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Gesellschaftliche Selbstbeschreibungen 593 und ihre Tradierung in den Lehrmitteln für Geschichte und Geografie

Im Dokument Schule der Gesellschaft (Seite 192-200)

Lesen und Schreiben zusammen denken

2.8 Realien 1771, 1799 und 1834

2.8.3 Gesellschaftliche Selbstbeschreibungen 593 und ihre Tradierung in den Lehrmitteln für Geschichte und Geografie

Geeignete Unterrichtsmaterialien mussten in den Augen des Erziehungsrates zu Beginn der 1830er-Jahre zunächst entwickelt werden.594 Eine entsprechende Ausschreibung datiert auf das Jahr 1832.595 Die im Zuge dieses Wettbewerbs neu verfassten Lehrmittel wurden ab 1833 sukzessive für obligatorisch erklärt.

Den Anfang machten Erziehungs- und Regierungsrat im Dezember 1833 mit dem Schulgesangbuch596 und den Tabellen für den Gesangsunterricht von Hans Georg Nägeli,597 darauf folgten die Lehrmittel für Religion, Schreiben (zunächst Wandvorschriften, dann Vorlageblätter für Kalligrafie) und Zahlen-lehre. Erst im Jahr 1836 wurde schliesslich auch ein Realienlehrmittel598 zur allgemeinen Einführung an den Volksschulen bestimmt.599 Die eingegangenen Wettbewerbsbeiträge, insbesondere die Gesundheitslehre, missfielen dem

Er-592 Schweizerischer Kinderfreund. Ein Lesebuch für Bürger- und Volksschulen, Schweiz 1808, S. V.

593 Matthias Fuchs begreift in seiner Studie über die Volksschullesebücher im Kanton Aargau das Lesebuch mit Wolfgang Jacobmeyer als «nationale Autobiographie». Ohne den nationalen Fokus vorauszusetzen, wird in der vorliegenden Untersuchung, angelehnt an dieses Konzept, mit Blick auf die Geschichte nach der Selbstbeschreibung der Gesellschaften in den Lehr-büchern für Geschichte und Geografie gefragt. Fuchs, «Dies Buch ist mein Acker», S. 10.

In eine ähnliche Richtung argumentieren Künzli et al., wenn sie schreiben, Arbeit an einem Lehrplan sei immer auch Arbeit am Selbstbild einer Gesellschaft im Allgemeinen und ihrer staatlichen verfassten Gemeinschaft im Besonderen. künzLi et al., Der Lehrplan, S. 267.

594 Zu den diversen Schwierigkeiten des Erziehungsrates, die gewünschten Lehrmittel erarbeiten zu lassen und sie schliesslich als obligatorisch festzusetzen und einzuführen vgl. guBLer, Zürcherische Volksschule, S. 145–152.

595 Lehrmittel nach 1832, StAZH, III Eb 9a1.

596 hans georg nägeLi: Schulgesangbuch von dem Zürcherischen Erziehungsrathe für die Schulen des Cantons Zürich verordnet, Zürich 1833.

597 Obwohl im Beschluss des Erziehungsrates immer von Nägelis Tabellenwerk die Rede ist, muss es sich um folgendes Werk handeln: michaeL traugott pFeiFFer, hans georg nä

-geLi: Musikalisches Tabellen-Werk für Volksschulen zur Heranbildung im Figural-Gesang, Zürich 1833. Schon die ebenfalls von Pfeiffer und Nägeli gemeinsam verantwortete «Gesang-bildungslehre» aus dem Jahr 1810 wurde oft Nägeli allein zugeschrieben, möglicherweise weil sie von Hans Georg Nägeli & Companie verlegt worden war.

598 [S. n.]: Realbuch für die Zürcherischen allgemeinen Volksschulen. Geschichtliche Abteilung, Zürich 1836.

