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Anlage der Untersuchung und Vorgehen

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 46-49)

An die Feststellung einer permanenten Zirkulation von Wissen über Schule anknüpfend fragt die vorliegende Studie danach, zu welchen Ausprägungen der Curricula sich Normen eines Fachdiskurses, aber auch obrigkeitliche und später staatliche Normsetzungen mit tradierten Normen und Praktiken vor Ort vermischten und mit welcher Reichweite sich die so erhobenen Wissen-sordnungen entfalteten. Dabei interessiert neben der Beschreibung der Prak-tiken, ob sich über den «Lokalismus»136 hinausweisende, wiederholt ähnliche Entfaltungsräume der curricularen Praktiken im Sinne soziokulturell codierten sowie staatlich-administrativ und politisch organisierten Wissens über Schule nachweisen lassen, die dann als curriculare Räume gedeutet würden. Cur-riculare Räume wären demnach Abbilder einer Wissensordnung, indem sie eine Gruppe von Orten mit in verschiedenen untersuchten Teilbereichen der Curricula ähnlich ausgeprägten Praktiken umfassen. Die so formulierte Frage-stellung gründet auf der Annahme, obrigkeitlich-staatliche oder fachdiskursive Normen würden bei ihrer Rezeption vor Ort nicht einfach übernommen, sondern in Prozessen der De- und Rekontextualisierung als Amalgame von tradiertem und rezipiertem Wissen jeweils neu realisiert.137

Auf dem Weg zur Beantwortung der Frage werden zunächst für jeden unter-suchten Teilbereich der Curricula sowie für jeden Zeitpunkt die sich jeweils auf das gesamte Untersuchungsgebiet erstreckenden Normen in Gestalt von Gesetzen, Ordnungen und zeitgenössischen Fachdiskursen dargestellt, um anschliessend die Praktiken vor Ort in ihrer Nähe und Distanz dazu zu be-schreiben. Erhoben werden, wo immer möglich, die curricularen Praktiken der einzelnen Schulorte, um dann vergleichend die Entfaltung ähnlicher Prak-tiken im Untersuchungsraum zu eruieren. Im Hauptteil wird daher für jeden untersuchten Teilbereich der Curricula aufgezeigt, welche unterschiedlichen Ausprägungen curricularer Praktiken sich in Auseinandersetzung mit für das gesamte Untersuchungsgebiet gültigen Normen herausgebildet hatten und wie sich die unterschiedlichen Praktiken über das untersuchte Gebiet verteilten.

An diese Darstellung der curricularen Teilbereiche schliesst die erst in der synoptischen Zusammenschau der Teilergebnisse beantwortbare Frage nach curricularen Räumen an. Gab es Orte, die für unterschiedliche Teilbereiche jeweils ähnliche Ausprägungen der Curricula aufwiesen? Wenn sich gewisse Ensembles von Orten immer wieder ähnlich zu den beschriebenen Normen

136 neugeBauer, Kultureller Lokalismus und schulische Praxis.

137 Siehe dazu Kapitel 1.1; auch die obrigkeitlich-staatliche und fachdiskursive Normsetzung wird als Ergebnis von Wissenszirkulation begriffen, in dieser Studie aber nicht untersucht.

verhielten, dürfte dies kaum dem Zufall geschuldet gewesen sein. Vielmehr soll dies als Ausdruck ähnlicher Wissensordnungen gedeutet werden, die lokal unter den jeweils gegebenen Voraussetzungen als curriculare Praxis soziokul-turell codiert sowie staatlich-administrativ und politisch organisiert wurden.

Die wiederholte Entfaltung von curricularen Praktiken und somit auch von Wissen über Schule im Raum nach ähnlichem Muster wird schliesslich mit dem Begriff des curricularen Raumes eingefangen.

