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Effizienter und nützlicher Schreibunterricht? Eine Kontroverse um Zier- und Frakturschreiben oder orthografisches Kurrentschreiben

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 106-112)

2.3 Schreiben 1771 und 1799

2.3.1 Effizienter und nützlicher Schreibunterricht? Eine Kontroverse um Zier- und Frakturschreiben oder orthografisches Kurrentschreiben

Der zeitgenössische Reformdiskurs der Zürcher Pfarrer war beherrscht vom Versuch, eine am utilitaristischen Denken der Zeit ausgerichtete Vorstellung des Schreibunterrichts zu propagieren. Die diesem Reformkontext entstam-mende Schulumfrage von 1771 etwa zeugt selbst von den Forderungen nach Ausrichtung des Schreibunterrichts auf Kurrentschrift und Orthografie, indem sie suggestiv nach dem Stellenwert des Auszierens von Buchstaben und des Frakturschreibens fragte: «Wird beym Schreiben keine Zeit unnüzer Weise auf Auszierungen der Buchstaben, und auf das sehr entbehrliche Fraktur- Schreiben verwandt?»190 Diese suggestive Frageform verleiht dem Reforman-liegen Nachdruck und ist wohl als Hinweis auf eine gewisse Bedeutung des Fraktur- und Zierschreibens in den alltäglichen Praktiken der Landbevölke-rung zu lesen. Diese lag, wie noch zu zeigen sein wird, weniger im Bereich des Schreibunterrichts als vielmehr im Bereich der häuslichen Beschäftigungen der gemeinen Leute mit der Zierschrift.191

Die Bestrebungen der reformorientierten Zürcher Pfarrer zielten im Namen von Nützlichkeit und Effizienz in erster Linie auf die Etablierung der als nütz-lich erachteten Kurrentschrift und der Orthografie, welche die ältere Praxis des Zier- und Frakturschreibens verdrängen sollten. Dies wird etwa im Bericht aus Erlenbach deutlich, wenn der Pfarrer ausführt: «Ich sage [dem Schulmeister, A. D. V.] aber oft, dass dieses Fractur schreiben, welches oft die Schulmeister

190 Antworten auf die Schulumfrage 1771.

191 So berichteten etwa die Pfarrer in Flaach und Weiningen, in der Schule werde weder das Aus-zieren der Buchstaben noch das Frakturschreiben praktiziert oder erlaubt. Doch einige übten das Frakturschreiben zu Hause und man lasse denjenigen, die Geschick dazu haben, diese Freiheit. Antworten auf die Schulumfrage 1771, Flaach, B. b. 15.

ihren Kindern zeigen, ehe sie die Current schrift verstehen, nur um ihre ge-schicklichkeit an tag zulegen, in den Landschulen ganz unnüz […] sondern für Bauers leüte genug seye, wenn sie die buchstaben nur so machen können, dss ihre handschrift leserlich sey, und anderseits, dss sie einiche fertigkeit darinn erlangen.»192 Besonders deutlich wird die Orientierung am Effizienzgedanken in der Antwort aus Weisslingen, wo der Pfarrer schreibt, in seiner Gemeinde verbrauche man «zum auszieren der buchstaben und Fractur-schreiben, keine Minuten».193 Dahingehend ist auch die Antwort des Pfarrers in Schönenberg zu interpretieren: «[…] der schulmeister pflegt alles das jennige aus zuweichen wordurch die zeit verschwendet wird.»194

Zwar gaben tatsächlich die meisten Berichte an, das Auszieren von Buchstaben sowie das Frakturschreiben spielten eine untergeordnete Rolle im Schreib-unterricht. Doch darf auch diese Aussage nicht in jedem Fall vorschnell mit einem Bekenntnis zum skizzierten Reformdiskurs gleichgesetzt werden. An etlichen Orten beherrschten die Schulmeister schlicht die Fraktur- und Zier-schrift nicht, sodass sie diese auch nicht lehren konnten.195 Vielmehr waren Haltungen und Praktiken, sowohl bei den Pfarrern als auch bei den gemeinen Leuten heterogen. Diese Heterogenität zeugt wiederum von latenten und zuweilen auch offenen Konflikten, welche sich aus der Konkurrenz der als legitim erachteten Wissensbestände ergaben.

