofstetten war eine kleine Schule im Pfarrkapitel Elgg, das sich nicht durch schulreformerische Aktivitäten hervorgetan hatte. Trotzdem wich die Lehrmittelsituation etwa in Greifensee, das zum reformeifrigen Kapitel Kyburg gehörte, abgesehen von einer etwas erweiterten Palette neuerer Bücher, nur geringfügig vom genannten Beispiel ab: «Was in der all-Tag Schul gelehrt ist folgendes – Buchstabieren; Le-sen, im Innwendig lehrnen. Oft in 3. Classen eingetheilt. Iste Class: Nammen-büchli u. Lehrmeister IIte Class: Psalter u: Zeügnisse IIIte Class: Testament,

101 Am häufigsten wird 1771/72 in dieser Gruppe das «Christliche Bätt-Büchlein» (1661) von Felix Wyss erwähnt, bei den Liederbüchlein werden solche von Johannes Schmidlin, Johann Kaspar Bachofen, Christian Fürchtegott Gellert, Johann Caspar Lavater oder, seltener auch Christian Hubers «Geistliche Seelenmusic» (1682) genannt. 1799 wird dann sehr viel auf das sogenannte neue Gesangbuch verwiesen, laut Klinke (Volksschulwesen, S. 141) ist es das un-ter dem Titel «Christliches Gesangbuch oder Sammlung auserlesener Psalmen und geist licher Lieder über alle wichtigen Wahrheiten des Glaubens und der Sittenlehre, mit den beliebtes-ten Psalmen und vielen neuen, sehr leichbeliebtes-ten, vierstimmigen Choralmelodien» von Diakon Nüscheler und Prof. Däniker herausgegebene Werk aus dem Jahr 1787.

102 Stapfer-Enquete, Antwort aus Ützikon, BAR, B0 1421.

103 Stapfer-Enquete, Antwort aus Hofstetten, BAR, B0 1470.

104 waser, Schul- und Haus-Büchlein.

105 Johann Fürchtegott geLLert: Geistliche Oden und Lieder, Zürich 1761.

u. Psalmenbuch. Und dann wird geübt Biblische Geschichten u. Sittenlehren u. Erzählungen auch vom Christlich-Sittlichen u. Ausserlich wohlanständigen u. höflichen betragen gegen Gott u. gegen den Menschen.» Und weiter: «Aus-wendig wird gelernt. Der kleine u. Gross Cathechismus. Das Psalmenbüchli darinn enthalten Gebether – Lieder – Psalmen – Sprüche. Auch ist das Noth- u. Hülfs büchlein in dieser Schul.»106 Dies erstaunt umso mehr, als die Pfarrer Heinrich Escher107 und Johann Georg Schulthess108 selbst die Herstellung günstiger Schulbüchlein veranlasst hatten, die laut einschlägiger Literatur auch breite Verwendung gefunden haben sollen.109 Bloss scheint dies, nimmt man die Antworten auf die Umfragen als Grundlage, nicht im schulischen Kontext der Fall gewesen zu sein. Das schulreformerische Engagement der Pfarrer schlug sich folglich nicht zwingend in den Schulpraktiken ihrer Gemeinden nieder. Das nicht etablierte Reformwissen der Pfarrer vermochte sich nicht als curriculare Praxis durchzusetzen. Es dürfte aber dem jeweiligen Ortspfarrer dazu gedient haben, sich selbst vor seinesgleichen als kundig und offen für den fachlichen Reformdiskurs darzustellen.

106 Stapfer-Enquete, Antwort aus Greifensee, BAR, B0 1421.

107 Heinrich Escher (1728–1814) war 1760–1807 Pfarrer in Pfäffikon, Dekan des Kapitels Ky-burg von 1770 bis 1809. Er übersetzte die Schriften des NeuenKy-burger Theologen Jean Frédéric Ostervald. DeJung/wuhrmann, Pfarrerbuch, S. 259. 1773 trat Escher als korrespondierendes Mitglied der Moralischen Gesellschaft bei. Berner, Vernunft und Christentum, S. 45.

108 Johann Georg Schulthess (1724–1804) war sehr gut vernetzt und unternahm, nach seiner Ordination eine Bildungsreise nach Deutschland, um dann zunächst in Stettfurt, ab 1769 in Mönchaltorf das Pfarramt auszuüben. In Berlin hatte er 1749 mit Johann Georg Sulzer und Karl Wilhelm Ramler die Montagsgesellschaft gegründet, gehörte dem Zürcher Bodmerkreis an und war mit Schriftstellern wie Friedrich Gottlieb Klopstock und Christoph Martin Wieland befreundet. Auch redigierte er die Wochenschrift «Das Angenehme mit dem Nütz-lichen». christian moser: Art. «Schulthess, Johann Georg», Version vom 19. August 2011, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10838.php, 18. Januar 2013.

109 Wernle listet die Büchlein unter der Bezeichnung «religiöse Aufklärungspädagogik» auf:

«1. Gründlicher Unterricht zum Singen der Psalmen, Choralen und Liedern zum Gebrauch der Lehrenden und Lernenden in den Schulen. 2. Anweisung der lieben Jugend in den Schulen zu einem christlichen, sittlichen, auch äusserlich wohlanständigen und höflichen Betragen.

