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4.1 Betrachtung der Lehrperson

4.1.8 Einschätzung der Eltern

4.1.8.4 Einbeziehung der Eltern

Z.1141-1161: Interviewer: Da kommen wir eigentlich jetzt auf eine Frage: Wie weit haben Sie die Eltern mit einbezogen? Haben Sie die Eltern vorinformiert, oder nicht?

Lehrerin: Na, weil das ist sinnlos...

Interviewer: ..inwiefern?

Lehrerin: ..weil... weil die Eltern zu 90% so ungebildet sind und so primitiv in der ganzen Art, dass das einfach keinen Sinn hat.

Interviewer: Sonst hätte man vielleicht "schlafende Hunde geweckt"?

Lehrerin: ..na das hat überhaupt keinen Sinn. Es war ja am Schluss, es war ja kurz vorm Schulschluss, da hab i dann no von zwei Müttern a Gschenk kriegt und a ganz a nett´s Brieferl dazu, wo beide gschrieben haben, sie bedanken sich besonders a deshalb, weil i solche Sachen gmacht hab, weil sie das wichtig finden. Aber ansonsten.... I hab, jetzt hab i ja a zweite Klasse, und wie i mit denen angefangen hab, beim ersten Elternabend haben wir halt auch über alles Mögliche geredet, und i hab ihnen gesagt, i möcht´s ihnen gleich sagen, dass mir eben so Sachen wie Toleranz und ein entsprechender Umgang miteinander, dass ma das halt alles sehr wichtig ist, und dass ma da vieles dazu machen werden, a wo´s in Richtung politische Bildung geht und so... und da hören´s halt dann kurz auf Kaugummikauen und horchen einmal kurz auf dann schwätzen´s wieder weiter... na, es wäre sinnlos, es wäre sinnlos.

Die Lehrerin meint, es sei sinnlos, die Eltern über das Projekt zu informieren, da 90% ungebildet und primitiv seien. Sie habe zwar am Schulschluss ein Geschenk von zwei Müttern bekommen, die sich für derartige Projekte bedankten, da diese ein derartiges Vorgehen wichtig finden würden, aber diese Mütter seien die Ausnahme. In der zweiten Klasse habe die Lehrerin einen Elternabend gemacht, bei dem sie die Eltern über ihre persönlichen Arbeitsschwerpunkte informierte. Sie teilte den Eltern mit und wollte ihnen

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damit „gleich sagen“, dass soziale Belange für sie sehr wichtig seien und sie dazu im Unterricht „Verschiedenes machen würden“, auch in Richtung politische Bildung. Bei einem solchen Elternabend würden die Eltern aber nur kurz zu sprechen und Kaugummi zu kauen aufhören und dann wieder weiter schwätzen. Deshalb wäre es nach Ansicht von Frau U. sinnlos.

In diesem Abschnitt verstärkt sich der Eindruck einer negativen Grundhaltung den Eltern gegenüber. Sie lehnt diese mehrheitlich als gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen und -partner ab, auch aufgrund ihrer vermeintlich mangelnden Bildung. Zwar gäbe es ihrer Meinung nach sehr wenige Ausnahmen, aber die meisten hätten kein Interesse für ihre Anliegen und würden dem gleichgültig gegenüber stehen. Mit der Bemerkung, dass die Eltern nur „Kaugummi kauen“ und

„schwätzen“ bescheinigt sie allen Eltern schlechte Umgangsformen. Diese Beschreibung der Eltern dürfte für Frau U. die Rechtfertigung, die Eltern nicht in das Projekt einbezogen zu haben, darstellen. Auch die Erwähnung eines in der zweiten Klasse abgehaltenen Elternabends, in dem sie die Eltern über ihre prinzipiellen Schwerpunkte aufklärte, könnte man als (unbewusste) Entschuldigung für den fehlenden Elternabend deuten. Somit wurden die Eltern einmalig über die Anliegen und Schwerpunktsetzungen der Lehrerin informiert, und dies sollte für die gesamte Volksschulzeit gelten. Mit der Nebenbemerkung „ich möcht´s ihnen gleich sagen“

teilte die Lehrerin ihre Anliegen den Eltern lediglich mit, ohne Möglichkeit einer Diskussion. Hier zeigt sich eine Einstellung und Vorgehensweise, die Eltern nicht als mitbestimmende, gleichberechtigte Schulpartnerinnen und -partner betrachtet.

Es ist möglich, dass diese resignierte und vorgefasste Meinung aus negativen Erfahrungen der Lehrerin resultiert, sie könnte aber auch ein Vorwand für ein bewusstes Ausschließen der Eltern darstellen, um sich eventuelle Diskussionen im Vorfeld zu ersparen. Ein Hinweis darauf findet sich im Interview bei einem Einwand der Interviewerin, indem sie sinngemäß einwirft, dass man mit einem solchen Elternabend die Eltern eventuell erst aufmerksam gemacht hätte. Diese Bemerkung übergeht die Lehrerin und spricht weiter (vgl.4.1.8.4).

