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Rückblickend betrachtet, hat sich die gewählte Form des Interviews und der Auswertungsmethode als sehr geeignet erwiesen, um zu interessanten Forschungsergebnissen zu kommen. Da ich ein derartiges Interview das erste Mal durchführte, passierten jedoch auch einige sog. „Anfängerfehler“.

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So sah ich mich bei der Interviewdurchführung anfänglich in einem Dilemma, da ich der Lehrerin das absolute Rederecht zubilligen wollte, andererseits aber auch konkrete Fragen auf Antwort drängten. Da mich die Lehrerin jedoch nach einem ausführlichen narrativen Einstieg ihrerseits selbst dazu aufforderte, konkrete Fragen zu stellen, wurde dieses etwas erleichtert. Die Lehrerin machte in der Beantwortung trotzdem stets große Bögen, wobei sie Gelegenheit zu weiteren Erzählungen hatte.

Obwohl ich mich sehr gut auf das Interview vorbereitete und an einem Leitfaden orientierte (der jedoch nicht Punkt für Punkt abgehandelt wurde), und die Lehrerin möglichst frei sprechen lassen wollte, passierten einige Fehler.

Ich unterbrach die Lehrerin immer wieder und ließ sie dadurch ihre Gedanken nicht zu Ende bringen. Auch das „immanente Nachfragen“, also direkt auf das Gesagte Bezug zu nehmen, fiel aufgrund des im Kopf befindlichen Leitfadens nicht immer leicht. In manchen Situationen wäre es angebracht gewesen, besser zuzuhören, um klüger nachfragen zu können. Dies wurde erst bei der Textanalyse sichtbar und so sind die diesbezüglichen Fragen verspätet aufgetaucht. Es bedarf sicherlich vieler Übung in solchen Gesprächen sensibel auf „Nichtgesagtes“ und Andeutungen zu reagieren. Obwohl mir diese Mechanismen, auch aufgrund eines Kommunikationstrainings, bewusst waren, agierte ich in manchen Situationen gegenteilig.

So passierte es auch, dass ich an wenigen Stellen auch Suggestivfragen stellte oder Aussagen der Lehrerin interpretierte. Einen entscheidenden Fehler im Interview erkannte ich erst bei der Interpretation. Ich machte ihn in dem Moment, als die Lehrerin über die Errichtung des Ghettos erzählte.

Lehrerin: Also, wie sie dann drin waren, haben wir einfach die Ghettomauern zugemacht.

Interviewer: Mhm. Die Kinder waren da nicht drinnen, oder? Nur die Püppchen, oder? (Z. 502-520)

In dieser Situation machte ich die Lehrerin auf das „Verbot“ in Bezug auf die

„Betroffenheitspädagogik“ aufmerksam, und sie verneinte sofort und rechtfertigte sich, dass sie wisse, dass man die Kinder nicht in eine derartige Situation bringen dürfe. Somit brachte ich mich um mögliche wichtige Ergebnisse und konnte keine definitiven Aussagen darüber machen, ob sich die Kinder während des Projektes

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innerhalb oder außerhalb der Mauern befunden hatten. Ein Abwarten, bzw. klügeres Nachfragen zu einem passenderen Zeitpunkt wäre hier angebracht gewesen.

Mit der Dauer des Interviews von ca. 1 ½ Stunden lag ich im Grenzbereich diesbezüglicher Empfehlungen. Die Lehrerin schien jedoch bei der Sache zu sein und durchaus motiviert weiterzumachen. Lediglich gegen Mittag machte sie durch einen Hinweis auf die zu hörende Mittagssirene eine Aussage, die auf den Wunsch nach einem baldigen Ende zu deuten sein könnte. Das Interview wurde auch kurz danach beendet.

In Anbetracht der „Subjektivität“ und „Reflexivität“ in der qualitativen Sozialforschung (vgl. Heistinger, 2006/07, S.12) wäre es vielleicht gut gewesen, eigene Eindrücke und Beobachtungen, auch Selbstbeobachtungen sofort in einem Protokoll festzuhalten. Vielleicht wären dadurch noch weitere Erkenntnisse möglich gewesen.