Ein Kreis von Pfarrern äusserte sich trotz des suggestiv formulierten Frage-bogens und zuweilen unabhängig von den an den Schulen ihrer Gemeinden etablierten Praktiken positiv über das Fraktur- und Zierschreiben196 und hob die Lust und das Engagement hervor, mit dem Schulkinder sich dem Zier- oder Frakturschreiben hingäben. So etwa der in diesem Punkt differenziert argumentierende Pfarrer in Küsnacht, der das in seinen Augen Nützliche im scheinbar Unnützen herausstreicht: «In unsern beyden Schulen sind wenige Knaben, die sich die zeit und die Mühe nemen, grosse zierlich verzogene Buch-staben mahlen zulernen, oder sich in der Fractur-Schrifft zu üben. Diejenige,

192 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Erlenbach, B. b. 15.

193 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Weisslingen, B. b. 15.

194 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Schönenberg, B. b. 15.

195 So etwa die Schulmeister in Unterschlatt, Waltenstein, Turbenthal, Weisslingen, Teilingen, Neschwil, in allen neun Schulen der Kirchgemeinde Uster mit Ausnahme von Kirchuster, wo der Schulmeister ein «meister im schreiben» sei, oder auch in Wipkingen. Einen Beleg für einen bewussten Verzicht auf Auszieren und Frakturschreiben liefert etwa die Antwort auf die Schulumfrage von 1771 aus Hombrechtikon. Dort heisst es, das Auszieren von Buch-staben und Frakturschreiben werde nicht gelehrt, das behalte der Schulmeister für sich. Ant-worten auf die Schulumfrage 1771, Schlatt, Turbenthal, Weisslingen, Uster und Wipkingen, Hombrechtikon, B. b. 15.

196 Antworten auf die Schulumfrage 1771, zum Beispiel Dinhard, B. b. 15.

welche es thun, haben ihre Freüde daran, und machen sich eine Ehre daraus, eine mehr als gemeine Geschiklichkeit darinn zuzeigen, welches so dann für sie eine Ergetzlichkeit und eine Aufmunterung ist, die man ihnen so vielweniger missgönnen darf, da sie desswegen eine saubere Current-Schrifft sich anzuge-wehnen gar nicht verabsaümen, und solche Schrifft-zierathen [sic] zwar nicht von grossem Nutzen und Nothwendigkeit, doch auch nicht ganz ohne Nutzen sind, indem selbige immer in einigen Gerichtlichen Schrifften gebraucht wer-den, und diejenige, welche selbige nicht selbst nachahmen […] gelernt, auch so viel mehrere Mühe und Schwierigkeit finden sie zu lesen, wenn sie ihnen unter die Hände kömmt, übrigens aber keine andre als die sonst gewöhnliche Schreib-Stunden darzu angewendet werden.»197 Ähnlich betont der Bericht aus Wollishofen die Nützlichkeit jedweder Schriftbeherrschung: «wenn die, welche schreiben lernen, es auch dahin bringen können, dass sie eine saub[er]

e u: sogar zierliche schrifft, u: wann es auch canzleyisch oder Fractur were, verfertigen können, so halte ich dafür, dass damit keine Zeit unnüzer weise an-gewendet werde. dise frage ist ab[er] in ansehung der meisten schule gar über-flüssig, weil darin wenig werk davon gemachet wird.»198 Der Pfarrer in Elsau hingegen rechtfertigte den Verstoss seiner Schulen gegen die im Fragebogen mehr oder weniger implizit enthaltene Norm damit, dass er die Schulkinder Buchstaben auszieren und in Frakturschrift üben lasse, um bei ihnen damit Lust auf das schulische Schönschreiben zu wecken.199 Der Pfarrer in Embrach verwies ausserdem auf das Schreiben als häuslichen Zeitvertrieb, der in jedem Fall dem Herumlaufen auf den Gassen vorzuziehen sei, betont also seinen sittlich-moralischen Wert.200

Dass im Zusammenhang mit dem Zier- und Frakturschreiben von Begeisterung und Lust, ja «begierde»201 der Schulkinder die Rede ist, hebt diesen Lern-bereich von vielen anderen ab und zeugt wohl davon, dass an diesem Punkt ein schulischer Lerninhalt mit einer lebendigen Praxis der gemeinen Leute zusammenfiel. So machen 1771/72 tatsächlich viele der Antwortschreiben auf die Beliebtheit des Fraktur- oder Zierschreibens bei der Landbevölkerung aufmerksam. Es wird deutlich, dass die Schulaufseher an verschiedenen Or-ten einen unterschiedlichen Umgang damit pflegOr-ten. In KloOr-ten etwa hielOr-ten

197 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Küsnacht, B. b. 15.