Wie nachfolgende Ausführungen belegen wäre der Einbezug der Eltern auch in diesem Projekt notwendig und zum Vorteil der Kinder gewesen. Die Lehrerin hätte sich den Fragen der Eltern stellen und auch Einwände zulassen müssen. Die Information an die Eltern hätte diese in die erziehliche Verantwortung mit

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einbezogen, aber auch eine qualifizierte Auseinandersetzung in den Familien in Gang setzen können. Durch ein Abklären der Unterrichtsinhalte mit den Eltern ist es auch möglich, unerwünschte Aspekte, wie grauenhafte Bilder oder Geschichten, die Eltern in gutem Glauben ihren Kindern erzählen, auszuschalten.

Im Hinblick auf eine altersgerechte und sachbezogene Vermittlung historischer Ereignisse sei hier nochmals auf das Postulat der „Erziehung nach Auschwitz ohne Auschwitz“ (Abram & Mooren, 1998, S. 96) hingewiesen. Wie bereits erwähnt, ist damit gemeint, dass man detaillierte Darstellungen extremer Grausamkeiten, wie Fotos von Leichenbergen oder Beschreibungen der Massenvernichtung, vermeiden soll, ohne jedoch den systematischen Charakter der nationalsozialistischen Verfolgung auszuklammern (vgl. Konevic, 2007, S. 80).

So sind bei einem derart emotionsgeladenen Thema Spannungen zwischen Schule und Elternhaus durchaus möglich. Einerseits lehnen Lehrkräfte, wie in vorliegendem Fall ab, die Eltern darüber zu informieren, andererseits verlangen Eltern oft die schulische Bearbeitung des Themas, um eine familiäre Auseinandersetzung zu vermeiden. Das Thema kann jedoch, wie Leuzinger-Bohleber im Interview von Garlichs (1996) bereits 1996 feststellte, nur langfristig erfolgreiche Auswirkungen haben, wenn das Gespräch zwischen beiden Parteien gesucht wird. Wenn Lehrkräfte das Thema ohne Wissen der Eltern, oder trotz einer Abwehr durchsetzen, so „kann eine ganz fatale Situation für die betroffenen Kinder entstehen“ (ebd.S.48). Daher sei es unbedingt notwendig, zuerst mit den Eltern über das geplante Vorhaben zu sprechen. Da das Thema Holocaust zunächst einmal eine starke Abwehr mobilisiere, müsse man auch damit rechnen und es zulassen, „daß an einem Elternabend dazu zunächst einmal die Emotionen hochgehen, daß der Widerstand spürbar ist, daß es den Eltern angenehmer wäre, dieses Thema der Vergangenheit ad acta zu legen“

(ebd.). Aus diesem Grund wird man sich nicht mit einem Elternabend zufriedengeben können, sondern muss einen längerfristigen Dialogprozess einplanen.

Das Fehlen eines Dialoges zeigte auch in diesem Projekt Folgeerscheinungen.

Ungeeignete Informationen der Eltern können letztendlich wieder Unterrichtsbelang der Schule werden, wie nachfolgende Erzählung von Frau U. beweist.

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Z.1129-1136: [...] und ein polnisches Mädchen hat mir erzählt, da war die Großmutter grad zu Besuch. Die hat ihr erzählt, dass eine Freundin von ihr überlebt hat unter andern Leichen, die´s im Wald irgendwo abgeladen haben, und wo sie dann no wegkommen ist....

Interviewer: Schrecklich, das hat sie Ihnen alleine erzählt, oder vor der Klasse?

Lehrerin: Vor der Klasse, da muss man dann natürlich schon darauf eingehen.

Das kann man nit stehen lassen..

Ein polnisches Mädchen erzählte, dass sie von ihrer Großmutter erfahren habe, dass eine Freundin unter Leichen, die im Wald abgeladen wurden, überlebt hätte und diese sich dann so retten konnte. Auf die Frage der Interviewerin, ob das Mädchen dies vor der Klasse oder ihr alleine erzählt habe, antwortete die Lehrerin, dass dies vor der Klasse geschehen sei. Aus diesem Grund musste sie darauf eingehen und konnte das nicht als Erzählung des Mädchens stehen lassen.

Ohne Einbeziehung der Eltern steht dem „Stück Aufklärung durch die Schule ein Stück Gegenerklärung durch die Eltern gegenüber“ und führt letztendlich zu einer

„tiefen Verunsicherung“. Damit lässt man die Kinder allein und erzeugt damit, „daß sie mit dem Thema aus diesen Verwirrungserlebnissen heraus nichts mehr zu tun haben wollen“ (vgl. Garlichs & Leuzinger-Bohleber, 1996).

Auch wenn es kurzfristig einfacher erscheint, sich einer möglichen Konfrontation mit den Eltern zu entziehen, so ist die Projektdurchführung im Falle eines Einverständnisses wesentlich erleichtert und kann letztendlich zu den beabsichtigten Lehr- und Unterrichtszielen bei den Kindern führen.

Im Gegensatz zur kritischen Einschätzung des gesellschaftlichen Umfeld und der Eltern hat Frau U. eine ausgesprochen gute Meinung von ihren Schülerinnen und Schülern. Möglicherweise ist aus den Aussagen auch ein gewisses Überschätzen dieser herauszulesen. Sie geht von einem hohen allgemeinen Interesse und Engagement der Kinder aus, welches sie auch im Laufe des Projektes immer wieder zu sehen meint.