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Curriculum als Forschungsbegriff

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 31-37)

Der Curriculumbegriff soll im Folgenden dazu verwendet werden, gewisse Schulpraktiken als Gegenstand dieser Untersuchung zu definieren und andere auszuschliessen. In diesem Sinn präzisiert er den mit heterogenen Bedeu-tungszuweisungen versehenen Begriff Schule inhaltlich, sodass beide Begriffe in der vorliegenden Arbeit schliesslich synonym verwendet werden können.

Insbesondere im deutschsprachigen Forschungskontext mag dies zunächst befremdlich erscheinen, da Curriculum oft mit Lehrplan gleichgesetzt wird.

Damit würden, zumindest wenn man vom traditionellen Lehrplan als Stoff-plan ausgeht, nicht nur klar die inhaltlichen Aspekte von Schulen in den Fokus gerückt, sondern auch präskriptive Verwaltungsdokumente, die Lehrpläne ja sind, anstelle von Alltagspraktiken untersucht.72 Beides soll hier aber explizit vermieden werden, denn eine Gleichsetzung von Curriculum mit Lehrplan greift zu kurz.

Der Curriculumbegriff, wie er in der angelsächsischen Forschungstradition Verwendung findet, umfasst zwar potenziell auch Dokumente wie Lehrpläne, ist aber viel breiter gefasst. So zielt er auf gesellschaftliche Erwartungen an Schulen genauso wie auch auf die vielfältigen Planungsinstrumente und Prak-tiken im Zusammenhang mit Unterricht. Dazu gehört etwa der Umgang mit Schulbüchern, Schulorganisation, Lernzielen oder auch Testaufgaben, wobei gerade der enge Zusammenhang aller Elemente betont wird.73 In seiner brei-testen Bedeutung bezeichnet Curriculum daher alles, was mit Lernerfahrungen zusammenhängt, welche ein Schüler oder eine Schülerin unter der Anleitung einer Lehrperson, einer Schule oder gar ausserhalb derselben macht.74 Ein so

Kategorien der Stapfer-Enquete folgen, berühren sie sowohl die formale Organisation als auch die Lernbereiche. Vgl. etwa panchauD, Les écoles vaudoises.

72 hopmann, Lehrplanarbeit als Verwaltungshandeln.

73 horLacher/De Vincenti, History of Curriculum in Switzerland.

74 Für einen Überblick über den Begriff Curriculum siehe Jackson, Conceptions of Curri-culum; pinar et al., Understanding Curriculum. Für ein sehr breites, auf den Bereich nicht

umfassendes Curriculumverständnis ist wohl forschungspraktisch kaum mehr zu überblicken und genauso unscharf wie der Begriff der Schule, weshalb üb-licherweise und auch für die vorliegende Studie ein enger gefasster Begriff zur Anwendung gelangt.

Ein im Kontext der Curriculumtheorie und -geschichte etablierter Zuschnitt des Begriffs, der auch dieser Arbeit zugrunde gelegt werden soll, fasst einerseits die Gliederung der Lernbereiche und andererseits die Regeln und Formen des Unterrichts oder anders formuliert die Gesamtheit der Fächer75 und die Rah-menbedingungen, unter welchen diese vermittelt werden.

Dieses Verständnis mittlerer Reichweite stösst inzwischen auch in der deutsch-sprachigen Forschungscommunity auf Anerkennung, wie ein entsprechender Eintrag im Handwörterbuch für Erziehungswissenschaften belegt.76 Das so gefasste Curriculum bietet für diese Untersuchung also einen theoretisch ge-schärften Begriff, der die beiden in der Schulgeschichte traditionell getrennt behandelten Aspekte von Schule vereint: die Lernbereiche auf der einen und den organisatorischen Rahmen von Unterricht auf der anderen Seite. David Tyack und William Tobin umrissen den Gegenstand schooling in ihrer breit rezipierten Studie zur grammar of schooling auf ähnliche Art und Weise.77 Mit schooling bezeichneten sie die «standardized organizational practices in divi-ding time and space, classifying students and allocating them to classrooms, and splintering knowledge into ‹subjects›».78 Es geht also um die Unterteilung von Raum und Zeit, um die Einstufung der Schülerinnen und Schüler und die Einteilung von Wissen in Unterrichtsfächer.79 Schooling verweist ausserdem

intendierter Lernprozesse ausgeweitetes Verständnis von Curriculum («hidden curriculum») siehe etwa Jackson, Life in Classroom.