198 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Wollishofen, B. b. 15.

199 Dieselbe Argumentation in Affoltern bei Höngg: «Man siehet mehr auf das nöthige current – als aber das entbehrl. Fractur-Schreiben. doch wenn jenes nicht übel von statten gehet, so siehet man dieses wie auch das auszieren der buchstaben nicht ungern, sie üben sich darmit im Zeichnen, u. machet ihnen mehr Lust zum Schreiben.» Antworten auf die Schulumfrage 1771, Elsau und Affoltern bei Höngg, B. b. 15.

200 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Embrach, B. b. 15.

201 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kyburg, B. b. 15.

die Landleute «vil auf der auszierung der buchstaben, und auf dem fraktur- schreiben», weshalb die Knaben, welche bereits Kurrent schreiben könnten, es lernen dürften.202 Weitere Pfarrer versuchten, wie etwa derjenige in Regens-dorf, die Leidenschaft für das Zier- oder Frakturschreiben als Motivator für den schulischen Schreibunterricht zu nutzen. Er habe schon oft angemerkt, dass gerade diejenigen die «besten schreiber und fähigsten Köpf worden sind», welche inner- und ausserhalb der Schule Zier- und Frakturschrift geübt hätten, ja dass dieses ein «Triebrad» zum Erfolg gewesen sei. Aus diesem Grund lasse er es massvoll zu.203 Etliche Pfarrer versuchten jedoch auch, die ihnen unliebsamen Schreibpraktiken gänzlich zu unterbinden. So etwa in Kyburg, wo das Frakturschreiben in der Schule nicht lange gedul-det worden sei. Man gebe den Kindern Anleitung, ihrer Begierde dazu zu Hause nachzuhängen.204 Ähnlich ablehnend äusserten sich weitere Berichte etwa aus Turbenthal, Schwamendingen und Hettlingen. Der Pfarrer in Turben thal versicherte, die Frakturschrift lasse er «keinen» schreiben, «nur Canzleyisch u. Corent u. das so viel möglich nach der Orthographie»,205 und der Pfarrer in Wallisellen beantwortete die Frage, ob Zier- und Fraktur-schreiben an den von ihm beaufsichtigten Schulen praktiziert werde, lapidar mit «gewiss nicht».206

Aus den ausgewerteten Antworten wird insgesamt deutlich, dass das Aus-zieren von Buchstaben und das Frakturschreiben ältere, an gewissen Orten weiterhin gut etablierte, an anderen Orten allerdings auch delegitimierte Schreibpraktiken waren, während die Forderung nach einem vornehmlich an Kurrentschrift und Orthografie ausgerichteten Schreibunterricht zu Beginn der 1770er-Jahre noch eher jung war. So bemerkte etwa der Pfarrer in Herr-liberg, auf die Auszierung grosser Buchstaben und das «vordemm so hoch ge-schäzte fractur schreiben» werde keine oder nur sehr wenig Zeit verwendet.207 Auch die Antwort aus Altstetten verweist auf die abnehmende Bedeutung des Frakturschreibens, das «nicht mehr so üblich» sei.208 In beiden Fällen wurde die ältere Schreibpraxis von neueren, an Kurrentschrift und Orthografie orien-tierten Praktiken abgelöst.

202 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kloten, B. b. 15.

203 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Regensdorf, B. b. 15.

204 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Kyburg, B. b. 15.

205 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Turbenthal, Hettlingen und Schwamendingen/Oerli-kon (Schulmeister), B. b. 15/16.

206 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Wallisellen, B. b. 15.

207 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Herrliberg, B. b. 15.