Die Curricula werden für die Untersuchung in Teilbereiche, wie etwa Lesen, Realien, Schullokal oder Klasseneinteilung, zerlegt, welche zunächst auf der Basis jeder einzelnen Schule für die untersuchten Zeitpunkte beschrieben werden. Jedem dieser Teilbereiche ist ein Kapitel der Arbeit gewidmet, das jeweils sowohl die virulenten Normen als auch die unterschiedlichen Aus-prägungen der curricularen Praktiken darstellt und schliesslich die Entfal-tungsräume ähnlicher Ausprägungen der Curricula in der synchronen und diachronen Dimension beschreibt. Diese Kapitel werden jeweils quellennah strukturiert. Das heisst, es werden zunächst für jeden Bereich normative oder auch praktische Verschiebungen beschrieben und damit markiert, was in der Zeit selbst gerade zur Disposition stand. Beschrieben wird die Etablierung neuer Normen, welche etablierte Praktiken delegitimierten. Wie weit der Gültigkeitsbereich einer neuen Norm war und wie explizit diese war, ist damit nicht entschieden. Zuweilen wurden vor Ort praktische Neuerungen ein geführt, die das normative Gefüge auf staatlicher oder fachdiskursi-ver Ebene kaum bewegten, zuweilen wurden lokale Praktiken aber auch durch neue Normen in den Gesetzen oder im pädagogischen Fachdiskurs herausgefordert. Konkret erfolgten solche Verschiebungen etwa durch die Einführung eines neuen Lehrmittels, einer neuen Methode, eines neuen Faches oder auch durch eine neue Art der Unterrichtsorganisation. Diese Verschiebungen und Kon troversen lenken den Blick auf Wissensbereiche, deren Ordnung gerade neu ausgehandelt wurde, deren alte, etablierte oder institutionalisierte Formen sich also zu verflüssigen im Begriff waren, um schliesslich entweder einer neuen Wissensordnung zu weichen oder über längere Zeit umkämpft zu bleiben.

Zur allgemeinen Orientierung wird zu Beginn des jeweiligen Kapitels jeder Teilbereich mit seinen zu bearbeitenden normativen und praktischen Verschie-bungen kurz eingeführt und damit die Wissensordnung mit ihren umkämpften Bereichen skizziert. Auf die Beschreibung der beobachtbaren normativen und praktischen Verschiebungen insgesamt folgt jeweils die detaillierte Darstellung der entsprechenden lokalen curricularen Praktiken, deren Nähe und Distanz zu den Normen genauso diskutiert wird wie die Entfaltungsräume jeweils ähnlicher Praktiken. Diese Entfaltungsräume zeigen lokale Wissensordnungen

auf, deren Begründungen sowie De- und Relegitimation über die qualitativen Quellenauswertungen herausgearbeitet werden. Dazu werden Argumente verschiedener Akteure für oder gegen debattierte Neuerungen dargestellt. Vor-bereitend auf die im Schlussteil diskutierte Frage nach curricularen Räumen werden zudem die räumlichen Verteilungen der einzelnen Praktiken in den curricularen Teilbereichen in ihren Überlappungen mit anderen räumlichen Verteilungen, wie etwa der Erwerbsstruktur oder auch kulturellen Orientie-rungen (zum Beispiel aufklärerische Sozietäten), analysiert.138 Es sind diese Verteilungen, die im Schlussteil auf Wiederholungen geprüft werden, um wiederholt ähnlichen Entfaltungsräume für die untersuchten Teilbereiche zu beschreiben. Erst wenn sich curriculare Praktiken für mehrere untersuchte Teilbereiche wiederholt ähnlich im Raum verteilen, soll von einem curricularen Raum die Rede sein.