599 Vgl. entsprechende Beschlüsse unter Lehrmittel nach 1832, StAZH, III Eb 9a1.

ziehungsrat jedoch, sodass er 1834 beschloss, mit der ganzen Arbeit von vorne zu beginnen, diesmal aber für die Ausarbeitung der einzelnen Abschnitte Sachbearbeiter zu bestimmen.600 Da die Lehrerschaft immer ungeduldiger nach einem Lehrmittel verlangte, übernahm Scherr schliesslich die Hauptredaktion, arbeitete den geschichtlichen Teil erheblich um, sodass 1836 das Realienbuch – zwar ohne den geografischen Teil – gedruckt und ab 1837 an den Schulen des Kantons eingeführt werden sollte.601

1834 fehlten daher insbesondere auf der Landschaft vielerorts Schulbücher für den neuen Realienunterricht noch gänzlich, andernorts erfuhr ihnen Wi-derstand vonseiten der Schulgenossenschaft. So wurden etwa in Elsau602 oder in Hedingen603 neue Lehrmittel dezidiert abgelehnt, in Teilen des Bezirks Re-gensberg, insbesondere in der Kirchgemeinde Stadel, machte sich gar offener Widerstand gegen alle Veränderungen der Unterrichtspraxis breit.604 Dies darf durchaus als Hinweis auf die enge Verschränkung von sozial konstruiertem Weltwissen generell, spezifischerem Wissen darüber, was eine Schule sei und sein solle, und praktizierten schulischen Lernbereichen mit den von ihnen transportierten Inhalten gewertet werden. Die Tatsache, dass Schulreformen nicht auf ein Vakuum, sondern auf tradierte Praktiken, auf lokal oder regional

600 scheLLer, Das Bild des Mittelalters, S. 93,95.

601 guBLer, Zürcherische Volksschule, S. 148.

602 «Die Gemeinde war den neuen Lehrmitteln, wie fast keine andere im ganzen Bezirk, sehr abgeneigt; die Majorität der Schulpflege ebenfalls.» Doch bereits im darauffolgenden Jahr brach der Widerstand dank eines als tüchtig beschriebenen Lehrers in sich zusammen und die Gemeinde verschrieb sich der Erneuerung ihrer Schule. Bericht der Bezirksschulpflege Winterthur an den Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1834, StAZH, U 30a 1.

603 Die neuen Lehrmittel lagen laut dem Bericht der Bezirksschulpflege bis zum Schluss des Kur-ses in einem Kasten verschlossen, da die Gemeinde sich weigerte, sie ihren Kindern zukom-men zu lassen. «Hier wird die Zeit heilen! Der Schaden ist übrigens nicht unbedeutend, den sie zu heilen hat; denn hier spuken noch die ältesten Fibeln mit Affen, Bären u. s. w.» Bericht der Bezirksschulpflege Knonau an den Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1834, StAZH, U 30a 1.

604 Genereller Widerstand gegen die Umgestaltung des Schulwesens regte sich besonders in Stadel, Windlach und Raath. Nur gerade drei Wochen habe man den neuen Lektionsplan ausprobieren können, bevor «Unverstand und Leidenschaft» alle Bemühungen und Opfer vereitelten. «Die Schulgenossenschaften durch die bekannten Führer und Mittel aufgereizt wandten sich in ihren Bedenklichkeiten und Beschwerden gegen die versuchten Änderungen und Einrichtungen niemahls an die Schulpflege, um von ihr Belehrung, Rath und Hülfe zu begehren, sondern kündeten ihr gerade zu allen Gehorsam auf, vertrauten jenen Führern, und wollten von der Schulpflege nichts hören noch wissen, weil sie ‹neue› wäre.» Bericht der Bezirksschulpflege Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1834, StAZH, U 30a 1. Der sogenannte Stadlerhandel wurde in der einschlägigen Literatur vielfach be-schrieben. Vgl. etwa guBLer, Zürcherische Volksschule, S. 160–165; BLoch pFister, Priester der Volksbildung, S. 355–360. Proteste gegen die neuen Lehrmittel und die reformierte Volksschule gab es auch im Südosten des untersuchten Gebiets, etwa in der Kirchgemeinde Hittnau. LengwiLer et al., Schule Macht Geschichte, S. 60–63.