208 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Altstetten, B. b. [9]. Auf einen Rückgang dieser Schreibpraxis verweisen auch die Antworten aus Altikon und Greifensee. Antworten auf die Schulumfrage 1771, Altstetten und Altikon, B. b. 15.

Die Verfechter einer einfachen, leserlichen, aber orthografisch korrekten Schrift sahen sich bei ihren Reformbemühungen demnach zuweilen im Wider-spruch zu tradierten, teilweise noch gut etablierten Schulpraktiken und damit zu Schreibwissen der ländlichen Bevölkerung. Sowohl Befürworter als auch Gegner eines effizienten und nützlichen Schreibunterrichts hielten zudem die Schulmeister oftmals nicht für fähig, die Kinder in Orthografie zu unterrich-ten. Die Pfarrer des Kapitels Wetzikon bemerkten diesbezüglich, Schulmeister seien auf dem Land meist «nicht Schönschreiber, geschweige rechtschreiber», dies zeigten ihre Schriften an.209 Die Befürchtung, ein auf Orthografie und Kurrentschrift ausgerichteter Schreibunterricht würde sowohl Schulkinder als auch Schulmeister überfordern, findet sich nicht selten. Dahingehend äusserte sich etwa der Bericht aus Wollishofen, der betont, wie voraussetzungsreich das orthografische Schreiben sei. Man müsse die Sprache «nach der Etymologie u: Syntax, ja […] noch andero Sprachen» studiert haben und verstehen, weil

«gar vile frömde wörter (wie grad das wort orthographie ist)» in der deutschen Sprache verwendet würden. Rhetorisch fragt er deshalb: «Wil mann ab[er]

dises von bauren-schulmeistern u: bauren-Kinderen erwarten?»210 Damit ver-weist der Pfarrer selbst auf unterschiedliche, wiederum konkurrierende Wis-senspraktiken, welchen mit dem Hinweis auf ein angeblich unwissendes Volk kaum Rechnung zu tragen ist.

Auch hinsichtlich der Lehrmittel wurde die Orientierung des Schreibunter-richts an Orthografie und einer schönen, einfachen Schrift eingefordert. So wurde etwa beklagt, es fänden sich unter den Lehrmitteln viele ältere Werke, welche nicht den zeitgenössischen Regeln der Rechtschreibung entsprächen.211 Die einzige Ausnahme habe, so die Antwort aus Wetzikon, in den frühen 1770er-Jahren nur gerade das Neue Testament mit Osterwalds Anmerkungen dargestellt.212 Es sei, schreibt auch der Pfarrer in Dättlikon, an den Landschulen zudem «ein grosser fehler», dass man den Kindern anstatt guter Vorschriften entweder altes Geschriebenes oder gar alte Druckschriften vorlege.213 Dennoch wurden aber an etlichen Schulen das «Auswendigschreiben» oder das

209 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Wetzikon, B. b. 16.

210 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Wollishofen, B. b. 16.

211 Messerli sieht um 1800 die «Toleranz der Gebildeten der unorthographischen Schreibart der Unterschicht gegenüber» erschöpft. Richtiges Schreiben und richtiges Verstehen gälten seit dem Zeitpunkt als «Voraussetzung einer funktionierenden Kommunikation von oben nach unten». messerLi, Lesen und Schreiben, S. 37. Eine eigentliche Normierung der Rechtschrei-bung findet allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts statt. So erscheint etwa Konrad Dudens «Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache» zum ersten Mal 1880 in Leipzig.

212 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Globalantwort Wetzikon, B. b. 18.

213 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Dättlikon, B. b. 17.

ben» als nächsthöhere Stufe des «Abschreiben[s]» praktiziert oder das Diktat als neuer Weg zu einer orthografisch korrekten Schrift gepflegt.214 So berich-tete etwa der Pfarrer in Seen, für Frakturschreiben oder für das Auszieren von Buchstaben sei keine Schulzeit vorgesehen. Indem täglich etwas diktiert werde, versuche man aber, den Knaben das «Geschwind-Schreiben» beizubringen.215 Schreiben galt demnach nicht nur bei den reformorientierten Pfarrern, sondern durchaus auch in den Schulpraktiken etlicher Orte als nützliche Fähigkeit, welche die Schulkinder später praktisch anwenden sollten.