75 Um von fest etablierten Unterrichtsfächern zu sprechen, ist es zwischen 1771 und 1834 noch etwas früh. Die Institutionalisierung derselben ist zu der Zeit gerade im Gange. Nachfolgend soll daher nicht von Unterrichtsfächern, sondern von gegliederten Lernbereichen die Rede sein.

76 künzLi, Curriculum und Lehrmittel, S. 139 f.

77 Mit grammar of schooling bezeichnen Tyack und Tobin eine Art Regelwerk, das analog zu demjenigen der Sprache (Noam Chomsky, generative grammar) vorgibt, welche Formen von Schulen (oder im Falle der Sprache Sätzen) überhaupt denkbar sind. Dieses Regelwerk ist sozial konstruiert. Die mit der grammar of schooling verbundene These von Tyack und Tobin geht dahin, zu behaupten, Schulreformen scheiterten am Widerspruch zwischen Reform-vorhaben und diesen Bildern von Schule. Erfolgreiche Reformen bedienten diese Bilder und erleichterten den Lehrpersonen vor allem das Handwerk des Unterrichtens. tyack/toBin,

«Grammar» of Schooling.

78 Ebd., S. 454.

79 Tyack und Tobin verstehen die grammar of schooling in Analogie zur Grammatik einer Sprache als die normalen Strukturen und Regeln, welche Unterricht strukturieren. Die insti-tutionalisierte grammar wirke dabei oft unbemerkt, je selbstverständlicher und etablierter die Grammatik sei, desto eher werde sie vergessen, sodass die Schule in ihrer aktuellen Struktur

viel mehr als der statische und eng an die Organisation oder Institution gebun-dene Begriff Schule auf die Handlungsdimension. Bereits in dieser Begriffsver-wendung wird deutlich, dass Schule aus den alltäglichen Praktiken, aus dem Handeln lokaler Akteure resultiert.

Die Erziehungswissenschafterin Bjørg B. Gundem forderte am Ende der 1990er-Jahre die historische Betrachtung der Lernbereiche und bezeichnete dabei das Schulfach als «grundlegendes Element jedweder Organisation eines gegebenen Schulsystems». Dabei ging sie ganz selbstverständlich davon aus, dass nicht nur die Lernbereiche, sondern ebenso die Rahmenbedingungen, unter welchen diese vermittelt würden, wichtig seien, sodass sie die Beschäf-tigung mit dem «Schulinhalt und [den] ihm zugrunde liegenden konstitutiven Elemente[n] der Schulorganisation» forderte.80 Auf die Wirkung äusserer Bedingungen des Unterrichts, wie etwa die Gliederung der Schulkinder in Klassen, die Einteilung der Schulzeit, das Mobiliar und Ähnliches, verwies auch Carlo Jenzer und strich heraus, dass gerade Widersprüche zwischen re-formierten erzieherischen Zielsetzungen und älteren Organisationsformen von Schule oft als Dissonanz von Erziehungsidee und Schulwirklichkeit unerkannt persistierten.81

Diese Vorstellung einer Einheit von Lerninhalt und Organisation der Rah-menbedingungen von Unterricht sind für die vorliegende Studie genauso konstitutiv wie auch das im Kontext der curriculum history entwickelte, handlungsorientierte Verständnis von Curriculum als «soziale[m] Artefakt»,82 als Resultat gesellschaftlichen Ringens um einen «kulturellen Kanon».83 An-gesichts dieses Verständnisses von Curriculum in der curriculum history er-staunt es kaum, dass zahlreiche Arbeiten, etwa ihres Doyens Ivor Goodson, ebendiese sozialen Prozesse der Konstruktion von Curricula untersuchten.84 Curricula seien, so Goodson, Ausdruck «of social and political priorities as well as intellectual discourse».85 Goodsons Erkenntnisinteresse zielte auf den Zusammenhang zwischen Gesellschaft und Curricula, auf die soziale

Kon-als selbstverständlich wahrgenommen werde, Kon-als «taken for granted as just the way schools are». tyack/toBin, «Grammar» of Schooling, S. 454.

80 gunDem, Schulfächer und ihre Geschichte als Gegenstand der Curriculumforschung, S. 93.