etabliertes Wissen über das Umzugestaltende treffen, konnte und kann jä-hen Veränderungen etablierter Schulpraktiken entgegenstejä-hen.605 Andernorts wurde das Fehlen jeglicher neuer Lehrmittel in den Berichten schlicht fest-gestellt, aber nicht weiter kommentiert606 oder gar als Grund für den fehlenden Realienunterricht aufgeführt.607 Fehlende finanzielle Mittel dürften dabei je nach Schule eine genauso wichtige Rolle gespielt haben wie das Festhalten an althergebrachten Formen der Curricula aus Überzeugung. Auch entbehr-ten einige Schulmeister der notwendigen Kenntnisse, die Lehrmittel adäquat einzusetzen, was ebenfalls, wie etwa im Fall von Rikon und Dinhard, als Hin-derungsgrund für die Aufnahme des Realienunterrichts dargestellt wurde.608 Dem Schulmeister in Dachsleren wurde gar von den Visitatoren nahegelegt, seinen Naturkundeunterricht einzustellen, bis er mit einem Lehrmittel und der entsprechenden Weiterbildung besser darauf vorbereitet sei.609

Dennoch fand an den meisten Schulen Realienunterricht in irgendeiner Form statt und entsprechend wurden auch Lehrmittel verwendet. Zwar finden sich konkrete Hinweise auf die eingesetzten Materialien in den Berichten nur spo-radisch, doch lässt sich aus den vorhandenen Angaben immerhin ein ungefäh-res Bild der Lehrmittel auf der Landschaft zeichnen. Neben unterschiedlichen Büchern waren dies insbesondere im Zusammenhang mit dem Geografieun-terricht vor allem Wandkarten. So wurde auf der Landschaft bereits 1834, etwa in Bühl, Oetwil, Elgg, Mettmenstetten, Hedingen, der Sekundarschule Schöff-lisdorf oder in Unterstrass, Geografie mithilfe von Kartenwerk unterrichtet.610 Den Berichten über Unterstrass und die Sekundarschule Schöfflisdorf ist ausserdem zu entnehmen, dass es sich bei den Karten um Werke von Heinrich

605 David Tyack und William Tobin gehen von einer Grammatik der Schule aus und verbinden damit die These, dass sich Schule kaum von aussen verändern lasse, sondern sich vielmehr in eigenen Tempi und nach einer eigenen Logik entwickle. tyack/toBin, «Grammar» of Schooling, S. 453–479. Siehe dazu auch Einleitung, Kapitel 1.3.

606 So beispielsweise in Zünikon. Bericht der Bezirksschulpflege Winterthur an den Erziehungs-rat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1.

607 So etwa in Wila, Oberillnau oder Hofstetten: Berichte der Bezirksschulpflegen Pfäffikon und Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1.

608 In Rikon liegen die Schulkinder, so der Bericht der Bezirksschulpflegen, in den Realien gegenüber anderen Schülerinnen und Schülern zurück, weil der Schulmeister selber nicht über genügende Qualifikationen verfüge. In Dinhard hingegen wurde 1834 wegen fehlender Kenntnisse des alten Lehrers kein Realunterricht angeboten, nur ein Jahr später, nach der Anstellung einer jungen und motivierten Lehrkraft wurden alle obligatorischen Fächer unter-richtet. Berichte der Bezirksschulpflege Winterthur an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834 und 1835, StAZH, U 30a 1.

609 Bericht der Bezirksschulpflege Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1.

610 Berichte der Bezirksschulpflegen Winterthur, Meilen, Knonau, Regensberg und Zürich an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1.

Keller handelte. Dieser hatte 1828 eine detaillierte Karte des Kantons Zürich, später explizit zum Zwecke des Schulunterrichtes Schülerkarten, Wandkarten, einen Schulatlas und ein «das Wissenswürdigste der ganzen Erdoberfläche sammelndes ‹Zonengemälde›» gezeichnet.611 Die meisten in den Schulberichten erwähnten Karten waren Darstellungen des Kantons Zürich oder der Schweiz.