3. Christliche Lieder, der vaterländischen Jugend, besonders auf der Landschaft gewidmet (von Lavater). 4. Biblische Geschichten zum Gebrauch der Landschulen. 5. Unterricht über den Landbau in einem freundlichen Gespräch zwischen einem alten erfahrenen Landmann und einem jungen Bauernknab zum Gebrauch unserer Landschulen (von Prof. Cramer).

6. Auserlesene Psalmen zum Gebrauch in den Landschulen. 7. Die Grundsätze der Religion in auserlesenen Sprüchen der H. Schrift (von Diterich). 8. Anweisung zu den Anfangsgrün-den der Rechenkunst. 9. Nützliche und kurzweilige Historien für Kinder. 10. Historien und Fabeln für Kinder, 2. Teil, am Schluss mit Sittenregeln, wie ein gutartiges Kind sich zu ver-schiedener Zeit und Ort aufführen und verhalten soll. 11. Hirtenbrief über die Erziehung der Kinder auf dem Lande und über einige dem tätigen Christentum schädliche Vorurteile (von Schulthess). 12. Sittenlehrende Erzählungen für die Landschaften (aus Rochows Lesebuch zum Gebrauch der Landschulen wenig verändert von Escher und Sulzer).» wernLe, Protes-tantismus im XVIII. Jahrhundert, Bd. 2, S. 345 f.

Ein demjenigen auf der Landschaft ähnlicher Bücherkanon wurde auch an den Hausschulen der Stadt Zürich eingesetzt. Noch 1776 verzeichneten die Haus-schulmeister in ihren Verzeichnissen der Schulkinder, welche Lerninhalte vom Buchstabieren bis zum Schreiben erfassten und auch die verwendeten Lehr-mittel auflisteten, kaum je ein anderes Buch als Namenbüchlein, Katechismus (unter den Bezeichnungen Lehrmeister, Fragstücklein, Zeugnis), Psalter und die Bibel.110

Bei Fragstücklein, Lehrmeister, Zeugnis sowie grossem und kleinem Katechis-mus handelte es sich lediglich um unterschiedliche Auszüge und Versionen des Zürcher Katechismus. Nachfolgend sei ihre Entstehung grob skizziert, um die diversen Auszüge in ihrem Verhältnis zum vollen Text zu bestimmen.111 Wäh-rend der Reformationszeit existierten lediglich eine lange und eine kurze Ver-sion des Katechismus. Die lange war als religiöses Lehrbuch für Erwachsene konzipiert, während die einfacher verständliche Kurzversion für die Jugend verfasst worden war. Sowohl die lange als auch die kurze Version gehen auf den damaligen Pfarrer der Kirchgemeinde St. Peter, Leo Jud, zurück. Im 17. Jahr-hundert wurden sowohl der lange als auch der kurze Katechismus überarbeitet.

Der grössere wurde fortan der «grössere Katechismus» oder auch der «grös-sere Lehrmeister» genannt. Der kleinere hiess nun «Fragstücklein», «kleiner Katechismus» oder «kleiner Lehrmeister». Bereits in diesen Katechismen wur-den an wur-den Rändern Bibelbelegstellen, die sogenannten Zeugnisse, eingefügt.

1628 erschienen diese Belegstellen in einer eigenen Ausgabe, dem Zeugnisbuch, das 1639 überarbeitet und in 48 Sonntagspensen eingeteilt wurde. Vor jedes Pensum wurden einige Strophen aus dem Psalmenbuch von Lobwasser112 und ein Katechismusgesang gesetzt, welcher den Inhalt des vorangegangenen Pensums noch einmal zusammenfasste. Unter dem Begriff Zeugnisbuch oder

«Zeugnusse» fand auch dieses Werk bis ins 19. Jahrhundert Verwendung an den Zürcher Volksschulen.

Grundlegende Überarbeitungen des Katechismus wurden in Zürich also nicht vorgenommen. Vielmehr konzentrierten sich die Reformbestrebungen auf eine bessere Vermittlung der Inhalte des Katechismus, an denen man aber festhielt. Dennoch sind leichte Verschiebungen auch im Bereich der gelernten Inhalte – vor allem aber über neue Lehrmittel – festzustellen. Es waren vor allem die angeblich kindgerecht didaktisierten Schulbücher, die,

110 Hausschulen, Deutsche Schulen, StAZH, EI 18.1.

111 Für den gesamten historischen Abriss siehe strehLer, Kulturgeschichte der Zürcher Land-schaft, S. 110, Anm. 28.

112 amBrosius LoBwasser: Die Psalmen Davids. In teutsche Reimen gestelt. Samt Fäst- und Kirchen-Gesängen. Wie solche in den Evangelischen Kirchen jährlich gesungen werden, Bern 1699.

wie etwa das Waserbüchlein zeigt, zumindest teilweise auch traditionelle, eher dogmatisch-orthodox ausgerichtete Inhalte durch diesseitsbezogene, sittlich- moralische ergänzten und im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine grössere

wie etwa das Waserbüchlein zeigt, zumindest teilweise auch traditionelle, eher dogmatisch-orthodox ausgerichtete Inhalte durch diesseitsbezogene, sittlich- moralische ergänzten und im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine grössere

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 84-105)