Da ich die Transkription jedoch unmittelbar nach dem Interview anfertigte und dieses sofort danach mit meinen Randbemerkungen ergänzte, denke ich, dass ein Großteil dieser Eindrücke erhalten geblieben ist.

Insgesamt machte ich beim Interview gute Erfahrungen, konnte dadurch sehr viele bewusste und unbewusste Aussagen der Lehrerin initiieren und Informationen lukrieren. Ich würde dieses Verfahren, unter Einbeziehung vorangegangener Kritikpunkte, jederzeit wieder anwenden.

Dabei ist mir bewusst, dass jedes Interview wechselseitige Kommunikation, aber auch ein Prozess ist. So weiß ich, dass ich das Interview auch durch meine Person beeinflusst habe. Die Frage stellt sich nur nach dem „Wie“. Helfferich (2005, zit. n.

Heistinger, 2006/07, S.4) meint dazu, dass es darum geht, „diesen Einfluss kompetent, reflektiert, kontrolliert und auch eine der Interviewform und dem Forschungsgegenstand angemessene Weise zu gestalten.“ Unter den vorher gemachten Einschränkungen glaube ich, dass dies hier insgesamt gut gelungen ist.

Bei der Verschriftlichung des Interviews ist mit einer Transkriptionszeit von 1:7 bis 1:10 zu rechnen, vor allem wenn man damit keine Erfahrungen hat (vgl. Heistinger, 2006/07, S.12). Diese Zeitvorgaben dürfte ich mit meinem Zeitaufwand sicherlich erreicht haben, wobei ich keine Aufzeichnungen darüber gemacht habe.

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Verständnisschwierigkeiten ergaben sich dabei manchmal durch den Dialekt der Lehrerin, und so war es oftmals notwendig, Passagen mehrmals abzuspielen.

In der anschließenden Textanalyse stellte sich vor allem die Verwendung der an die dokumentarische Methode angelehnte Analyseform als sehr hilfreich heraus, obwohl sie vielfältige Anforderungen an mich stellte.

Die Datenanalyse sollte explikativ erfolgen, da sie mit Hilfe von Anreicherung und Interpretation der Daten eine Erklärung des Verhaltens ermöglichen sollte. Da es keine vorgefertigten „Rezepte“ dafür gibt, musste ich mich bei der Textinterpretation neben methodischen Vorgaben auf meine eigene „Intuition“ verlassen, indem ich die aussagekräftigsten Textstellen herausfand, Gemeinsamkeiten feststellte und möglichst logisch interpretierte. Doch genau dabei ergaben sich immer wieder Probleme.

Da sich Aussagen der Lehrerin bei der Zuordnung zu Kategorien immer wieder überschnitten, hatte ich Schwierigkeiten, diese in eine Ordnung zu bringen. Ich musste die Kategorien immer wieder nach neuen Gemeinsamkeiten umstellen, was den größten Zeit- und Arbeitsaufwand in der vorliegenden Untersuchung bedeutete und mich manchmal auch etwas verzweifeln ließ. Letztendlich fand ich jedoch eine, mir logisch erscheinende Reihung, mit der ich zufrieden war. Auch hier war die Tatsache, eine derartige qualitative Arbeit das erste Mal verfasst zu haben und bei einer Kategorisierung wenig Erfahrung zu haben, sichtbar. Es ist anzunehmen, dass sich in weiteren qualitativ ausgerichteten Forschungsarbeiten die entsprechende Routine einstellen würde.

Die formulierende Feininterpretation der einzelnen Analyseabschnitte erschien mir dabei sehr hilfreich, denn dadurch wurden Strukturen und Mechanismen in den Aussagen der Lehrerin erst klar sichtbar und konnten so zu gemeinsamen Kategorien zusammengefasst werden.

Da qualitative Methoden explorativ und Hypothesen generierend angelegt sind, wollte ich im Rahmen der Untersuchung meine ursprünglichen Forschungsfragen im Auge behalten, jedoch auch offen sein für neue, sich aus den Quellen ergebende Aspekte und meine Fragen dementsprechend schärfen, bzw. gegebenenfalls auch abändern. Im Speziellen hat sich gezeigt, welche Rolle die Lehrkraft spielt, bzw. wie

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sehr ihre subjektiven Wahrnehmungen auch Einflüsse und Auswirkungen auf die Schülerinnen und Schüler hatten.