In Stäfa wurden neben einer Karte der Schweiz auch zwei Weltkarten, eine Europakarte und eine Deutschlandkarte verwendet,612 in Schöfflisdorf eine von Bräm613 gezeichnete Karte von Palästina.614 An den Schulen in den Städten Winterthur und Zürich fanden Karten im Geografieunterricht ebenso Verwen-dung wie an den Landschulen. So etwa an der Knabenschule in Winterthur, wo auf der Elementarstufe «die Schweizerkarte und die Kantonskarte» eingesetzt wurden,615 oder der Knabenschule in Zürich, wo 1834 noch eine Wandkarte von Scheuchzer616 benutzt wurde, welche allerdings laut Bericht bald der Kel-ler’schen weichen sollte.617 Am Landknabeninstitut ist ausserdem die Verwen-dung des Schulatlasses von Walch618 nachgewiesen, welcher der Behandlung aussereuropäischer Länder diente.619

Bei den Lehrbüchern wird hingegen der gleich noch näher zu betrachtende

«Kinderfreund»620 am häufigsten erwähnt. An den Schulen in Unterbach im

611 Die beiden Letzteren allerdings erst 1842 respektive 1837. Art. «Keller, Heinrich» von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kom-mission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 15 (1882), S. 580 f., Online-fassung: http://www.deutsche-biographie.de/sfz40435.html.

612 Bericht der Bezirksschulpflege Meilen an den Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1834, StAZH, U 30a 1.

613 Wohl die Wandkarte des Heiligen Landes von A. Bräm, Basel 1834.

614 Bericht der Bezirksschulpflege Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich, 1834, StAZH, U 30a 1.

615 Beschlüsse neue Organisation Lehranstalten, StAW, II B 30 k 6, S. 37.

616 Da die Angaben im Bericht nicht präziser sind, kann die genaue Karte nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Der Kartograf dürfte aber der Zürcher Arzt und Mathematikprofessor Jo-hann Jakob Scheuchzer gewesen sein, dessen 1712 erschienene und 1765 nochmals aufgelegte berühmte Schweizerkarte «Nova Helvetiae tabula geographica» möglicherweise die erwähnte Karte war.

617 Der Bericht bemängelte, dass die Schüler als Leitfaden im Geografieunterricht «nichts als den kurzen im Kinderfreund enthaltenen Abriss der Schweiz in den Händen» hätten und «keine andere Wandkarte als die Scheuchzerische vorhanden war, die nun der Kellerischen weichen wird». Jahresbericht über die Leistungen der Zürcherischen Knaben-Stadtschulen August 1833 bis Ostern 1834, erstellt vom Stadtschulrat, StAZH, U 41e 1.

618 Es dürfte sich um folgendes Werk handeln: Johannes waLch: Neuester Schul-Atlass. Nach der bewährtesten Hülfsmitteln, astronomischen Ortsbestimmungen und den neuesten Zeit-ereignissen entworfen: Nebst einem vollständigen Texte, Augsburg 1820.

619 Bericht der Schulpflege über das Landknabeninstitut an den Erziehungsrat des Kantons Zü-rich 1829, StAZH, U 55c 1.

620 Dabei dürfte es sich in den allermeisten Fällen um den «Schweizerischen Kinderfreund»

von Johannes Schulthess gehandelt haben. Den Namen «Kinderfreund» trug zwar auch das

Bezirk Hinwil, in Oetwil im Bezirk Meilen, wohl auch in Buchs im Bezirk Regensberg, wo es heisst, Geografie und Geschichte würden unterrichtet, soweit sie im «Schweizerfreund» enthalten seien, und am Landknabeninsti-tut sowie an der Knabenschule in der Stadt Zürich wurde er nachweislich als Lehrmittel für den Realienunterricht eingesetzt.621 An vielen anderen Orten wurde er vor allem als Lesebuch genutzt, wobei unklar bleibt, ob dabei auch die realistischen Teile des Werkes genutzt wurden. Die Verwendung weiterer Realienlehrbücher ist ausserhalb der Städte Zürich und Winterthur nur gerade in den Berichten über Wolfhausen, Stäfa und die Sekundarschule Schöfflisdorf belegt. An allen drei Schulorten wurde Schweizer Geschichte anhand von Jo-hann Konrad Vögelins «Schweizergeschichte»622 unterrichtet. Vögelin wirkte bereits während seines Studiums als Katechet in Oberstrass, später Pfarrer in Schwamendingen, dann Benken, wo er 1831 auch Dekan des Steiner Kapitels wurde.623 All gemeine Geschichte wurde in Stäfa anhand von Bredow624 gelehrt und Geografie in Wolfhausen und Stäfa anhand von Meyer von Knonaus «Ab-riss der Erdbeschreibung und Staatskunde der Schweiz».625

berühmte Lehrbuch von Friedrich Eberhard von Rochow, das bereits 1799 an einigen weni-gen Schulen des in der vorlieweni-genden Studie untersuchten Gebiets Verwendung fand und zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch in Zürich gedruckt wurde (zum Beispiel 1811 bei Ziegler und Söhne), doch sprechen die rasant aufeinanderfolgenden Ausgaben des «Schweizeri-schen Kinderfreunds» und die präziseren Angaben weniger Berichte, welche explizit auf den