81 Jenzer, Die Schulklasse, S. 22.

82 FreDerick ruDoLph: A History of the American Undergraduate Course of Study since 1636, San Francisco 1977, S. 6, zitiert in gooDson/hopmann/riquarts, Das Schulfach als Hand-lungsrahmen, S. 35.

83 künzLi, Curriculum und Lehrmittel, S. 137.

84 Curriculum history ermögliche, so Goodson, die Analyse der komplexen Zusammenhänge zwischen Schule und Gesellschaft, «because it shows how schools both reflect and refract society’s definitions of culturally valuable knowledge in ways that defy simplistic models of reproduction theory». gooDson, Changing Curriculum, S. 62.

85 Ebd., S. 20.

struktion der Curricula mit ihren vielfältigen Akteuren.86 Konkret interessierte sich Goodson etwa für die soziale Konstruktion neuer Schulfächer sowie für die damit einhergehende Institutionalisierung als Frage der Macht. Curricula entstünden, so seine mit den oben entfalteten wissensgeschichtlichen Über-legungen durchaus kompatiblen ÜberÜber-legungen, in Konflikten um die Defini-tionshoheit über Sinn und Zweck von Schule in einer Gesellschaft und seien Ausdruck von «all sorts of shifts and interests and relations of dominance».87 Durchaus in diesem Sinn, allerdings nicht auf die Etablierung bildungspoli-tischer Neuerungen, sondern vielmehr auf die unablässige Konkurrenz von etabliertem und «unterworfenem Wissen» (Foucault) blickend, werden in der vorliegenden Arbeit curriculare Praktiken untersucht.

In der curriculum history sind Curricula aufs Engste mit Wissen verbunden, die sich auf andere gesellschaftliche Bereiche beziehen. Mit Verweis auf Emile Durkheim hat Moritz Rosenmund diesen engen Zusammenhang von Gesell-schaft, Bildung und Erziehung profiliert. Gesellschaftliche Auffassungen und Praktiken seien stets als Produkte historischer Entwicklungen zu verstehen und leiteten sich aus den Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebens ins-gesamt her.88 Aufgrund dieser engen Verflechtung gesellschaftlicher Lebens-bereiche ist davon auszugehen, dass grundlegende gesellschaftlich-politische Umbrüche auch die Curricula nicht unberührt lassen, zumal möglicherweise andere Akteure die Deutungshoheit über diese gewinnen.89 Dies muss keines-wegs mit einer funktionalistischen Lesart der Beziehung zwischen Bildung und Gesellschaft grundiert werden. Vielmehr kann man Bildungssysteme als

86 Bewegt von einem stark emanzipatorischen Impetus betonte er unermüdlich den Zusammen-hang von Curriculum und Gesellschaft und verwies damit auch auf den sozial konstruierten Charakter der Curricula: «Die Geschichte des Curriculums sollte eine systematische Analyse dieser treibenden sozialen Konstruktionen und Selektionen bieten, von denen das schulische Curriculum geformt wird, und weiterhin auch Kontinuitäten und Brüche in den sozialen Absichten über die Zeit hinweg verdeutlichen. […] Die Geschichte des Curriculums kann den Verlauf des Prozesses der sozialen Konstruktion des Curriculums erhellen und analy-sieren.» gooDson, Schulfächer, S. 40 f. Der Ausgangspunkt seiner Forschung «would be to look for the origins of the social construction that is schooling and to analyze reasons for the emergence and subsequent institutionalization of school subjects». gooDson, Changing Curriculum, S. 11.

87 raymonD wiLLiams: Politics and Letters, London 1974, S. 176, zitiert in gooDson, Changing Curriculum, S. 11.

88 rosenmunD, Bildung als soziale Institution, S. 17 f.

89 Martin Dinges beschreibt kulturellen Wandel entsprechend als Veränderung einer gesell-schaftlichen Verteilungsstruktur, bei der Akteure zum Zeitpunkt t2 gegenüber t1 in Bezug auf das Ausgangsproblem anders mit ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Ressourcen ausgestattet seien, sodass sowohl die Einordnung des Problems innerhalb der Gesellschaft als auch diese selbst verändert würden. Dinges, «Historische Anthropologie»

und «Gesellschaftsgeschichte», S. 201 f.