Zur Visualisierung der Verteilungen curricularer Praktiken im untersuchten Gebiet werden Karten verwendet, die mit einer Geoinformationssoftware (ArcGIS) erstellt wurden. Sie basieren auf geografischen Koordinaten für jeden eruierten Schulort zu jedem untersuchten Zeitpunkt, welche mittels Excelformeln von reinen Papierblattkoordinaten zu schweizerischen Landes-koordinaten mutiert wurden. Dazu wurden die PapierLandes-koordinaten auf ihren einzelnen Erfassungsblättern der historischen Karten mithilfe von Excelfor-meln in ein lokales zusammenhängendes Koordinatensystem umgerechnet und diese anschliessend im geografischen Informationssystem (GIS) mithilfe von Passpunkten ins Landeskoordinatensystem transformiert. Diesen Koordinaten konnten schliesslich die in den Quellen erhobenen Werte für die untersuchten curricularen Teilbereiche zugewiesen und so auf den Karten dargestellt wer-den. In einer ersten Arbeitsphase wurde zudem zur visuellen Plausibilisierung der Erhebung mit dem Java Applet MAPresso gearbeitet. Auf den Karten wur-den die Namen der Schulorte aus Platzgrünwur-den abgekürzt, die Kurzformen der Namen sollten jedoch immer noch auf den vollen Namen verweisen. Ein alphabetisches Verzeichnis mit den Auflösungen der Kurznamen sowie der Zuordnung der Orte zu den Kirchgemeinden findet sich für jeden untersuch-ten Zeitpunkt im Anhang.

Um die Diskussion der Ergebnisse terminologisch einigermassen konsistent bewältigen zu können, werden Angaben zur Lage eines Ortes im untersuchten Gebiet für das gesamte 18. Jahrhundert mithilfe der Kirchenkapitel gemacht, sodass ein Ort also als im Kapitel Kyburg, im Kapitel Eglisau etc. gelegen bezeichnet wird. Damit soll keineswegs das Kirchenkapitel als Einflussgrösse

138 Zur groben Orientierung hinsichtlich der Verteilung der Protoindustrie sowie der Formen der Landwirtschaft siehe die entsprechenden Karten im Anhang.

auf die Curricula stark gemacht, sondern lediglich eine konsistente und von ortsunkundigen nachvollziehbare Diskussion der kartografischen Ergebnisse ermöglicht werden. Dies erscheint für den Zeitschnitt 1771 ohnehin gerecht-fertigt, da die Kirchenkapitel auch mit der normativen Ausgestaltung und Aufsicht der Volksschulen betraut waren. 1799 verbleibt die lokale Schul-aufsicht zwar bei den Pfarrern, diese werden administrativ allerdings neu den helvetischen Distrikten zugeordnet. Die administrative Umbettung hatte bis zum untersuchten Stichjahr 1799 jedoch kaum Auswirkungen auf die lokale Aufsichtspraxis,139 weshalb es angesichts einer dadurch herzustellenden be-grifflichen Konsistenz sinnvoll erschien, auch für diesen Zeitschnitt weiter mit den Namen der Kirchenkapitel zu operieren und so die Einführung von neuen Distriktnamen zur Bezeichnung derselben Gebiete zu vermeiden. Für den Zeitschnitt 1834 wurden zur Verortung der Curricula dann allerdings die damals gebräuchlichen Bezirkseinteilungen und -namen hinzugezogen und, wo dies sinnvoll erschien – etwa bei Vergleichen –, mit doppelter Benennung auf die entsprechenden Kirchenkapitel verwiesen.140

Abschliessend werden die zu analytischen Zwecken in Teilbereiche zerlegten Curricula in einer Zusammenschau diskutiert. Dies erfolgt nach den drei die einzelnen Kapitel strukturierenden Aspekten der Fragestellung: Zunächst wer-den die normativen Verschiebungen in Fachdiskurs und Gesetzen dargestellt, anschliessend diejenigen in den curricularen Praktiken vor Ort, um darauf aufbauend schliesslich die Frage nach curricularen Räumen, das heisst nach wiederholt ähnlichen Entfaltungsräumen bestimmter curricularer Praktiken in unterschiedlichen untersuchten Teilbereichen, zu beantworten.

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 46-49)