«Schweizerischen Kinderfreund» verweisen, gegen das Rochowsche Büchlein. Auch Scheller attestiert dem «Schweizerischen Kinderfreund», zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf der Zür-cher Landschaft das am häufigsten verwendete Lehrmittel gewesen zu sein: SchweizerisZür-cher Kinderfreund. Ein Lesebuch für Volksschulen. Zehnte verbesserte Ausgabe, Zürich 1834;

scheLLer, Das Bild des Mittelalters, S. 75.

621 Berichte der Bezirksschulpflegen Hinwil, Meilen und Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1; Jahresbericht über die Leistungen der Zürche rischen Knaben-Stadtschulen August 1833 bis Ostern 1834, erstellt vom Stadtschulrat, StAZH, U 41e 1; Bericht der Schulpflege über das Landknabeninstitut an den Erziehungsrat des Kan-tons Zürich 1829, StAZH, U 55c 1.

622 Johann conraD VögeLin: Die Schweizer-Geschichte für Schulen, Zürich 1833.

623 DeJung/wuhrmann, Pfarrerbuch, S. 585.

624 gottFrieD gaBrieL BreDow: Merkwürdige Begebenheiten aus der allgemeinen Welt-geschichte. Für den ersten Unterricht in der Geschichte besonders für Bürger- und Land-schulen, 20., verbesserte Auflage, Reutlingen 1832. Dieses Buch war eines der meistverbrei-tetsten Geschichtslehrmittel im ganzen deutschen Sprachbereich überhaupt (scheLLer, Das Bild des Mittelalters, S. 61) und wurde auch an den Zürcher Stadtschulen verwendet, sodass die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass auch in Stäfa dieses Werk von Bredow verwendet wurde. Daneben gab es den «Grossen Bredow», eine mehrbändige Weltgeschichte des glei-chen Verfassers: gottFrieD gaBrieL BreDow: Umständlichere Erzählung der merkwürdigen Begebenheiten aus der allgemeinen Weltgeschichte. Für den ersten Unterricht in der Ge-schichte besonders für Bürger- und Landschulen, neueste vermehrte und verbesserte Auflage, Reutlingen 1833.

625 Berichte der Bezirksschulpflegen Hinwil, Meilen und Regensberg an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1. geroLD meyerVon knonau: Abriss der

Erd-Die an den Schulen in den Städten Zürich und Winterthur verwendeten Lehrmittel waren im Wesentlichen mit denjenigen für die übrigen Schulorte erwähnten identisch. Auch an der Knabenschule der Stadt Zürich wurde zunächst der «Kinderfreund» als Geschichts- und auch Geografielehrmittel eingesetzt, später diktierte der Lehrer aus eigenen Heften die Geografie Euro-pas,626 bevor er die Weltgeschichte – mit Erlaubnis des Stadtrates – anhand Bre-dows «Merkwürdigen Begebenheiten aus der allgemeinen Welt geschichte»627 behandelte. Am Untergymnasium wurden für den Geschichtsunterricht ebenfalls Bredow und Vögelin benutzt; Ersteres auch an der unteren Indus-trieschule als Lehrmittel für Weltgeschichte. Am Landknabeninstitut wurden für den Geogra fieunterricht ausserdem Werke von Cannabich, Meyer und Stein eingesetzt.628

Der «Schweizerische Kinderfreund»

Der 1808 erschienene «Schweizerische Kinderfreund» war mit seinen elf Auflagen ein Bestseller. Sein Verfasser, Johannes Schulthess, wollte ein Schulbuch «zeitlichen» Inhalts verfassen, welches ergänzend zu denjenigen religiösen Inhalts verwendet werden sollte.629 Das Vorhaben wurzelte in dem im Zusammenhang mit der 1806 initiierten staatlichen Lehrerfortbildung wahrgenommenen Mangel an nichtreligiösen, realen Stoffsammlungen, um den

beschreibung und Staatskunde der Schweiz. Für den zweckmässigen Gebrauch der Keller-schen Schweizerkarte für Schulen, Zürich 1824. In den Berichten steht über Stäfa, Geografie werde nach Meyer von K., über Wolfhausen, Geografie der Schweiz werde nach G. Meyer unterrichtet. Berichte der Bezirksschulpflege Meilen und Hinwil an den Erziehungsrat des Kantons Zürich 1834, StAZH, U 30a 1.