Ausdruck kultureller Werte und Vorstellungen einer bestimmten (nationalen) Gesellschaft in Konkurrenz mit anderen verstehen.90 In einer neoinstitutio-nalistischen Perspektive werden Institutionen91 im Sinne von objektiviertem Wissen so als prägend für die Form von Organisationen, und somit auch von Schulen, beschrieben. Demnach wären die Curricula nicht so sehr örtlich und zeitlich gebunden, sondern entsprächen vielmehr rationalisierten Mythen im Sinne von Institutionen. Unabhängig von Rationalität und Funktionalität ihrer Form seien Schulen deshalb dort ähnlich ausgestaltet, wo dieselben Mythen geteilt wurden und ähnliche sozioökonomische Ressourcen zur Realisierung derselben zur Verfügung standen.92 Dies liege daran, dass sich Organisationen

90 John W. Meyer und Francisco O. Ramirez etwa stellen funktionalistischen und rationalis-tischen Vorstellungen von der Beziehung zwischen Bildung und Gesellschaft eine kultu-ralistische und phänomenologische Lesart entgegen, gemäss der heute nicht rationale und nationale Bedürfnisse, sondern ein kulturelles und globales Modell von Entwicklung und Gerechtigkeit die Bildungssysteme lenke und daher standardisiere. meyer/ramirez, Die globale Institutionalisierung der Bildung, S. 214.

91 Dass gesellschaftliche Institutionen und Organisationen heute als soziale Konstruktion verstan den werden können, geht auf Impulse aus der Wissenssoziologie in den Siebziger-jahren zurück. Wegweisend war die Studie «Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirk-lichkeit» von Peter L. Berger und Thomas Luckmann. Sie nannten die Elemente, welche die sozial konstruierte Wirklichkeit strukturieren und selbst Ergebnis sozialer Konstruktion sind, Institutionen. Diese Institutionen, so postulierten Berger und Luckmann, stünden dem Individuum nach abgeschlossenem Institutionalisierungsprozess «als objektive Faktizitäten unabweisbar gegenüber. Sie sind da, ausserhalb der Person, und beharren in ihrer Wirklich-keit, ob wir sie leiden mögen oder nicht.» Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Kon-struktion der Wirklichkeit, S. 64.

92 Diese Kongruenz der Organisationen mit gesellschaftlichen Mythen gilt heute als eine mög-liche Erklärung dafür, dass sich etwa Schulcurricula – unabhängig von den Bedürfnissen ihrer unmittelbaren Umgebung – zumindest formal weltweit immer stärker angleichen. Das Prinzip der universalen Massenbildung sei weltweit gut institutionalisiert. Dabei wiesen die Curricula der Elementarstufe und der Sekundarstufe I weltweit beträchtliche Homogenität auf. So gut wie überall umfassten sie moderne nationale Sprachen, Sozialwissenschaften, Natur wissenschaften, Mathematik sowie moderne Kunst. Diese Standardfächer hätten sich am Ende des 19. Jahrhunderts weltweit zu etablieren begonnen. Siehe dazu etwa John w.

meyer et al.: School Knowledge for the Masses. World Models and National Primary Curri-cular Categories in the Twentieth Century, London 1992; aaron BenaVot et al.: Knowledge for the Masses. World Models and National Curricula, 1920–1987, in: American Sociological Review 56 (1991), S. 85–100. Sogar hinsichtlich der Interpretation der Fächer scheint ein ho-hes Mass an Übereinstimmung zu bestehen. Denn die Gesellschaft, für welche Bildung und deren curricularer Inhalt entwickelt würden, sei, so Meyer, nicht die reale und spezifische Gesellschaft eines bestimmten Landes, sondern vielmehr die imaginäre Gesellschaft einer eher abstrakt definierten Nation. Die Gesellschaften unterscheiden sich zwar relativ stark, nicht aber die Vorstellungen, aus denen erzieherische und curriculare Formen konstruiert werden.

Aus dieser Beobachtung folgert Meyer, dass curriculare Veränderungen von anderen Prozes-sen als üblicherweise betont verursacht werden. Obwohl dominierende KlasProzes-sen, Universi-täten, Organisationen der Lehrkräfte, Gruppierungen der gesellschaftlichen Elite sicherlich eine gewisse Rolle spielten, entstehe ein Grossteil der Veränderungen durch Verschiebungen

