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4.1 Betrachtung der Lehrperson

4.1.1 Die Familientradition

In vielen Fällen lässt sich bei Personen - und nicht nur bei Lehrerinnen und Lehrern- die sich intensiv mit dem Thema Nationalsozialismus und Holocaust beschäftigen, ein Bezug zu der eigenen Familiengeschichte, so wie bei Frau U. feststellen.

Manchmal sind es Nachkommen von Menschen, die sich gegen das nationalsozialistische Terrorregime auflehnten und/oder zu Opfern wurden, aber oft sind es auch Kinder und Enkelkinder der sogenannten „Täter“, „Zuschauer“ oder

„Profiteure“. Manche davon sind bereit, sich mit ihrer Familiengeschichte aktiv auseinander zu setzen und widmen oftmals viel Zeit und Engagement der Bearbeitung dieses dunklen Teils unserer gemeinsamen, und somit auch ihrer

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persönlichen Geschichte. Hier kann der Wunsch, das Schweigen zu brechen und sich auf die Seite der Nichtschuldigen zu stellen und damit vielleicht die familiären Verwicklungen zu verleugnen, dahinter stecken (vgl. Garlichs &Leuzinger-Bohleber, 1996, S. 46f). Es sind Lehrerinnen und Lehrer, die das Thema in einer Art „Flucht nach vorne“ aufgreifen. Diese „kontraphobische Abwehr“, als eine Form der Angstabwehr, treibt Lehrkräfte an, bedenkenlos in medias res zu gehen (vgl.

ebd.S.47).

Andere wieder verweigern und es bereitet ihnen genau aus diesem Grund Unbehagen - weil es mit der persönlichen Geschichte zu tun hat. Auch darin könnte ein Grund für die prinzipielle Ablehnung des Themas als Inhalt in der Volksschule liegen. In diesem Fall würden vordergründige Scheinargumente, vielleicht auch als unbewusster Prozess, die wahren Beweggründe zudecken.

Es ist kaum möglich, die wahren Motive festzustellen, da sie bewusster oder unbewusster Verweigerung der Preisgabe durch die betroffenen Personen unterliegen und immer nur über Konstrukte erhoben werden können.

Aus dem Blickwinkel der dokumentarischen Methode, betrachtet, lässt sich dieses Dilemma folgendermaßen interpretieren.

Aussagen, schriftlicher oder mündlicher Art können in Bezug auf ihren wörtlichen, expliziten, d.h. „immanenten Sinngehalt“ (vgl. Mannheim, 1964, zitiert nach Nohl, 2009, S.8) nur im Bereich des „Objektiven Sinns“, also der Bedeutung eines Textinhaltes überprüft werden. Der „intentionale Ausdruckssinn“, womit die Absichten und Motive des zu Untersuchenden behandelt werden, können dagegen empirisch nicht erfasst werden (vgl. Nohl, 2009, S. 9). In diesem Sinne können Untersuchungen analysiert und bereits erfolgte Studien herangezogen werden, in denen die gemachten Aussagen im Sinne des „Objektiven Sinns“ empirisch interpretiert wurden.

So zum Bespiel eine schwedische Studie von Lange (2008, S.98f), die bei schwedischen Lehrerinnen und Lehrern gemacht wurde. Sie zeigt folgendes Ergebnis: 51,6 % gaben an, dass das Thema Holocaust gleichbedeutend mit anderen Themen sei, 47,2 % meinten, es sei wichtiger und nur 1,2 % gaben an, dass es weniger wichtig als andere Themen sei. Auf die Frage, wie interessant es sei, es

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zu unterrichten meinten 44,1% es sei interessanter als andere Themen, 54,2%

meinten es sei gleich interessant und 1,8% betrachten es als weniger interessant.

98,4% der Lehrerinnen und Lehrer antworteten auf die Frage, weshalb sie über den Holocaust unterrichten würden, folgendermaßen (Mehrfachantworten waren möglich): „Weil ich denke, dass es wichtig ist“. 58,3% meinten, dass sie es täten,

„weil es im Lehrplan stünde“ und 13,6% täten es, „weil es das Schulmanagement möchte“. Hier erfährt man nichts über die persönlichen Motive der Lehrerinnen und Lehrer, es lässt sich jedoch erkennen, dass eine beachtliche Mehrheit angibt, das Thema als sehr wichtig zu erachten.

Die Wichtigkeit des Themas für Frau U. wurzelt ihren Aussagen nach schon in ihrer Erziehung durch ihre politischen Eltern und den Werthaltungen ihres Vaters.

Z.1396-1422 Na, es gibt da sicherlich auch eine persönliche Geschichte.

Soweit ich mich zurückerinnern kann, hat mein Vater mit mir politisiert [lacht, Anm. d. Verf.]. Das war sicher schon, wie i no in die Volksschul gegangen bin und er hat mir a vom Krieg erzählt. Er war zwar nur mehr als 16-jähriger ganz kurz dabei. Am Schluss ist er no zur Flag kommen. Ein paar Monate bevor der Krieg zu Ende war und hat das ganz, ganz schlimm empfunden und i bin aufgewachsen in dem Bewusstsein, es gibt nix Schlimmeres als Krieg und was man tun kann um das zu verhindern muss man tun, und er hat mir erzählt von den Juden. Was den Juden passiert ist, wie man die gedemütigt hat, also das hat ihn aufgeregt sein Leben lang, und das hab i einfach so übernommen.