626 Dabei wurden die Länder Portugal, Spanien, Frankreich, Belgien, Holland, das britische Reich, Schweden, Dänemark und Italien berücksichtigt. Jahresbericht über die Leistungen der Zürcherischen Knaben-Stadtschulen August 1833 bis Ostern 1834, StAZH, U 41e 1.

627 BreDow, Merkwürdige Begebenheiten.

628 Da nur gerade die Autorennamen vermerkt sind, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, um welche Werke es sich handelte. Wahrscheinlich erscheint wegen seiner expliziten Ausrich-tung auf schulischen Unterricht folgendes Werk von Cannabich: J. g. Fr. cannaBich: Kleine Schulgeographie oder erster Unterricht in der Erdbeschreibung für die unteren und mittleren Schulklassen, 9. Auflage, Ilmenau 1829. Auch der Name Meyer erlaubt keine eindeutigen Rückschlüsse auf das verwendete Lehrmittel. Möglicherweise – wie auch für Stäfa oder Wolfhausen vermutet, wo etwas mehr vom Namen des Autors preisgegeben wurde – handelt es sich um folgendes Werk: geroLD meyerVon knonau: Abriss der Erdbeschreibung und Staatskunde der Schweiz. Für den zweckmässigen Gebrauch der Kellerschen Schweizerkarte für Schulen, Zürich 1824. Bei Stein müsste es sich um eines dieser Werke handeln: christian gottFrieD DanieL stein: Handbuch der Geographie, Leipzig 1808: Ders.: Handbuch für Geographie und Statistik, 3 Bände, L[eipzig] 1819/20.

629 Schweizerischer Kinderfreund. Ein Lesebuch für Bürger- und Volksschulen, Schweiz 1808, S. III.

«Nutzen des Institutes von den Schullehrern auf die Jugend» zu über tragen.630 Dazu wollte Schulthess nicht von Grund auf ein neues Buch schaffen, son-dern ein bereits bestehendes adaptieren. Der «Deutsche Kinderfreund» von Friedrich Philipp Wilmsen erschien ihm als geeignete Vorlage, welche er von Fachleuten, deren Namen er allerdings nicht bekannt geben dürfe, für jedes Kapitel habe umarbeiten lassen.631 Schulthess selbst habe im Anschluss an die Umarbeitungen lediglich dafür gesorgt, «Gleichförmigkeit in die Schreibart und Orthographie zu bringen».632 Bei der Konzeption des Werkes war er ausserdem darauf bedacht, realistische Inhalte nur in allgemeinster Form aufzunehmen und bloss einer «Volksklasse» zugutekommende Bereiche, wie etwa Landwirtschaft oder Technik gänzlich, auszulassen.633 Das Buch sollte ursprünglich weniger ein Realienlehrbuch als vielmehr ein Lesebuch sein, das nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern mit Nutzen und Vergnügen lesen könnten und dabei zum Schluss kommen müssten, es tauge nicht bloss für die Schule, sondern auch für das Leben.634

Tatsächlich scheint sich der «Schweizerische Kinderfreund» zunächst als Lesebuch etabliert zu haben. Er sei, so das Vorwort der Ausgabe von 1834, dann aber von «einsichtsvolle[n] Schulmänner[n]» auf vielerlei andere Weise angewandt worden. So zum Beispiel zur Übung des mündlichen Vortrags oder im Bereich der Sprachlehre. Ferner sei «der geographische, historische und na-turgeschichtliche Theil als Leitfaden zu einem eigentlichen Unterrichte in der Erdbeschreibung, Geschichte und Naturgeschichte angewandt [worden], und so [sei] das Lesebuch zum Theil auch ein Lehrbuch geworden».635