Hier hat sich vor allem die Methode, Aussagen der Lehrerin zur Kontrollfunktion den Texten der Kinder gegenüberzustellen, m.E. sehr gut bewährt, da sich dadurch Unterschiede sehr gut herausarbeiten ließen.

Im Laufe der Analyse wurde mir klar, dass es gut gewesen wäre, wenn ich vereinzelte Aussagen der Lehrerin direkt mit mündlichen Aussagen der Kinder vergleichen hätte können. Durch die Tatsache, dass das Projekt in einer vierten Klasse stattfand und die Kinder zu diesem Zeitpunkt schon aus der Volksschule waren, hätte ich jedoch einen sehr schwierigen Zugriff auf die Kinder gehabt. Da mein Focus der Arbeit anfänglich auch nicht bei einem Vergleich der Interessen und Bedürfnisse der Lehrerin und der Kinder lag, erschien mir dies für die Bearbeitung meiner Forschungsfragen anfänglich nicht von besonderer Relevanz zu sein. Ich denke jedoch, dass die Texte der Schülerinnen und Schüler für einen guten Vergleich und eine seriöse Interpretation ausreichend Stoff geboten haben.

Die Entscheidung, anhand eines Einzelfalls zu forschen, hat sich sehr gut bewährt.

Es war durchaus möglich aus der „Singularität der untersuchten Ereignisse“

„allgemeine Situations- und Prozeßmerkmale analytisch herauszuarbeiten (vgl.

Schütze, 1991, zit. n. Nohl, 2005, Kap.3). So konnten in dieser Einzelfallstudie durch eine genaue, tiefgehende Textanalyse auch „allgemeine Merkmale und grundlegende Mechanismen sozialer und biographischer Prozesse im Einzelfall hypothetisch erfaßt“ werden (vgl. ebd.).

Dabei ist mir jedoch bewusst, dass der „Bezugspunkt jeder Interpretation“ durch die Priorität des Einzelfalls „vornehmlich die (individuelle) Lebensgeschichte“ (vgl. Nohl, 2009, S.42) der hier beschriebenen Lehrkraft bleibt. In diesem Bewusstsein soll vorliegende Arbeit auch gesehen werden.

Abschließend möchte ich meine Bedenken bei der kritischen Bearbeitung des Interviews im Hinblick auf die Rezeption durch Frau U. nicht verschweigen.

Ich lernte die Lehrerin als eine sehr engagierte, sympathische Frau kennen und bin sicher, dass sie sich sehr für ihre Schulkinder engagiert und ihren Unterricht im

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Glauben und in der Hoffnung, mögliche gesellschaftspolitische Veränderungen durch gutes pädagogisches Vorgehen voranzutreiben, gestaltet. Ihr konkretes Handeln betrachtet sie auch als eine Art „Immunisierung“ gegen demokratie- und fremdenfeindliche Tendenzen. (Wie in vorliegender Arbeit besprochen wurde, ist dieses durch die Behandlung des Themas Nationalsozialismus und Holocaust nur in beschränktem Maße möglich.)

In Anbetracht der Wertschätzung und des Respektes, den ich vor Frau U. habe, war es nicht immer leicht, die richtigen Worte bei den reflektierenden Interpretationen zu finden, da es an manchen Stellen durchaus einer kritischen Betrachtung ihrer Einstellungen und Vorgangsweisen bedurfte.

Ich hoffe, dass ich meine Kritik in einer angebrachten, sachlichen Form darbringen konnte und diese von Frau U. nicht als Verletzungen empfunden werden.

Letztendlich bin ich in dieser Arbeit jedoch vor allem der Wissenschaft verpflichtet, und es geht darum aus vorliegenden Erkenntnissen für die Zukunft zu lernen und sie als Hilfestellungen für andere Kolleginnen und Kollegen zu betrachten.