Und i weiß, dass i ma scho- da war i sicher in der Volksschul- immer gedacht hab, na wieso hat denen niemand geholfen. Wenn jeder „na“ gsagt hätt, dann wär das net passiert. Das hat mi so begleitet. Meine Eltern waren beide sehr politisch eigentlich. Grad mein Vater, ein großer Gerechtigkeitsfanatiker und immer sehr aufgeschlossen und tolerant, und wenn i denk bei uns daham, wie er schon alt war. In jeder Woche haben zweimal schwarze Studenten

Interviewer: ...und das lebt in Ihnen weiter..

Lehrerin: ..und immer sehr tolerant gewesen. Ob das die Jugend war, andere Religionen, Ausländer jeder Couleur, das hab i so übernommen und das hat zu meiner Freude auch meine Tochter übernommen, die jetzt a so als Volksschullehrerin ihre ersten Schritte zum Thema Nationalsozialismus wagt, mit 34. Davor hat sie´s jetzt auch net gmacht, gö.

Bei der Frage nach der persönlichen Motivation gibt die Lehrerin an, dass sie schon mit ihrem Vater politisiert habe, schon als sie in die Volksschule gegangen sei. Er habe ihr vom Krieg und von der Behandlung der Juden

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erzählt. Sie sei in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es nichts Schlimmeres als Krieg gäbe. Sie habe gelernt, dass man alles tun müsse, um Krieg zu verhindern. Der Vater sei ein Gerechtigkeitsfanatiker gewesen, tolerant und aufgeschlossen. Er habe schwarze Studenten immer ins Haus gebeten und sie voll „Freude“ erzählen lassen. Dies alles hätte sie von ihrem Vater übernommen. Schon in der Volksschule habe sie sich Gedanken über die Rolle des Einzelnen gemacht. Zur Freude der Lehrerin habe auch die Tochter diese Werte übernommen.

Frau U. ist ihren Aussagen nach seit ihrer frühesten Kindheit durch die Erzählungen und Werthaltungen ihres Vaters politisch geprägt. Da die diesbezüglichen Aussagen für die Interpretation und für das Verständnis für Frau Us. Vorgehen von hoher Wichtigkeit sind, wurden sie hier in vollem Umfang dargestellt.

Frau U. stellt ihren Vater als Vorbild in heroisierender Form als sozialen, toleranten und weltoffenen Menschen dar. Diese Werte gilt es für sie weiterleben zu lassen und auch auf die Tochter zu übertragen. Es ist ihr ein Anliegen, gegen Ausländerfeindlichkeit und Antijudaismus zu agieren und sich für Toleranz und Zivilcourage einzusetzen. Sie freut sich darüber, dass dies ihrer Tochter, die ebenso Volksschullehrerin ist, ebenso ein Anliegen ist und auch diese das Thema Nationalsozialismus in ihrem Unterricht behandelt.

Frau U. wurde schon sehr früh mit dem Thema Krieg konfrontiert. Er stellte für sie das schlimmste vorstellbare Ereignis dar und erzeugte möglicherweise schon damals Angst in ihr. Über Ängste vor einem Wiedererstarken berichtet Frau U. mehrmals im Interview. Nach Ansicht Heyls (1998, S.130f) müssen wir jedoch „darauf acht geben, dass wir als Erwachsene an den Kindern nicht ausreagieren, womit wir selber nicht zurande kommen [...]. Kinder haben das Recht mit ihrer psychischen und persönlichen Integrität respektiert zu werden - auch bei dem Thema Holocaust.“ In der Analyse des vorliegenden Unterrichtsprojektes wird noch genau zu untersuchen sein, ob Frau U. dies berücksichtigt hat, oder ob sie die eigene Angst und Betroffenheit auf die Kinder übertragen hat. Schon als kleines Mädchen stand sie ohnmächtig und ratlos der fehlenden Zivilcourage der Menschen in den Erzählungen ihres Vaters gegenüber. Es ist gut denkbar, dass sie aus diesem Grund ihre Schülerinnen und Schüler vor gleichartigen Erfahrungen schützen und gleichzeitig zu mehr Zivilcourage erziehen möchte. Eventuell sagt sie aber, in Anlehnung an ihre

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obige Aussage: „Wenn jeder „na“ gsagt hätt, dann wär das net passiert“ nun, als Erwachsene „nein“- „Nein“ zum Schweigen und Verschweigen.

In folgenden Gedanken ist zu erkennen, dass die Lehrerin „rechtes Gedankengut“

ortet und dessen Wiedererstarken befürchtet. Ihrem Handeln und Vorgehen im Unterricht liegen somit auch eigene Befürchtungen zugrunde.

4.1.2 Kampf gegen Rechtsradikalismus, Ausländerfeindlichkeit und