Der «Schweizerische Kinderfreund», hier wegen der zeitlichen Nähe zum untersuchten Zeitschnitt in der geringfügig von der Erstausgabe von 1808 ab weichenden Ausgabe von 1834 untersucht, umfasst 292 Seiten und zer-fällt in fünf Teile. Der erste Teil beinhaltet «Erzählungen zur Beförderung guter Gesinnungen und zur Schärfung des Verstandes», welche exempelhaft sittlich-moralisches Verhalten beleuchten und somit auch an bereits früher gebräuchliche Lesebücher, etwa das Waserbüchlein, anschliessen. Im ersten Kapitel wird sogleich der Nutzen des Schulunterrichts thematisiert, wobei etwa in der Geschichte des Spanische-Fliegen-Pulvers die Illiteralität eines Knechts gar zu dessen Tod führt.636 Zudem werden sittlich-moralische

630 Ebd.

631 Ebd., S. V.

632 Ebd., S. VII.

633 Ebd., S. V.

634 Ebd.

635 Schweizerischer Kinderfreund, Vorrede.

636 Ebd., S. 1.

Werte sowie Laster und Tugenden behandelt:637 Aberglaube, Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Vorsicht, Frechheit, Fleiss, Sparsamkeit, Dienstfertigkeit, Hilfs-begierde, Wohltätigkeit, Güte, Mitleiden, Menschenliebe, Uneigennützigkeit, Edelmut, Ehrlichkeit, Billigkeit, Gerechtigkeit, Mässigkeit, Selbstbeherr-schung, Sanftmut, Versöhnlichkeit, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Dank und Pflichten gegen Eltern und Geschwister, Gewissenhaftigkeit und sogar Pflichten gegenüber Tieren und Pflanzen.638 Der zweite Teil ist der «Natur-kenntniss» gewidmet und breitet Wissen von der physischen Welt aus, indem zunächst die Erde als Teil des von Gott geschaffenen Sonnensystems dargestellt und anschliessend die Luft, das Wetter, Elektrizität, die Zeit und Kalender thematisiert werden. Erst danach werden Tiere, Pflanzen und Mineralien behandelt.639 Der dritte Teil mit dem Titel «Von dem Menschen insbesondere» handelt vom menschlichen Körper, von den Sinnen640 und enthält auch eine eigentliche Gesundheitslehre. Diese propagiert etwa Mäs-sigkeit beim Essen und Trinken und warnt vor dem Branntwein, der «unter allen Getränken das schädlichste» sei. Darauf folgen zwei Geschichten, in denen Trinker ihren Wohlstand trinkend zerstören und folglich im Zuchthaus

Werte sowie Laster und Tugenden behandelt:637 Aberglaube, Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Vorsicht, Frechheit, Fleiss, Sparsamkeit, Dienstfertigkeit, Hilfs-begierde, Wohltätigkeit, Güte, Mitleiden, Menschenliebe, Uneigennützigkeit, Edelmut, Ehrlichkeit, Billigkeit, Gerechtigkeit, Mässigkeit, Selbstbeherr-schung, Sanftmut, Versöhnlichkeit, Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Dank und Pflichten gegen Eltern und Geschwister, Gewissenhaftigkeit und sogar Pflichten gegenüber Tieren und Pflanzen.638 Der zweite Teil ist der «Natur-kenntniss» gewidmet und breitet Wissen von der physischen Welt aus, indem zunächst die Erde als Teil des von Gott geschaffenen Sonnensystems dargestellt und anschliessend die Luft, das Wetter, Elektrizität, die Zeit und Kalender thematisiert werden. Erst danach werden Tiere, Pflanzen und Mineralien behandelt.639 Der dritte Teil mit dem Titel «Von dem Menschen insbesondere» handelt vom menschlichen Körper, von den Sinnen640 und enthält auch eine eigentliche Gesundheitslehre. Diese propagiert etwa Mäs-sigkeit beim Essen und Trinken und warnt vor dem Branntwein, der «unter allen Getränken das schädlichste» sei. Darauf folgen zwei Geschichten, in denen Trinker ihren Wohlstand trinkend zerstören und folglich im Zuchthaus

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