an den Institutionen, eben den gesellschaftlichen Erwartungen, orientieren müssten, wenn sie ihre Legitimation behalten und so ihr Fortbestehen sichern wollten. Institutionelle Regeln, die sozial konstruiertem Wissen über Schulen oder Curricula entsprächen, wirkten sich also auf Strukturen von Organisa-tionen aus, weil sie als Teil der objektiven Wirklichkeit wahrgenommen wür-den und weil die Übereinstimmung der Organisation mit diesen Regeln über die Prosperität der Organisation entscheide.93 Mary Haywood Metz betont, dass die kulturell geteilten Vorstellungen einer «real school» die tatsächlichen Ausprägungen der Schulen sowohl formell als auch informell formten.94 Da das Institutionenwissen als gesellschaftlich objektiviertes Wissen nach Ber-ger/Luckmann ein Allgemeingut gültiger Wahrheiten über die Wirklichkeit darstellt, muss jede radikale Abweichung von der institutionellen Ordnung als Ausscheren aus der Wirklichkeit erscheinen.95 Auf das zu bearbeitende Thema gewendet heisst dies, wenn sich neue Wissen zu etablieren vermögen und sich somit die Mythen oder Institutionen der Gesellschaft verändern, dann müsste sich entsprechend auch die Schule wenigstens formal an das neu etablierte Wissen anpassen, damit sie ihre Legitimation aufrechterhalten kann und von gesellschaftlichen Akteuren weiterhin getragen und gefördert wird. Wenn die Institutionen oder Mythen die Schule betreffend aber von der gesamten Gesellschaft getragen würden, müssten die Curricula aller Schulen einer Gesellschaft genau gleich aussehen. Diese Vorstellung scheint zunächst in einem scharfen Kontrast zu jüngeren Postulaten zu stehen, Schulgeschichte als Lokalgeschichte zu betreiben,96 was eigentlich zu einer sehr heterogenen, von

kultureller Vorstellungen auf dem Weltniveau. Konkret seien dies etwa Vorstellungen von einer guten und entwickelten Gesellschaft, von einem entsprechenden Individuum, von pro-fessionellen und wissenschaftlichen Doktrinen oder auch von den notwendigen Inhalten von Bildung. Hinter diesen Vorstellungen stünden kulturelle Autoritäten von weltweitem Rang.

Zum Beispiel glaube man, sozioökonomische Entwicklungen gingen von einer ausgeprägten technischen Grundlage aus. Auf dieser Annahme gegründet setze man auf eine verbesserte (wahrscheinlich auch standardisierte) naturwissenschaftliche und mathematische Bildung.

«[…] moderne Bildung ist eine abstrakte Konstruktion, die entwickelt wurde, um einer ima-ginären Gesellschaft zu dienen.» Organisationstheoretiker wie Richard William Scott oder James Gardner March betonten, dass in Entscheidungssituationen, für die es keine Sicherheit über zu erwartende Resultate gebe, auf Standardüberzeugungen und Rezepte zurückgegriffen werde. Kulturelle Modelle würden so zu Standardverfahren, die in der modernen Welt dazu tendierten, sich auf Weltniveau zu organisieren. meyer/mceneaney, Vergleichende und his-torische Reflektionen über das Curriculum, S. 178 f., 180.

93 meyer/rowan, Institutionalized Organisations, S. 350.

94 mary haywooD metz: Real School. A Universal Drama amid Disparate Experience, in:

Douglas E. Mitchell, Margaret E. Goertz (Hg.): Education Politics for the New Century, New York 1990, S. 75–91, hier S. 87 f.

95 Berger/Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 70.

96 So streicht etwa Neugebauer heraus, dass es an vielen Orten der lokale Bedarf gewesen sei, der zu Schulgründungen geführt habe, dass Dörfer ohne Zutun des Pfarrers Schulmeister

Ort zu Ort unterschiedlichen «Schullandschaft» führen müsste. Möglicher-weise überwindet den Gegensatz aber, wer über die Reichweite von Wissen nachdenkt. Obwohl traditionell der Gesellschaftsbegriff wohl die Nation zum Bezugspunkt hatte, könnte man mit Blick auf kulturelle Differenzen innerhalb von Nationen, Kantonen oder auch Regionen fragen, ob soziokulturelle Über-einstimmung möglicherweise kleiner gekammert war. Diese Räume geteilter sozialer Erfahrungen und Welt- oder zumindest Schulwissens dürften dann bei der Aushandlung ihrer Curricula ähnliche Ergebnisse hervorgebracht haben und als curriculare Räume erkennbar werden.

1.4 Curriculare Praktiken als räumliche Entfaltungen

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