Die Forderung eines an der Schreibfähigkeit orientierten Schreibunterrichts wurde daher nicht nur von reformorientierten Pfarrern erhoben, sondern an etlichen Orten auch von den Landleuten selbst. So verlangten Eltern etwa in Lufingen oder Regensberg, dass ihre Kinder früher schreiben lernten, als dies die etablierten curricularen Praktiken vorsahen, welche den Schreib unterricht erst nach dem Erwerb der Lesefähigkeit einsetzen liessen: «Das kind solte vorhero vollkomen können lesen ehe man mit dem schreiben anfanget zu-weilen wollen es die elteren vom schulmeister früher erzwingen.»216 Da die Schulkinder in Lufingen verhältnismässig lange zur Schule gingen, nämlich bis zum vierzehnten Altersjahr,217 kann diese Forderung wohl als Votum für die Schreibfähigkeit gelesen werden und muss nicht allein dem elterlichen Ansinnen zugeschrieben werden, die Kinder möglichst rasch den gesamten Stoff zu lehren, um sie dann möglichst früh der Schule zu entziehen. Im zweiten erwähnten Bericht fehlt eine konkrete Altersangabe zur Schul-entlassung, doch deutet die zitierte Stelle selbst darauf hin, dass die Kinder weiterhin zur Schule gingen, auch wenn sie bereits schreiben lernten: «Zum schreiben werden sie zugelassen, erst wann sie lesen können, zwingen Elteren die schulmeister dises zuthun, ehe sie recht lesen können, so müssen sie dises fleissig auch darbey treiben.»218

Sowohl der Reformdiskurs der Pfarrer als auch die Praktiken des Schreib-unterrichts vor Ort befanden sich 1771/72 also in einer Übergansphase, welche wiederum die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Wissensformen und -praktiken virulent werden liess, weil ehemals etabliertes Wissen delegitimiert worden war. Das Zier- und Frakturschreiben spielte in den Unterrichtsprak-tiken nur (noch) eine untergeordnete Rolle, sei dies, weil sich orthografisches

214 Explizit erwähnt wurde das Auswendigschreiben oder das Schreiben in Abgrenzung zum Abschreiben etwa an den Schulen in Bachs, Seen, Russikon, Dielsdorf, Regensberg, Wei-ningen, Trüllikon, Flaach, Töss, Hirzel, Hombrechtikon, Kilchberg, Küsnacht oder Kreuz (Hirslanden). Siehe entsprechende Antwortschreiben, B. b. 16–18.

215 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Seen, B. b. 16.

216 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Lufingen, B. b. 13.

217 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Lufingen, A. b. 1.

218 Antworten auf die Schulumfrage 1771, Regensdorf, B. b. 13.

Kurrentschreiben etabliert hatte, sei dies, weil die Schulmeister selbst schlecht schreiben konnten oder der Schreibunterricht kaum nachgefragt wurde.219 So etwa in Zumikon, wo der Bericht sich vom Zier- und Frakturschreiben klar dis tanziert, doch auch festhält, (schulisches) Schönschreiben und Recht-schreiben seien zwei Hauptmängel an dieser Schule.220 Reformdiskurs und Unterrichtspraktiken waren zwar in der Tendenz durch eine Verschiebung des Fokus weg von Zier- und Frakturschreiben hin zu Kurrentschrift und orthografischem Schreiben gekennzeichnet, verschiedene Haltungen beiden Schreibpraktiken gegenüber koexistierten und konkurrenzierten sich aller-dings weiter. Auch knapp dreissig Jahre später, dies zeigen die Antworten auf die Umfrage von 1799, dauerte diese Parallelität der Wissen und somit auch Praktiken weiter an: An etlichen Orten, wie etwa in Mittelleimbach, lernten die Kinder zunächst «schreiben», danach erst «auswendig schreiben»,221 wo-bei «schreiben» demnach auf das traditionelle Abmalen von vorgezeichneten Buchstaben und Wörtern verweisen dürfte, während «auswendig schreiben»

wohl die eigenständige Verschriftlichung von gesprochener oder gedachter Sprache bezeichnete.

2.3.2 Zunehmende Didaktisierung von Methoden und Lehrmitteln

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 106-112)